Denn mit dem bangen, zornigen Ausruf: Mutter! Es ist ein Dieb da!" sprang der jüngste Knabe, der kleine Fritzchen, in die Stube und glich vollständig einem kleinen Sankt Georg. Seine goldenen Ringellocken flogen um das vom Schlafe gerötete Gesicht; feurig blickten aber die blauen Augen in lieblichem Zorn und mutig warf sich der trotzige Mund auf. Das kurze schneeige Hemdchen flatterte wie die Tunika eines Kreuzfahrers und in den nackten Ärmchen schwang der kleine Rittersmann eine lange Gardinenstange mit dickem vergoldeten Knopf, den er auch mit aller erdenklichen Kraft dem aufspringenden Werkmeister auf den Kopf schlug, daß sich dieser die entstehende Beule verlegen rieb und ihm ordentlich die Augen übergingen. Frau Amrain aber hielt den Knaben auf, tief errötend, und rief: Was ist dir denn, Fritzchen? Es ist ja nur der Florian und tut uns nichts!" Der Knabe fing bitterlich an zu weinen, sich voll Verlegenheit an die Knie der Mutter klammernd; diese hob ihn auf den Arm und das Kind an sich drückend, entließ sie mit einem kaum verhaltenen Lachen den verblüfften Florian, der, obgleich er den Kleinen gern geohrfeigt hätte, gute Miene zum bösen Spiel machte und sich verlegen zurückzog. Sie riegelte die Tür rasch hinter ihm zu; dann stand sie tief aufatmend und nachdenklich mitten in der Stube, das tapfere Kind auf dem Arm, welches das linke Ärmchen um ihren Hals schlang und mit dem rechten Händchen die lange Stange mit dem glänzenden Knopf, die es noch immer umfaßt hielt, gegen den Boden stemmte. Dann sah sie aufmerksam in das nahe Gesicht des Kindes und bedeckte es mit Küssen, und endlich ergriff sie abermals die Lampe und ging in die Kammer, um nach den beiden ältesten Knaben zu sehen. Dieselben schliefen wie Murmeltiere und hatten von allem nichts gehört. Also schienen sie Nachtmützen zu sein, obschon sie ihr selbst glichen; der Jüngste aber, der dem Vater glich, hatte sich als wachsam, feinfühlend und mutvoll erwiesen, und schien das werden zu wollen, was der Alte eigentlich sein sollte und was sie einst auch hinter ihm gesucht. Indem sie über dies geheimnisvolle Spiel der Natur nachdachte und nicht wußte, ob sie froh sein sollte, daß das Abbild des einst geliebten Mannes besser schien, als ihre eigenen so träge daliegenden Bilder, legte sie das Kind in sein Bettchen zurück, deckte es zu und beschloß, von Stund an alle ihre Treue und Hoffnung auf den kleinen Sankt Georg zu setzen und ihm seine junge Ritterlichkeit zu vergelten. Wenn die zwei Schlafkappen," dachte sie, welche nichtsdestominder meine Kinder sind, dann auch mitgehen wollen auf einem guten Wege, so mögen sie es tun."
Am nächsten Morgen schien Fritzchen den Vorfall schon vergessen zu haben, und so alt auch die Mutter und der Sohn wurden, so ward doch nie mehr mit einer Silbe desselben erwähnt zwischen ihnen. Der Sohn behielt ihn nichtsdestoweniger in deutlicher Erinnerung, obgleich er viel spätere Erlebnisse mit der Zeit gänzlich vergaß. Er erinnerte sich genau, schon bei dem Eintritte des Werkmeisters erwacht zu sein, da er trotz eines gesunden Schlafes alles hörte und ein wachsames Bürschchen war. Er hatte sodann jedes Wort der Unterredung, bis sie bedenklich wurde, gehört, und ohne etwas davon zu verstehen, doch etwas Gefährliches und Ungehöriges geahnt und war in eine heftige Angst um seine Mutter verfallen, so daß er, als er das leise Ringen mehr fühlte als hörte, aufsprang, um ihr zu helfen. Und dann, wer verfolgt die geheimen Wege der Fähigkeiten, wie sie im Menschenkind sich verlieren? Als er den Werkführer recht wohl erkannt: wer lehrte den kleinen Bold die unbewußte blitzschnelle Heuchelei des Zartgefühles, mit der er sich stellte, als ob er einen Dieb sähe, und die ihn so unbefangen den Widersacher vor den Kopf schlagen ließ?