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Master Humphrey's Wanduhr. Zweiter Band-43

时间:2018-02-09来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
(单词翻译:双击或拖选) 标签: Zweiter Band
Der Raritätenladen. Schluß-Kapitel
Der magische Knäuel, welcher in seinem Weiterrollen die Erzähler bis hierher geführt hat, ermäßigt nun seine Schnelligkeit und hält inne. Er liegt an seinem Ziele und unsere Geschichte hat ihr Ende erreicht.
 
Es bleibt uns jetzt nur noch übrig die Hauptpersonen des kleinen Häufleins zu entlassen, welches uns auf dem Wege Gesellschaft geleistet hat, und die Reise zu schließen.
 
Zuvörderst nehmen der geschmeidige Sampson Braß und Miß Sally, Arm in Arm, unsere höfliche Aufmerksamkeit in Anspruch.
 
Herr Sampson wurde, wie wir bereits gehört haben, von dem Friedensrichter, bei Gelegenheit seines dortigen Besuches, zurückgehalten, und da der letztere ihn so angelegentlich drängte, seinen Aufenthalt zu verlängern, daß er das Gesuch in keiner Weise ablehnen konnte, so verblieb er eine geraume Zeit unter dessen Schutz, während welcher Zeit sein Wirth ihm eine so außerordentlich große Aufmerksamkeit erwies, daß er für die Gesellschaft ganz verloren war und nicht einmal Gesundheits halber spazieren gehen mochte, es sei denn in einem kleinen gepflasterten Hofe. In der That wußten auch diejenigen, welche mit ihm zu verkehren hatten, sein bescheidenes und die Einsamkeit liebendes Temperament so sehr zu würdigen, und wollten sich seiner Gesellschaft so wenig berauben lassen, daß sie eine Art freundlicher Bürgschaft von zwei wohlhabenden Hausbesitzern im Betrage von je 1500 Pfund verlangten, ehe sie ihm gestatten wollten, ihr wirthliches Dach zu verlassen – wahrscheinlich weil sie bezweifelten, daß er anderweitig zurückkehren würde, wenn sie ihn einmal los gelassen hätten. Herr Braß, der gerne auf diesen Scherz einging und ihn bereitwillig bis auf die Spitze trieb, suchte in seiner weiten Bekanntschaft ein paar Freunde, deren vereinte Besitzungen einige Halbpence weniger als fünfzehn Pence betrugen und bot sie als Bürgen an – denn »Bürgschaft« lautete die joviale Loosung von beiden Seiten. Es gab ein lustiges Wortgefecht, in Folge dessen die genannten zwei Herren verworfen wurden, und so ließ sich's Herr Braß gefallen, da zu bleiben, und blieb auch da, bis ein Club auserlesener Spaßvögel, die große Jury genannt, welche in die Posse mit eingeweiht waren, ihn vor zwölf andere Schälke forderten und wegen Meineids und Betrugs anklagten. Diese ihrerseits erklärten ihn in gar witziger Laune für schuldig – ja, und selbst das Volk ging auf den Spaß ein; denn als Herr Braß in einer Miethkutsche nach dem Gebäude fuhr, in welchem die genannten Schälke versammelt waren, begrüßte es ihn mit faulen Eiern, todten Katzen, und that sogar dergleichen, als wolle es ihn in Stücke reißen, was das Komische der Sache ungemein erhöhte und ihn ohne Zweifel einen noch größeren Geschmack daran finden ließ.
 
Um den launigen Faden noch weiter zu spinnen, machte Herr Braß geltend, daß er sich aus eignem Antrieb in's Gefängniß gestellt und beschuldigt habe, weil ihm Sicherheit und Begnadigung versprochen worden – ein Grund, der ihm Anspruch ertheile auf die Milde, welche das Gesetz auf vertrauensvolle Seelen ausdehne, denen also mitgespielt worden sei. Nach einer feierlichen Prüfung wurde dieser Punkt (nebst einigen andern technischer Natur, deren humoristische Wunderlichkeit schwer zu übertreiben sein dürfte) den Richtern zur Entscheidung anheim gegeben und Sampson in der Zwischenzeit nach seinem früheren Quartiere zurückgebracht. Endlich erledigte man einige der genannten Punkte zu Sampsons Gunsten, andere gegen ihn, und das Resultat war, daß er die Erlaubniß erhielt, unter gewissen unbedeutenden Beschränkungen fortan das Mutterland mit seiner Gegenwart zu beglücken, statt aufgefordert zu werden, für eine Weile nach fremden Ländern eine Reise zu machen.
 
Diese Beschränkungen bestanden darin, daß er für eine bestimmte Frist von Jahren in einem geräumigen Hause wohnen sollte, wo verschiedene andere Gentlemen auf öffentliche Kosten Logis und Atzung erhielten: man trug dort eine anständige graue Uniform mit gelben Ausschlägen, und außerordentlich kurz geschnittene Haare, wobei man hauptsächlich von Haferschleim und leichten Suppen lebte. Auch wurde von ihm verlangt, das er als gesunde Leibesübung beharrlich eine endlose Treppenflucht hinansteige, bei welcher Gelegenheit seine Beine, damit sie, an eine solche Anstrengung nicht gewöhnt, nicht gar zu sehr entkräftet werden möchten, über jedem Knöchel ein Amulet oder einen Talisman von Eisen tragen sollten. Nach Bereinigung dieser Einleitungen wurde er eines Abends nach seinem neuen Wohnsitze gebracht und erfreute sich dabei, in Gemeinschaft mit neun andern Herren und zwei Damen, des Vorrechts, in einem von Seiner Majestät Wagen nach dieser Residenz fahren zu dürfen.
 
Nebst diesen unbedeutenden Bußen wurde sein Name aus der Advokatenliste gestrichen – ein Umstand, den man in letzterer Zeit immer für einen höchst entehrenden, und für einen Beleg von ganz besonderer Schuftigkeit hält, was auch wohl der Fall sein mag, da so viele unwürdige Namen ungefährdet unter ihren bessern Nachbarn stehen bleiben.
 
Ueber Sally Braß gingen verschiedene widersprechende Gerüchte. Einige wollten zuverlässig wissen, daß sie in Männerkleidern nach dem Arsenal gegangen und ein weiblicher Matrose geworden. Andere flüsterten, sie habe sich als Gemeiner bei dem dritten Regiment der Garde zu Fuß anwerben lassen, und sei dienstthuend und in Uniform gesehen worden – nämlich eines Abends auf ihre Muskete gelehnt, wie sie in Saint James aus einem Schilderhause heraussah. Es war manches solches Gerede im Umlauf, aber nach Abfluß von etwa fünf Jahren (während welcher Zeit Niemand bestimmt nachweisen konnte, sie gesehen zu haben) stellte sich als Wahrheit heraus, daß man mehr als einmal bemerkt hatte, wie in dem Dunkel der innersten Winkel von Saint Giles ein paar elende Gestalten umherschlichen und wankenden Tritts, schaudernd in sich gekauert, über die Straßen schlichen, um in den Gossen weggeworfene Speisereste und Fleischabfälle aufzusuchen. Man sah diese Schatten nur in kalten und düstern Nächten, wo die schrecklichen Gespenster, die zu anderer Zeit in den schmutzigen Verstecken Londons, in Bogenwegen, dunkeln Gewölben und Kellern verborgen liegen, auf die Straßen zu kriechen wagen – die verkörperten Geister von Krankheit, Laster und Hunger. Leute, die es wissen konnten, raunten sich zu, daß dieß Sampson und seine Schwester Sally seien. Sie sollen bis auf den heutigen Tag in derselben ekelhaften Verkleidung hin und wieder in Nächten von der genannten Beschreibung dicht an den Ellenbogen erschreckter Spaziergänger vorbeischleichen.
 
Als man nach Verfluß einiger Tage Quilp's Leiche auffand, wurde unweit der Stelle, wo sie an's Land gespült worden, eine Todtenschau gehalten. Die allgemeine Annahme ging dahin, daß er sich selbst entleibt habe, und da dieß durch alle Umstände seines Todes bekräftigt zu werden schien, so that auch die Jury den gleichen Ausspruch. Sie sollte daher mit einem Pfahl durch's Herz inmitten eines einsamen Kreuzwegs begraben werden.
 
Nachher ging das Gerücht, diese schreckliche und barbarische Ceremonie sei nicht vollzogen, sondern die Ueberreste seinem Diener Tom Scott übergeben worden. Doch auch hier theilten sich die Ansichten, denn Einige meinten, Tom habe sie um Mitternacht ausgegraben und nach einem Orte gebracht, der ihm von der Wittwe angedeutet worden. Wahrscheinlich haben diese beiden differirenden Geschichtserzählungen in der einfachen Thatsache, daß Tom bei der Todtenschau Thränen vergoß – denn dieß war wirklich der Fall, so außerordentlich es auch erscheinen mag – ihren Grund. Außerdem legte er auch eine starke Neigung, sich an der Jury zu vergreifen, an den Tag, und da man ihn zurückhielt und aus dem Gerichtszimmer hinausführte, so verdunkelte er dessen einziges Fenster dadurch, daß er sich vor dem Gesimse auf den Kopf stellte, bis er durch einen vorsichtigen Büttel geschickt wieder auf die Beine gebracht wurde.
 
Nach dem Tode seines Gebieters in die Welt hinausgestoßen, entschloß er sich, auf Kopf und Händen durch dieselbe zu gehen, welchem gemäß er sich für Geld als Gaukler sehen ließ. Da er jedoch in seiner englischen Abkunft ein unübersteigliches Hinderniß fand, das dem günstigen Fortgange seines Geschäfts im Wege stand (obgleich eine solche Kunst sehr beliebt ist und in hohem Ruhme steht), so nahm er den Namen eines mit Gypsfiguren handelnden italienischen Knaben an, mit dem er bekannt geworden war, und nachher gaukelte er mit außerordentlichem Erfolg und vor einem gedrängten Publikum.
 
Die kleine Frau Quilp vergab sich nie die einzige Täuschung, die so schwer auf ihrem Gewissen lag, und konnte nie daran denken oder davon sprechen ohne bittere Thränen. Ihr Gatte hatte keine Verwandte und sie war reich. Wenn er ein Testament hinterlassen haben würde, so wäre sie wahrscheinlich eine Bettlerin gewesen. Das erste Mal hatte sie auf den Rath ihrer Mutter geheirathet, das zweite Mal berieth sie sich mit Niemand, als mit sich selbst. Ihre Wahl fiel auf einen leidlich hübschen jungen Burschen, und da er als einleitende Bedingung festsetzte, daß Frau Jiniwin außer dem Hause wohnen mußte, so lebten sie nach der Hochzeit mit einander, ohne sich mehr zu zanken als es im Durchschnitt üblich ist, und führten von dem Gelde des Zwergs ein glückliches Leben.
 
Herr und Madame Garland und Herr Abel lebten wie sonst fort (eine einzige Veränderung in ihrem Hauswesen ausgenommen, die sogleich zur Sprache kommen wird), und im Verlaufe der Zeit associrte sich der Letztere mit seinem Freunde, dem Notar, bei welcher Gelegenheit es ein Gastmahl, einen Ball, und überhaupt eine Masse ähnlichen üppigen Aufwands gab. Zu diesem Balle wurde dann auch die verschämteste junge Dame, die je zu finden ist, eingeladen; und da trug es sich zu, daß sich Herr Abel in sie verliebte. Wie dieß zuging, oder wie sie es merkten, oder welches von Beiden zuerst dem Andern diese wichtige Entdeckung mittheilte, weiß Niemand. Nur so viel ist gewiß, daß sie sich in der Folge heiratheten; und eben so gewiß ist, daß sie die Glücklichsten unter den Glücklichen waren; und mit nicht minderer Sicherheit können wir behaupten, daß sie es zu sein verdienten. Mit Freuden schreiben wir nieder, daß ein Nachwuchs zu der Familie kam; denn die Fortpflanzung der Herzensgüte und Menschenfreundlichkeit ist keine kleine Zugabe zu der Aristokratie der Natur, und ein nicht unbedeutender Gegenstand der Freude für das Menschengeschlecht im Allgemeinen.
 
Der Pony bewahrte sich die Unabhängigkeit seines Charakters bis zum letzten Augenblicke seines Lebens, welches so ungewöhnlich lang war, daß man ihn in der That für den Altvater aller Pony's halten konnte. Er trabte oft zwischen der Wohnung des Herrn Garland und seines Sohnes mit dem Phaeton hin und her, und da die alten und jungen Leute häufig beisammen waren, hatte er in dem neuen Etablissement seinen eigenen Stall, den er gewöhnlich mit überraschender Würde betrat. Er ließ sich herab, mit den Kindern zu spielen, so bald sie alt genug wurden, um seine Freundschaft zu cultiviren, und sprang mit ihnen wie ein Hündchen auf dem kleinen Anger hin und her. Aber obgleich er sich viel vergab und ihnen kleine Freiheiten, als Liebkosungen, das Betrachten seiner Hufe oder das Hängen an seinen Schwanz erlaubte, so gestattete er doch Keinem, seinen Rücken zu besteigen oder ihn in den Wagen zu spannen, und zeigte hiemit, daß selbst ihre Vertraulichkeiten Grenzen haben müßten, und daß es Punkte zwischen ihnen gäbe, die weit zu ernst wären, um damit zu spielen.
 
Auch in seinem spätern Leben war er nicht unzugänglich gegen warme Zuneigung, denn als der gute Bachelor nach dem Hinscheiden des alten Geistlichen bei Herrn Garland wohnte, faßte er eine große Freundschaft für ihn, und ließ es sich gutmüthig gefallen, seinem Zügel ohne das mindeste Widerstreben zu folgen. Zwei oder drei Jahre vor seinem Tode arbeitete er nicht mehr, sondern lebte nur noch im Vollauf, und seine letzte Handlung bestand darin, daß er, wie sein cholerischer alter Herr, seinem Doctor einen Huftritt gab.
 
Herr Swiveller genas sehr langsam von seiner Krankheit, und als er in den Genuß seiner Leibrente trat, kaufte er der Marquisin einen hübschen Anzug und schickte sie in die Schule, um sein Gelübde zu lösen, das er auf dem Krankenbette gethan hatte; nachdem er sich lange über einen ihrer würdigen Namen besonnen hatte, entschied er sich für die Benennung »Sophronia Sphynx«, weil derselbe eben so wohlklingend als gentil wäre, und außerdem auf etwas Geheimnißvolles hindeutete. Unter diesem Titel begab sich die Marquisin unter Thränen in die Schule seiner Wahl, aus der sie, da sie ihre Mitschülerinnen bald überholte, noch vor Ablauf vieler Vierteljahre in eine höhere verpflanzt wurde. Wir lassen jedoch Herrn Swiveller nur Gerechtigkeit widerfahren, wenn wir sagen, daß er, trotz der Unkosten ihrer Erziehung, die ihn für ein halb Dutzend Jahre in sehr knappen Verhältnissen hielten, nie in seinem Eifer erlahmte, und immer einen hinreichenden Lohn in den Berichten fand, die er mit großer Gravität über ihre Fortschritte anhörte, so oft er der Vorsteherin seine Monatsvisite machte, bei welcher Gelegenheit er selbst als ein Literat von etwas excentrischen Gewohnheiten und einem ungemeinen Talent für's Citiren betrachtet wurde.
 
Mit einem Worte, Herr Swiveller ließ die Marquisin in dieser Pension, bis sie muthmaßlicherweise volle neunzehn Jahre alt, und dabei gut aussehend, geschickt und heiteren Gemüths war. Und nun erst fing er ernstlich an, darüber nachzudenken, was zunächst geschehen sollte. Bes einem dieser periodischen Besuche, während eben die genannte Frage in seinem Kopfe aufstieg, kam die Marquise allein zu ihm herunter, heiter aussehend und frischer als je. Da fiel ihm nun, freilich nicht zum ersten Male, ein, es dürfte gar nicht so übel sein, wenn er sie heirathete. Richard fragte sie also, und was sie auch gesagt haben mochte – es war nicht Nein. Sie wurden allen Ernstes die Woche darauf getraut, und Herr Swiveller erhielt dadurch häufig Gelegenheit, in verschiedenen nachfolgenden Perioden zu bemerken, daß ihm im Grunde doch eine junge Dame aufgespart geblieben sei. Da bei Hampstead ein kleines Häuschen zu vermiethen war, in dessen Garten sich eine Laube zum Rauchen – ein Gegenstand des Neides für die ganze civilisirte Welt – befand, so beschlossen sie, sich dort einzuquartieren und nach Ablauf der Flitterwochen bezogen sie die neue Wohnung. In dieser Einsiedelei besuchte sie Herr Chuckster regelmäßig jeden Sonntag, um daselbst seinen Tag zuzubringen – gewöhnlich vom Frühstück an, und hier war er die große Zeitung aller Neuigkeiten und Moden. Noch einige Jahre blieb er Kit's Todfeind, und betheuerte, er habe eine bessere Meinung von ihm gehabt, als man glaubte, er habe die Fünfpfundnote gestohlen, als zur Zeit seiner völlig erwiesenen Unschuld, insofern seine Schuld doch wenigstens etwas Kühnes und Kräftiges verrathen haben würde, während das Gegentheil nur ein weiterer Beweis seines kriechenden und verschmitzten Charakters sei. Allmälig und schließlich kam jedoch eine Versöhnung zu Stande, und er ging sogar so weit, Kit mit seiner Gönnerschaft zu beehren, als einen Menschen, der gewissermaßen umgewandelt sei und daher Vergebung verdiene. Nie aber vergaß oder verzieh er ihm den Umstand mit dem Shilling, da er der Ansicht war, er hätte genug gethan, wenn er wieder gekommen wäre, um einen andern zu verdienen; aber kommen, um eine frühere Gabe abzuarbeiten – das war ein Flecken auf seinem moralischen Charakter, den keine Reue oder Zerknirschung je abzuwaschen vermochte.
 
Herr Swiveller, der immer eine gewisse Vorliebe für philosophische Meditationen gehabt hatte, wurde zuweilen in seiner Rauchlaube ungemein beschaulich, und pflegte in solchen Perioden die geheimnißvolle Frage über Sophronia's Abkunft geistig zu debattiren. Sophronia hielt sich für eine Waise, aber Herr Swiveller, der verschiedene kleine Umstände zusammenstellte, meinte oft, Miß Braß müßte hierüber eine bessere Auskunft ertheilen können; und da ihm seine Frau ihre sonderbare Zusammenkunft mit Quilp mitgetheilt hatte, so machte er sich unterschiedliche Bedenken, ob nicht diese Person, wenn sie noch am Leben wäre, gleichfalls das Räthsel zu lösen vermöchte, falls sie es für gut fände. Diese Speculationen machten ihm jedoch keine Unruhe, denn Sophronia war ihm immer ein sehr heiteres, zärtliches und fürsorgliches Weib, wie denn auch Dick sich als treuer und häuslicher Gatte erwies – einen gelegentlichen Ausbruch mit Herrn Chuckster etwa ausgenommen, wobei sie jedoch verständig genug war, ihn eher zu ermuthigen, als sich ihm entgegenzusetzen. Und sie spielten viele hunderttausend Partien Cribage mit einander. Auch müssen wir zu Dick's Ehre beifügen, daß er sie, trotz ihres Namens Sophronia, vom Anfang bis ans Ende immer Marquise titulirte, und daß an jedem wiederkehrenden Jahrestage, an welchem er sie in seinem Krankenzimmer gefunden hatte, Herr Chuckster zum Mittagessen kam, bei welcher Gelegenheit es großen Jubel absetzte.
 
Die Spieler Isaak List und Jowl mit ihrem treuen Verbündeten, Herrn James Growes, untadeligen Andenkens, verfolgten ihr Gewerbe mit wechselndem Glücke, bis das Fehlschlagen einer geistvollen Unternehmung, die in ihr Fach einschlug, sie in alle Weltgegenden zerstreute, und ihre Laufbahn durch das plötzliche Eingreifen des langen und starken Armes des Gesetzes ein Ende finden ließ. Diese Niederlage hatte ihren Grund in der ungelegenen Entdeckung eines neuen Spießgesellen – des jungen Friedrich Trent, der in dieser Weise, ohne es zu ahnen, das Werkzeug zu ihrer und seiner eigenen Bestrafung wurde.
 
Was diesen jungen Mann selbst betrifft, so trieb er sich nur kurze Zeit im Auslande umher, wo er von seinem Genie lebte – das heißt von dem Mißbrauche jeder Fähigkeit, die in ihrer würdigen Anwendung den Menschen über die Thiere erhebt, in ihrer Verderbtheit ihn aber weit unter dieselben hinuntersinken läßt. Nicht lange nachher wurde sein Leichnam von einem Fremden erkannt, der in Paris zufällig jenes Hospital besuchte, wo die Ertrunkenen ausgestellt werden, damit sich ihre Angehörigen melden. Die ihn entstellenden Quetschungen und Beulen waren muthmaßlich die Folgen eines vorangegangenen Kampfes. Der Fremde behielt jedoch die Thatsache für sich, bis er nach Hause kam, und es erschien Niemand, der Anspruch an die Leiche machte und sich um ihn bekümmerte.
 
Der jüngere Bruder, oder der ledige Herr, unter welcher Bezeichnung er uns bekannter ist, wollte den armen Schulmeister aus seiner Abgeschiedenheit ziehen und ihn zu seinem Freund und Gefährten machen. Aber der bescheidene Dorflehrer war zu schüchtern, sich in die geräuschvolle Welt zu wagen, und hatte seine Wohnung auf dem alten Kirchhofe liebgewonnen. Ruhig und glücklich in seiner Schule, in dem Ort und in der Liebe ihres kleinen Freundes, verbrachte er seine Tage im Frieden, und war in Folge der aufrichtigen Dankbarkeit seines Freundes – möge diese kurze Andeutung genügen – nicht länger ein armer Schulmeister.
 
Dieser Freund, lediger Herr oder jüngerer Bruder, wie man will, trug in seinem Herzen einen schweren Gram, aber er machte ihn nicht zu einem Menschenfeind, oder einen trübsinnigen Einsiedler. Er zog wieder in die Welt und liebte seine Nebenmenschen. Lange, lange Zeit war es sein Hauptvergnügen, die Tritte des alten Mannes und des Kindes, so weit sich diese aus der Erzählung entnehmen ließen, zu verfolgen. Halt zu machen, wo sie gehalten, mitzufühlen, wo sie gelitten, und froh zu sein, wo sie sich gefreut hatten.
 
Diejenigen, welche freundlich gegen sie gewesen, entgingen seinen Nachforschungen nicht. Die Schwestern in der Pension, welche sie zu Freundinnen gewählt, weil sie selbst so freundlos war – Frau Jarley von dem Wachsfigurenkabinet; Codlin, Short, – er fand sie Alle; und man darf versichert sein, daß der Mann vor dem Ofenfeuer nicht vergessen blieb.
 
Sobald Kit's Geschichte ruchbar wurde, erhob sich eine Schar von Freunden für ihn, die ihm vielfältig anboten, für seine Zukunft Sorge zu tragen. Es kam ihm anfangs nicht zu Sinne, je Herrn Garland's Dienst zu verlassen; aber nach ernstlichen Vorstellungen und Berathungen von Seite dieses Herrn begann er an die Möglichkeit zu denken, daß die Folge einen solchen Wechsel herbeiführen könnte. Er erhielt mit einer Schnelligkeit, die ihm fast den Athem benahm, eine gute Stelle, und zwar durch einige von den Herren, welche ihn an dem ihm zur Last gelegten Verbrechen für schuldig gehalten, und dieser Annahme zu Folge das Verdict gegen ihn ausgesprochen hatten. Durch dieselbe wohlwollende Fürsorge wurde seine Mutter dem Mangel entrissen und ganz glücklich gemacht. So wurde denn, wie Kit oft sagte, sein großes Unglück die Quelle von all seinem nachfolgenden Glücke.
 
Blieb Kit sein ganzes Leben hindurch ein Junggeselle, oder heirathete er? Natürlich heirathete er, und wen hätte er anders zur Frau wählen sollen, als Barbara? Und was das Beste dabei war, er heirathete so bald, daß der kleine Jakob ein onkel war, ehe seine in dieser Geschichte bereits erwähnten Waden in Tuchhosen gesteckt worden waren – obgleich wir es nicht ganz das Beste nennen können, da demzufolge nothwendigermaßen auch das Büblein als onkel zählte. Das Entzücken von Kit's Mutter und Barbara's Mutter bei dieser großen Gelegenheit vermag keine Feder zu beschreiben; und da sie fanden, wie gut sie hier sowohl, als auch bei allem Andern harmonirten, so schlugen sie ihre Wohnung bei einander auf und blieben von Stund an ein paar innige Freundinnen. Und hatte nicht Astley's Theater Ursache, sich Glück zu wünschen, wenn sie dasselbe alle Vierteljahre mit einem Besuche beehrten – und zwar in dem Parterre – und sagte nicht Kit's Mutter immer, wenn man die Außenwände tünchte, daß Kit's letztes Traktament dazu geholfen habe; und hätte sie nicht gerne wissen mögen, was wohl der Direktor denken würde, wenn er wußte, daß sie an dem Hause vorbeigingen?
 
Als Kit Kinder im Alter von sechs und sieben Jahren hatte, war eine Barbara darunter, und zwar eine recht hübsche Barbara. Auch fehlte es nicht an einem genauen fac simile und Ebenbild des kleinen Jakob, wie er in jener fernen Zeit aussah, als man ihn lehrte, was man unter einer Auster verstehe. Natürlich war auch ein Abel da, ein Pathchen von Herrn Garland des gleichen Namens; und auch ein Dick, auf den Herr Swiveller große Stücke hielt. Oft sammelte sich Abends die kleine Gruppe um ihn und bat ihn, noch einmal die Geschichte von der guten Miß Nell zu erzählen, die todt war. Kit that dieß auch, und wenn sie während des Zuhörens weinten, und doch wünschten, daß es noch nicht aus sein möchte, so bedeutete er ihnen, wie sie in den Himmel eingegangen sei, gleich allen guten Menschen; und wie sie, wenn sie ihr an Tugenden glichen, ebenfalls hoffen dürften, dahin zu kommen, sie zu sehen und kennen zu lernen, wie er sie gekannt hatte, als er noch ein Knabe war. Dann pflegte er ihnen auch zu erzählen, wie arm er gewesen, und wie sie ihn gelehrt hatte, was er wegen seiner Armuth nie hätte lernen können, und wie der alte Mann so oft sagte: »Sie lacht immer über Kit«; und dabei wischten sie ihre Thränen weg, lachten selber, wenn sie dachten, daß sie gelacht hatte, und waren wieder ganz heiter.
 
Bisweilen nahm er sie nach der Straße, wo sie gewohnt hatte; aber es war durch neue Baulichkeiten Alles so verändert, daß es sich durchaus nicht mehr glich. Das alte Haus hatte man schon längst niedergerissen und an seiner Stelle eine schöne breite Straße angelegt. Anfangs zog er mit seinem Stock ein Viereck auf den Boden, um ihnen zu zeigen, wo es gestanden hatte. Bald aber wurde ihm die Stelle ungewiß, und er konnte nur sagen, es sei da herum gewesen, denn solche Veränderungen, meinte er, verwirrten Einen ganz und gar.
 
So sind die Veränderungen, welche wenige Jahre mit sich führen; und so entschwinden dir Dinge, wie eine Geschichte, die erzählt ist. 
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