In der folgenden Nacht erwachte ich zufällig mitten im Schlaf und wurde unbeabsichtigter Zuhörer eines Gesprächs, dessen Inhalt allzu tief in diese ganze Geschichte eingreift, als daß ich nicht meine Leser damit bekanntmachen sollte.
Die Brüder, die jedenfalls glaubten, daß ich immer schlief, gingen ihre wichtigsten Lebensereignisse durch. Der ältere muß bei meinem Erwachen seine Erzählung beendet haben; denn ich hörte, daß er nun sagte:
»So war die Führung der unerforschlichen Vorsehung mit mir, lieber Bruder! Erzähle du mir nun aufrichtig, wie es zugegangen ist, daß es dir bei einem so reichen Segen Gottes nie in den Sinn gekommen ist, zu heiraten!«
»Das ist bald gesagt«, versetzte der jüngere, »weil ich an keiner Gefallen hatte, eine ausgenommen, und sie konnte ich nicht bekommen.«
»Doch diese eine!« sagte der Konrektor. »Wer war sie? Weshalb bekamt ihr einander nicht? Laß mich alles miteinander wissen!«
»Gewiß, wenn du es denn willst", erwiderte der Bruder. »Ich war von einer Kreuzfahrt vor den Kurilen zurückgekommen und lag bei Peter-Pauls-Hafen auf Kamschatka, als Order von der Admiralität einlief, ich sollte unverzüglich nach der Nordwestküste von Amerika hinübergehn, dort einige Vermessungen vornehmen und dann den nächsten Weg – um Kap Horn nämlich und durch das Mittelmeer – nach einem Hafen im Schwarzen Meer, um meine Berichte abzuliefern. Auf dieser Tour mußte ich einer Havarie wegen einen Mittelmeerhafen anlaufen, und es traf sich gerade, daß dort –«
»Vergiß nicht, was du sagen wolltest!« fiel der Konrektor ein. »Wann war das? Wie lange ist es her?«
»Warte mal!« versetzte der Seemann, »vor zwölf Jahren. – Nun traf es sich also, daß an diesem Platz ein paar vornehme reisende Russen waren; und sie kamen zu mir an Bord und ich kam zu ihnen wieder, und es ging lustig zu mit Bällen und Amüsements eine ganze Zeit lang. – Auf einem solchen Picknick wurde ich von der Fregatte übersegelt, die ich meine, und bekam eine Schamfilung am Herzen, die ich lange Zeiten nicht verwand.«
»Aha!« unterbrach der Schulmann, »du hattest dich verliebt – nicht wahr?«
»Jawohl«, versetzte der Bruder, »und das war nicht so merkwürdig; denn es war der schönste Segler – mußt du wissen – den ich mein Lebtag gesehen habe. Ich gab Signale; doch sie beantwortete sie nicht, oder sie verstand sie nicht. Da lief ich sie langseits dicht auf und preite sie – in aller Höflichkeit. Und dann unterhielten wir uns und dann tanzten wir und –«
»War das ein italienisches Frauenzimmer?« fiel der ältere wieder ein, »und wie hieß sie?«
»Sie war keine Italienerin«, erwiderte der jüngere, »doch in Frankreich geboren und hieß Roseau. Doch der Name tut nichts zur Sache. – Um es kurz zu machen: wir kamen einmal zusammen und zwei Male und mehrere Male; und schließlich kam es mir so auf die Zunge, daß ich rein heraus auf gut dänisch sagte: »Mademoiselle! Je vous aime.«
»Gut!« sagte der Konrektor, »und sie?«
»Sie sagte nichts«, fuhr der andre fort, »denn sie lag in meinen Armen und sah aus, als wollte sie das Zeitliche segnen. Und da gab ich ihr einen Kuß, und sie gab mir einen wieder, und es wurden viele Küsse und sie hätten beinahe nicht aufgehört. Und schließlich schwuren wir hoch und heilig –«
»Was? Sie auch?« fragte mein Konrektor.
»Nun ja, wir schworen oder gelobten einander mit Hand und Mund, daß wir einander liebhaben wollten, solange der Wind des Lebens in unsre Segel blies.«
»Das war ein schönes Gelöbnis«, sagte der Schulmann, »aber warum wurde es nicht erfüllt?«
»Das kam so!« versetzte der Seemann. »Unter den Russen dort am Platze war ein Graf, der auch Marie gern mochte, und als er merkte, daß ich ihm die Luv abgewonnen hatte, setzte er alle Lappen bei, um mich zu halten. Und da das nicht half –«
»Warte einen Augenblick!« fiel jener wieder ein, »was willst du damit sagen, mit »Lappen« und alledem?«
»Ich meine nur«, versetzte dieser, »daß er mich mit Komplimenten und Goldschmuck, Diamanten und Perlen und derartigem Zeug ausstechen wollte. Doch da er nun trotzdem absacken mußte, wurde er grob, wir gerieten aneinander, und wir kamen dazu, uns zu duellieren –«
»Pfui doch, Bruder Christian!« brummte der Konrektor, »du hast dich duelliert? Das ist ein barbarischer Brauch.«
»Das mag schon sein«, sagte der Seebär, »aber es ist nun einmal Brauch, und man muß ihn befolgen. Es ging noch gut ab; er bekam eine Kugel in den Rumpf und mußte ein Vierteljahr auflegen, um sich kalfatern zu lassen –«
»Er starb doch nicht?«
»Nein! Aber er war aus einer großen Familie und hatte mächtige Freunde und ich wurde solange gefoppt und chikaniert, daß ich meinen Abschied nehmen mußte. Und das war mein Glück, weißt du.«
»Doch das Mädchen?«
»Das Mädchen! – Ja, siehst du, da er selbst sie nicht bekommen konnte, so veranlaßte er ein paar gute Freunde, mich bei ihr und ihrer Familie zu verdächtigen, als wäre ich ein liederlicher Hund, der an jedem Platz, wohin er kam, eine Liebste hatte. Nun mußte es sich so treffen, daß ich ihr bei dieser Gelegenheit einen lebendigen Beweis meiner Liebe geschenkt hatte –«
»Was«, fuhr der Alte heftig auf, »Christian! War es so weit gekommen? Gott vergebe dir! Hattest du sie geschwängert?«
Der Bruder lachte.
»Du irrst dich, so war das nicht gemeint – das werde ich dir später erzählen. Genug: sie glaubte dem Geschwätz – schrieb an mich, »so und so, und deshalb wollte sie abdrehen und ich könnte meinen Kurs steuern, wohin ich wollte«. Ich lief gleich ein, um die Sache aufzuklären; aber sie hatte bereits gelichtet, zusammen mit ihrem ganzen Geschwader. Ich habe sie seitdem nicht gesehen.«
»Warum hast du ihr nicht geschrieben? Sie nicht aufgesucht?« fragte jener.
»Ja, wo denn?« fragte der Seemann. »Ich kannte ja nicht einmal den Namen ihrer Heimat. – Es war vorbei, und damit war weiter nichts zu tun.« Hier entstand ein kurzes Schweigen, nach dem der Konrektor zuerst wieder fortfuhr:
»Es ist wahr, der Umstand, den du berührtest, machte ihr den Kopf so kraus –«
»Richtig! Das ging so zu. Eines Abends, als ich –«
Hier befiel mich unglücklicherweise ein Niesen, das die Unterhaltung ganz abbrach. Der Konrektor sagte: »Prosit!« und der Bruder murmelte ihm zu: »Ein ander Mal.«