»Wie, Freitag«, entgegnete ich, »glaubst du wirklich, daß sie so unmenschlich wären, ihre Gefangenen zu essen?«
»Ja, ja, Herr; o ich weiß, auch die Engländer essen ihre weißen Brüder.«
»Nicht doch, Freitag«, suchte ich ihn zu belehren; »wohl möglich, daß sie ihre Feinde dort töten werden, aber essen! – niemals! niemals!«
»Ist aber doch kein großer Unterschied, Herr!«
Ich überlegte, wie ich wohl am besten die Gefangenen zu befreien vermöchte, zumal ich in den Händen ihrer Peiniger Feuerwaffen nicht bemerkte. Die Engländer selbst gingen am Ufer auf und ab, ohne sich weiter um ihre Gefangenen zu kümmern. Obgleich nun diese hätten frei umherlaufen können, so waren sie doch zu sehr eingeschüchtert und setzten sich auf den Boden nieder. Ihre Lage erinnerte mich lebhaft an jenen Augenblick, wo ich selbst durch die Gewalt des Sturmes an diesen Strand geschleudert wurde, unter Aufbietung der letzten Kräfte die Felsen erkletterte und jeden Augenblick den Tod erwartete. Wie ich damals auf die Stunde der Befreiung kaum hoffen konnte, so saßen auch jetzt diese drei armen Unglücklichen an ödem Strande und ahnten nicht, wie nahe ihnen die Errettung bevorstünde.
Als die fremden Gäste an der Insel angelangt waren, hatte die Flut gerade ihre äußerste Höhe erreicht. Während sich nun die Seeleute auf der Insel sahen, war die Ebbe bereits eingetreten, und die Schaluppe lag gänzlich auf dem Trockenen. Ich gelangte alsbald zu der Überzeugung, daß wenigstens zehn Stunden vergehen müßten, ehe die Schaluppe wieder flott werden könne. Deshalb stieg ich von meinem Beobachtungsposten herunter und ging in meine trefflich verschanzte Burg. Da ich jedoch wußte, daß ich es jetzt mit einem viel gewandteren Feinde zu thun haben würde, als die Wilden waren, so lud ich mit Freitag sowohl die Kanonen als auch unsre übrigen Feuerwaffen.
Es mochte gegen 2 Uhr nachmittags geworden sein, die Hitze hatte eine erdrückende Höhe erreicht. Ich sah jetzt keinen der Seeleute mehr; sie hatten sich wahrscheinlich in den Wald zurückgezogen, um sich im Schatten der Bäume dem Schlafe zu überlassen. Nur die drei Gefangenen saßen noch in dem Schatten eines Baumes, ohne jedoch der Ruhe zu pflegen. Nur eine kleine Strecke von meinem Schlößchen lagernd, befanden sie sich gewissermaßen unter meinen Augen, dagegen gänzlich aus dem Gesichtskreise ihrer sorglosen Verfolger.
Dieser Augenblick schien mir geeignet, die Rettung der Gefangenen zu wagen und sie in Sicherheit zu bringen. Ich nahm zwei Flinten, ein Pistol und ein Seitengewehr und bewaffnete Freitag mit drei Musketen, einem Seitengewehr und einem Pistol.
Mein Aussehen flößte Furcht ein; man denke nur an meinen Anzug aus Ziegenfellen, die hohe Mütze und den langen Bart! Auch Freitag sah phantastisch und fürchterlich genug aus. In solchem Aufzuge nun und wohl bewehrt gingen wir ganz nahe bis zu den Fremden heran. Ohne von denselben bemerkt zu werden, rief ich ihnen auf spanisch zu: »Wer sind Sie, meine Herren?«
Sie fuhren erschrocken auf, schienen jedoch bei dem Anblick unsrer abenteuerlichen Erscheinung noch mehr überrascht zu sein; ja sie zeigten Lust, sich davonzumachen, bis ich ihnen zurief: »Fürchten Sie nichts von mir, Ihr Retter ist näher, als Sie glauben.«
Da zog einer von den Gefangenen den Hut ab und erwiderte sehr ernst: »So muß er uns geradeswegs vom Himmel gesandt sein, denn von Menschen erwarten wir keine Hilfe mehr.«
»Ich sah Ihre Not«, sagte ich. »Sie schienen Ihre rohen Begleiter anzuflehen, und ich bemerkte, wie einer derselben drohend seinen Säbel schwang. Sagen Sie mir, wie ich Sie erlösen kann!«
Der unglückliche Mann war außer sich vor Überraschung. »Sind Sie ein Mensch oder ein Bote des Himmels?« rief er.