Der Raritätenladen. Siebzehntes Kapitel
Ein zweiter heiterer Tag schien durch das kleine Fenster und weckte das Kind, um mit dessen ihm verwandten Augen Cameradschaft zu machen. Bei dem Anblick des fremden Gemachs und der ungewohnten Umgebung raffte sich Nell unruhig auf und wunderte sich, wie sie aus dem traulichen Kämmerchen, in welchem sie letzte Nacht eingeschlafen zu sein glaubte, fort und hieher gebracht worden sei. Aber ein zweiter Blick rief ihr die jüngst erlebten Begebenheiten wieder in's Gedächtniß, und voll Hoffnung und Vertrauen sprang sie aus ihrem Bette.
Es war noch früh und da der alte Mann noch in tiefem Schlafe war, so ging sie in den Kirchhof hinunter und fegte mit ihren Füßen den Thau von dem langen Grase, indem sie oft über Stellen ging, wo es noch höher wuchs, um nicht auf die Gräber zu treten. Sie fand eine eigenthümliche Art von Vergnügen in dem Aufenthalte unter diesen Häusern des Todes, und las die Aufschriften auf den Gräbern der guten Menschen (es lag deren eine große Anzahl hier bestattet), indem sie mit zunehmendem Interesse von dem einen zum andern wandelte.
Es war ein sehr ruhiger Ort – ganz so, wie er sein sollte – mit Ausnahme der krähenden Dohlen, welche ihre Nester in den Zweigen einiger hohen Bäume gebaut hatten und hoch oben in der Luft gegenseitig sich zuriefen. Zuerst ließ einer dieser glattgefiederten Vögel, der in der Nähe seines rauhen Hauses schwebte, während er sich im Winde schwang und schaukelte, sein heiseres Geschrei vernehmen, ganz zufällig, wie es schien, und in einem nüchternen Tone, als ob er nur mit sich selbst spräche. Ein anderer antwortete, und der erste schrie abermals, aber lauter als zuvor; dann mischte sich ein dritter und ein vierter in's Gespräch, und jedesmal beharrte der erste, durch den Widerspruch gereizt, nur um so stärker auf seiner Behauptung. Nun fielen auch noch andere Stimmen, die bisher geschwiegen hatten, von den niedrigeren, den höheren, den mittleren, den rechten, den linken und Wipfelzweigen aus, ein; und noch weitere erschollen hastig aus dem grauen Kirchthürmchen und den Fenstern des alten Glockenstuhls und schlossen sich dem allgemeinen Lärm an, welcher sich bald steigerte, bald verminderte, das einemal anschwoll und dann wieder nachließ, jedenfalls aber in einem fortdauerte. Auch fand während dieses ganzen geräuschvollen Wettstreites ein beständiges Hin und Herschiffen, ein Niederlassen auf neue Zweige und ein unablässiger Ortswechsel statt, womit sie die frühere Ruhelosigkeit derjenigen, welche jetzt so still unter Moos und Rasen lagen, und das nutzlose Ringen, womit sie sich ihr Leben verkümmert hatten, zu verspotten schienen.
Nelly erhob ihre Blicke oft zu den Bäumen, von denen aus diese Töne kamen, und es dünkte ihr, der Ort werde dadurch noch ruhiger, als er durch ein vollkommenes Schweigen hätte gemacht werden können; sie trat von einem Grabe zum andern, indem sie bald Halt machte, um mit sorgfältiger Hand einen Strauch wieder aufzurichten, welcher sich von irgend einem grünen Grabhügel, den er verzieren half, losgerissen hatte, bald durch eines der niedrigen Gitterfenster in die Kirche hinein sah, wo wurmzerfressene Bücher auf den Betpulten lagen und die weißlichgrüne Tuchverkleidung an den Seiten der Kirchenstühle versporte, das nackte Holz dem Auge preisgebend. Da waren die Bänke, auf denen die armen, alten Leute saßen, abgenützt und gelb, wie sie selber; der rauhe Taufstein, an dem die Kinder ihren Namen erhielten, der einfache Altar, an dem sie im späteren Leben niederknieten, und die flachen, schwarzen Gestelle, die ihre Last zum letzten Besuche nach der kühlen, alten, schattigen Kirche trugen. Alles deutete auf langen Gebrauch und ruhigen, allmäligen Verfall; selbst das Glockenseil im Treppenhause des Thurms hatte sich zu einer Franse aufgelöst und war vor Alter schimmelig geworden.
Sie betrachtete eben einen bescheidenen Grabstein, der von einem jungen dreiundzwanzigjährigen Manne erzählte, welcher vor fünfundfünfzig Jahren gestorben war, als sie den Ton eines näher kommenden, wankenden Fußtrittes vernahm, und beim Umblicken bemerkte sie ein gebrechliches, von der Last der Jahre niedergebeugtes Weib, welches zu demselben Grabe heranhinkte und sie bat, ihr die Inschrift auf dem Steine vorzulesen. Nell willfahrte diesem Gesuche und die alte Frau dankte ihr, indem sie beifügte, sie habe die Worte manches lange, lange Jahr auswendig gewußt, jetzt aber könne sie dieselben nicht mehr sehen.
»War't Ihr seine Mutter?« fragte das Kind.
»Ich war sein Weib, meine Liebe.«
»Sie das Weib eines jungen Mannes von dreiundzwanzig? Ach ja! Es war ja vor fünfundfünfzig Jahren.«
»Ihr wundert Euch, daß ich so spreche?« bemerkte die alte Frau, indem sie ihren Kopf schüttelte; »Ihr seid aber nicht die Erste. Aeltere Leute als Ihr haben sich schon früher darüber gewundert. Ja, ich war sein Weib. Der Tod kann keine größeren Veränderungen an uns Hervorbringen, als das Leben, meine Liebe.«
»Kommt Ihr oft hieher?« fragte das Kind.
»Im Sommer sitze ich sehr oft hier,« antwortete sie. »Ehedem kam ich hieher um zu weinen und zu trauern, aber das ist jetzt, Gott sei Dank, lange vorüber!«
»Ich pflücke die Gänseblümchen ab, die hier wachsen, und nehme sie mit nach Hause,« fuhr die alte Frau nach einem kurzen Schweigen fort. »Seit fünfundfünfzig Jahren ist mir keine Blume lieber, als diese. Es ist eine lange Zeit und ich bin inzwischen sehr alt geworden.«
Dann wurde sie geschwätzig über ein Thema, das wenigstens für einen Zuhörer, mochte dieser auch nur ein Kind sein, neu war: sie erzählte, wie sie damals geweint, gestöhnt und zum Himmel gefleht hatte, daß der liebe Gott doch auch sie abrufen möchte, und wie sie bei dem ersten Besuche dieses Orts, zu jener Zeit ein junges Geschöpf, stark in Liebe und Gram, gehofft, ihr Herz möchte brechen, wie es auch den Anschein gehabt. Diese Prüfungsstunden gingen aber vorüber, und obgleich sie fortfuhr, mit trauervollem Herzen hieher zu kommen, so konnte sie doch diese Besuche ertragen, und so milderte sich ihr Schmerz nach und nach in einer Weise, welche ihr denselben nicht mehr zum Schmerz, sondern zu einer feierlichen Freude und zu einer Pflicht machte, welche sie lieben gelernt hatte. Und nun, nach dem Ablauf von fünfundfünfzig Jahren sprach sie von dem toten Manne, als ob er ihr Sohn oder Enkel gewesen wäre, mit einen gewissen Bemitleidung seiner Jugend, die aus ihrem eigenen hohen Alter entsprang, und mit begeisterter Anpreisung seiner Kraft und seiner männlichen Schönheit, wenn sie dieselbe mit ihrer eigenen Schwäche und Hinfälligkeit verglich; und doch sprach sie auch von ihm als ihrem Manne, gedachte ihrer Verbindung mit ihm als einer Zeit, in der sie nicht war wie jetzt, redete von ihrem Wiedersehen in einer andern Welt, als hätte man ihn erst gestern begraben, und während sie sich von ihrem früheren Selbst trennte, kam ihr nur noch der Gedanke an das Glück jenes hübschen Mädchens, das mit ihm gestorben zu sein schien.
Das Kind ließ sie die Blumen sammeln, welche auf dem Grabe wuchsen, und entfernte sich gedankenvoll.
Der alte Mann war inzwischen aufgestanden und hatte sich angekleidet. Herr Codlin, noch immer verdammt, die rauhen Wirklichkeiten des Daseins zu betrachten, packte die Kerzenstümpchen, die bei der gestrigen Vorstellung übrig geblieben waren, unter seine Leinwand, während sein Gefährte die Complimente all' der Müssiggänger im Stallhofe entgegen nahm, die es nicht über sich gewinnen konnten, sich von Polichinells hohem Geiste zu trennen, und daher dem Puppenlenker fast eben so viele Bedeutsamkeit beilegten, als jenem vogelfreien Spaßmacher, indem sie dem Ersteren kaum weniger Liebe erwiesen. Sobald er sich hinreichend von seiner Popularität überzeugt hatte, kam er zum Frühstück herein, bei welchem sie sich gemeinschaftlich niedersetzten.
»Und wo geht's heute hin?« fragte der kleine Mann, sich an Nelly's Seite niedersetzend.
»Das weiß ich selber kaum,« sagte das Kind; »wir sind noch unschlüssig darüber.«
»Wir gehen zu dem Pferderennen,« sagte der kleine Mann. »Wenn Ihr den gleichen Weg zu machen und nichts gegen unsere Gesellschaft einzuwenden habt, so wollen wir miteinander gehen. Zieht Ihr's aber vor, allein zu reisen, so dürft ihr es kecklich sagen; Ihr sollt finden, daß wir Euch nicht belästigen wollen.«
»Wir wollen mit Euch gehen,« entgegnete der alte Mann. »Nell – mit ihnen, mit ihnen.«
Das Kind dachte einen Augenblick nach, und die Betrachtung, daß sie in Bälde betteln müßte und kaum hoffen dürfte, hiezu einen bessern Ort zu finden, als wo Belustigungen und Festspiele Massen von reichen Damen und Herren versammelten, bewog sie, diese Männer bis dahin zu begleiten. Sie dankte daher dem kleinen Manne für sein Anerbieten und sagte mit einem furchtsamen Blicke auf dessen Freund, wenn man gegen ihren Anschluß an die Gesellschaft bis zur Stadt, wo das Pferderennen abgehalten würde, nichts einzuwenden habe –
»Was einzuwenden!« rief der kleine Mann. »Nun, seid einmal artig, Tommy, und sagt, es wäre Euch angenehm, wenn sie uns begleiteten. Ich weiß, es geht Euch da wie mir. Seid artig, Tommy.«
»Trotters,« sagte Herr Codlin, der sehr langsam sprach und sehr gierig aß, eine bei den Philosophen und Misanthropen nicht ungewöhnliche Erscheinung; »Ihr seid zu frei.«
»Warum? Was kann es schaden?« fragte der Andere.
»In diesem besonderen Fall schadet's vielleicht nicht,« versetzte Herr Codlin; »aber das Princip ist gefährlich, und Ihr benehmt Euch zu frei, kann ich Euch sagen.«
»Gut, sollen sie mit uns gehen, oder nicht?«
»Je nun, ich habe nichts dagegen,« sagte Herr Codlin; »aber hättet Ihr nicht eine Gunst daraus machen können – wie?«
Der eigentliche Name des kleinen Mannes war Harris, aber allmälig hatte sich derselbe in den weniger wohlklingenden »Trotters« (Traber) mit dem erklärenden Beiwort »Short« (kurz) umgewandelt – eine Benennung, welche der Puppenspieler einer Eigenschaft seiner Beine zu verdanken hatte. Short Trotters war jedoch ein zu complicirter Name, der nicht recht in einen freundschaftlichen Dialog passen wollte, weßhalb der Träger desselben von seinen näheren Bekannten entweder »Short« oder »Trotters« betitelt wurde, ohne daß man sich des vollen Short Trotters anders als bei formellen Gesprächen oder bei besonders ceremoniösen Anlässen gegen ihn bediente.
Short also, oder Trotters (wie es der Leser lieber will) beantwortete die Zurechtweisung seines Freundes, des Herrn Thomas Codlin, mit einer Scherzrede, welche die Absicht hatte, seiner Unzufriedenheit eine andere Richtung zu geben, und indem er jetzt mit großem Behagen dem kalten Rindfleisch, dem Thee und dem Butterbrode zusprach, verfehlte er nicht, seine Gefährten anzufeuern, daß sie ein Gleiches thun sollten. Freilich bedurfte Herr Codlin keiner solchen Ueberredung, da er bereits so viel zu sich genommen hatte, als er möglicher Weise führen konnte, und daher jetzt seinen Erdenkloß mit starkem Bier anfeuchtete, welchem er mit stummem Wohlbehagen in tiefen Zügen zusetzte, ohne jedoch irgend Jemanden dazu einzuladen – ein Benehmen, wodurch er abermals seine misanthropische Geistesrichtung kräftig an den Tag legte.
Nachdem das Frühstück endlich vorüber war, forderte Herr Codlin die Rechnung, die er sammt dem Biere auf die ganze Gesellschaft umlegte (ein Verfahren, das gleichfalls nach Menschenhaß schmeckte, indem er die Gesammtsumme in zwei gleiche Hälften theilte, und die eine Hälfte sich selbst und seinem Freunde, die andere Nelly und ihrem Großvater zuwies). Sobald dieß pflichtlich ausgeglichen und alles zur Abreise bereit war, verabschiedeten sie sich von dem Wirth und von der Wirthin, und traten ihre Wanderschaft an.
Und hier zeigte sich Herr Codlin's falsche Stellung in der Gesellschaft und die Wirkung, welche dieser Umstand auf seinen verwundeten Geist übte, im lebhaftesten Lichte; denn während er gestern Abend von Herrn Polichinell als »Herr Patron« angeredet und das Publikum auf diese Weise zu dem Glauben gebracht wurde, als halte er sich dieses Individuum nur zu seiner eigenen Belustigung, mußte er sich jetzt peinlich unter der Last desselben Polichinelltempels hinschleppen und denselben in Person an einem schwülen Tage und über staubige Wege auf seinen Schultern tragen. Statt den Herrn Patron mit einem unablässigen Witzfeuer oder durch das lustige Rasseln seiner Peitsche auf den Köpfen seiner Verwandten und Freunde aufzuheitern, lag der strahlende Polichinell rückenlahm, schlaff und schlotterig in einer dunkeln Schachtel, die Beine um den Hals geschlungen und ohne die mindeste Spur irgend einer seiner geselligen Eigenschaften.
Herr Codlin plackte sich schwerfällig weiter, höchstens hin und wieder mit Short ein paar Worte wechselnd, hielt bisweilen inne, um auszuruhen, und brummte gelegentlich. Short ging mit der flachen Schachtel, dem in ein Bündel zusammengebundenen, nicht sehr umfangreichen Privatgepäcke und einer Messingtrompete, die ihm über die Schulter hing, voran; Nell und ihr Großvater wandelten zu seiner Rechten und linken, und Thomas Codlin bildete den Nachtrab.
So oft sie zu einer Stadt, zu einem Dorfe oder auch nur zu einem Hause von gutem Aussehen kamen, ließ Short seine Messingtrompete schmettern und sang eine Liedstrophe in jener heitern Weise, die Polichinellen und ihren Consorten eigen ist. Wenn dann die Leute an die Fenster eilten, schlug Herr Codlin den Tempel auf, warf hastig die Tuchbekleidung über, um Short darunter zu verbergen, raste ganz wahnsinnig auf seiner Papagenopfeife und trug eine Arie vor. Dann begann die Vorstellung in möglichster Bälde, wobei es Herrn Codlin's Verantwortlichkeit anheim gestellt war, über die Dauer derselben zu entscheiden, und den endlichen Triumph des Helden über den Feind des Menschengeschlechts hinauszuschieben oder zu verkürzen, je nachdem er glaubte, daß die Nachlese von Halbpencen reichlich oder sparsam ausfallen dürfte. Wenn er dann Alles bis auf den letzten Farthing eingesammelt hatte, nahm er seine Last wieder auf und die Gesellschaft verfolgte ihren Weg weiter.
Zuweilen verdienten sie den Brückenzoll oder das Fährgeld durch eine Vorstellung ab, und einmal ließen sie auch ihre Helden auf ausdrückliches Verlangen an einem Schlagbaume aufspielen, wo der Wärter, der sich in seiner Einsamkeit ein Räuschlein angetrunken hatte, einen Shilling zahlte, um etwas Apartes zu haben. Sie wurden fast überall gut ausgenommen und verließen selten eine Stadt, ohne daß ihnen ein Schwarm zerlumpter und jubelnder Kinder auf der Ferse folgte, obgleich wir nicht zu bemerken übergehen dürfen, daß an einem kleinen Orte von wohlhabendem Aussehen ihre Hoffnungen auch einmal zu Schanden gingen: denn ein Lieblingscharakter im Spiel, der Goldborten an seinem Hute hatte, und ein naseweiser holzköpfiger Bursche war, wurde als ein Pasquill auf den Büttel betrachtet, weßhalb sie von den Ortsbehörden zu einem schleunigen Abzuge gezwungen wurden.
Ungeachtet dieser Unterbrechungen machten sie doch einen schönen Tagmarsch, und der Mond schien bereits am Himmel als sie noch immer auf der Landstraße waren. Short vertrieb sich die Zeit mit Singen und Scherzen, und gewann Allem, was ihm begegnete, die beste Seite ab, während dagegen Herr Codlin sein Schicksal nebst den hohlen Dingen der Erde, insbesondere aber den Polichinell verfluchte und, mit der Schaubühne auf seinem Rücken, – ein Opfer des bittersten Verdrusses – weiter hinkte.
Sie hatten Halt gemacht, um unter einem Wegweiser, wo vier Straßen zusammentrafen, auszuruhen, und Herr Codlin ließ m seinem tiefen Menschenhasse die Vorhänge herunter, hinter welchen er sich, jedem sterblichen Auge unsichtbar und die Gesellschaft seiner Mitmenschen verschmähend, auf die Erde setzte, als auf einmal zwei ungeheure Schatten sichtbar wurden, welche aus einer Wendung derselben Straße, auf welcher sie hergekommen waren, ihrem Rastorte näher rückten. Das Kind erschrak anfangs sehr über den Anblick dieser hageren Riesen – denn so sahen sie aus, als sie sich mit stolzen Schritten den Schatten der Bäume näherten – aber Short sagte ihr, sie habe nichts zu fürchten, und ließ seine Trompete schmettern, was durch ein lustiges Gejubel beantwortet wurde.
»Ist das nicht die Grinder'sche Gesellschaft?« rief ihnen Herr Short laut entgegen.
»Ja,« erwiederten ein paar schrille Stimmen.
»So kommt heran,« sagte Short. »Laßt Euch ein Bischen besehen; ich dachte mir's ja, daß Ihr's wäret.«
So eingeladen verdoppelte »die Grinder'sche Gesellschaft« ihre Schritte, und schloß sich an unsere Wanderer an. Herrn Grinder's Gesellschaft bestand aus einem jungen Gentleman und einer jungen Dame auf Stelzen, wozu noch Herr Grinder selbst kam, der zum Zwecke der Ortsveränderung sich seiner natürlichen Beine bediente und auf seinem Rücken eine Trommel trug. Das Schaucostüme der jungen Leute war hochländisch; da aber die Nacht feucht und kalt war, so trug der junge Gentleman über seinem Kilt [Fußnote] einen Reisekittel, der ihm bis an die Knöchel reichte, und einen Glanzhut. Die junge Dame war gleichfalls in einen alten Pelzmantel eingehüllt und hatte ein Taschentuch um den Kopf gebunden. Die schottischen, mit pechschwarzen Federn verzierten Mützen trug Herr Grinder auf seinem Instrument.
»Zum Pferdrennen, wie ich sehe?« sagte Herr Grinder, als er athemlos herankam. »Wir auch. Wie geht's, Short?«
Sofort schüttelten sie sich sehr freundschaftlich die Hände, und die jungen Leute, welche für eine gewöhnliche Begrüßung zu hoch waren, salutirten Short nach ihrer eigenen Weise, indem der junge Gentleman seine rechte Stelze erhob und ihn damit auf die Schulter klopfte, die junge Dame aber auf ihrem Tambourin rasselte.
»Geschieht das zur Uebung?« fragte Short, auf die Stelzen deutend.
»Nein,« antwortete Grinder. »Sie müssen entweder darauf gehen oder sie tragen und sie ziehen das erstere vor, wobei sie noch die angenehmere Aussicht in den Kauf haben. Welchen Weg schlagt Ihr ein? Wir gehen den nächsten.«
»Je nun, die Sache verhält sich so,« sagte Short; »wir wollten den längsten einschlagen, weil wir dann so anderthalb Meilen von hier über Nacht bleiben können. Doch drei oder vier Meilen in der Nacht gewonnen, sind eben so viele für Morgen erspart, und wenn ihr noch aushaltet, so wird es, denke ich, am besten sein, wenn wir das Gleiche thun.«
»Wo ist Euer Compagnon?« fragte Grinder.
»Hier ist er,« rief Herr Thomas Codlin, indem er Kopf und Gesicht in das Proscenium seiner Bühne steckte und eine Fratze schauen ließ, wie man sie dort nicht oft zu sehen bekam; und er will seinen Compagnon lieber lebendig gesotten sehen, als diese Nacht noch weiter marschiren. Weiter hat er nichts zu sagen.
»Wohl, aber sprecht nicht solche Dinge in einer Sphäre, die lieblicheren Gegenständen geweiht ist,« entgegnete Short. »Man muß freundliche Verbindungen respectiren, Tommy, selbst wenn man übler Laune ist.«
»Uebel oder gut,« sagte Herr Codlin, indem er mit der Hand auf das kleine Fußbrett schlug, wo Polichinell, wenn er sich plötzlich über das Ebenmaß seiner Beine und über ihre Fähigkeit, seidene Strümpfe zu tragen, aussprach, die genannten Gliedmaßen der Bewunderung des Publikums zur Schau stellt, »gut oder übel, ich gehe heute nicht weiter als anderthalb Meilen. Ich will nirgends anders hin, als zu den ›lustigen Sandbuben.‹ Wollt Ihr mitgehen, so kommt; wollt Ihr aber Eurem eigenen Kopfe folgen, so thut es und geht ohne mich, wenn Ihr könnt.«
Mit diesen Worten verschwand Herr Codlin von der Bühne, erschien unmittelbar darauf außerhalb des Theaters, nahm es mit einem Ruck auf seine Schultern und machte sich mit höchst merkwürdiger Behendigkeit von dannen.
Da nun von einer weitern Controverse keine Rede mehr sein konnte, so mußte sich Short von Herrn Grinder und seinen Zöglingen verabschieden und seinem mürrischen Gefährten folgen. Er verweilte noch ein paar Minuten an dem Wegweiser, um im Mondscheine dem raschen Stelzengange und dem langsam hintendrein humpelnden Trommelträger nachzusehen, that ein paar Stöße in seine Trompete als Scheidegruß und setzte sich dann in Galopp, um Herrn Codlin nachzukommen. Zu diesem Ende gab er Nelly seine freie Hand, sprach ihr Muth zu, da sie bald an dem Ende der heutigen Wanderung sein würden, kräftigte den alten Mann mit einer ähnlichen Ermunterung, und führte sie mit raschem Schritte ihrem Bestimmungsorte zu, mit dem er jetzt um so zufriedener war, da sich der Mond mit regendrohenden Wolken überzog.