„Auf die Hochzeit gehen, dich so schön wie möglich machen und so lustig sein, daß keine Seele etwas merkt. Glaube mir, ich kenne die Welt besser als du; wenn Hochstein denken muß, daß du dir's nicht zu Herzen nimmst, wird er sich ärgern, und das ist doch wohl die kleinste Strafe, die er verdient.“
Der matte, gleichgültige Ausdruck in Irmas Augen verschwand, ihre Wangen röteten sich, und mit einem schwachen, selbstzufriedenen Lächeln nickte sie ihrem Spiegelbilde zu.
„Vielleicht hast du recht,“ sagte sie, „ich will mich bemühen, deinem Rat zu folgen. Versprich mir nur eins — nie mehr über Otto zu reden.“
„An mir wird es nicht liegen, wenn's doch geschieht,“ entgegnete Agnes munter, „denn ein angenehmer Gesprächsstoff ist er für mich wirklich nie gewesen.“
Von nun an änderte sich Irma. Als ihre Eltern kamen, und Ruth, die von ihrer Mutter in alles eingeweiht wurde, sie schweigend, mit vielsagender Innigkeit umarmte, setzte ihr Töchterlein sie in Erstaunen, indem es lachend rief:
„Hör' mal, Mamachen, wenn du glaubst, mich bemitleiden zu müssen, bist du auf dem Holzwege. Großmama hätte dir die kindische Geschichte mit Baron Hochstein nicht zu erzählen brauchen. Ich habe sie längst vergessen.“
„Aber Kind, ich glaubte dich ganz niedergebeugt und traurig zu finden. Ich dachte, du liebest ihn.“
„Ach wo denn, ich bildete mir das nur ein. Jetzt weiß ich, daß es so ganz gut ist und habe es völlig überwunden.“
„Um so besser, mein Liebling,“ sagte Ruth erfreut. Aber als sie der Großmutter Irmas Worte wiederholte, schüttelte diese das alte, graue Haupt.
„Mamachen, du bist doch nie zufrieden,“ meinte Ruth etwas ärgerlich. „Was willst du denn mehr? Wir können doch wirklich froh sein, daß die Kleine die Geschichte so verständig auffaßt.“
„Liebe Ruth,“ versetzte Ilse nachdenklich. „Der Übergang ist mir zu schroff. Wir mußten Irma aus ihrer Teilnahmlosigkeit förmlich aufrütteln, indem wir ihren Stolz und ihre Eigenliebe zu Hilfe riefen, nun aber fürchte ich, daß ihre Eitelkeit den Sieg davontragen und sie zu irgend einem dummen Streich verleiten wird.“
Ungläubig schaute Ruth die Mutter an.
„Zum Beispiel,“ fuhr Großmutter leise fort, „aus Trotz den ersten besten Mann zu nehmen.“
Frau von Holten schwieg; an solch eine Möglichkeit hatte sie noch nicht gedacht.
„Ich glaube, du übertreibst, Mama,“ sagte sie endlich. „Irma ist in jeder Hinsicht noch das reine Kind.“
„Eben darum,“ behauptete Ilse, aber da ihre Enkelin gerade ins Zimmer trat, wurde das Gespräch nicht fortgesetzt. —
Der Bräutigam, John Forster, war angekommen und machte seinen neuen Verwandten einen sehr angenehmen Eindruck. Er war ein großer, stattlicher junger Mann, blond und breitschultrig, mit energischem Ausdruck in den stahlblauen Augen und großer Ruhe und Gelassenheit in seinem Auftreten. Er und Maud bildeten ein sehr gesetztes Paar; Flora, die mit ihrem Manne bei Großmutter Gontrau wohnte, wunderte sich im stillen, daß Braut und Bräutigam nach so langer Trennung einen ganzen Abend beisammen sein, sich mit jedem gemütlich unterhalten konnten, und nicht einzig und allein für einander Ohren und Augen hatten.
Als Flora schüchtern bemerkte, daß John und Maud nicht den Eindruck eines verliebten Paares machten, lachte die junge Braut so heiter und herzlich, und aus ihren hübschen, ernsten Augen strahlte ein so sonniges Glück, daß niemand an ihrer innigsten Liebe und Zuneigung für einander zweifeln konnte. —
onkel Heinz, der mit Hilfe eines Stockes wieder umherhumpelte, setzte die ganze Familie, die ihn noch ans Zimmer gebunden glaubte, in Erstaunen, als er plötzlich eines Abends in ihrem Kreise erschien. Er unterhielt sich viel mit dem jungen Amerikaner; aber als Hans Reicher ankam, hätte der Professor leicht in den Verdacht der Unbeständigkeit und Launenhaftigkeit kommen können, denn nun zog er die Gesellschaft des jungen Gutsbesitzers jeder anderen vor und vertiefte sich mit ihm in alle möglichen Fragen des Ackerbaus und der Viehzucht. Hans verweilte gern bei dem alten Sonderling; onkel Heinz hatte sich sofort angeboten, ihn als Logiergast aufzunehmen, und da bei Müllers wie bei Ilse Gontrau das Haus besetzt war, nahm Hans dies Anerbieten dankend an.
Große Hochzeitsfeierlichkeiten sollten nicht stattfinden, die Abende aber, die der heiligen Handlung vorangingen, verbrachte die Familie stets gemeinsam. Es wurde viel musiziert, mitunter auch getanzt, und das Zusammensein mit einem gemütlichen Abendessen beschlossen. Irma nahm so heiter an allem teil, daß jeder sich darüber wunderte. Als sie am ersten Abend erschien, anmutiger denn je, in einem hellgrünen, duftigen Kleide, schelmisch und ausgelassen wie früher mit der Jugend Unsinn trieb, die älteren Herren durch ihr Geplauder bezauberte, so daß sie bald wieder der Mittelpunkt war, um den sich alles drehte, schüttelte Maud ernst den Kopf und flüsterte ihrer Schwester zu: