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Master Humphrey's Wanduhr. Erster Band-8

时间:2017-12-29来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
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Weitere Nachrichten über Master Humphrey's Besuch
Da ich über Herrn Pickwicks Gesuch und über das Kompliment, welches er mir dadurch gemacht hatte, sehr erfreut war, so wird man sich leicht denken können, daß ich nicht bis zum nächsten Versammlungsabende zuwartete, um dasselbe meinen drei Freunden vorzutragen, welche dann auch einstimmig für seine Aufnahme in unsere Gesellschaft votirten. Wir alle sahen mit einiger Ungeduld dem Zeitpunkte entgegen, welcher ihn bei uns einreihen sollte, und ich müßte mich sehr täuschen, wenn nicht Jack Redburn und meine Wenigkeit bei weitem die Ungeduldigsten von unserer Sippschaft gewesen wären.
Endlich kam der ersehnte Abend, und einige Minuten nach Zehn hörten wir Herrn Pickwick an die Hausthüre klopfen. Er wurde in eines der untern Zimmer geführt, und ich ergriff sogleich meinen Krückenstock, um ihn die Treppe herauf zu geleiten, damit er mit allen Ehren und Förmlichkeiten eingeführt werde.
»Herr Pickwick,« sagte ich, als ich in das Zimmer trat, »ich bin recht erfreut, Sie zu sehen – um so mehr, weil ich hoffen darf, daß dieß nur der erste einer langen Reihe von Besuchen in diesem Hause ist, und der Anfang einer innigen und dauernden Freundschaft sein wird.«
Herr Pickwick gab mit der ihm eigenthümlichen Herzlichkeit und Freimüthigkeit eine passende Erwiederung, und blickte lächelnd auf zwei Personen hinter der Thür, welche ich anfangs nicht bemerkt hatte, auf den ersten Blick aber als Herrn Samuel Weller und seinen Vater erkennen konnte.
Trotz des warmen Abends stak der ältere Herr Weller in einem weiten Ueberrock, während sein Kinn mit einem dichten, bunten Halstuch verhüllt war – so wie sich gewöhnlich Postkutscher in Aktivität zu tragen pflegen. Er sah sehr rosig und beleibt aus, letzteres war besonders bei seinen Beinen der Fall, welche sich, wie es schien, nicht ohne Schwierigkeit hatten in seine Stulpstiefeln zwängen lassen. Er hielt seinen breitrandigen Hut unter dem linken Arm und berührte mit dem Zeigfinger seiner rechten Hand zu wiederholten Malen die Stirne, um mir damit seine Achtung zu bezeugen.
»Es freut mich sehr, Sie bei so guter Gesundheit zu sehen, Herr Weller,« sagte ich.
»Danke gar schön, Sir,« versetzte Herr Weller; »die Achse ist noch nicht gebrochen. Es geht so fort im leidlichen Trab – nicht zu schnell, sondern mit einem mäßigen Grad von Reibung – und die Folge davon ist, daß wir noch immer weiter kommen und regelmäßig zur Zeit anlangen. – Mein Sohn Samuel, Sir, von dem Sie auch in dem Geschichtenbuch gelesen haben werden« – fügte Herr Weller bei, seinen Erstgebornen vorstellend.
Ich begrüßte Sam sehr freundlich, aber noch ehe derselbe das Wort nehmen konnte, fiel sein Vater bereits wieder ein.
»Samuel Weller, Sir,« sagte der alte Herr, »hat für mich den alten Titel ›Großvater‹ besorgt, welcher in unserer Familie lange schlafen gelegen hat und fast für gestorben gehalten wurde. Sam, erzähle das Geschichtchen von einem der Buben, von dem jungen Tony, wie er, seiner Mutter unbewußt, eine Pfeife rauchte.«
»So seid doch ruhig,« versetzte Sam. »Ich habe in meinem ganzen Leben keine solche alte Elster gesehen.«
»Dieser Tony ist aber der begabteste Junge« – fuhr Herr Weller fort, ohne den Verweis seines Sohnes zu beachten, »der begabteste Junge, der mir Tag meines Lebens vorgekommen ist. Unter all' den charmanten Kindern, von denen ich je erzählen hörte, einschließlich derer, welche von den Rostbrüstchen zugedeckt wurden, nachdem sie mit Brombeeren einen Selbstmord begangen, gab es nie eines, das man dem kleinen Tony an die Seite stellen könnte. Der Junge spielt immer mit einer Halbmaßkanne. Es ist eine Freude, ihm zuzusehen, wie er auf der Hausthürstaffel sitzt und thut, als ob er trinke, nachher einen tiefen Athem holt, einen Span als Tabakspfeife in den Mund steckt und sagt: ›jetzt bin ich Großvater;‹ – das mit anzusehen, und noch obendrein bei einem zweijährigen Buben, das ist mehr, als die beste Komödie, die je geschrieben wurde. ›Jetzt bin ich Großvater!‹ Er würde kein Schoppenglas nehmen, und wenn man es ihm schenken wollte, sondern er greift nach dem Halbmaßkrug und sagt: ›Jetzt bin ich Großvater!‹«
Herr Weller war von diesem Gemälde so hingerissen, daß ihn urplötzlich ein höchst beunruhigender Hustenanfall überkam, welcher gewiß ein bedenkliches Ende genommen haben würde, wenn sich nicht Sam's Schnelligkeit und Gewandtheit in's Mittel gelegt hätte; dieser packte nämlich das Halstuch seines Vaters fest unter dem Kinn, schüttelte ihn kräftig hin und her und versetzte ihm etliche gesunde Stöße auf den Nacken. In Folge dieser seltsamen Behandlungsweise kam Herr Weller endlich wieder zu sich, obgleich er sich noch geraume Zeit sehr erschöpft fühlte, und die Purpurröthe seines Gesichtes nicht gleich wieder weichen wollte.
»Es wird jetzt genug sein, Sam,« sagte Herr Pickwick, der gleichfalls etwas beunruhigt gewesen war.
»Ja wohl wird's genug sein, Sir!« rief Sam mit einem Vorwurfsvollen Blicke auf seinen Vater. »Es wird nächster Tage genug sein, und dann wird er wünschen, es wäre nicht. Hat man je einen so unvorsichtigen alten Narren gesehen? – Lacht sich da vor anständigen Leuten in Convulsionen und stampft auf den Boden, als hätte er seinen eigenen Teppich mitgebracht, und als gälte es eine Wette, in einer gelegenen Zeit die Muster unkenntlich zu machen. Und ehe eine Minute vergeht, wird er wieder anfangen. Da haben wir's – sagte ich's nicht?«
In der That sah man jetzt Herrn Weller, dessen Geist noch immer bei seinem frühreifen Enkel weilte, den Kopf hin und her schütteln, während ein Lachen, einem Erdbeben ähnlich, unter der Oberfläche arbeitete und verschiedene außerordentliche Erscheinungen in seinem Gesichte, seiner Brust und seinen Achseln kund gab, welche um so beunruhigender waren, da sie durchaus von keinem lauten Ausbruch begleitet wurden. Diese Erschütterung legte sich jedoch allmälig, und nach drei oder vier argen Rückfällen wischte er sich mit den Rockärmeln die Augen, worauf er mit leidlicher Fassung um sich schaute.
»Ehe sich der Herr Principal entfernt,« sagte Herr Weller, »handelt sich 's noch um einen Punkt, wegen dessen Sam eine Frage stellen muß. Weil aber diese Frage die Unterhaltung hier unterbricht, so erlauben mir vielleicht die Herren, mich zurückzuziehen.«
»Weshalb wollt Ihr denn fortgehen?« fragte Sam, indem er seinen Vater am Rockflügel faßte.
»Habe ich doch nie einen pflichtvergesseneren Menschen gesehen, als dich, Samuel,« entgegnete Herr Weller. »Hast du mir nicht feierlich versprochen und so zu sagen das Gelübde gethan, wegen meiner die bewußte Frage zu stellen?«
»Nun, ich will Euch gerne zu Willen sein,« erwiederte Sam, »aber nicht, wenn Ihr in dieser Weise Ausreiß nehmt, wie es der Ochse machte, als er sich umdrehte und sich eine heftige Bemerkung gegen die Treiber erlaubte, welche ihn in das Schlachthaus hinein peitschen wollten. Die Sache ist die, Sir,« sagte Sam zu mir; »er möchte einige Auskunft hinsichtlich der Dame haben, welche hier Haushälterin ist.«
»Wie muß ich das verstehen?«
»Ei, Sir,« versetzte Sam mit einem Grinsen, »er möchte wissen, ob sie –«
»Mit einem Worte,« fiel der alte Weller entschieden ein, während ihm der kalte Schweiß auf der Stirne stand, »ob die alte Weibsperson eine Wittib ist oder nicht.«
Herr Pickwick lachte herzlich, und ich that deßgleichen, während ich ihm eben so entschieden versicherte, daß meine Haushälterin eine Jungfer sei.
»So; jetzt könnt Ihr Euch zufrieden geben,« rief Sam. »Ihr hört's jetzt selbst, daß sie eine Jungfer ist.«
»Eine was?« versetzte sein Vater mit tiefer Geringschätzung.
»Eine Jungfer,« entgegnete Sam.
Herr Weller heftete eine Weile seinen Blick fest auf seinen Sohn und sprach sodann:
»Das ist all eins, ob sie Späße macht oder nicht; ich scheere mich wenig darum. Was ich wissen wollte, ist einfach das, ob sie dem Wittwenstande angehört, oder nicht?«
»Was wollt Ihr mit Eurem Späßemachen sagen?« fragte Sam, ganz entsetzt über die Dunkelheit in den Worten seines Vaters.
»Kümmere dich nicht darum, Samuel,« erwiederte Herr Weller ernst. »Späße können gut sein, können aber auch sehr schlecht sein, und ein Weibsbild wird darum nicht besser oder schlechter, wenn sie welche machen kann; das hat aber durchaus nichts mit den Wittiben zu schaffen.«
»Ei der Tausend,« sagte Sam; würde es wohl Jemand glauben, daß es einem Manne von seinem Alter also im Kopf spuken könnte, um Jungfern und Spaßmacher für ein und dasselbe zu halten?« [Fußnote]
»'s ist kein Strohhalm Unterschied zwischen ihnen,« entgegnete Herr Weller. »Dein Vater ist nicht so viele Jahre auf den Landstraßen herumgefahren, um nicht, was das anbelangt, seine Muttersprache zu kennen, Sammy.«
Um die weitere Erörterung dieser etymologischen Frage abzubrechen, über die der alte Herr ganz mit sich einig zu sein schien, wurde ihm zu wiederholten Malen bedeutet, daß die Haushälterin nie verheirathet gewesen wäre. Er drückte hierüber seine große Zufriedenheit aus, bat um Entschuldigung wegen seiner Freiheit und bemerkte, er sei vor nicht gar langer Zeit durch eine Wittwe sehr in Schrecken gesetzt worden, in Folge dessen seine natürliche Schüchternheit sehr zugenommen habe.
»Es war auf der Eisenbahn,« sagte Herr Weller mit starkem Nachdruck; »ich ging mit dem Dampfwagen nach Birmingham hinunter und wurde in einem engen Raum mit einer lebendigen Wittib eingeschlossen. Wir waren allein – das heißt, die Wittwe und ich; und ich glaube, es war nur, weil wir allein waren und kein Geistlicher im Fuhrwerk, daß mich die Wittib nicht heirathete, ehe wir die Halbwegsstation erreicht hatten. Wenn ich daran denke, wie sie zu schreien anfing, als wir in die dunkeln Tunnels hinein fuhren – wie sie ohnmächtig wurde und sich an mir festklammerte – und wie ich's versuchte, das Thürchen aufzustoßen, das aber so fest verschlossen war, um an kein Entkommen denken zu lassen – ach, das war eine schreckliche, eine schaudervolle Zeit! «
Dieser Rückblick überwältigte Herrn Weller ganz und gar, daß er nicht eher, als bis er etlichemale seine Stirne abgewischt hatte, auf die Frage, was er von den Eisenbahnverbindungen halte, zu antworten vermochte, obgleich aus der Entgegnung, welche er endlich gab, zu erhellen schien, daß er hinsichtlich dieses Gegenstandes sehr entschiedene Ansichten hegte.
»Ich bin der Meinung,« sagte Herr Weller, »daß die Eisenbahn unconstitutionell ist und eine Schmarotzerpflanze, die auf Kosten wohl erworbener Privilegien fett wird. Ich möchte doch auch gerne wissen, zu welchem Ende einmal der alte Carter [Fußnote] für unsere Freiheiten aufgestanden ist und seine Sache durchgefochten hat – ja, ich möchte wissen, was er sagen würde, wenn er noch am Leben wäre, und sehen müßte, daß man ehrliche Engländer mit Wittiben oder aller Welt gegen ihren Willen zusammen sperrt. Was ein alter Carter gesagt haben würde, das kann ein alter Kutscher auch sagen, und ich behaupte, daß in dieser einzigen Hinsicht schon ein Dampfwagen ein Eindringling ist. Was dann die Bequemlichkeit anbelangt – wie kann von einer solchen die Rede sein, wenn man so in einem Armstuhl sitzt und die Ziegelwände oder Misthaufen ansieht, ohne vor einem Wirthshaus absteigen zu können, ohne ein Glas Bier zu Gesicht zu bekommen, und ohne eines Schlagbaumes oder überhaupt eines Wechsels (sei es nun der Pferde oder eines sonstigen) ansichtig zu werden; man kömmt da, wenn man überhaupt hinkömmt, immerzu einem Platze, der gerade wie der letzte aussieht, mit derselben Polizeimannschaft, welche umhersteht, dieselbe verwünschte, klingelnde, alte Kuhglocke, dieselben unglücklichen Leute hinter den Schranken, welche eingelassen werden wollen – alles dasselbe, den Namen ausgenommen, der, wie der letzte, mit den gleichen Farben, und den gleichen großen Buchstaben aufgemalt ist. Wie kann man mit Ehre und Würde reisen ohne einen Kutscher, und was ist so eine Eisenbahn für einen Kutscher oder Conducteur, wenn er einmal genöthigt ist, darauf zu fahren, anders, als Spott und Schande? Und was die Geschwindigkeit anbelangt, was glauben Sie wohl, mit welcher Geschwindigkeit ich, Tony Weller, eine Kutsche vorwärts bringen wollte, wenn man mir fünfmalhunderttausend Pfund für die Meile vorausbezahlte? Und dann diese Dampfmaschine – so ein garstiges, schnaufendes, knarrendes, keuchendes, rauchendes, lärmendes Ungeheuer, immer außer Athem, mit einem glänzenden, grün und goldenen Rücken wie ein häßlicher Käfer unter dem Gasmikroskop – ein Ding, das des Nachts immer glühende rothe Kohlen und den Tag über einen schwarzen Rauch ausstößt! Meiner Meinung nach muß das Beest schrecklich empfindlich sein, denn wenn etwas im Weg liegt, auf welches es stößt, so geht ein fürchterlicher Lärm an, welcher zu sagen scheint, ›jetzt sind zweihundert und vierzig Passagiere in der größtmöglichen Lebensgefahr, denn alle die Zweihundert und vierzig fangen einmüthig zu schreien an.‹«
Ich begann jetzt nachgerade zu fürchten, daß meine Freunde durch meine länger verzögerte Abwesenheit ungeduldig werden möchten, weßhalb ich Herrn Pickwick bat, mich die Treppe hinauf zu begleiten. Die beiden Herren Weller überließ ich der Obhut der Haushälterin und schärfte ihr ein, sie mit aller möglichen Gastlichkeit zu bewirthen.
Die Wanduhr.
Während wir die Treppe hinangingen, setzte Herr Pickwick seine Brille auf, welche er bisher in der Hand gehalten hatte, rückte sein Halstuch zurecht, strich seine Weste nieder und traf noch viele andere derartige kleine Vorbereitungen, wie man gewöhnlich zu thun pflegt, wenn man zum ersten Mal mit Fremden in Berührung kommen soll, auf die man gerne einen angenehmen Eindruck machen möchte. Als er sah, daß ich lächelte, lächelte er gleichfalls und sagte, wenn er, ehe er sein Haus verlassen, daran gedacht hätte, so würde er sich zuverlässig in Schuhen und seidenen Strümpfen präsentirt haben.
»Gewiß, mein lieber Herr,« sagte er mit großem Ernste, »ich würde meine Gamaschen bei Seite gelegt haben, um der Gesellschaft meine Achtung zu bezeugen.«
»Sie dürfen sich überzeugt halten,« entgegnete ich, »daß dieß allgemeines Bedauern veranlaßt haben würde, denn wir Alle sind diesen Gamaschen sehr zugethan.«
»Was Sie da sagen?« rief Herr Pickwick mit augenscheinlichem Vergnügen. »Glauben Sie, daß man sich um meine Gamaschen kümmert? Meinen Sie's wirklich im Ernst, wenn Sie sagen, daß man die Gamaschen für ein nothwendiges Accidens meines Ichs betrachtet?«
»Zuverlässig,« entgegnete ich.
»Ei der Tausend,« sagte Herr Pickwick, »das ist einer der angenehmsten und erfreulichsten Umstände, die mir je hätten begegnen können.«
Ich würde diese kurze Unterhaltung nicht niedergeschrieben haben, wenn sie nicht Licht auf eine kleine Schwäche in Herrn Pickwick's Charakter würfe, die mir bisher nicht bekannt gewesen war: er that sich nämlich im Geheim viel auf seine Beine zu gut. Die Art, in welcher er sich aussprach, und der Blick, den er auf seine Enganliegenden warf, überzeugten mich, daß Herr Pickwick mit einer ziemlich unschuldigen Eitelkeit hinsichtlich seiner Beine begabt war.
»Doch hier sind unsre Freunde,« sagte ich, indem ich die Thüre öffnete und seinen Arm in den meinigen nahm; sie mögen für sich selber sprechen. Meine Herren, ich stelle Ihnen Herrn Pickwick vor.«
Herr Pickwick und ich müssen in diesem Augenblick einen lebhaften Gegensatz gebildet haben: – ich, ruhig auf meine Krücke gelehnt, mit etwas abgehärmter und geduldiger Miene, er, meinen Arm umfassend, mit der beweglichsten Höflichkeit sich nach allen Richtungen verbeugend, und einen Ausdruck im Gesicht, dessen muntere Heiterkeit und gute Laune keine Gränzen kannte. Der Unterschied zwischen uns muß um so auffallender gewesen ein, als wir uns dem Tisch näherten und der liebenswürdige alte Herr, der seinen lebhaften Tritt meinem armseligen Hinken anpaßte, seine Aufmerksamkeit zwischen der sorgfältigsten Rücksicht auf meine Gebrechlichkeit und dem Anscheine, als bemerke er dieselbe gar nicht, theilte.
Ich stellte ihm der Reihe nach meine Freunde vor – zuerst den tauben Herrn, welchen er mit großem Interesse betrachtete und mit vieler Freundlichkeit und Herzlichkeit anredete. Er hatte zur Zeit augenscheinlich eine unbestimmte Idee, mein Freund müsse, da er taub sei, nothwendig auch stumm sein; denn als der Letztere die Lippen öffnete, um das Vergnügen auszudrücken, welches ihm die Bekanntschaft mit einem Mann gewähre, von dem er so viel vernommen hatte, wurde Herr Pickwick so ungemein verblüfft, daß ich nothwendig das Wort nehmen mußte, um ihm zu Hülfe zu kommen.
Sein Zusammentreffen mit Jack Redburn war ein sehenswerther Zug. Herr Pickwick lächelte, drückte ihm die Hand, betrachtete ihn durch seine Brille, dann unter derselben und endlich über derselben weg, nickte beifällig mit dem Kopf und winkte sodann mir zu, als wolle er sagen: »ganz so habe ich mir den Mann gedacht; Sie haben vollkommen Recht.« Endlich wandte er sich an Jack und sagte ihm einige herzliche Worte, worauf er seine früheren Proceduren mit einer unvergleichlichen Lebhaftigkeit mehrere Male wiederholte. Was Jack anbelangt, so freute er sich eben so sehr über Herrn Pickwick, als Herr Pickwick nur immer von ihm entzückt sein konnte. Seit die Welt steht, haben wohl nie zwei Leute bei ihrer allerersten Begegnung so warme und enthusiastische Begrüßungen gewechselt.
Es war erbaulich, den Unterschied zwischen diesem Zusammentreffen, und dem, welches jetzt zwischen Herrn Pickwick und Herrn Miles erfolgte, mit anzusehen. Offenbar betrachtete der Letztere das neue Mitglied als eine Art von Nebenbuhler in Jack Redburn's Liebe, und außerdem hatte er mir mehr als einmal im Geheim angedeutet, er glaube, obschon er nicht bezweifle, daß Herr Pickwick ein sehr würdiger Mann sei, manche seiner Abenteuer wären doch nicht ganz passend für einen Mann von seinen Jahren und seinem Ernste. Außer diesen Gründen zum Mißtrauen hatte auch noch die feste Idee in ihm Wurzel gefaßt, das Gesetz könne nie Jemandem Unrecht thun; er nahm daher an, daß Herr Pickwick ganz gebührendermaßen für den Bruch eines Versprechens gegenüber einer unbeschützten Frau an seinem Beutel und Frieden Schaden genommen habe, und ließ sich dem zu Folge nicht ausreden, ihn mit einigem Argwohn zu betrachten. Aus solchen Vorsätzen folgte natürlich eine ziemlich kalte und förmliche Begrüßung, welche Herr Pickwick mit dem gleichen Anstand und derselben ungemeinen Höflichkeit, die ihm von der andern Seite geboten wurde, erwiederte. In der That nahm er eine Miene voll majestätischen Trotzes an, so daß ich fürchtete, es möchte zu irgend einer feierlichen Protestation kommen, weßhalb ich ihn ohne alle Zögerung nach seinem Stuhle geleitete.
Dieser Hauptstreich gelang auch vollkommen. Sobald Herr Pickwick in seinem Sessel saß, betrachtete er uns Alle mit ungemein wohlwollenden Blicken, und ein Anfall von Lächeln überkam ihn, welcher volle zehn Minuten andauerte. Sein Interesse an unseren Ceremonien war unbegränzt. Sie waren allerdings nicht sehr zahlreich und complicirt, und ihre Schilderung läßt sich in sehr wenige Worte zusammenfassen. Da unseren Verhandlungen bereits zu verschiedenen Malen und unter verschiedenen Formen durch Darstellungen in diesen Blättern mehr oder weniger vorgegriffen wurde und auch ferner vorgegriffen werden muß, so bedarf sie keiner detaillirten Auseinandersetzung.
Das erste, was bei unsern Versammlungen geschieht, besteht darin, daß wir uns gegenseitig die Hand reichen und uns mit freundlichen und frohen Blicken begrüßen. In Anbetracht dessen, daß wir bei unseren Zusammenkünften nicht blos die Förderung unseres eigenen Glückes, sondern auch einen Beitrag zum allgemeinen Besten zum Zwecke haben, würde die Miene der Schlaffheit und Gleichgültigkeit an irgend einem Mitgliede unserer Gesellschaft von den Uebrigen als Hochverrath betrachtet werden. Wir haben es zwar noch nie mit einem Verbrechen dieser Art zu thun gehabt, aber wenn es einmal vorfiele, so würde der Uebelthäter einen schlimmen Stand bekommen.
Sobald die Begrüßung vorüber ist, wird das ehrwürdige Stück Alterthum, das unserer Gesellschaft den Namen leiht, unter achtungsvollem Schweigen aufgezogen. Diese Ceremonie vollstreckt Master Humphrey stets persönlich (in Clubbsangelegenheiten möge mir gestattet sein, den historischen Styl anzuwenden und in der dritten Person von mir zu sprechen), welcher zu diesem Ende, mit einem großen Schlüssel bewaffnet, auf einen Stuhl steigt. Während dieß geschieht, hat Jack Redburn unter Herrn Miles Obhut sich an das fernste Ende des Zimmers begeben, denn er ist dafür bekannt, daß er gewisse vermessene und unheilige Gedanken hinsichtlich der Wanduhr unterhält, wie er denn auch schon so weit gegangen ist, zu behaupten, er glaube, das Werk verbessern zu können, wenn er es für einen oder zwei Tage herausnehmen dürfe. Wir verzeihen ihm seine Anmaßung aus Rücksicht für seine guten Absichten, und halten ihn nur in dieser respektvollen Entfernung (eine Strafe, auf welcher jedesmal strenge bestanden wird), damit er nicht in seinem glühenden Verbesserungseifer durch irgend eine geheime Beschädigung des Gegenstands unserer Achtung in seinen zartesten Theilen uns Alle in Schrecken und Bestürzung versetze.
Diese Maßregel machte Herrn Pickwick ungemein viel Vergnügen, und schien wo möglich seine Meinung zu Gunsten Jack Redburn's noch zu erhöhen.
Die nächste Ceremonie besteht im Aufschließen des Uhrkastens, zu welchem Master Humphrey gleichfalls den Schlüssel hat. Man nimmt sodann so viele Papiere, als für die dermalige Abendunterhaltung nöthig werden dürften, heraus, und legt in dem Hintergrunde desselben diejenigen Beiträge nieder, welche seit unserer letzten Zusammenkunft neu beigeschafft wurden. Dies geschieht immer mit einer eigenthümlichen Feierlichkeit. Ist dieß geschehen, so stopft und zündet der alte Herr seine Pfeife an, und wir nehmen an dem mehrerwähnten Tische Platz, wobei Master Humphrey die Stelle des Präsidenten (wenn anders von einem Präsidenten die Rede sein kann, wo Alle auf dem gleichen socialen Fuße stehen) und unser Freund Jack die des Secretärs versieht. Da die Einleitungen nunmehr geschlossen sind, so beginnt jetzt die Unterhaltung, wie sie eben durch die Gelegenheit herbeigeführt wird, oder es folgt unmittelbar eine unserer Vorlesungen. In letzterem Falle wird das Manuscript Master Humphrey zugewiesen, welcher es sorgfältig auf dem Tische glättet und, des leichteren Umschlagens wegen, jedes Blatt mit einem Eselsohr versieht; Jack Redburn putzt die Lampe mit einer kleinen Maschine von seiner eigenen Erfindung, so daß sie gewöhnlich erlischt; Herr Miles sieht demungeachtet sehr beifällig zu; der taube Herr zieht seinen Stuhl näher, um nach Belieben den Worten auf dem Papiere oder auf Master Humphrey's Lippen folgen zu können, und Master Humphrey selbst blickt gar wohlgefällig umher, sieht nach seiner alten Wanduhr und beginnt laut zu lesen.
Herrn Pickwick's Gesicht während der Vorlesung seiner Erzählung würde die Aufmerksamkeit des stumpfsinnigsten Menschen, der da lebet, auf sich gezogen haben. Die selbstgefällige Bewegung seines Kopfes und Zeigefingers, womit er sachte den Takt schlug und, in Gedanken interpunktirend, den Vortrag des Vorlesens verbesserte, das Lächeln, welches bei jeder scherzhaften Stelle seine Züge überflog, nebst dem verschmitzten Blicke, den er umhergleiten ließ, um die Wirkung derselben zu beobachten, die Ruhe, womit er die Augen schloß und zuhorchte, wenn eine kleine Beschreibung kam, der wechselnde Ausdruck, womit er pantomimisch den Dialog begleitete, seine Noth, damit ja dem tauben Herrn nichts von dem Ganzen entgehe, und seine außerordentliche Sorglichkeit, dem Vorleser nachzuhelfen, wenn er bei einem Worte des Manuscripts stockte oder ein falsches substituirte – all' dieses war gleich bemerkenswerth. Und als er endlich nach einem langen, vergeblichen Bemühen, sich dem tauben Herrn durch das Finger-Alphabet verständlich zu machen, in welchem er Worte construirte, die weder in einer civilisirten, noch in einer wilden Sprache vorkommen, eine Schiefertafel ergriff und mit großen Buchstaben – je ein Wort auf die Zeile–die Frage niederschrieb: »Wie – hat's – Ihnen – gefallen?« – ich sage, als er dieß that und die Schreibtafel in der Erwartung einer Antwort über den Tisch reichte, und zwar mit einem Gesichte, das in Folge seiner Spannung nur noch heller leuchtete – da milderten sich auch die Züge des Herrn Miles, und er konnte sich nicht entbrechen, das neue Glied der Gesellschaft für den Augenblick mit Interesse und Wohlwollen zu betrachten.
»Es ist mir beigefallen,« sagte der taube Herr, der Herrn Pickwick und alle Uebrigen mit stummer Zufriedenheit beobachtet hatte, »es ist mir beigefallen,« sagte der taube Herr, indem er seine Pfeife aus dem Munde nahm, »daß es jetzt an der Zeit ist, auch unsern einzigen noch leeren Stuhl auszufüllen.«
Da schon früher der leere Stuhl zu einem Gegenstand der Erörterung geworden war, so liehen wir dieser Bemerkung ein bereitwilliges Ohr und sahen unsern Freund fragend an.
»Ich bin überzeugt,« fuhr er fort, »daß Herr Pickwick mit irgend Jemand bekannt sein muß, der für uns eine vortheilhafte Erwerbung wäre, indem er wohl wissen wird, welcher Art der Mann sein soll, dessen wir bedürfen. Ich bitte, weiter keine Zeit zu verlieren und diese Frage in's Reine zu bringen. Habe ich Recht, Herr Pickwick?«
Herr Pickwick war eben im Begriffe, eine mündliche Antwort zu geben; als er sich aber des Gebrechens unseres Freundes erinnerte, so substituirte er für dieselbe ein etwa fünfzigmal wiederholtes Kopfnicken. Dann nahm er die Schiefertafel, malte ein gigantisches »Ja« darauf, reichte sie über den Tisch, sah uns Alle unter Händereiben der Reihe nach an und betheuerte, daß er und der taube Herr sich gegenseitig schon ganz verstünden.
»Die Person, die ich im Sinne habe,« fuhr Herr Pickwick fort, »und die ich ohne die mir zu Theil gewordene Aufforderung nicht zu nennen gewagt haben würde, ist ein ganz eigener, alter Mann. Er heißt Bamber.«
»Bamber?« entgegnete Jack. »Ich muß diesen Namen sonstwo schon gehört haben.«
»Wohl möglich,« erwiederte Herr Pickwick, »daß Sie sich seiner aus meinen Abenteuern – ich verstehe darunter die nachgelassenen Papiere unseres alten Clubbs – erinnern, obgleich dort seiner nur gelegentlich gedacht wird; wenn ich nicht irre, so tritt er nur ein einzigesmal auf.«
»Es ist so,« versetzte Jack. »Laß einmal sehen. Er ist derselbe, welcher sich so lebhaft für alte, moderige Kammern und die Grasy-Inns interessirte; er erzählt einige Anekdoten über dieses sein Lieblingsthema – und auch eine wunderliche Geistergeschichte. Ist's nicht dieser?«
»Ganz recht. Nun,« sagte Herr Pickwick, indem er seine Stimme zu einem geheimnißvollen, vertraulichen Flüstern ermäßigte, »er ist eine höchst außerordentliche und merkwürdige Person – lebt, spricht und sieht aus, wie irgend ein fremdartiger Geist, dessen Lust darin besteht, in alten Gebäuden sein Wesen zu treiben; auch ist er von dem oben berührten Gegenstande auf eine Weise eingenommen, die man eigentlich wunderbar nennen muß. Als ich mich in das Privatleben zurückzog, suchte ich ihn auf, und ich versichere Sie, je mehr ich von ihm sehe, einen desto lebhaftern Eindruck macht sein seltsames und träumerisches Wesen auf mich.«
»Wo wohnt er?« fragte ich.
»Er wohnt« – versetzte Herr Pickwick – »an einem jener unheimlichen, einsamen, alten Orte, welche mit seinen Gedanken und Geschichten in unablässiger Verbindung stehen – und zwar ganz allein; ja, hin und wieder schließt er sich sogar mehrere Wochen lang ein, ohne nur einen Augenblick zum Vorschein zu kommen. In dieser staubigen Abgeschiedenheit brütet er über den Phantasiebildern, in welchen er schon seit Jahren den einzigen Genuß findet, und wenn er auch wieder unter die Leute kömmt oder irgend Jemand ihn besucht, so lassen sie sich doch nicht aus seinem Gehirne verdrängen, sondern bleiben sein Lieblingsthema. Ich darf, glaube ich, sagen, daß er es über sich gewonnen hat, gegen mich Achtung zu hegen und meinen Besuchen nicht ungerne entgegen zu sehen – Gefühle, die er, wie ich überzeugt bin, auch auf Master Humphrey's Wanduhr ausdehnen würde, wenn man ihn veranlassen könnte, unsere Gesellschaft einmal zu besuchen. Ich muß jedoch noch bemerken, daß er, als ein wunderlicher, in sich gekehrter Träumer, wohl in, aber nicht von der Welt und eben so wenig mit Jemanden hier, als mit Jemanden auf irgend einem anderen Theile der Erde Aehnlichkeit hat.«
Herr Miles nahm diesen Bericht über den neuvorgeschlagenen Genossen mit etwas scheelem Gesichte auf; er murmelte vor sich hin, daß er vielleicht verrückt sei, und erkundigte sich sodann nach seinen Vermögensumständen.
»Ich habe ihn nie darum gefragt,« antwortete Herr Pickwick.
»Sie könnten es aber demungeachtet wissen, Sir,« entgegnete Herr Miles mit scharfer Betonung.
»Das wäre allerdings möglich,« erwiederte Herr Pickwick eben so spitzig, »ist aber nicht der Fall. In der That« – fügte er, in seine gewohnte Milde zurückfallend, bei, – »es steht mir kein Urtheil darüber zu. Er lebt ärmlich, aber dieß scheint mit seinem Charakter im Einklang zu sein. Ich habe ihn nie von seinen Verhältnissen sprechen hören und traf nie mit Jemandem zusammen, der auch nur den mindesten Aufschluß darüber hätte geben können. Jedenfalls habe ich Alles gesagt, was ich von ihm weiß, und es bleibt jetzt Ihnen, meine Herren, überlassen, ob Sie wünschen, ihn näher kennen zu lernen, oder ob Sie an dem Mitgetheilten bereits genug haben.«
Wir waren einstimmig der Ansicht, daß wir suchen wollten, mehr von ihm zu erfahren. Herr Miles sagte zwar gleichfalls: »Ja – o gewiß – er möchte wohl noch etwas weiter von dem Herrn kennen lernen – habe durchaus kein Recht, sich dem allgemeinen Wunsche entgegen zu stemmen« und dergleichen, schüttelte aber demungeachtet bedenklich den Kopf und räusperte sich etlichemale mit ganz besonderer Bedeutsamkeit, weßhalb, gewissermaßen um den alten Herrn zufrieden zu stellen, beschlossen wurde, Herr Pickwick solle mich bei Gelegenheit eines Abendbesuches mit zu dem Gegenstand der Debatte nehmen, zu welchem Ende auch sogleich die nöthige Verabredung getroffen wurde. Es verstand sich dabei, daß die Sache meiner Verantwortlichkeit überwiesen und es mir anheimgegeben wurde, ihn zum Beitritt einzuladen oder nicht, je nachdem ich es für gut fände. Sobald diese wichtige Frage bereinigt war, kehrten wir wieder zu dem Uhrkasten zurück, wohin uns wahrscheinlich der Leser schon vorangeeilt ist, und der Inhalt desselben nebst der sich daran knüpfenden Unterhaltung ließ uns den Rest der Zeit rasch entschwinden. Als wir aufbrachen, nahm mich Herr Pickwick bei Seite, um mir zu sagen, daß er den Abend auf eine höchst angenehme und ergötzliche Weise verbracht habe. Nach dieser Mittheilung führte er mit der Miene des tiefsten Geheimnisses Jack Redburn in eine andere Ecke, um ihm das Gleiche zu eröffnen, und dann wiederholte er dieses Manöver mit dem tauben Herrn, um ihm unter Beihilfe der Schiefertafel eine ähnliche Versicherung zu geben. Es war belustigend, den innern Widerstreit mit anzusehen, ob er seine Vertraulichkeit auch auf Herrn Miles ausdehnen, oder ob er denselben mit würdevoller Zurückhaltung behandeln solle. Ein Halbdutzendmal ging er mit freundlicher Miene auf ihn zu, und ebenso oft trat er, ohne ein Wort zu sprechen, wieder zurück. Endlich, als er sich ganz nahe an dem Ohre dieses Herrn befand und im Begriffe war, ihm etwas Angenehmes und Versöhnliches zuzuflüstern, wandte Herr Miles zufällig plötzlich den Kopf um, worauf Herr Pickwick wegeilte und mit einigem Ungestüm sprach:
»Gute Nacht, Sir – ich wollte Ihnen gute Nacht sagen, Sir – weiter nichts.«
Damit machte er eine Verbeugung und verließ ihn.
»Nun, Sam?« sagte Herr Pickwick, als er unten anlangte.
»Alles in Ordnung, Sir,« versetzte Herr Weller senior. »Halten Sie jetzt nur. Zuerst den rechten Arm – jetzt den linken – jetzt eine kräftige Convulsion, und der Ueberrock ist auf dem Leibe, Sir.«
Herr Pickwick handelte nach diesen Anweisungen, und da er noch weiter von Sam Beistand erhielt, welcher auf der einen Seite des Kragens zupfte, während der ältere Herr Weller auf der andern, nur um ein Namhaftes stärker, das gleiche Manöver vornahm, so stak er bald in seinem Gewande. Herr Weller senior brachte sofort eine große Stalllaterne zum Vorschein, welche er bei seiner Ankunft sorgfältig in einem Stubenwinkel aufbewahrt hatte, und fragte Herrn Pickwick, ob er wünsche, daß jetzt die Lampe angezündet werde.
»Ich denke nicht, daß es diese Nacht nöthig ist,« versetzte Herr Pickwick.
»Dann wollen wir sie« – entgegnete Herr Weller – »mit dem Wohlnehmen dieser Dame bis auf's nächstemal hier lassen. Diese Laterne hier, Mamsell,« sagte Herr Weller, indem er den besprochenen Gegenstand der Haushälterin einhändigte, »gehörte einmal dem berühmten Bill Blinder, der jetzt unter dem Grase liegt, wie es uns Allen seiner Zeit ergehen wird. Dieser Bill, Mamsell, war der Stallknecht, der die zwei wohlbekannten Schecken versorgte, welche als Handgäule in dem Bristoler Eilwagen zogen und nach keiner andern Weise gehen wollten, als nach dem Liedchen: »Ein südlicher Wind und ein wolkiger Himmel,« weßhalb dasselbe immer von dem Conducteur aufgespielt werden mußte, wenn sie im Strange waren. Eines Nachmittags wurde es ihm ganz schlecht, er konnte nichts mehr vertragen und seine Beine wollten wochenlang nicht mehr gehen; da sagte er zu seinem Adjunkten, ›Matey‹, sagte er, ich denke, ich fahre mit der letzten Post, denn meine Füße laufen auf wie Feuereimer. Berede mich nicht eines andern‹, sagte er, ›ich weiß es selbst am Besten. Sieh' daher zu, daß man mich nicht unterbricht‹, sagte er, ›denn ich habe ein Bischen Geld erspart und will jetzt in den Stall gehen, um mein Testament zu machen‹. – ›Ich will dafür sorgen, daß du nicht gestört wirst‹, sagt der Adjunkt, ›aber du brauchst nur den Kopf aufrecht zu halten und die Ohren ein Bischen zu schütteln, so bist du noch für die nächsten zwanzig Jahre gut‹. Bill Blinder giebt keine Antwort, sondern geht in den Stall, legt sich bald nachher zwischen die zwei Schecken und stirbt, nachdem er zuvor außen auf den Deckel der Habertruhe geschrieben hat: › Dieß ist William Blinder's letzter Wille und Testament‹. Man war natürlich sehr erstaunt darüber, und nachdem man in der Streu, in der Raufen und wo weiß ich alles nachgesehen, öffnete man die Habertruhe und findet, daß er seinen letzten Willen mit Kreide auf die innere Seite des Deckels geschrieben hatte. Der Deckel mußte daher aus seinen Krampen genommen und zur Bestätigung nach Doktor Commons geschickt werden; und in Folge desselbigen Instruments fiel diese Laterne an ›Tony Weller‹ – ein Umstand, der ihr einen großen Werth in meinen Augen giebt, Mamsell, und ich werde es Ihnen Dank wissen, wenn Sie so gut sein wollen, dieselbe besonders in Obacht zu nehmen.«
Die Haushälterin versprach huldreich, den Gegenstand von Herrn Weller's Sorglichkeit so gut als möglich zu verwahren, und Herr Pickwick nahm mit lachendem Gesicht Abschied. Die Leibgarde folgte Seite an Seite: der alte Herr Weller von den Stiefeln bis an's Kinn eingewickelt und eingeknöpft, während Sam, die Hände in den Taschen und den Hut halb auf dem Kopfe, auf dem Heimwege seinem Vater Vorstellungen über seine ungemeine Geschwätzigkeit machte.
Ich war, als ich die Treppe hinaufgehen wollte, nicht wenig überrascht, zu so später Stunde in der Hausflur dem Barbier zu begegnen, da sich sein Besuch gewöhnlich nur auf eine halbe Stunde des Morgens beschränkte. Aber Jack Redburn, der – wie es scheint instinktartig – Alles, was im Hause vorgeht, ausfindet, theilte mir mit großer Freude mit, es habe sich heute Abend in der Küche, als Nachahmung der unsrigen, eine Gesellschaft unter dem Titel: »Herrn Wellers Taschenuhr« gebildet, von welcher der Barbier ein Mitglied sei; auch stehe er mir dafür, daß er Mittel finden werde, mich mit dem Verlauf ihrer Verhandlungen bekannt zu machen, was ich ihn, sowohl um meiner selbst, als um meiner Leser willen, ja nicht zu versäumen bat. 
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