„Und wenn es hundert gäbe, Frau Gontrau,“ rief Hans ungeduldig, weil die alte Dame nur in halben Andeutungen sprach, „ich kann nicht warten; gestern habe ich Irma gegenüber bereits angedeutet, daß ich heute diese wichtige Frage stellen werde. Warum sind Sie dagegen?“
„Weil Irma Sie zur Zeit noch nicht liebt, und wenn sie Ihren Antrag annimmt, es aus Trotz tut, aus gekränkter Eitelkeit, weil ein anderer mit ihr sein Spiel getrieben hat.“
Hans Reicher wurde totenbleich und schaute Ilse Gontrau entsetzt an. Über sein offenes, ehrliches Antlitz legte sich ein Ausdruck so tiefen Kummers, daß sie fühlte, wie ihre Augen feucht wurden. Ganz in der Nähe stand eine Bank unter einem Platanenbaum, der sie den Blicken Vorübergehender entzog. Sie nahm seine Hand und zwang ihn, sich neben sie zu setzen.
Dann erzählte sie ihm alles.
Er hörte ihr zu, gesenkten Hauptes und mit fest zusammengepreßten Lippen. Ilse hatte wohl einen Ausruf der Entrüstung, des Schmerzes erwartet, aber er schwieg.
„Reicher,“ begann sie endlich wieder, „Sie müssen doch einsehen, daß ich Ihnen das alles gesagt habe, weil es meine Pflicht ist, weil ich nicht anders konnte. Ich habe Irma gewarnt, doch sie hat nicht hören wollen. Möglich, daß ich zu schwach gegen sie war, aber ich habe sie so über alle Maßen lieb! Jetzt muß ich sie gegen ihr eigenes Ich zu schützen suchen. Sie braucht eine harte Lehre. Ist Ihre Liebe groß genug, um ihr diese zu erteilen?“
„Ja, gnädige Frau.“
„Für den Augenblick ist sie entschlossen, Ihnen ihr Jawort zu geben. Ist Ihre Liebe stark genug, um dasselbe jetzt nicht anzunehmen und sie zu hindern, daß sie etwas tut, was schlecht und ihrer nicht würdig ist?“
„Ja, gnädige Frau.“
Bewundernd drückte Ilse ihm die Hand.
„Ich wußte wohl, daß ich mich in Ihnen nicht getäuscht habe. Alles, was wir gesprochen haben, bleibt ein Geheimnis zwischen uns beiden. Es wird eine Zeit kommen, in der Irma ihr Unrecht einsieht.“
„Das glaube ich nicht, gnädige Frau, wage auch nicht, darauf zu hoffen. Ich werde Irma ewig lieben, weil ich nicht anders kann, weil ich gleich beim ersten Mal, als ich sie sah, fühlte, diese oder keine. Aber liebe ich sie auch noch so unendlich, mit mir spielen lasse ich nicht.“
Großmutter Gontrau zog sich, so bald sie wieder nach Hause gekommen war, ungesehen auf ihr Zimmer zurück. —
Zum Abend hatte onkel Heinz die ganze Familie zu sich eingeladen; er wollte doch auch das Brautpaar durch eine Festlichkeit ehren. Schon seit Tagen hatte er mit Hansens Hilfe seine Zimmer ausgeräumt und die Leute, bei denen er wohnte, in Wut versetzt, weil er das ganze Haus von unterst zu oberst kehrte. In seinem Studierzimmer stand die große Tafel zum Abendessen gedeckt. Solche Unmengen hatte er von allem bestellt, daß seine Hauswirtin seufzend erklärte, es würde hinreichen, ein ganzes Regiment zu bewirten. Aber der alte Herr hatte sich nicht raten lassen.