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狄更斯德语小说:尼古拉斯·尼克尔贝-52

时间:2017-08-25来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
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Nikolas verzweifelt an Madeline Brays Rettung, faßt jedoch später wieder Mut und entschließt sich, einen Versuch zu machen. – Familiennachrichten von den Kenwigs' und Lillyvicks
Als Nikolas erkannte, daß Newman Noggs fest entschlossen war, ihn – koste es, was es wolle – aufzuhalten, und befürchten mußte, als Dieb festgehalten zu werden, besann er sich und ließ Noggs nachkommen, was denn dieser auch in einem so atemlosen Zustand tat, daß jeder sah, er hätte das Rennen kaum mehr eine Minute länger ausgehalten.
»Ich will direkt zu Bray gehen«, erklärte Nikolas. »Ich muß diesen Menschen sprechen. Wenn er nur noch ein bißchen menschliches Gefühl und nur noch ein Fünkchen Liebe für sein freund- und mutterloses Kind im Herzen schlummern hat, so werde ich es in ihm wecken.«
»Sie werden das nicht tun!« widersprach Newman. »Nein. Wahrhaftig, Sie werden das nicht tun!«
»Dann werde ich meiner ersten Eingebung folgen«, sagte Nikolas und drängte seinen Freund vorwärts. »Ich gehe auf der Stelle zu Ralph Nickleby.«
»Bis Sie seine Wohnung erreicht haben werden, ist er längst im Bett.«
»Dann werde ich ihn herausziehen«, rief Nikolas.
»Still, still«, bat Newman Noggs, »besinnen Sie sich doch.«
»Sie sind mein bester Freund«, murmelte Nikolas nach einer Pause und ergriff Noggs' Hand; »ich habe so mancherlei Prüfung ausgehalten, aber das Elend anderer, und zwar ein Elend wie dieses, treibt mich geradezu zur Verzweiflung. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
Wirklich schien der Fall geradezu hoffnungslos. Es war rein unmöglich, von der Nachricht, die Newman Noggs in seinem Schrank erlauscht hatte, irgendwelchen Nutzen zu ziehen. Der bloße Umstand, daß Ralph Nickleby und Gride einen Vertrag miteinander geschlossen hatten, konnte die Verlobung nicht ungültig machen oder Bray seine Einwilligung zurückziehen lassen, da er doch ohne Zweifel ein solches Einvernehmen vermutet haben mußte, wenn er nicht direkt darum wußte. Daß es sich um einen Betrug an Madeline handelte, hatte Arthur Gride selbst nur angedeutet, und was Newman Noggs darüber wußte, war durch den Dampf der damals von ihm so häufig zu Rate gezogenen Taschenpistole noch konfuser und unverständlicher geworden.
»Ach, ich sehe keine Spur von Hoffnung«, jammerte Nikolas.
»Um so mehr ist Ruhe, Vernunft und Überlegung am Platz«, sagte Newman, hielt bei jedem der Worte inne und blickte seinem Freund bekümmert ins Gesicht. »Wo sind die Gebrüder Cheeryble?«
»Beide sind in dringenden Geschäften abwesend und kommen vor einer Woche nicht wieder nach Haus.«
»Gibt es denn keinen Weg, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen? Könnte man nicht veranlassen, daß wenigstens einer von ihnen bis morgen abend zurückkäme?«
»Unmöglich«, seufzte Nikolas, »das Meer liegt zwischen uns und ihnen. Selbst bei günstigem Wind würde ein Bote hin und her drei Tage und drei Nächte brauchen.«
»Aber ihr Neffe«, rief Newman, »oder der alte Buchhalter!«
»Was könnten diese mehr tun als ich«, gab Nikolas zu bedenken, »und außerdem bin ich gerade ihnen gegenüber zu strengstem Stillschweigen in der Sache verpflichtet. Welches Recht hätte ich, das in mich gesetzte Vertrauen zu verraten, wo nur ein Wunder dieses schändliche Komplott zunichte machen kann?«
»Denken Sie nach!« drängte Newman. »Gibt es denn gar keinen Ausweg?«
»Keinen«, sagte Nikolas trostlos. »Nicht einen einzigen. Der Vater drängt – die Tochter willigt eben ein. Diese Teufel haben sie in ihren Krallen, und Gesetz, Macht, Gewalt, Geld – kurz, alles ist auf ihrer Seite. Wie könnte ich hoffen, sie zu retten?«
»Hoffen Sie bis zum letzten Augenblick«, redete ihm Newman zu und klopfte ihm tröstend auf die Schulter. »Die Hoffnung ist eine Gabe des Himmels; Mutlosigkeit führt zu nichts, hören Sie? Sie führt zu nichts. Lassen Sie kein Mittel unversucht, dann wird wenigstens ein Trost für Sie in der Überzeugung liegen, daß Sie alles Mögliche getan haben. Aber die Hoffnung dürfen Sie nicht aufgeben, sonst ist alles, was sie tun, dahin. Hoffnung, Hoffnung bis zum letzten Augenblick!«
Allerdings bedurfte Nikolas der Ermutigung gar sehr, denn der günstige Stand der Pläne der beiden Wucherer, die geringe Zeit, die ihm zum Handeln blieb, die Wahrscheinlichkeit – ja fast Gewißheit –, daß Madeline Bray ihm in wenigen Stunden vielleicht für immer entrissen sein und einem namenlosen Elend, vielleicht sogar einem frühzeitigen Tode preisgegeben werden sollte – alles dies warf ihn fast zu Boden und betäubte ihn. Jede Hoffnung, die er sich hinsichtlich Madelines gemacht, schien verdorrt.
In dieser qualvollen Gemütsstimmung kam ihm Newmans Freundschaft sehr zu Hilfe. Es lag so viel Ernst in seinen Vorstellungen und so viel Aufrichtigkeit und Wärme in seinem allerdings immer wunderlichen und komischen Benehmen, daß Nikolas neue Kraft daraus gewann und, nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinander hergegangen, sagen konnte:
»Sie geben mir eine gute Lehre, die ich mir zunutze machen will, Newman. Ich werde wenigstens einen Schritt versuchen, ja, ich muß ihn sogar tun, und zwar gleich morgen früh.«
»Und der wäre?« fragte Mr. Noggs neugierig. »Doch nicht etwa Drohungen gegenüber Ralph oder ein Besuch bei dem Vater?«
»Nein, ich muß die Tochter sprechen, Newman«, erklärte Nikolas. »Ich werde alles aufbieten, was die Brüder hätten tun können, wenn sie hiergewesen wären. O Gott, daß sie gerade jetzt außerhalb Londons sein müssen. Ich will ihr das Entsetzliche dieser Verbindung eindringlich schildern, ihr all den Jammer vorstellen, in den sie sich so voreilig und offenbar ohne Überlegung stürzt. Ich will sie bitten, die Sache wenigstens ein paar Tage zu verschieben. Es muß ihr offenbar jeder freundliche Rat gefehlt haben. Vielleicht gelingt es mir sogar jetzt noch, sie zurückzuhalten, und wenn es auch schon um die zwölfte Stunde ist und sie bereits am Rande des Verderbens steht.«
»Bravo«, jubelte Newman. »Recht so, recht so – ja, so ist's gut.«
»Und ich schwöre«, rief Nikolas begeistert »daß mich weder Selbstsucht noch persönliche Rücksicht dazu veranlaßt, sondern nur Mitleid mit ihr und Abscheu vor diesem niederträchtigen Komplott, und daß ich auch nicht anders handeln würde, wenn ich unter zwanzig Nebenbuhlern der am wenigsten begünstigte wäre.«
»Ja, das glaube ich Ihnen«, sagte Newman. »Aber wohin wollen Sie jetzt so schnell?«
»Nach Hause. Wollen Sie mich begleiten, oder soll ich Ihnen gute Nacht sagen?«
»Ich will noch ein bißchen mit Ihnen gehen, wenn Sie nicht gar so galoppieren«, entgegnete Newman.
»Ich kann mich heute beim besten Willen nicht im Schneckentempo fortbewegen«, entschuldigte sich Nikolas hastig. »Es muß rasch bei mir gehen, wenn ich nicht ersticken soll. Ich werde Ihnen morgen mitteilen, was ich ausgerichtet habe.«
Und ohne eine Antwort abzuwarten, stürzte er fort und tauchte in der Menge, die sich auf der Straße stieß und drängte, unter. Ein paar Minuten später hatte ihn Newman gänzlich aus dem Gesicht verloren.
»Wie ungestüm er doch zuweilen sein kann«, brummte Newman ihm nachblickend. »Und doch sehe ich's gerne an ihm. Übrigens hat er jetzt auch Ursache dazu. – Aber Hoffnung? Ich glaube, daß ich es war, der von Hoffnung sprach, aber Ralph Nickleby und Gride – hm –, wenn die die Köpfe zusammenstecken – da soll noch Hoffnung für die Gegenpartei sein? Hoho!«
Das Lachen, mit dem Newman Noggs sein Selbstgespräch schloß, klang sehr melancholisch und war von einem nicht minder traurigen Kopfschütteln und einer ungemein trübseligen Miene begleitet. Dann wandte er sich um und ging seines Weges.
Dieser würde unter gewöhnlichen Umständen zu irgendeiner kleinen Bier- oder Branntweinschenke geführt haben, aber jetzt war Mr. Noggs zu aufgeregt, um sich an einem solchen Orte Trostes zu erholen. Er begab sich daher unter allerhand zaghaften und traurigen Betrachtungen schnurstracks nach Hause.
Miss Morlina Kenwigs hatte nun zufällig am selben Nachmittag eine Einladung erhalten, am nächsten Tag an einer Dampferpartie von der Westminsterbrücke nach der Aalpasteteninsel bei Twickenham teilzunehmen, wo man es sich bei kalter Küche, Flaschenbier, Punsch und Krabben wohl sein zu lassen und zur Musik einer wandernden Bande, die zu diesem Zweck hinbestellt worden, im Freien zu tanzen gedachte. Das Dampfboot war von einem sehr beliebten Tanzlehrer im Interesse seiner zahlreichen Schüler und Schülerinnen gemietet worden, und diese glaubten die Verdienste ihres Lehrers dadurch in das richtige Licht zu setzen, daß sie sich hellblaue Billetts kauften, die zur Teilnahme an der Fahrt berechtigten, und auch ihre Freunde veranlaßten, ein Gleiches zu tun. Eines dieser hellblauen Billetts nun war von einer freundlichen Nachbarin Miss Morlina Kenwigs nebst Einladung zugeschickt worden, sich mit ihren Schwestern der Partie anzuschließen, und Mrs. Kenwigs, die mit vollem Rechte der Ansicht war, die Ehre der Familie verlange, daß Miss Morlina in möglichstem Glanz erscheine, um dem Tanzlehrer zu beweisen, daß es noch andre Tanzlehrer als ihn auf der Welt gäbe, und den anwesenden Vätern und Müttern zu zeigen, daß nicht nur deren Kinder sich anständig zu benehmen gelernt hätten, sondern auch andre, war ob der unsäglichen Menge von Vorbereitungen bereits zweimal in Ohnmacht gefallen. Aber der hochherzige Entschluß, den Glanz der Familie aufrechtzuerhalten oder bei dem Versuche zugrunde zu gehen, ließ sie nicht erliegen, und so stak sie noch mitten in der Arbeit, als Newman Noggs nach Hause kam.
Das Fälteln der Krausen, das Besetzen der Spitzenhöschen, das Garnieren des Kleides, die gelegentlichen Ohnmachten und das Wieder-zu-sich-Kommen hatten Mrs. Kenwigs so ganz und gar in Anspruch genommen, daß sie erst knapp vor einer halben Stunde zu der schrecklichen Entdeckung gekommen war, die Flachszöpfe ihres Töchterchens seien so verwirrt, daß man gar nicht daran denken dürfe, Miss Morlina könne wirklich einen Triumph über die Töchter aller übrigen Leute feiern, übergebe man sie nicht augenblicklich den Händen eines geschickten Haarkräuslers. Diese Wahrnehmung brachte Mrs. Kenwigs in tiefste Verzweiflung, denn der Friseur wohnte drei Gassen und acht gefährliche Straßenübergänge weit. Man konnte unmöglich Morlina allein gehen lassen, selbst wenn es – was Mrs. Kenwigs sehr bezweifelte – schicklich gewesen wäre. Und da Mr. Kenwigs von seinem Geschäfte noch nicht heimgekommen, war niemand da, der das Fräulein hingeführt hätte. Mrs. Kenwigs knuffte und puffte daher Miss Morlina als Ursache aller dieser Verdrießlichkeiten und brach sodann in Tränen aus.
»Du abscheuliches Geschöpf«, maulte sie, »was ich alles schon heute abend mit dir ausgestanden habe.«
»Ich kann doch nichts dafür, Mama«, jammerte Miss Morlina ebenfalls in Tränen. »Meine Haare wollten eben nicht halten.«
»Schweig, du nichtsnutziges Ding«, zürnte Mrs. Kenwigs. »Kein Wort mehr. Ich weiß ganz gut, du würdest, wenn ich dich auf die Gefahr hin, überfahren zu werden, allein gehen ließe, doch nur zu Laura Chopkins« – dies war die Tochter der liebenswürdigen Nachbarin – »laufen und ihr sagen, was du morgen anziehst. Du hast nicht ein Fünkchen Stolz in dir, und man kann dir nicht über die Straße trauen.«
Dabei destillierte Mrs. Kenwigs ein paar neue Tropfen des Ärgers aus ihren Augenwinkeln und erklärte, es könne auf der ganzen Welt kein geplagteres Geschöpf geben als sie. Miss Morlina fing daraufhin ebenfalls aufs neue zu weinen an, und so schluchzten die beiden einander an. So standen die Dinge, als man Newman Noggs an der Türe vorbei die Treppe hinaufhinken hörte. Das Geräusch seiner Fußtritte gab Mrs. Kenwigs neue Hoffnung. Hastig tilgte sie von ihrem Gesicht die Spuren kürzlicher Aufregung, so gut es sich eben in der Eile tun ließ, fing ihren Hausgenossen ab, erzählte ihm ihre Verlegenheit und bat ihn, Morlina zu dem Friseur zu begleiten.
»Ich würde Ihnen so etwas nicht zumuten, Mr. Noggs, wenn ich nicht wüßte, was für ein guter gefälliger Mensch Sie sind – nein wirklich nicht, nicht um die Welt. Aber ich habe eine sehr schwache Konstitution, Mr. Noggs, und überdies würde mein Stolz es ebensowenig zulassen, eine Gunst zu erbitten, wo ich einer Verweigerung entgegensehen könnte, wie ich es nicht über mich zu gewinnen vermochte, zuzusehen, daß Neid und Gemeinheit über meine Kinder triumphieren.«
Newman Noggs war zu gutmütig, um nicht sofort bereit zu sein, selbst wenn ihn Mrs. Kenwigs nicht in so entschiedenen Worten ihres Vertrauens versichert hätte. Ehe noch ein paar Minuten vergangen waren, befand er sich daher mit Miss Morlina auf dem Weg zu dem Haarkünstler.
Dieser Mann war eigentlich kein Friseur, d. h. gemeine und ungebildete Leute würden ihn einen Barbier genannt haben, aber er kräuselte nicht nur den Damen elegant und den Kindern höchst sorgfältig das Haar und schnitt es, sondern er konnte auch mit leichter sichrer Hand den Bart abnehmen. Er besaß ein ungemein anständiges Etablissement – wirklich sozusagen eines von erstem Rang –, und in seinem Ladenfenster stand nebst anderem Prunk die Wachsbüste einer blassen Dame nebst der eines brünetten Herrn, die beide die Bewunderung der ganzen Nachbarschaft auf sich zogen. Einige Damen waren sogar so weit gegangen zu behaupten, der brünette Herr sei das leibhaftige Konterfei des geistreichen jungen Geschäftsinhabers selbst, und die große Ähnlichkeit, die beide in ihrer Haartracht zeigten – sie trugen nämlich alle zwei sehr glänzendes, in der Mitte gescheiteltes Haar und zu beiden Seiten ein paar platt angedrückte sogenannte Sechser –, bekräftigte diese Annahme. Die Besserunterrichteten des schönen Geschlechtes gaben sich jedoch mit dieser Versicherung nicht ab, denn so gerne sie auch dem schönen Gesicht und der Figur des Geschäftsinhabers volle Gerechtigkeit angedeihen ließen – und sie taten das wirklich sehr gerne –, so betrachteten sie das brünette Antlitz des Herrn im Fenster doch lieber als ein Ideal männlicher Schönheit, das sich vielleicht nur hie und da unter Engeln oder Leutnants verkörpert und sehr selten auf der physischen Welt greifbar erscheint, um die Augen der Sterblichen zu entzücken.
Newman Noggs hatte Miss Morlina wohlbehalten in den Laden dieses Friseuradonis gebracht, und da dieser wußte, daß Miss Kenwigs drei Schwestern, jede à zwei Flachszöpfe, hatte, die ihm Stück für Stück mindestens sechs Pence monatlich einbringen mußten, so ließ er auf der Stelle einen alten Herrn, den er eben eingeseift hatte, sitzen und überlieferte ihn seinem Gehilfen, der wegen seines Embonpoints und seiner Jahre bei den Damen nicht sehr populär war, um das kleine Fräulein selbst bedienen zu können.
Dieser Wechsel war kaum vor sich gegangen, als ein freundlicher, stämmig aussehender Kohlenträger mit einer Pfeife im Mund eintrat, sich mit der Hand übers Kinn fuhr und fragte, ob er rasiert werden könne.
Der Gehilfe, dem diese Frage galt, warf einen bedenklichen Blick auf seinen jungen Brotherrn, während dieser geringschätzig den Kohlenträger anblickte und antwortete:
»Hier können Sie nicht rasiert werden, mein Lieber.«
»Warum nicht?« fragte der Kohlenträger.
»Wir rasieren Gentlemen Ihres Standes nicht«, bemerkte der junge Geschäftsinhaber stolz.
»Na, ich hab' doch vorige Woche durchs Fenster g'sehen, wie Sie n' Bäcker rasiert haben«, wendete der Kohlenträger ein.
»Sie haben es durchaus nicht nötig, irgendwelche Parallelen zu ziehen, mein Lieber«, erwiderte der Friseur; »wir ziehen unsere Grenzlinie bei den Bäckern, und unter diese steigen wir prinzipiell nicht hinab. Täten wir es, so würden wir all unsere Kunden verlieren und könnten die Bude schließen. Sie müssen sich also wohl zu einem andern verfügen, hier sind Sie in der unrechten Schmiede.«
Der Kohlenträger glotzte umher, schnitt Newman Noggs, der sich an dieser Szene höchlichst zu ergötzen schien, eine Grimasse, warf einen geringschätzigen Blick auf die Pomadentöpfe und übrigen Parfümerieartikel, nahm seine Pfeife aus dem Mund, pfiff laut, steckte sie sich dann wieder ins Gesicht und entfernte sich.
Der eingeseifte alte Herr, das Antlitz melancholisch zur Wand gekehrt, schien diesen Auftritt nicht zu gewahren und saß überhaupt unempfindlich für alles, was um ihn her vorging, in tiefe Träume versunken da, die – seinen Seufzern nach zu schließen, in denen er sich gelegentlich Luft machte – höchst betrüblicher Natur sein mußten.
Von seinem Beispiel angesteckt, begann der Geschäftsinhaber stumm Miss Kenwigs zu frisieren, und der Gehilfe rasierte den alten Herrn, wobei Newman Noggs die Zeitung vom letzten Sonntag durchblätterte – alle drei im tiefsten Stillschweigen, als Miss Morlina plötzlich einen leichten Schrei ausstieß, was Newman veranlaßte, seine Augen zu erheben und dabei die Ursache der Störung zu gewahren. Der alte Herr hatte nämlich seinen Kopf umgewandt und ließ die Züge des Steuereinnehmers Lillyvick erkennen.
Ja wahrhaftig, es war Mr. Lillyvicks Gesicht, aber auf eine höchst bemerkenswerte Weise verändert.
Wenn je ein alter Gentleman darauf gehalten hatte, sauber rasiert öffentlich zu erscheinen, so war es Mr. Lillyvick gewesen. Wenn je ein Steuereinnehmer sich wie ein Steuereinnehmer benommen und vor der Menge eine so feierliche und bedeutungsvolle Würde zur Schau getragen, als sei die ganze Welt im Rückstand mit zwei Quartalen in seinen Büchern, so war Mr. Lillyvick dieser Steuereinnehmer gewesen, aber jetzt saß er da mit einem mindestens acht Tage alten Bart, einem schmutzigen und verknüllten Busenstreif, der, statt wie früher sich kühn vorzudrängen, schlaff herabhing, mit einer Miene, so niedergeschlagen, zaghaft, bekümmert und verschämt, daß die Mienen von vierzig zahlungsunfähigen Hausbesitzern, denen man die Wasserleitung abgeschlossen, wenn sie sich in einem Gesichte zusammengefunden haben würden, diesem kaum einen so schmerzlichen und niedergeschlagenen Ausdruck hätten geben können, als der es war, der sich hier an der Person des Steuereinnehmers Mr. Lillyvick offenbarte. Newman Noggs nannte seinen Namen, und Mr. Lillyvick seufzte, suchte es jedoch gleich darauf durch ein Hüsteln zu verbergen. Der Seufzer war jedoch zu deutlich gewesen, als daß man ihn hätte überhören können, während sich der Husten wie ein krampfartiges Keuchen ausnahm.
»Was fehlt Ihnen?« fragte Mr. Noggs teilnahmsvoll.
»Was mir fehlt?« stöhnte Mr. Lillyvick. »Die Leitungsröhre meines Lebens ist vertrocknet und nur Schlamm übriggeblieben.«
Diese Erwiderung, deren Stil Newman Noggs dem Verkehre Mr. Lillyvicks mit Komödianten zuschrieb, war etwas unklar, und Newman blickte daher auf, als bäte er um eine nähere Erklärung. Aber Mr. Lillyvick kam ihm zuvor, indem er ihm warm die Hand schüttelte und dann schmerzlich abwehrte.
»Gestatten Sie, daß ich mich zuerst vollends rasieren lasse«, seufzte er. »Ich werde vor Morlina fertig sein – es ist doch Morlina? Nicht wahr?«
»Jawohl«, versicherte Newman.
»Die Kenwigs' haben kürzlich einen Knaben bekommen, nicht wahr?« fuhr der Steuereinnehmer fort.
Newman bejahte abermals.
»Ist er hübsch?« fragte Mr. Lillyvick weiter.
»Er ist nicht übel«, entgegnete Newman, durch die Frage einigermaßen in Verlegenheit gesetzt.
»Susanna Kenwigs pflegte immer zu sagen«, bemerkte der Steuereinnehmer, »sie hoffe, wenn sie je wieder einen Knaben bekäme, daß er mir ähnlich sähe. Gleicht er mir, Mr. Noggs?«
Newman war über diese Frage ein wenig verblüfft und antwortete ausweichend, die Ähnlichkeit werde sich später gewiß einstellen.
»Ich hätte gern, es sähe mir jemand ähnlich, ehe ich sterbe«, jammerte Mr. Lillyvick.
»Sie werden doch jetzt noch nicht sterben wollen«, rief Newman.
Mit feierlicher Stimme erklärte Mr. Lillyvick daraufhin: »Gestatten Sie, daß ich mich erst zu Ende rasieren lasse.« Dann unterwarf er sich den Prozeduren des Friseurgehilfen und sprach weiter kein Wort. Dies war gewiß ein merkwürdiges Benehmen, und selbst Miss Morlina fand es außerordentlich und konnte sich, selbst auf die Gefahr hin, mit dem Brenneisen ins Ohr gezwickt zu werden, nicht enthalten, sich immer wieder nach dem Wassersteuereinnehmer umzusehen. Mr. Lillyvick nahm jedoch keine Notiz von ihr, sondern schien eher, wie es Newman Noggs vorkam, ihre Blicke zu meiden oder ihnen auszuweichen, wenn er ihren Augen zufällig begegnete. Newman hätte nun ganz gut wissen können, worin der Grund dieser Veränderung im Wesen des Steuereinnehmers lag, zerbrach sich aber weiter nicht den Kopf darüber und dachte philosophisch, er werde es früher oder später sicher erfahren und könne warten. Er ließ sich daher durch die Seltsamkeit des alten Herrn nicht weiter anfechten.
Als das Haargekräusel endlich vorüber war, erhob sich Mr. Lillyvick, nachdem er auf Morlina gewartet, und verließ mit Newman und ihr den Laden. Dann nahm er den Arm des alten Buchhalters und begleitete beide eine Strecke weit, ohne ein Wort zu sprechen. Newman, der an Einsilbigkeit nicht so bald seinesgleichen fand, versuchte es weiter nicht, das Schweigen zu brechen, und so gingen sie miteinander eine Weile lang fort, bis sie fast Morlinas Wohnung erreicht hatten, und da erst begann Mr. Lillyvick:
»Waren die Kenwigs' sehr betroffen bei der Nachricht, Mr. Noggs?«
»Bei welcher Nachricht?«
»Von – von – meiner – «
»Verheiratung?« ergänzte Newman.
»O Gott«, seufzte Mr. Lillyvick und bemühte sich diesmal nicht, seine Bewegung durch ein Hüsteln zu maskieren.
»Mama hat geweint, als sie es erfuhr«, fiel Miss Morlina ihm ins Wort, »obwohl wir es lange vor ihr geheimhielten. Papa war auch sehr niedergedrückt, aber jetzt geht es ihm wieder besser. Und ich selbst wurde sehr krank – aber auch mir ist schon wieder besser.«
»Würdest du deinem Großonkel einen Kuß geben, wenn er dich darum bäte?« fragte der Wassersteuereinnehmer stockend.
»Ja. Ich würde es, onkel Lillyvick«, entgegnete Miss Morlina, die Lebhaftigkeit ihres Vaters und ihrer Mutter vereinend. »Aber Tante Lillyvick möchte ich nicht küssen. Sie ist nicht meine Tante, und ich werde sie auch nie so nennen.«
Entzückt schloß Mr. Lillyvick Miss Morlina in seine Arme und küßte sie. Sie waren inzwischen bei Mr. Kenwigs' Wohnung angelangt, deren Türe, wie bereits erwähnt, gewöhnlich weit offen stand, und der Steuereinnehmer ging geradezu nach Mr. Kenwigs' Zimmer und setzte Miss Morlina in der Mitte nieder. Mr. und Mrs. Kenwigs befanden sich eben beim Nachtessen. Beim Anblick ihres treulosen Verwandten erblaßte Mrs. Kenwigs und fühlte sich einer Ohnmacht nahe, während sich der Drechslermeister majestätisch aufrichtete.
»Kenwigs«, bat der Steuereinnehmer, »geben Sie mir Ihre Hand!«
»Es hat eine Zeit gegeben, Sir«, begann Mr. Kenwigs, »wo ich stolz darauf war, dem Manne, der mir jetzt gegenübersteht, die Hand zu reichen. Es hat eine Zeit gegeben, Sir«, fuhr er fort, »wo ein Besuch von demselben Manne in meinem und meiner Familie Herzen Gefühle erweckte, die nicht nur natürlich, sondern auch erhebend waren. Jetzt aber sehe ich diesen Mann mit Empfindungen vor mir, die alle Begriffe übersteigen, und stelle mir die Frage: wo ist seine Ehre geblieben? Wo seine Redlichkeit und seine Menschennatur?«
»Susanna Kenwigs«, wandte sich Mr. Lillyvick demütig an seine Nichte. »Du hast kein einziges Wort für mich einzulegen?«
»Sie ist unfähig dazu, Sir«, erklärte Mr. Kenwigs und schlug voll Nachdruck mit der Faust auf den Tisch. »Vier Liter Malztrunk reichten kaum hin, ihr das Stillen eines gesunden Kindes zu ermöglichen und sie zu befähigen, den Gram über Ihr grausames Benehmen zu verwinden.«
»Es freut mich«, erwiderte der arme Wassersteuereinnehmer leise, »daß es ein gesundes Kind ist. Ich bin ungemein darüber erfreut.«
Dies berührte die Familie Kenwigs an ihrer empfindsamsten Stelle. Mrs. Kenwigs brach sofort in Tränen aus, und Mr. Kenwigs zeigte große Erregung. »Die ganze Zeit über, wo das Kind erwartet wurde«, sagte der Drechslermeister traurig, »war es ein herzerhebendes Gefühl für mich, mich der Hoffnung hingeben zu können, es möchte ein Knabe werden, da ich seinen onkel oft und oft hatte sagen hören, es wäre ihm am liebsten, wenn das nächste ein Knabe wäre. Und ich dachte, was wird wohl sein onkel Lillyvick sagen, wenn es wirklich ein Knabe ist, und welcher Name wird ihm wohl am besten gefallen? Wird er Petrus oder Alexander, Pompejus oder Diogenes oder anders heißen, und jetzt, wenn ich es ansehe, das hilf- und bewußtlose Kindchen, dem seine kleinen Ärmchen zu nichts nütze sind, als sein Häubchen zu zerreißen, und dem seine kleinen Füßchen nur dazu dienen, sich selber im Weg zu sein – wenn ich es ansehe, wie es im Schoße seiner Mutter stammelt und in seiner Unschuld den Finger in den Mund steckt, daß es fast erstickt, wenn ich das Kindchen, so wie es ist, ansehe und dabei bedenke, daß derselbe onkel Lillyvick, der es ehedem so lieb zu haben gedachte, sich treulos zurückgezogen, so überkommt mich ein Rachegefühl, das auszudrücken keine Zunge vermag, und es ist mir, als riefe mir sogar das Kindlein in seiner heiligen Unschuld zu, ich solle ihn hassen.«
Diese schwungvollen Worte ergriffen Mrs. Kenwigs tief. Mehrere Male versuchte sie vergebens, einige abgebrochene Worte hervorzustoßen, aber jedesmal wurden sie in einer gewaltigen Flut von Tränen ertränkt und weggespült, bis es ihr endlich glücklich gelang, sich folgendermaßen vernehmen zu lassen:
»O Gott, Onkel, ich darf nicht daran denken, daß Sie mir, meinen lieben Kindern und meinem Manne Kenwigs, dem Urheber ihres Daseins, den Rücken gekehrt haben. – Wo Sie sonst so gütig und wohlwollend waren und wo wir jeden mit Verachtung vernichtet haben würden, wenn er etwas gegen Sie gesagt hätte. Sie, dessen Name der kleine Lillyvick, unser erster kleiner Knabe, am heiligen Altar erhielt – ach du lieber Himmel.«
»Und haben wir je an Geld gedacht?« fragte Mr. Kenwigs, »jemals an Vermögen?«
»Nein«, rief Mrs. Kenwigs, »ich verachte es!«
»Auch ich«, fügte Mr. Kenwigs bei; »ich habe es immer getan.«
»Mein Innerstes ist zerrissen«, klagte Mrs. Kenwigs, »und mein Herz von Seelenpein zerfleischt. Das Wochenbett hat mich ganz und gar heruntergebracht, mein unschuldiges kleines Kindchen ist elend und Morlina zum Schatten geworden. Aber alles sei vergessen und vergeben, denn ich kann es nicht übers Herz bringen, meinem onkel zu zürnen. Nur muß ich bitten, daß Sie nicht von mir verlangen, ich soll Ihre Gattin empfangen – nein, das dürfen Sie von mir nicht verlangen! Ich will nicht, ich mag nicht, nein, ich will nicht –«
»Liebe Susanna, denke doch an dein Kind«, unterbrach sie Mr. Kenwigs.
»Jawohl«, kreischte Mrs. Kenwigs, »ich will an mein Kind denken. Ich will an mein Kind denken – an mein Kind, das mir kein onkel auf der Welt nehmen kann, an mein verstoßenes, verlassenes, mit Füßen getretenes Kind!«
Mrs. Kenwigs' Aufregung steigerte sich derart, daß ihr Gatte ihr innerlich mit Hirschhorngeist und äußerlich mit Weinessig beispringen und überdies ein paar Korsettschnüre, vier Unterrockbänder und mehrere kleine Knöpfe lösen mußte.
Newman Noggs hatte diesem Auftritt schweigend zugesehen, da er, teils durch einen Wink von Mr. Lillyvick und andererseits durch ein Kopfnicken Mr. Kenwigs' zum Bleiben aufgefordert, stehengeblieben war. Als sich Mrs. Kenwigs wieder etwas besser fühlte und Newman, auf den sie große Stücke hielt, ihr Vorstellungen gemacht und sie gebeten hatte, sich doch zu fassen, begann Mr. Lillyvick mit stockender Stimme:
»Ich werde hier niemand zumuten, meine – ich möchte das Wort nicht aussprechen, denn Ihr wißt, wen ich meine – zu empfangen. Lieber Kenwigs und auch Sie, Susanna: sie ist mir doch gestern vor acht Tagen mit einem Kapitän der Reserve auf und davon gegangen.«
– Das würdige Ehepaar fuhr auf. –
»Jawohl, mit einem Kapitän der Reserve. Auf und davon. Falsch und treulos mit einem Kapitän der Reserve auf und davon. – Mit einem Kapitän mit einer Kupfernase, von dem sich kein Ehemann etwas Böses versehen hätte! – In diesem Zimmer hier habe ich Henriette Petowker zum erstenmal gesehen«, stöhnte Mr. Lillyvick und blickte finster umher, »und hier in diesem Zimmer verstoße ich sie für immer.«
Diese Erklärung änderte die Sachlage bedeutend. Mrs. Kenwigs warf sich dem alten Herrn an den Hals, machte sich bittere Vorwürfe über ihre Heftigkeit und rief, was müßte er nicht erst erduldet haben, wo sie schon so viel gelitten. Dann ergriff auch der Drechslermeister seine Hand und gelobte ihm unverbrüchliche Freundschaft und ewige Reue. Mrs. Kenwigs konnte sich gar nicht fassen ob des Schauderns, je eine solche Schlange, Natter, Viper, giftige Otter und Krokodil wie Henriette Petowker an ihrem Busen genährt zu haben, und Mr. Kenwigs folgerte, sie müsse wirklich bodenlos verderbt sein, da sie sich durch das lange Beispiel von Tugend durch seine Frau nicht gebessert habe; und Mrs. Kenwigs wiederum erinnerte sich, ihr Mann habe ihr des öftern gesagt, er könne das Benehmen Miss Petowkers nicht billigen, und wunderte sich mit ihm zusammen, wie sie nur so lange dieser verschlagenen Person gegenüber mit Blindheit geschlagen sein konnte. Der Drechslermeister hob noch besonders hervor, er habe stets Argwohn gehegt, wundere sich aber keineswegs, daß dies bei seiner Gattin nicht ebenfalls der Fall gewesen, da sie doch lauter Keuschheit, Reinheit und Wahrhaftigkeit wäre, wohingegen sich bei Henriette Petowker nichts als Niederträchtigkeit, Falschheit und Hinterlist finden lasse. Und schließlich beschworen sie den wackren Wassersteuereinnehmer, sich keinem überflüssigen Gram mehr hinzugeben und Trost im Umgang mit liebevollen Verwandten zu suchen, deren Arme und Herzen ihm immer offenstünden.
»Aus Liebe und Achtung gegen euch beide, Susanna, und auch Sie, Kenwigs«, sagte Mr. Lillyvick, »und keineswegs aus Groll und Rache gegen sie, da sie viel zu tief steht für solche Gefühle, will ich morgen früh euern Kindern das Vermögen vermachen, das ich ihnen testamentarisch zu hinterlassen gedachte, und gleichzeitig die Vorkehrung treffen, daß es ihnen nach meinem Ableben zur Zeit ihrer Mündigkeit oder Verehelichung ausgezahlt werde. Jawohl, gleich morgen will ich alles veranlassen, und Mr. Noggs wird mir vielleicht die Gefälligkeit tun, als Zeuge mit zu unterschreiben. Er hört hier, was ich gesagt habe, und soll auch sehen, wie ich mein Versprechen halte.«
Durch solchen Edelmut ganz und gar hingerissen, brachen Mr. Kenwigs, seine Gattin und Miss Morlina sofort in Tränen aus, und zwar derart, daß der Lärm ihrer Ergriffenheit bis ins nächste Zimmer drang und dort die Kinder, die bereits in ihren Bettchen lagen, ebenfalls zum Weinen brachte. Ungestüm eilte der Drechslermeister hinein, schleppte sie paarweise auf seinen Armen wieder heraus, ließ sie dann in ihren Nachtmützen und Nachthemdchen zu Mr. Lillyvicks Füßen niedersinken und forderte sie auf, ihm zu danken und Gottes Segen zu wünschen.
»Aber jetzt«, rief Mr. Lillyvick, als die herzbrechende Szene zu Ende und die Kinder wieder glücklich zu Bett gebracht waren, »gebt mir etwas zu essen. Ich erhielt die böse Nachricht, als ich zwanzig Meilen von der Stadt entfernt war. Ich bin heute morgen erst zurückgekommen und den ganzen Tag planlos umhergeschlendert, ohne den Mut zu finden, euch zu besuchen. Ich habe ihr jeden Wunsch erfüllt, sie hatte in allem und jedem ihren Willen, durfte tun, was ihr paßte, und nun dankt sie mir so! Ich hatte zwölf Teelöffel und vierundzwanzig Pfund in Gold zu Hause – diese vermißte ich zuerst. Es ist eine schwere Heimsuchung für mich, und ich fühle, daß ich kaum je wieder imstande sein werde, bei meinen Rundgängen den entsprechend festen Doppelschlag zu tun. Aber, bitte, sprechen wir nicht mehr davon; die Teelöffel haben – ich weiß nicht mehr, was sie gekostet haben, aber gleichviel –«
Dabei zerdrückte sich der alte Herr ein paar Tränen. Man brachte ihm einen Armstuhl und drängte ihm, ohne daß er sich viel hätte bitten lassen, einen tüchtigen Imbiß auf. Als er dann seine erste Pfeife geraucht und ein halbes Dutzend Gläser Punsch, der rasch zur Feier seiner Rückkehr in den Schoß der Familie von Mr. Kenwigs herbeigeschafft worden, hinter die Binde gegossen hatte, schien er, wenn auch immer noch recht gedrückt, sich ergeben in sein Schicksal zu finden, und raffte sich sogar so weit auf, in der Flucht seines Weibes eher etwas Tröstliches als Niederschmetterndes zu erblicken.
»Wenn ich diesen Mann hier vor mir sehe«, sagte Mr. Kenwigs, den einen Arm um Mrs. Kenwigs' Taille geschlungen und mit der andern die Pfeife haltend, die ihm, da er kein Raucher war, arges Husten verursachte, und die Augen auf Morlina, die auf ihres onkels Knien saß, geheftet, »wenn ich diesen Mann hier sehe, wie er sich wieder im Kreise der Familie, der er zur Zierde gereicht, bewegt, und Zeuge davon bin, wie sich seine Liebe wieder entwickelt, so fühle ich, daß er innerlich ebenso hoch und erhaben dasteht wie nur irgendein öffentlicher Charakter je in den Augen der ganzen Welt. Die Stimmen meiner nun für Lebenszeit versorgten unmündigen Kinder scheinen mir in den ergreifendsten Tönen zuzuflüstern: Wahrlich, das ist ein Ereignis, auf das der Himmel selbst mit Wohlwollen herabblickt.« 
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