Sie stieg ungesäumt die Treppe hinunter und trat in das Zimmer, die überraschte Gesellschaft bescheiden und höflich begrüßend. Alles erhob sich verlegen; denn obgleich sie sattsam durchgehechelt wurde in der Stadt, so flößte sie doch Achtung ein, wo sie erschien. Die jungen Männer grüßten sie mit aufrichtig verlegener Ehrerbietung, und um so aufrichtiger, je wilder sie sonst waren; von den Frauen aber wollte keine scheinen, als ob sie mit der achtbarsten Frau der Stadt etwa schlecht stände und nicht mit ihr umzugehen wüßte, weshalb sie sich mit großem Geräusch um sie drängten, als sie sich von ihrer Überraschung etwas erholt. Am verblüfftesten war jedoch Fritz, welcher nicht mehr wußte, wie er sich in dem Kleide seiner Mutter zu gebärden habe; denn dies war jetzt plötzlich sein erster Schrecken und er bezog den ernsten Blick, den sie einstweilen auf ihn geworfen, nur auf die gute Seide dieses Kleides. Andere Bedenken waren noch nicht ernstlich in ihm aufgestiegen, da in der allgemeinen Lust der Scherz zu gewöhnlich und erlaubt schien. Als alle sich wieder gesetzt hatten und nachdem sich Frau Amrain ein Viertelstündchen freundlich mit den jungen Leuten unterhalten, winkte sie ihren Sohn zu sich und sagte ihm, er möchte sie nach Hause begleiten, da sie gehen wolle. Als er sich dazu ganz bereit erklärte, flüsterte sie ihm aber mit strengem Tone zu: Wenn ich von einem Weibe will begleitet sein, so konnte ich die Grete hier behalten, die mir hergeleuchtet hat! Du wirst so gut sein und erst heimlaufen, um Kleider anzuziehen, die dir besser stehen, als diese hier!"
Erst jetzt merkte er, daß die Sache nicht richtig sei; tief errötend machte er sich fort, und als er über die Straße eilte und das rauschende Kleid ihm so ungewohnt gegen die Füße schlug, während der Nachtwächter ihm verdächtig nachsah, merkte er erst recht, daß das eine ungeeignete Tracht wäre für einen jungen Republikaner, in der man niemandem ins Gesicht sehen dürfe. Als er aber, zu Hause angekommen, sich hastig umkleidete, fiel es ihm ein, daß nun die Mutter allein unter dem Volke auf dem Rathause sitze, und dieser Gedanke machte ihn plötzlich und sonderbarerweise so zornig und besorgt um ihre Ehre, daß er sich beeilte nur wieder hinzukommen und sie abzuholen. Auch glaubte er ihr einen rechten Ritterdienst damit zu erweisen, daß er so pünktlich wieder erschien, und alle etwaigen Unebenheiten dadurch aufs schönste ausgeglichen. Frau Amrain aber empfahl sich der Gesellschaft und ging ernst und schweigsam neben ihrem Sohne nach Hause. Dort setzte sie sich seufzend auf ihren gewohnten Sessel und schwieg eine Weile; dann aber stand sie auf, ergriff das daliegende Staatskleid und zerriß es in Stücken, indem sie sagte: Das kann ich nun wegwerfen, denn tragen werde ich es nie mehr!"
Warum denn?" sagte Fritz erstaunt und wieder kleinlaut. Wie werde ich," erwiderte sie, ein Kleid ferner tragen, in welchem mein Sohn unter liederlichen Weibern gesessen hat, selber einem gleichsehend?" Und sie brach in Tränen aus und hieß ihn zu Bette gehen. Hoho", sagte er, als er ging, das wird denn doch nicht so gefährlich sein." Er konnte aber nicht einschlafen, da sein Kopf sowohl von der unterbrochenen Lustbarkeit als auch von den Worten der Mutter aufgeregt war; es gab also Muße, über die Sache nachzudenken, und er fand, daß die Mutter einigermaßen recht habe, aber er fand dies nur insofern, als er selbst die Leute verachtete, mit denen er sich eben vergnügt hatte. Auch fühlte er sich durch diese Auslegung eher geschmeichelt in seinem Stolze, und erst, als die Mutter am Morgen und die folgenden Tage ernst und traurig blieb, kam er dem Grunde der Sache näher. Es wurde kein Wort mehr darüber gesprochen; aber Fritz war für einmal gerettet, denn er schämte sich vor seiner Mutter mehr, als vor der ganzen übrigen Welt.