Am 26. November trat eine starke Fluth ein, und das Wasser drang mit Heftigkeit aus der Feuergrube; die dichte Eisdecke ward durch das Steigen des Meeres gleichsam erschüttert, und unheimliches Krachen verkündigte den unterseeischen Kampf; zum Glück hielt das Schiff in seinem Lager fest, und nur seine Ketten rasselten; übrigens hatte sie Hatteras vorsichtig festmachen lassen.
Die folgenden Tage waren noch kälter; der Himmel war mit durchdringendem Nebel bedeckt; der Wind wirbelte den Schnee bis zum Himmel empor.
Die Mannschaft beschäftigte sich innen mit verschiedenen Arbeiten, hauptsächlich mit Zubereitung des Fettes und Oeles der Robben; sie wurden Eisblöcke, die man mit dem Beil bearbeitete zu Stücken, die hart wie Marmor waren, und zehn Tonnen füllten. Dasselbe flüssig in die Gefäße zu füllen wäre unthunlich gewesen, weil diese beim Gefrieren zersprungen waren.
Am 28. fiel das Thermometer auf zweiunddreißig Grad unter Null (– 36° hunderttheilig); es waren nur noch für zehn Tage Kohlen vorhanden, und jeder sah mit Schrecken dem Zeitpunkt entgegen, wo das Brennmaterial ausgehen würde.
Hatteras ließ aus Sparsamkeit den Ofen des Hinterdecks nicht mehr heizen, und von nun an mußten Shandon, der Doctor nebst ihm selbst sich im gemeinschaftlichen Saal der Mannschaft aufhalten. Dadurch war Hatteras in beständiger Berührung mit seinen Leuten, welche stumpfe und erbitterte Blicke auf ihn warfen. Er bekam ihre Beschuldigungen und Vorwürfe, selbst Drohungen zu hören, und konnte nicht gegen sie verfahren. Uebrigens schien er taub gegen alle Bemerkungen. Den nächsten Platz am Feuer begehrte er nicht, und saß in einer Ecke, die Hände im Schoos, ohne ein Wort zu reden.
Trotz aller Mahnungen des Doctors weigerten sich Pen und seine Freunde, die geringste Uebung vorzunehmen; sie brachten ganze Tage neben dem Ofen auf ihre Ellenbogen gestützt hin, oder unter den Decken ihrer Hängematten. Daher wurde auch bald ihr Gesundheitszustand schlimm; sie konnten dem verderblichen Einfluß des Klimas nicht widerstehen, und es zeigte sich an Bord das fürchterliche Leiden des Scorbut.
Der Doctor hatte indessen seit langer Zeit angefangen, jeden Morgen Citronensaft und Kalkpastillen auszutheilen; aber diese Präservativmittel, so wohlthätig sie gewöhnlich sind, wirkten kaum merklich auf die Kranken, das Uebel hatte seinen Verlauf und zeigte bald die schrecklichsten Symptome.
Wie jämmerlich der Anblick der vor Schmerzen zuckenden Nerven und Muskeln! Die Beine schwollen den Kranken außerordentlich und waren mit großen blauschwarzen Flecken bedeckt; das blutende Zahnfleisch, die geschwollenen Lippen ließen nur unarticulirte Töne vernehmen; bei dem verdorbenen Blut drang das Leben nicht mehr zu den äußersten Körpertheilen.
Clifton wurde zuerst von der fürchterlichen Krankheit befallen; bald auch konnten Gripper, Brunton, Strong ihre Hängematte nicht mehr verlassen. Die, welche verschont blieben, konnten sich dem Anblick dieser Leiden nicht entziehen; es gab kein anderes Obdach, als der eine gemeinsame Saal; da mußte man sich aufhalten. Daher verwandelte er sich rasch in ein Spital; denn von den achtzehn Mann des Forward wurden bald dreizehn vom Scorbut heimgesucht. Pen schien durch seine starke Natur der Ansteckung zu widerstehen; bei Shandon zeigten sich die ersten Symptome des Leidens; aber es schritt nicht weiter voran, und seine Arbeit hielt seinen Gesundheitszustand aufrecht.
Der Doctor pflegte die Kranken mit der größten Hingebung, und das Herz wollte ihm brechen beim Anblick der Leiden, welche er nicht zu lindern vermochte. Dennoch regte er soviel wie möglich heitern Sinn bei der Mannschaft an; seine Worte, Tröstungen, Bemerkungen, guten Einfälle unterbrachen die Einförmigkeit dieser langen Schmerzenstage; er las laut vor, und wußte heitere Geschichten zu erzählen, während die noch gesunden Leute dicht um den Ofen herum saßen; aber manchmal ward er durch das Jammern, das verzweifelnde Schreien der Kranken unterbrochen; da brach er seine Geschichte ab und ward wieder der achtsame, liebevolle Arzt.
Uebrigens dauerte seine Gesundheit aus; er ward nicht mager, seine Wohlbeleibtheit war ihm die beste Kleidung, und er sagte, es bekomme ihm recht gut daß die Natur ihn gleich einem Robben oder Wallfisch ausgestattet habe, welche ihrem dicken Fett verdanken, daß sie die Strenge des Polarklimas leicht ertragen.
Hatteras hatte weder physisch noch moralisch zu leiden; es schienen ihn nicht einmal die Leiden seiner Mannschaft zu rühren. Vielleicht hielt er nur seine Gemüthsbewegungen zurück; und ein achtsamer Beobachter hätte wohl bisweilen bemerkt, daß unter der eisernen Umhüllung ein Menschenherz schlug.
Das Thermometer sank noch mehr; der Spazierplatz des Verdecks blieb leer; nur die Eskimo-Hunde liefen mit kläglichem Bellen darauf herum.
Unter solchen unsäglichen Qualen kam der 8. December heran. An diesem Morgen, als der Doctor, wie gewöhnlich, nach dem außen befindlichen Thermometer sah, fand er das Quecksilber in der Kugel fest gefroren.
»Vierundvierzig Grad unter Null!« sagte er mit Schrecken.