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狄更斯小说:董贝父子1 Vierzehntes Kapitel.

时间:2017-10-31来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
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Paul wird immer altmodischer und geht nach Hause in die Ferien.
Beim Nahen der Sommerferien zeigten sich keine besonderen Kundgebungen von Freude unter den bleiäugigen jungen Gentlemen, die in Doktor Blimbers Haus versammelt waren; denn ein ungestümer Ausbruch von Wonne hätte sich durchaus nicht für eine so feine Anstalt geschickt. Die jungen Gentlemen fuhren jeder halbjährlich in ihre Heimat; von einem eigentlichen Aufbrechen dahin war keine Rede, denn eine solche Tätigkeit würden sie geringschätzig von sich abgelehnt haben.
Tozer, der beharrlich durch eine steife weiße Halsbinde gequält wurde – er trug diese lästige Beigabe auf den ausdrücklichen Wunsch der Mrs. Tozer, seiner Mutter, die ihn für die Kirche bestimmt hatte und der Meinung war, er könne diese vorbereitende Stufe nicht zu früh beginnen – Tozer meinte sogar, wenn man ihm zwischen zwei Übeln die Wahl ließe, würde er lieber bleiben, wo er wäre, als nach Hause gehen. Diese Erklärung war jedenfalls sehr aufrichtig, wie sehr sie auch im Widerspruch war mit einem Aufsatz Tozers über diesen Gegenstand, in dem er bemerkt hatte, »die Gedanken an die Heimat und alle Erinnerungen weckten in ihm die angenehmsten Empfindungen der Wonne und des Glücks;« ja er hatte sich, um ein passendes Bild einflechten zu können, mit einem römischen General verglichen, der in triumphierendem Taumel über eine kürzliche Besiegung der Izener oder beladen mit der karthagischen Beute nur noch wenige Stunden von dem Kapitol stand. Es hatte nämlich den Anschein, als besäße Tozer einen schrecklichen Onkel, der ihn während der Ferien nicht nur über dunkle Punkte examinierte, sondern auch unschuldige Anlässe und Dinge mit einflocht, um sie zu demselben schnöden Zwecke an den Haaren herbeizuziehen. Wenn ihn z.B. sein onkel in ein Schauspiel oder unter einem ähnlichen Vorwand des Wohlwollens zu einem Riesen, Zwerg, Taschenspieler oder sonst wohin mitnahm, so wußte Tozer im voraus, der alte Gentleman habe über den beabsichtigten Gegenstand irgendeine klassische Anspielung gelesen, und geriet dabei in wahre Todesangst, weil er nicht vorauswissen konnte, wo die Sache losbrechen oder welche Autorität gegen ihn zitiert würde. Was Briggs betraf, so bediente sich sein Vater keiner derartigen Kunstgriffe, sondern erklärte ihm zu allen Stunden und bei jeder Gelegenheit das Gewehr. Ja, diese geistigen Prüfungen waren während der Ferienzeit für diesen unglücklichen Menschen so zahlreich und grausam, daß die Freunde der Familie, die damals in der Nähe von Bayswater bei London wohnte, sich selten jenem künstlich angelegten Teiche in den Kensington-Gärten näherten, ohne sich der Besorgnis hinzugeben, sie würden den Hut des Master Briggs auf dem Spiegel des Wassers schwimmen und eine unvollendete Aufgabe an dem Ufer liegen sehen. Briggs war daher in betreff der Ferien durchaus nicht sanguinisch; und diese beiden Schlafkameraden des kleinen Paul waren so schöne Proben von der Gemütsstimmung der jungen Gentlemen im allgemeinen, daß auch die schwungkräftigsten darunter der Annäherung solcher festlichen Perioden mit gelassener Resignation entgegensahen.
Ganz anders verhielt sich's bei dem kleinen Paul. Das Ende dieser ersten Ferienzeit sollte ihn von Florence trennen; aber wer denkt je an das Ende von Ferien, die noch nicht begonnen haben? Paul gewiß nicht. Mit dem Näherkommen dieser glücklichen Zeit wurden die Löwen und Tiger, die an den Schlafkammerwänden hinaufkletterten, ganz zahm und lustig. Die grimmigen schiefen Gesichter in dem eingelegten Stubenboden erschienen milder und guckten mit weniger boshaften Augen heraus. Die ernste alte Wanduhr legte in die Weise ihrer Frage mehr persönliches Interesse, und die rastlose See rollte die ganze Nacht durch unter wehmütigen, aber doch angenehmen Lauten, als wollte sie durch das Spiel ihrer Wellen ihn in Schlaf wiegen.
Auch Mr. Feeder, B.A.,schien sich auf die Ferien recht sehr zu freuen, und Mr. Toots entwarf sich von dieser Periode an einen Plan zu lauter Festtagen. Er pflegte nämlich Paul regelmäßig jeden Tag mitzuteilen, dies sei sein letztes halbes Jahr, das er bei Doktor Blimber zubringe, und dann werde er ohne weiteres in den Genuß seines Vermögens eintreten.
Zwischen Paul und Mr. Toots stand es vollkommen fest, daß sie, ungeachtet des Abstandes der Jahre und der Stellung sehr innige Freunde waren. Wie nun die Ferien näher heranrückten und Mr. Toots, so oft er in Pauls Gesellschaft kam, schwerer atmete und die Augen weiter aufriß, las Paul darin ein Leid darüber, daß sie sich so bald aus dem Gesicht verlieren sollten, und war ihm für seine Gönnerschaft und gute Meinung dankbar.
Ebenso war es für Doktor Blimber, Mrs. Blimber und Miß Blimber sowohl als für die jungen Gentlemen im allgemeinen kein Geheimnis, daß Toots sich in irgendeiner Weise selbst zum Beschützer und Vormund von Paul aufgeworfen habe, und der Umstand war sogar für Mrs. Pipchin so notorisch, daß die gute alte Dame eine bittere Eifersucht gegen Toots fühlte, weshalb sie ihn auch in dem Heiligtum ihres Heimwesens wiederholt als einen dickköpfigen Einfaltspinsel bezeichnete. Der nichts ahnende Toots dagegen hatte ebensowenig eine Idee davon, daß er Mrs. Pipchins Groll geweckt haben könnte, als er überhaupt an irgendeine andere bestimmte Möglichkeit oder Folgerung dachte. Im Gegenteil, er war geneigt, sie in dem Lichte eines ziemlich merkwürdigen Charakters zu betrachten, der viele interessante Punkte darbot. Aus diesem Grunde lächelte er ihr mit großer Leutseligkeit zu und fragte sie bei Gelegenheit ihrer kleinen Besuche bei Paul so oft, wie sie sich befinde, daß sie ihm zuletzt eines Abends unverhohlen erklärte, sie sei an dergleichen nicht gewöhnt, was er auch von ihr denken möge; sie könne und wolle es nun einmal nicht dulden, weder von ihm noch von irgendeinem anderen Gecken in der Welt. Über diese unerwartete Erwiderung seiner Höflichkeiten geriet Mr. Toots so in Schrecken, daß er sich, bis sie fort war, in einen abgeschiedenen Platz verkroch und sein Gesicht nie wieder blicken ließ, wenn sich die mannhafte Mrs. Pipchin unter Doktor Blimbers Dache zeigte.
Es waren noch zwei oder drei Wochen bis zum Beginn der Ferien, als eines Tages Miß Cornelia Blimber Paul in ihr Zimmer berief und zu ihm sagte:
»Dombey, ich bin im Begriff, deinem Vater deine Analysis zu schicken.«
»Danke Euch, Ma'am«, versetzte Paul.
»Du weißt doch, was ich damit sagen will, Dombey?« fragte Miß Blimber, indem sie den Knaben scharf durch ihre Brille ins Auge faßte.
»Nein, Ma'am«, entgegnete Paul.
»Dombey, Dombey«, sagte Miß Blimber, »ich fange an, zu fürchten, daß du ein kläglicher Knabe bist. Wenn du den Sinn eines Ausdrucks nicht verstehst, warum verlangst du nicht Belehrung darüber?«
»Mrs. Pipchin sagte mir, ich solle keine Fragen stellen«, erwiderte Paul.
»Ich muß dich bitten, Dombey, mich ja nicht Mrs. Pipchin gegenüber zu erwähnen«, sagte Miß Blimber. »Ich kann dies durchaus nicht gestatten. Der Studienplan in unserer Anstalt verträgt sich ganz und gar nicht mit etwas der Art. Eine Wiederholung solcher Anspielungen würde mich nötigen, dir aufzuerlegen, daß du morgen früh vor dem Frühstück vom verbum personale an bis hinab zum simillima cigno den ganzen Abschnitt ohne Anstoß auswendig hersagst.«
»Das habe ich nicht wollen, Ma'am«, begann der kleine Paul.
»Ich muß dich bitten, mich nicht mit dem zu behelligen, was du nicht meinst, Dombey«, versetzte Miß Blimber, die in ihren Ermahnungen stets eine ehrfurchtgebietende Feinheit beobachtete. »Dies wäre eine Art von Erwiderung, an deren Zulassung ich nicht im Traume denken möchte.«
Paul hielt es für das Geratenste, gar nichts mehr zu sagen, und blickte deshalb nur zu Miß Blimbers Brille auf. Nachdem diese dann gravitätisch den Kopf geschüttelt hatte, deutete sie auf ein vor ihr liegendes Papier.
»›Analysis des Charakters von P. Dombey‹. Wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt«, fügte Miß Blimber abbrechend hinzu, »so wird das Wort Analysis im Gegensatz von Synthesis von Walker also definiert: ›die Auflösung eines Objekts, mag dies nun ein solches für die Sinne oder den Verstand sein, in seine ersten Elemente‹. Du bemerkst – im Gegensatz zur Synthesis. Jetzt weißt du, was Analysis ist, Dombey?«
Es hatte den Anschein, als sei Dombey nicht absolut geblendet von dem Licht, das seinem Geiste vorgeführt wurde; er machte daher vor Miß Blimber eine kleine Verbeugung.
»›Analysis‹, nahm Miß Blimber wieder auf, indem sie ihre Blicke über das Papier gleiten ließ, »›des Charakters von P. Dombey. Ich finde, daß die natürlichen Anlagen Dombeys ungemein gut sind, und daß im allgemeinen seine Geneigtheit zum Studium in gleicher Weise prädiziert werden kann. Nehmen wir nun acht als unsere höchste und erforderliche Nummer an, so stellt es sich heraus, daß Dombeys derartige Qualifikationen je mit 6 ¾ bezeichnet werden dürften‹.«
Miß Blimber hielt inne, um zu sehen, wie Paul diese Neuigkeit aufnahm. Da der Knabe nun nicht wußte, ob unter sechs drei Viertel, sechs Pfund fünfzehn Schillinge, oder sechs Pence und drei Farthings, vielleicht auch sechs Fuß drei Zoll, drei Viertel über sechs Uhr, oder sechs andere Dinge nebst drei Bruchteilen darüber, von denen er noch nichts gehört hatte, gemeint waren, so rieb er sich die Hände und schaute Miß Blimber gerade ins Gesicht. Zufälligerweise stimmte dies ebenso gut als irgend etwas anderes, was er hätte sagen können, und Cornelia fuhr fort.
»›Gewalttätigkeit – zwei. Selbstsucht – zwei. Vorliebe für gemeine Gesellschaft, wie sich im Falle einer Person namens Glubb herausgestellt hat – ursprünglich sieben, seitdem aber gemindert. Gentlemanisches Benehmen – vier, sich bessernd mit fortschreitenden Jahren‹. Worauf ich nun aber zuvörderst deine Aufmerksamkeit lenken möchte, Dombey, dies ist der allgemeine Überblick am Schluß dieser Analysis.«
Paul schickte sich an, demselben mit großer Sorgfalt zu folgen. »Im allgemeinen kann von Dombey bemerkt werden,« sprach Miß Blimber, mit lauter Stimme vorlesend und nach jedem zweiten Wort ihre Brille auf die kleine Gestalt vor ihr richtend, »daß seine Fähigkeiten und Neigungen gut sind, er außerdem auch so viele Fortschritte gemacht hat, als den Umständen nach nur von ihm erwartet werden konnte. Indes ist zu beklagen, daß dieser junge Gentleman in seinem Charakter und Benehmen eine Eigentümlichkeit hat, die man gewöhnlich altmodisch nennt – daß er oft ganz und gar nicht ist wie andere junge Gentlemen seines Alters und seiner gesellschaftlichen Stellung, ohne sich übrigens etwas dabei zu Schulden kommen zu lassen, was entschieden eine Rüge verdiente. »Nun, Dombey«, fügte Miß Blimber bei, indem sie das Papier niederlegte, »verstehst du dies?«
»Ich glaube, Ma'am«, sagte Paul.
»Du siehst, Dombey«, fuhr Miß Blimber fort, »diese Analysis soll an deinen wertgeschätzten Vater geschickt werden. Es wird ihm natürlich sehr schmerzlich fallen, wenn er finden muß, daß du so absonderlich in deinem Charakter und Benehmen bist. Auch uns wird es, wie sich begreifen läßt, zu einem peinlichen Gefühl, denn du siehst selbst ein, Dombey, daß wir dich um dieses Umstandes willen nicht so lieben können, wie wir gern möchten.«
Sie faßte hier den Knaben an einem verfänglichen Punkte, denn in seinem Innern war es, da die Zeit der Abreise herannahte, mit jedem Tage mehr sein angelegentliches Verlangen gewesen, daß alle im Hause ihn lieben möchten. Aus irgendeinem geheimen Grunde, den er – wenn überhaupt – nur unvollkommen verstand, fühlte er eine allmählich sich steigernde Zuneigung fast für jeden Gegenstand und für alle Personen seiner Umgebung, Er konnte den Gedanken nicht ertragen, daß man gleichgültig gegen ihn sein könnte, wenn er weg wäre, und sehnte sich deshalb danach, man möchte ihn in freundlicher Erinnerung behalten. Ja, er hatte sich's sogar zur Aufgabe gemacht, einen großen, wilden, zottigen Hund, der an der Hinterseite des Hauses an einer Kette lag und früher der Schrecken seines Lebens gewesen war, so für sich zu gewinnen, daß das Tier ihn vermissen möchte, wenn er nicht länger da wäre. Wenig daran denkend, daß er hierin aufs neue nur wieder den Unterschied zwischen sich und seinen Kameraden zeigte, machte der arme kleine Paul Miß Blimber Vorstellungen, so gut er konnte, und bat sie, daß sie, ungeachtet der offiziellen Analysis, die Güte haben möchte, es doch zu versuchen, ob sie ihn nicht lieben könne. Da eben Mrs. Blimber kam, so stellte er an diese Dame dasselbe Gesuch, und als sie sich sogar in seiner Gegenwart nicht enthalten konnte, ihrer oft wiederholten Ansicht Worte zu leihen und zu erklären, daß er ein merkwürdiges Kind sei, entgegnete Paul, er sei überzeugt, daß sie hierin vollkommen recht habe; er wisse es freilich nicht, und er glaube, es müsse in ihm liegen, aber eben deshalb hoffe er, sie werde es übersehen, denn er habe sie alle so lieb.
»So lieb natürlich nicht«, fuhr Paul mit einer Mischung von Schüchternheit und unverhohlenem Freimut fort, die zu den eigentümlichsten und gewinnendsten Eigenschaften des Kindes gehörten – »so lieb nicht wie Florence, denn dies wäre unmöglich. Dies könnt Ihr gewiß auch nicht erwarten, Ma'am.«
»O, die altmodische kleine Seele!« bemerkte Mrs. Blimber im Flüstertone.
»Aber ich liebe jedermann hier recht sehr«, fuhr Paul fort, »und es würde mir leid tun, wenn ich bei meinem Weggehen denken müßte, es sei irgend jemand froh, daß ich fort sei, oder es kümmerte sich niemand um mich.«
Mrs. Blimber kam nicht recht mit sich ins klare, ob Paul nicht das seltsamste Kind von der Welt sei, und als sie dem Doktor den Vorfall mitteilte, wußte dieser der Ansicht der Gattin nichts entgegenzuhalten. Er bemerkte übrigens, wie schon bei einer früheren Gelegenheit, als Paul zum erstenmal ins Haus kam, das Studium werde viel tun, weshalb er denn auch jetzt seiner Tochter den Rat gab, sie solle nur rasch vorwärts mit ihm zu kommen suchen.
Cornelia hatte freilich schon alles aufgeboten, was in ihren Kräften lag, und dadurch Pauls Leben bitterlich vergällt. Aber abgesehen davon, daß der Knabe sich alle Mühe gab, seine Aufgaben zu erlernen, hatte er sich doch auch noch ein anderes Ziel gesteckt, an dem er eifrig festhielt. Er war ein sanftes, anstelliges, ruhiges Bürschlein, das sich stets Mühe gab, sich die Liebe und Anhänglichkeit seiner Umgebung zu erringen, und obgleich man ihn oft auf seinem alten Posten an der Treppe oder an seinem einsamen Fenster sah, wo er die Wellen und Wolken beobachtete, so fand man ihn doch noch öfter unter den übrigen Knaben, denen er in aller Bescheidenheit manche freiwillige kleine Dienste leistete. So kam es denn, daß selbst unter diesen starren, vom Studium in Anspruch genommenen jungen Anachoreten, die sich unter Doktor Blimbers Dach abquälten, Paul ein Gegenstand allgemeinen Interesses war – ein gebrechliches kleines Spielzeug, das man insgesamt gern hatte, und das niemand rauh behandelt haben würde. Aber sie konnten weder Pauls Wesen ändern, noch seine Analysis umschreiben, und so waren alle darin einig, daß der kleine Dombey ein altmodischer Knabe sei.
Indes knüpften sich an diesen Charakter manche Vorrechte, deren sich niemand anders erfreute. Man hätte weit eher ein neumodisches Kind missen können, und dies allein war schon viel. Wenn an Abenden, ehe man zu Bett ging, die übrigen sich nur vor Doktor Blimber und seiner Familie verbeugten, pflegte Paul sein Händchen auszustrecken und es sowohl dem Doktor, als auch Mrs. Blimber und Cornelia hinzureichen. Handelte sich's darum, von jemand eine Strafe durch Fürbitte abzuwenden, so war Paul stets der Abgesandte. Sogar der blödsichtige junge Mann hatte sich einmal mit ihm beraten, als es eine Ungeschicklichkeit in betreff von Glas und Porzellan zu vermitteln gab, und man trug sich mit dem unbestimmten Gerücht, daß selbst der Aufwärter ihm eine Geneigtheit erweise, wie dieser finstere Mann sie nie zuvor gegen einen sterblichen Knaben an den Tag gelegt hatte, indem er zuweilen in sein Tischbier etwas Porter mischte, um ihm mehr zu Kräften zu verhelfen.
Außer diesen sehr umfangreichen Privilegien erfreute sich Paul noch des Rechtes, frei in Mr. Feeders Zimmer treten zu dürfen, aus dem er Mr. Toots zweimal in die Luft hinausgeführt hatte, weil dieser Gentleman infolge eines unglücklichen Versuchs, eine sehr starke Zigarre zu rauchen, fast ohnmächtig geworden war. Diese Zigarre war ein Exemplar aus einem Bündel, das Mr. Toots am Ufer heimlich einem verzweifelten Schmuggler abgekauft hatte, der ihm selbst im Vertrauen mitteilte, daß von der Zollbehörde zweihundert Pfund, tot oder lebendig, auf seinen Kopf gesetzt seien. Mr. Feeders Zimmer war klein, und in einem Alkoven nebenan stand das Bett des Lehrgehilfen. Über dem Kamin hing eine Flöte, die Mr. Feeder noch nicht spielen konnte, obschon er, wie er sagte, im Begriffe war, sie nächstens zu lernen. Man sah auch einige Bücher und eine Angelrute, denn Mr. Feeder versicherte, er werde sich's sicherlich angelegen sein lassen, fischen zu lernen, sobald er Zeit dazu finde. In ähnlicher Absicht hatte sich Mr. Feeder auch ein schönes kleines Klapphorn aus zweiter Hand angeschafft – ferner ein Schachbrett mit Figuren, eine spanische Grammatik, Zeichenmaterial und ein Paar Boxhandschuhe. Die Kunst der Selbstverteidigung, meinte Mr. Feeder, müsse er sich ohne Zweifel zunächst zu eigen machen; dies sei die Pflicht eines jeden Mannes, da sie leicht dazu Anlaß gebe, zum Schutze für ein bedrängtes Frauenzimmer einzustehen.
Das Hauptbesitztum des Mr. Feeder bestand jedoch in einer großen grünen Flasche mit Schnupftabak, die Mr. Toots beim Schlusse der letzten Ferien als Geschenk mitgebracht und für die er einen hohen Preis bezahlt hatte, weil sie versichertermaßen früher im Besitz des Prinz-Regenten gewesen war. Zwar konnte weder Mr. Toots noch Mr. Feeder von diesem oder irgendeinem andern Schnupftabak, selbst in den winzigsten Dosen, Gebrauch machen, ohne von einem wahren Nieskrampfe befallen zu werden, aber dennoch machte es ihnen großes Vergnügen, eine Dosis mit kaltem Tee anzufeuchten, die Masse auf einem Pergamentstreifen mit der Papierschere durchzukneten und hin und wieder etwas davon zu konsumieren. Während sie so ihre Nasen vollstopften, ertrugen sie die erstaunlichsten Plagen mit der Beharrlichkeit von Märtyrern, und wenn sie in Zwischenräumen Tafelbier dazu tranken, empfanden sie an sich alle die Herrlichkeit üppiger Verschwendung.
Für den kleinen Paul, der oft stumm in ihrer Gesellschaft an der Seite seines Hauptgönners Mr. Toots saß, hatten diese Schlemmerstunden einen wahren Zauber, und wenn Mr. Feeder von den dunkeln Mysterien Londons sprach, oder Mr. Toots sich dahin äußerte, daß er in den nächsten Ferien alle Verzweigungen derselben persönlich aufs genaueste beobachten wolle – ja, daß er zu diesem Zwecke bereits Vorkehrungen getroffen habe, um bei zwei alten Jungfern zu Peckham in die Kost gehen zu können, sah ihn Paul an, als sei er der Held irgendeines Buchs voll von wilden Reise- und andern Abenteuern, und kriegte fast Angst vor einer so mutigen Person.
Eines Abends, als die Ferien nur noch um einige Tage entfernt waren, kam Paul in dieses Zimmer und traf Mr. Feeder, wie dieser eben in einigen gedruckten Schreiben freigelassene Stellen ausfüllte, während einige andere, deren Lücken bereits ergänzt waren, zerstreut umherlagen und von Mr. Toots gefaltet und gesiegelt wurden.
»Ah, bist du'«, Dombey?« – denn die beiden waren stets sehr freundlich gegen ihn und freuten sich, ihn zu sehen. Dann fuhr der Lehrgehilfe fort, indem er einen der Briefe ihm hinwarf: »Wir haben dich auch da, Dombey. Dieses Schreiben gilt dir.«
»Mir, Sir?« fragte Paul.
»Ja, 's ist deine Einladung«, entgegnete Mr. Feeder.
Paul betrachtete das Papier und fand, mit Ausnahme seines Namens und des Datums, die von Mr. Feeder eingetragen waren, in Kupferdruck, daß Doktor und Mrs. Blimber sich das Vergnügen von Mr. P. Dombeys Gesellschaft zu einer Partie auf Mittwochabend den siebenzehnten gegenwärtigen Monats erbäten; die Stunde sei halb acht Uhr und der Zweck seien Quadrillen. Mr. Toots zeigte ihm dann, indem er einen ähnlichen Bogen Papier entfaltete, daß Doktor und Mrs. Blimber sich auch das Vergnügen von Mr. Toots Gesellschaft zu einer Partie auf Mittwochabend den siebenzehnten gegenwärtigen Monate erbaten: die Stunde gleichfalls um halb acht Uhr und der Zweck wären Quadrillen. Während nun Paul den Tisch überblickte, an dem Mr. Feeder saß, bemerkte er, daß Doktor und Mrs. Blimber zu derselben gentilen Gelegenheit sich nicht nur das Vergnügen der Gesellschaft von Mr. Briggs und Mr. Tozer, sondern auch von einem jeden jungen Gentleman der Anstalt erbaten.
Mr. Feeder teilte ihm sofort zu seiner großen Freude mit, daß auch Florence eingeladen sei. Es handle sich um ein halbjährlich wiederkehrendes Fest, und da mit diesem Tage auch die Ferien beginnen würden, so könne er, wenn er wolle, unmittelbar von dieser Partie aus mit seiner Schwester den Heimweg antreten – eine Mitteilung, die Paul mit großer Freude aufnahm, indem er sagte, daß er sich recht sehr auf die Rückreise freue. Mr. Feeder gab ihm sodann zu verstehen, man erwarte von ihm, er werde Doktor und Mrs. Blimber in einem sehr schönen Handschreiben mitteilen, daß Mr. P. Dombey sich glücklich schätze, wenn er infolge der höflichen Einladung die Ehre haben könne, seine Aufwartung zu machen. Zum Schluß bemerkte der Lehrgehilfe noch weiter, er werde gut tun, in der Nähe des Doktors und der Miß Blimber des festlichen Anlasses nicht zu erwähnen, da die Präliminarien und sämtliche Vorbereitungen nach den Grundsätzen der Klassizität und der seinen Bildung eingeleitet würden; es müsse nämlich den Anschein gewinnen, als hätten einerseits der Doktor und Mrs. Blimber, andererseits aber die jungen Gentlemen in ihren scholastischen Kapazitäten nicht die mindeste Vorstellung von dem, was in Aussicht stehe.
Paul dankte Mr. Feeder für diese Andeutungen, steckte seine Einladung in die Tasche und setzte sich, wie gewöhnlich, neben Mr. Toots auf einen Schemel nieder. Aber Paul fühlte diesen Abend, daß sein Kopf, der ihn schon lange Zeit mehr oder weniger geschmerzt hatte, recht schwer und leidend wurde – so schwer, daß er ihn mit der Hand stützen mußte. Gleichwohl sank er allmählich immer weiter und weiter nieder, bis er auf Mr. Toots' Knie zu liegen kam, wo er ruhen blieb, als habe er nicht im Sinn, sich je wieder aufzurichten.
Dies war nun gerade kein Grund, warum er taub sein mußte; indes mochte es doch, wie er meinte, bei ihm so weit gekommen sein, denn er vernahm endlich, wie ihm Mr. Feeder in die Ohren rief und ihn leicht schüttelte, um seine Aufmerksamkeit zu wecken. Und als er ganz verschüchtert den Kopf erhob und umherschaute, fand er, daß sich Doktor Blimber im Zimmer befand, das Fenster offen stand und seine Stirne von zum Besprengen gebrauchtem Wasser feucht war, obschon er sich durchaus nicht denken konnte, wie all dies ohne sein Wissen vor sich gegangen sein sollte.
»Ah! recht so! So ist's gut! Wie geht es jetzt meinem kleinen Freund?« sagte Doktor Blimber ermutigend.
»O, ganz gut, danke Euch, Sir«, sagte Paul.
Mit dem Boden schien es übrigens eine eigentümliche Bewandtnis zu haben, denn Paul konnte nicht fest darauf stehen, und etwas Ähnliches mußte mit den Wänden der Fall sein, denn sie hatten Lust, stets sich im Kreise zu drehen, und konnten nur dann festgehalten werden, wenn er recht scharf darnach hinsah. Mr. Toots' Kopf sah aus, als sei er mit einem Male viel größer geworden und befinde sich in einem weit größeren Abstand als sonst, und als dieser Gentleman Paul auf seine Arme nahm, um ihn die Treppe hinaufzutragen, bemerkte der Knabe mit großem Erstaunen, daß sich die Tür an einem ganz anderen Platz befand, als er sie zu finden erwartete, ja, es kam ihm anfangs vor, als gehe Mr. Toots mit ihm geradeswegs den Schornstein hinauf.
Es war von Mr. Toots sehr freundlich, daß er Paul mit so viel Zartheit nach dem oberen Teile des Hauses hinauftrug, und der Kleine drückte ihm seine Anerkennung aus. Mr. Toots aber sagte, er würde gern noch viel mehr für ihn tun, wenn er könnte, und tat es auch, indem er Paul auskleiden half, ihn aufs liebevollste zu Bett brachte und dann unter vielem Kichern neben dem Lager Platz nahm. Mr. Feeder, B. A., dagegen lehnte sich über die untere Seite der Bettstelle weg, strich mit seinen knöchernen Händen die kleinen Borsten seines Kopfes bolzgerade, als habe er Lust, nun alles wieder recht sei, mit großer Wissenschaftlichkeit und als echter Kampfhahn gegen Paul anzurennen. Dies war so ungemein spaßhaft und obendrein so freundlich von Mr. Feeder, daß Paul, der nicht recht mit sich ins klare kommen konnte, ob er über ihn lachen oder weinen sollte, lieber beides zugleich tat.
Wie sodann Mr. Toots hinwegging und Mr. Feeder sich in Mrs. Pipchin umwandelte, – Paul dachte nicht daran, hierüber eine Frage zu stellen und war durchaus nicht neugierig, es zu erfahren – als er übrigens statt Mr. Feeder Mrs. Pipchin an der Unterseite des Bettes stehen sah, rief er ihr zu:
»O, Mrs. Pipchin, sagt es Florence nicht.«
»Was soll ich Florence nicht sagen, mein kleiner Paul«, fragte Mrs. Pipchin, indem sie um das Bettchen herum ging und sich auf den Stuhl setzte.
»Wie es mit mir steht«, sagte Paul.
»Nein, nein«, entgegnete Mrs. Pipchin.
»Was glaubt Ihr wohl, was ich zu tun gedenke, wenn ich groß bin, Mrs. Pipchin?« sagte Paul, indem er auf seinem Kissen das Antlitz gegen sie kehrte und das Kinn auf seinen gefalteten Händchen ruhen ließ.
Mrs. Pipchin konnte es nicht erraten.
»Ich habe im Sinne«, fuhr Paul fort, »all mein Geld miteinander in eine einzige Bank zu legen. Ich werde nie versuchen, noch mehr zu kriegen, sondern will mit meiner lieben Florence aufs Land ziehen, mir einen schönen Garten mit Feldern und Wäldern anschaffen und dort mein ganzes Leben mit ihr zubringen.«
»Wirklich?« rief Mrs. Pipchin.
»Ja«, sagte Paul, »So will ich's halten, wenn ich –«
Er hielt inne und sann einen Augenblick nach.
Mrs. Pipchins graues Auge forschte in seinem sinnigen Gesicht.
»Wenn ich groß bin«, sagte Paul.
Dann fuhr er fort, Mrs. Pipchin von der Abendpartie, von Florences Einladung und von der Freude zu erzählen, die es ihm machen werde, Zeuge der Bewunderung zu sein, die alle die Knaben für sie fühlen müßten; sie seien auch so freundlich gegen ihn, liebten ihn, und er liebe sie gleichfalls – ein Verhältnis, über das er recht froh sei. Auch von der Analysis wußte er zu erzählen: er sei freilich ein altmodischer Knabe, möchte aber doch auch Mrs. Pipchins Ansicht darüber hören, – ob sie nämlich nicht wisse, warum es so sei und was man darunter verstehen müsse. Mrs. Pipchin leugnete, um sich der Schwierigkeit auf die kürzeste Weise zu entwinden, die Tatsache geradezu ab: Paul war jedoch mit dieser Antwort durchaus nicht zufrieden und sah Mrs. Pipchin, um ihr eine wahrere Antwort abzuringen, so spähend an, daß sie aufstehen und zum Fenster hinaussehen mußte, um seine Augen zu vermeiden.
Es gab einen gewissen zuverlässigen Apotheker, der, wenn einer von den jungen Gentlemen krank war, die Anstalt ärztlich zu beraten pflegte, und auch dieser geriet – Gott weiß wie – in das Zimmer, um sich neben Mrs. Blimber an dem Bett aufzustellen. Paul hatte wenigstens nicht die mindeste Idee davon, wie sie hereingekommen und wie lange sie dagewesen waren: als er sie aber sah, richtete er sich in seinem Bett auf, beantwortete sämtliche Fragen des Apothekers ausführlich und flüsterte ihm zu, Florence dürfe um alles in der Welt nichts davon erfahren, denn er habe sich's in den Kopf gesetzt, daß sie sich bei der Abendgesellschaft einfinden müsse. Er plauderte viel mit dem Apotheker und sie schieden als die besten Freunde: als er sich jedoch mit geschlossenen Augen wieder niederlegte, hörte er außerhalb des Zimmers und in weiter Entfernung den Apotheker sagen – oder träumte er nur davon –, es handle sich um einen Mangel an vitalen Kräften (Paul hätte gar gern wissen mögen, was dieser Ausdruck zu bedeuten habe) und um eine große konstitutionelle Schwäche. Da der Kleine darauf erpicht sei, am siebenzehnten sich von seinen Schulkameraden zu verabschieden, so könne man ihm wohl den Willen lassen, falls es bis dahin nicht schlimmer mit ihm werde. Er sei froh, von Mrs. Pipchin zu erfahren, daß der Knabe am achtzehnten zu seinen Freunden nach London abreise. Sobald er in der Sache klarer sehe, wolle er noch vor Beginn der Ferien an Mr. Dombey schreiben. Es sei kein unmittelbarer Grund vorhanden, zu – was? Dieses Wort war Paul entgangen. Das Bürschlein habe ein recht liebes Gemüt, sei aber gleichwohl ein altmodischer Knabe.
Welche alte Mode mochte man wohl damit im Auge haben? Paul wunderte sich darüber mit klopfendem Herzen. Sie mußte ihm wohl sehr deutlich aufgedrückt sein, weil sie von so vielen Leuten bemerkt wurde.
Er konnte jedoch in der Sache nicht ins klare kommen und mochte sich auch nicht lange damit abmühen. Mr«. Pipchin befand sich wieder an seinem Bett, wenn sie sich überhaupt je davon entfernt hatte. Er meinte zwar, sie sei mit dem Doktor weggegangen, aber dies war vielleicht bloß ein Traum gewesen. Kurz, sie nahm in geheimnisvoller Weise eine Flasche und ein Glas in die Hand und schenkte den Inhalt für ihn ein. Sodann genoß er eine wirklich gute Brühe, die ihm Mrs. Blimber selbst gebracht hatte, und er fühlte sich so wohl nachher, daß Mrs. Pipchin, seinen dringenden Bitten entsprechend, nach Hause ging und Mrs. Briggs und Tozer heraufkamen, um sich zu Bett zu legen. Der arme Briggs räsonierte schrecklich über seine eigene Analysis, die ihn kaum mehr hätte dekomponieren können, wenn sie ein wirklicher chemischer Prozeß gewesen wäre: indes benahm er sich sehr freundlich gegen Paul, und Tozer, wie auch alle übrigen, taten das gleiche, denn von den jungen Gentlemen schaute vor dem Schlafengehen einer nach dem andern herein und fragte, wie es Dombey jetzt gehe – er solle nur wohlgemut sein, und dergleichen. Nachdem Briggs in die Federn gekrochen war, blieb er noch lange Zeit wach liegen und lamentierte in einem fort über seine Analysis, indem er sagte, »er wisse wohl, sie sei durchaus falsch, und man hätte einen Mörder nicht schlechter analysieren können – wie es wohl Doktor Blimber gefallen würde, wenn er wisse, daß sein Taschengeld davon abhänge. Es sei sehr leicht, meinte Briggs, einen Knaben für ein halbes Jahr zum Galeerensklaven zu machen und ihn dann als einen Müßiggänger anzuschwärzen – zweimal in der Woche ihn um sein Mittagessen zu verkürzen und ihn dann als einen Fresser zu bezeichnen. So etwas«, sagte er, »könne man sich unmöglich gefallen lassen«, und dann ging es noch geraume Zeit mit Ach und O fort.
Ehe der blödsichtige junge Mensch am nächsten Morgen die metallplatte ertönen ließ, kam er zu Paul herauf und teilte ihm mit, daß er liegen bleiben dürfe, worüber Paul sehr froh war. Mrs. Pipchin besuchte ihn eine Weile vor dem Apotheker, und bald nachher kam die gute junge Frauensperson, die Paul an jenem ersten Morgen – wie lang schien ihm dies nicht her zu sein! – beim Reinigen des Ofens getroffen hatte. Sie brachte ihm sein Frühstück. Es fand wieder in weiter Entfernung eine abermalige Konsultation statt – wenn es nicht anders ein Traum unseres Paul war, und dann kam der Apotheker mit dem Doktor und Mrs. Blimber zurück.
»Ich denke, Doktor Blimber«, sagte er, »wir können diesen jungen Gentleman jetzt seiner Bücher entbinden, da ohnehin die Ferien nahe sind.«
»Ich habe durchaus nichts dagegen einzuwenden«, versetzte Doktor Blimber. »Meine Liebe, willst du die Güte haben, Cornelia davon zu unterrichten.«
»Soll geschehen«, entgegnete Mrs. Blimber.
Der Apotheker beugte sich nieder, betrachtete sorgfältig Pauls Augen, befühlte seinen Kopf, seinen Puls, sein Herz und tat alles dies mit so viel Teilnahme, daß Paul zu ihm sagte:
»Ich danke Euch, Sir.«
»Unser kleiner Freund hat nie über etwas geklagt.«
»Ich glaube es wohl«, versetzte der Apotheker. »Man durfte es auch nicht erwarten.«
»Ihr findet ihn viel besser?« fragte Doktor Blimber.
»O ja: er ist viel besser, Sir«, erwiderte der Apotheker.
Paul begann in der ihm eigentümlichen, seltsamen Weise sich Gedanken darüber zu machen, was wohl in jenem Augenblick den Sinn des Apothekers beschäftigen mochte; denn er sah so bedenklich aus, als er Doktor Blimbers beide Fragen beantwortete. Der Apotheker begegnete jedoch den Blicken seines kleinen Patienten, als sie eben diesen geistigen Spürgang antreten wollten, und ging aus seiner Zerstreutheit augenblicklich in ein heiteres Lächeln über, das Paul erwiderte, indem er seine früheren Gedanken darüber aufgab.
Den ganzen Tag lag er schlummernd und träumend in seinem Bett, während Mr. Toots nicht von seiner Seite wich: am nächsten aber stand Paul auf und ging die Treppe hinunter. Siehe da, es mußte etwas mit der großen Wanduhr vorgegangen sein, denn ein Mechanikus, der auf einem Trippel stand, hatte das Zifferblatt heruntergenommen und tastete bei dem Licht einer Kerze mit seinen Instrumenten in dem Werk herum. Dies war ein großes Ereignis für Paul, der sich auf der untersten Treppe niedergesetzt hatte und der Operation aufmerksam zusah. Hin und wieder schaute er nach dem Zifferblatt hin, das schräg an der Wand lehnte, und es wurde ihm ganz angst dabei, denn es kam ihm vor, als ob es ihn mit großen Augen angucke. Der Mechanikus auf dem Trippel war sehr höflich und fragte, als er Pauls ansichtig wurde: »Wie geht's dir?« Paul ließ sich in eine Unterhaltung mit ihm ein und erzählte ihm, daß er in letzter Zeit nicht ganz wohl gewesen sei. Nachdem das Eis in dieser Weise gebrochen war, stellte Paul eine Menge Fragen über Glockentöne und Uhren: ob wohl des Nachts Leute in den einsamen Kirchtürmen wachten und schlagen ließen, wie die Glocken läuteten, wenn Leute sterben, und ob es andere Glocken für Hochzeiten gebe, oder ob die ersteren nur in der Einbildung der Lebenden so unheimlich tönten. Als er fand, daß sein neuer Bekannter in betreff der Feuerlöschglocke alter Zeiten nicht sehr gut unterrichtet war, erteilte er ihm Auskunft darüber und fragte ihn auch als einen Praktiker über seine Gedanken von der Idee des Königs Alfred, der die Zeit durch Verbrennen von Kerzen messen wollte. Der Mechaniker meinte, wenn etwas der Art wieder aufkäme, so glaube er, daß das ganze Uhren-Handwerk darüber zugrunde gehen müßte. Und so sah Paul zu, bis die Uhr endlich wieder ihr gewöhnliches Aussehen gewonnen hatte und abermals ihre ruhige Frage aufnehmen konnte. Dann legte der Mechanikus sein Werkzeug in einen großen Korb, wünschte ihm guten Tag und entfernte sich – aber nicht eher, bis er auf der Türmatte dem Bedienten einige Worte zugeflüstert hatte, in denen der Ausdruck »altmodisch« vorkam. Paul hatte denselben ausdrücklich verstanden.
Was mochte wohl das »altmodisch« sein, das die Leute so zu bekümmern schien? Worin konnte es liegen?
Da er jetzt nicht mehr zu lernen hatte, machte er sich häufig Gedanken darüber, obschon nicht so oft, als vielleicht der Fall gewesen wäre, wenn er weniger zu denken gehabt hätte. Stoff dazu gab es übrigens in reicher Menge, und er sann stets den ganzen Tag vor sich hin.
Einmal sollte Florence zu der Abendgesellschaft kommen. Seine Schwester sah dann, wie die Knaben ihn liebten, und dies mußte sie glücklich machen. Hierin fand er ein ergiebiges Thema. Hatte Florence einmal die Überzeugung gewonnen, daß sie sich sanft und gütig gegen ihn benahmen, ja, daß er bei allen so beliebt war, so konnte sie stete an die Zeit denken, die er hier zugebracht hatte, ohne sich sehr darüber zu grämen. Florence war vielleicht dann glücklicher, wenn er wieder zurückkam.
Wenn er wieder zurückkam! Wohl fünfzigmal des Tages glitt sein lautloser kleiner Fuß die Treppe hinauf nach seinem kleinen Stübchen, wo er jedes Buch, jeden Streifen Papier, jede Kleinigkeit, die ihm zugehörte, sammelte, um alles mit nach Haus nehmen zu können. An dem kleinen Paul bemerkte man keinen Schatten, daß er ans Zurückkommen denke; keine Vorbereitungen, keine andere Beziehung darauf war aus allem, was er dachte oder tat, zu entnehmen, als die einzige kleine, die mit seiner Schwester in Verbindung stand. Im Gegenteil, wenn er in seiner beschaulichen Stimmung im Hause umherwandelte, gab ihm alles, was ihm bekannt war, so viel Stoff zum Nachdenken, als schiede er davon für immer – und der Gegenstände waren in der Tat so viele, daß sie ihn den ganzen Tag über in Anspruch nahmen.
Er mußte in die Stübchen droben hineinsehen und dachte sich dabei, wie einsam sie sein würden, wenn er fort sei; auch hätte er wohl wissen mögen, wie viele stumme Tage, Wochen, Monate und Jahre sie fortfahren würden, ebenso ernst und ruhig auszusehen. Er stellte Betrachtungen darüber an, ob wohl je ein anderes Kind, altmodisch, wie er selbst, zu irgendeiner Zeit darin herumgehen würde – ein Kind, dem sich dieselben wilden Verzerrungen der Tapeten und des Möbelwerks vergegenwärtigten: und ob wohl jemand diesem Knaben vom kleinen Dombey erzählen werde, der einmal hier gewesen.
Ferner trugen sich seine Gedanken mit einem Porträt im obern Stock, das ihm, wenn er wegging und über seine Schultern zurücksah, immer ernst nachblickte und stets nur ihn, nicht aber irgendeinen seiner Kameraden anzuschauen schien, wenn er in Gesellschaft mit andern daran vorbeikam. Dann nahm ihn auch ein Kupferstich sehr in Anspruch, der an einem andern Platze hing: im Mittelpunkt einer verwunderten Gruppe stand eine Figur, die er kannte – eine Figur mit einem Schein um den Kopf, wohlwollend, mild und barmherzig – sie stand da und deutete mit der Hand aufwärts.
An dem Fenster seines Schlafgemachs mischten sich mit diesen noch viele andere Gedanken: sie kamen einer um den andern, wie die rollenden Wellen. Wo lebten wohl die wilden Vögel, die stets auf der See draußen ob den aufgeregten Wogen schwebten; wo stiegen die Wolken auf und wo fingen sie an: woher kam der Wind in seinem rauschenden Flug und wo machte er halt: konnte wohl die Stelle, wo er und Florence so oft gesessen, diesen Dingen zugesehen und darüber gesprochen hatten, in ihrer Abwesenheit gerade so sein, wie sie stets war; konnte sie Florence so vorkommen, wenn er sich an einem andern Orte befand und sie allein dort saß?
Dann kamen ihm Gedanken an Mr. Toots, an Mr. Feeder, B. A., an alle die Knaben, an Doktor Blimber und an Miß Blimber, an die Heimat, an seine Tante und Miß Tox, an seinen Vater Dombey und Sohn, an Walter mit dem armen, alten Onkel, der das Geld erhalten hatte, das er brauchte, und an den Kapitän mit der eisernen Hand und der rauhen Stimme. Außerdem hatte er im Laufe des Tages eine Menge kleiner Visiten zu machen – im Schulzimmer, in dem Studierstübchen des Doktors Blimber, in dem Privatgemach der Mrs. Blimber, bei Miß Blimber und bei dem Hund. Denn er hatte jetzt das ganze Haus frei für sich und konnte darin umherstreifen, wie er wollte. Da er nun wünschte, von jedermann in Liebe zu scheiden, so schenkte er allem in der ihm eigentümlichen Art seine Aufmerksamkeit. Bisweilen suchte er klassische Stellen auf für Briggs, der sie nie finden konnte, zu andern Zeiten schlug er für die jungen Gentlemen, die sich nicht zu helfen wußten, Wörter in den Diktionären nach: ein andermal verrichtete er für Mrs. Blimber das Amt eines Garnhaspels, wieder einmal ordnete er Cornelias Pult, und bisweilen schlich er sogar in das Studierzimmer des Doktors, wo er sich neben den gelehrten Füßen auf den Teppich setzte und sachte die Globusse drehte, so daß er auf der ganzen Erde herumkam oder einen Flug über die entlegensten Sterne hin machte.
In den Tagen unmittelbar vor den Ferien – mit einem Worte, als die andern jungen Gentlemen darauf losarbeiteten, als gälte es ihr Leben, um die Studien des ganzen halben Jahres zu repetieren, war Paul ein so privilegierter Zögling, wie sich nie zuvor einer im Hause aufgehalten hatte. Er konnte kaum seinen Sinnen glauben; aber seine Freiheit dauerte von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag, und der kleine Dombey wurde von jedermann geliebkost, Doktor Blimber nahm so viel Rücksicht auf ihn, daß er eines Tages Johnson aufforderte, er solle sich von der Speisetafel entfernen, weil er ihn unbedachtsamerweise als den »armen kleinen Dombey« angeredet hatte. Dies schien nun freilich unserem Paul ziemlich hart und streng, obschon er für den Augenblick errötet war und sich wunderte, warum wohl John ihn bemitleiden mochte. Diese Handhabung der Gerechtigkeit kam ihm um so bedenklicher vor, weil er abends zuvor mit eigenen Ohren gehört hatte, daß derselbe Doktor in eine Behauptung der Miß Blimber, der arme, liebe, kleine Dombey werde altmodischer als je, eingestimmt hatte. Jetzt fing denn Paul auch an zu glauben, das Altmodische müsse darin bestehen, wenn man sehr schmächtig sei, leicht müde werde und bald Lust zeige, sich irgendwo niederzulegen und auszuruhen: denn daß diese Gewohnheiten mit jedem Tag mehr und mehr bei ihm überhand nahmen, mußte er sich selbst eingestehen.
Endlich kam der Tag heran, an dem die Abendpartie stattfinden sollte, und Doktor Blimber sagte beim Frühstück: »Gentlemen, am fünfundzwanzigsten des nächsten Monats wollen wir unsere Studien wieder aufnehmen,« Mr. Toots warf nun augenblicklich seine Vasallenschaft ab, steckte seinen Ring an den Finger, und als er kurz nachher im Gespräch des Doktors Erwähnung tat, sprach er von ihm nur als von »Blimber«. Dieses freie Benehmen erfüllte die übrigen Zöglinge mit Bewunderung und Neid: die jugendlicheren Gemüter aber entsetzten sich darob und schienen sich nicht genug wundern zu können, daß kein Blitzstrahl niederfuhr und ihn zerschmetterte.
Weder beim Frühstück noch beim Mittagessen wurde die Abendfeierlichkeit auch nur im mindesten berührt: aber den ganzen Tag über herrschte durch das Haus ein unruhiges Getümmel, und im Lauf seiner Spaziergänge machte Paul Bekanntschaft mit unterschiedlichen fremden Bänken und Leuchtern: auch bemerkte er eine Harfe, die in einem grünen Überrock auf dem Flur neben der Tür des Salons lehnte. Bei dem Mittagessen zeigte der Kopf von Mrs. Blimber etwas Absonderliches, als sei das Haar allzu knapp zusammengedreht worden, und obgleich Miß Blimber auf jeder Seite der Schläfe eine zierliche Lage gescheitelten Haares zeigte, schien sie doch ihre kleinen Locken darunter in Papier und noch obendrein in einen Komödienzettel gewickelt zu haben; denn Paul las: »königliches Theater« über dem einen, und »Brighton« über dem andern ihrer funkelnden Brillengläser.
Als der Abend herannahte, sah man in den Schlafzimmern der jungen Gentlemen eine reiche Schaustellung von weißen Westen und Halsbinden: auch verbreitete sich ein so widerlicher Geruch von versengtem Haar, daß Doktor Blimber durch den Bedienten sein Kompliment vermelden und die Erkundigung anstellen ließ, ob etwa das Haus in Brand geraten sei. Es war übrigens nur der Haarkünstler, der die jungen Gentlemen bediente und in dem Eifer des Geschäfts die Zange allzu heiß gemacht hatte.
Nachdem Paul angekleidet war – hierzu hatte man nicht lange gebraucht, denn er fühlte sich unwohl und schläfrig, so daß er außerstande war, viel an sich machen zu lassen – ging er nach dem Salon hinunter, wo er Doktor Blimber in voller Gala, aber in würdevoller und ungezwungener Haltung, als halte er es für rein unmöglich, daß nachgerade eine oder die andere Person hereintreten könnte, auf und ab spazierte. Bald nachher erschien Mrs. Blimber, die, wie es Paul vorkam, sehr lieblich aussah; sie hatte eine solche Unzahl von Röcken an, daß es eigentlich zu einer Aufgabe wurde, um sie herum zu gehen. Nach der Mama erschien Miß Blimber, zwar etwas zerdrückt in ihrem Äußern, aber doch sehr bezaubernd.
Die nächsten waren Mr. Tools und Mr. Feeder, von denen jeder den Hut in der Hand hatte, wie wenn er nicht im Hause wohnte, und als sie von dem Aufwärter angemeldet wurden, sagte Doktor Blimber: »So, so – dies ist ja sehr schön!« und schien außerordentlich erfreut zu sein, sie zu sehen. Mr. Tools funkelte von Geschmeide und Knöpfen, auch schien er dies selbst in so hohem Grade zu fühlen, daß er, nachdem er dem Doktor die Hand gereicht und sich gegen Mrs. Blimber und Miß Blimber verbeugt hatte, Paul beiseite nahm und ihn fragte:
»Was sagst du zu alledem, Dombey?«
Aber trotz dieses bescheidenen Selbstvertrauens schien doch Mr. Tools sehr darüber im unklaren zu sein, ob es überhaupt vernünftig sei, den untersten Knopf seiner Weste zuzumachen, oder ob er nach ruhiger Erwägung aller Umstände seine Manschetten zurück- oder niedergeschlagen tragen solle. Als er bemerkte, daß Mr. Feeder die seinigen in der ersteren Weise behandelt hatte, so folgte er dessen Beispiel: der nächste Ankömmling aber hatte die seinigen hängend, und dies war Grund genug für Mr. Toots, sich danach zu richten. Die Unterschiede im Punkte des Zuknöpfens der Weste nicht nur unten, sondern auch oben, wurden, je nachdem mehr und mehr Personen anlangten, so zahlreich und verwickelt, daß Mr. Toots unaufhörlich an diesem Anzugsartikel fingerte, als habe er ein Instrument zu spielen, und man sah ihm deutlich an, daß ihn die fortwährende Abänderung ganz aus der Fassung brachte.
Nachdem die jungen Gentlemen in ihren steifen Krawatten, gebrannten Locken, Tanzschuhen und ihren besten Hüten in den Händen zu verschiedenen Zeiten angekündigt und hineingeführt worden waren, erschien endlich auch Mr. Baps, der Tanzlehrer, in Begleitung von Mrs. Baps, gegen die sich Mrs. Blimber besonders wohlwollend und herablassend benahm. Mr. Baps war ein sehr ernster Gentleman von langsamer und abgemessener Redeweise; auch hatte er noch keine fünf Minuten unter der Lampe gestanden, als er sich an Mr. Toots, der stumm seine Tanzschuhe mit den eignen verglichen hatte, wendete und ihn fragte, was er wohl mit dem Rohmaterial anfange, wenn es für ausgelegtes gutes Gold in die Häfen komme. Mr. Toots, den die Frage zu verwirren schien, entgegnete, er würde es »kochen«; aber Mr. Baps machte darauf eine Miene, die andeutete, daß dies wohl nicht angehen würde.
Paul glitt nun von der gepolsterten Sofaecke, die bisher sein Beobachtungsposten gewesen, herunter und begab sich in das Teezimmer hinab, um gleich beim Eintritt Florence begrüßen zu können, die er fast vierzehn Tage nicht gesehen hatte. Doktor Blimber hatte ihn nämlich am letzten Sonnabend und Sonntag zu Hause behalten, damit er sich nicht erkälte. Sie ließ nicht lange auf sich warten und sah in ihrem einfachen Ballkleide mit den frischen Blumen in der Hand so schön aus, daß er es kaum über sich gewinnen konnte, sie wieder loszulassen und sich von ihren funkelnden liebevollen Augen abzuwenden, als sie vor dem Bruder niederkniete, seinen Hals umschlang und ihn küßte; denn es war niemand zugegen, als seine Freundin und ein anderes junges Mädchen, der man das Servieren des Tees übertragen hatte.
»Aber was ist dir, Floy?« fragte Paul, denn er glaubte, in ihren Augen eine Träne glänzen zu sehen.
»Nichts, mein Herz, nichts«, entgegnete Florence.
Paul berührte ihre Wangen sanft mit einem Finger, und es war wirklich eine Träne!
»Warum, Floy?« fragte er.
»Wir gehen jetzt miteinander nach Hause, und ich werde dich pflegen«, versetzte Florence.
»Mich pflegen?« wiederholte Paul.
Paul konnte nicht begreifen, was dies damit zu schaffen haben konnte, – ebensowenig, warum die beiden jungen Mädchen ihn mit so ernster Miene ansahen, oder warum Florence für einen Augenblick ihr Antlitz abwandte und es dann wieder, von einem Lächeln erhellt, ihm zukehrte.
»Floy«, sagte Paul, indem er eine Locke ihres dunkeln Haares in seiner Hand hielt, »sage mir aufrichtig, Liebe, bist auch du der Meinung, daß ich altmodisch geworden sei?«
Seine Schwester lachte, streichelte ihn und antwortete mit einem Nein.
»Ich weiß aber, daß die Leute so sagen«, entgegnete Paul, »und ich möchte wissen, was sie damit meinen, Floy.«
An der Tür ließ sich jetzt ein lauter Doppelschlag vernehmen, und Florence eilte nach dem Tisch, so daß dieser Gegenstand nicht weiter erörtert werden konnte. Paul verwunderte sich abermals, als er bemerkte, daß seine Freundin Florence zuflüsterte, wie wenn sie dieselbe trösten wollte; aber die nun anlangenden Gäste brachten ihn bald wieder auf andere Gedanken.
Sie bestanden aus Sir Barnet Skettles, Lady Skettles und Master Skettles. Master Skettles sollte nach den Ferien in die Anstalt eintreten, und in Mr. Feeders Zimmer war die Fama bereits in Beziehung auf dessen Vater tätig gewesen; denn Mr. Feeder hatte von letzterem gesagt, wenn er einmal den Sprecher ins Auge fasse – man erwartete schon drei oder vier Jahre lang, daß er dies tun werde – könne man im voraus darauf zählen, daß er die Radikalen schlimm mitnehme.
»Was ist z.B. dies für ein Zimmer?« fragte Lady Skettles Pauls Freundin Melia.
»Doktor Blimbers Studierzimmer, Ma'am«, lautete die Antwort.
Lady Skettles nahm durch ihr Glas eine panoramische Musterung vor und sagte mit beifälligem Nicken zu Sir Barnet Skettles:
»Sehr gut.«
Sir Barnet pflichtete bei, aber Master Skettles machte augenscheinlich eine bedenkliche, zweifelhafte Miene.
»Und dieses kleine Wesen da«, sagte Lady Skettles, sich zu Paul wendend – »ist er einer von den –«
»Jungen Gentlemen, Ma'am? Ja, Ma'am«, entgegnete Pauls Freundin.
»Und wie heißt du, blasses Kind?« fragte Lady Skettles. »Dombey«, antwortete Paul.
Nun ergriff Sir Barnet Skettles das Wort und sagte, er habe das Vergnügen gehabt, Pauls Vater bei einem öffentlichen Diner zu treffen – er hoffe, daß sich derselbe wohl befinde. Dann hörte ihn Paul zu Lady Skettles sagen: »City – sehr reich – höchst respektabel – der Doktor hat davon gesprochen.« Hierauf fuhr er gegen Paul fort:
»Willst du die Güte haben, deinem Papa zu sagen, daß Sir Barnet hocherfreut sei, von seinem Wohlbefinden Kunde erhalten zu haben, und daß er ihm seine besten Komplimente sende?«
»Ja, Sir«, antwortete Paul.
»Schön, mein wackerer Junge«, sagte Sir Barnet Skettles. »Barnet«, fügte er gegen Master Skettles gewendet hinzu, der sich für die künftigen Studien an dem Pflaumenkuchen rächte, »dies ist ein junger Gentleman, den du kennenlernen mußt. Dies ist ein junger Gentleman, Barnet, dessen Bekanntschaft du machen darfst«, schloß Sir Barnet Skettles, auf seine Erlaubnis einen großen Nachdruck legend.
»Welche Augen! Welches Haar! Welch ein liebliches Gesicht!« rief Lady Skettles in sanftem Tone, als sie Florence durch ihr Glas betrachtete.
»Meine Schwester«, sagte Paul, indem er sie vorstellte.
Die Freude der Skettlese war nun vollständig. Und da Lady Skettles sich dies beim eisten Augenblick gedacht hatte, weil sie Paul so gar ähnlich sehe, so gingen sie miteinander die Treppe hinauf. Sir Barnet Skettles nahm Florence unter seine Obhut, und der junge Skettles folgte.
Nachdem sie den Salon erreicht hatten, blieb der junge Barnet nicht länger im Hintergrund, denn Doktor Blimber hatte ihn sogleich veranlaßt, daß er mit Florence tanzte. Wie es Paul vorkam, schien er nicht besonders froh, sondern war im Gegenteil etwas störrisch und achtete nicht viel darauf, was er trieb; da aber der kleine Dombey Lady Skettles, während sie mit ihrem Fächer den Takt schlug, zu Mrs. Blimber sagen hörte, ihr lieber Knabe sei sichtlich in diesen Engel von einem Kind, in die Miß Dombey, sterblich verliebt, so mußte sich Skettles junior wohl in einem Glücksrausch befinden, ohne etwas davon merken zu lassen.
Dem kleinen Paul fiel es als merkwürdig auf, daß niemand seinen Sitz auf den Polstern eingenommen hatte, und daß, als er wieder ins Zimmer kam, alle ihm für den Rückweg Platz machten, sich daran erinnernd, daß es der seine sei. Auch trat niemand vor ihn hin, als man bemerkte, daß er Florence so gern tanzen sah, sondern der Raum vor ihm blieb ganz frei, so daß er ihr stets mit seinen Augen folgen konnte. Auch die Fremden, von denen bald viele eintrafen, benahmen sich sehr gütig gegen ihn, denn sie kamen häufig zu ihm, redeten ihn an und fragten ihn, wie er sich befinde, ob ihn der Kopf schmerze, und ob er müde sei. Für alle diese Aufmerksamkeiten fühlte er sich sehr verpflichtet, und er blieb, Mrs. Blimber und Lady Skettles auf dem gleichen Sofa neben sich, in seiner Ecke sitzen, während Florence, so oft sie einen Tanz beendigt hatte, eine Weile an seiner Seite Platz nahm. Bei solchen Gelegenheiten drückte sich das Gefühl des inneren Glücks auf seinem Gesichtchen aus.
Florence würde den ganzen Abend nicht von seiner Seite gewichen sein und aus eigenem Antrieb gar nicht getanzt haben; aber Paul bewog sie dazu, indem er ihr sagte, wie sehr es ihn freue, sie tanzen zu sehen. Auch hatte er hierin vollkommen die Wahrheit gesprochen, denn sein kleines Herz klopfte schneller, und sein Gesicht glühte, als er bemerkte, wie sie von allen bewundert wurde, und wie sie die einzige schöne Rosenknospe des Zimmers war.
Von seinem Nest in den Kissen aus konnte Paul fast alles, was vorging, sehen und hören, als ob das Ganze nur auf seine Unterhaltung berechnet sei. Unter andern kleinen Vorfällen bemerkte er, daß sich der Tanzmeister Mr. Baps mit Sir Barnet Skettles in ein Gespräch einließ und an denselben bald die gleiche Frage wie an Mr. Toots stellte, was er nämlich mit dem Rohmaterial anfinge, wenn es für gute Zahlung in Gold nach den Häfen gelange. Dies klang für Paul so geheimnisvoll, daß er gar zu gern gewußt hätte, was damit zu geschehen habe. Sir Barnet Skettles jedoch hatte auf diese Frage gar viel zu erwidern, wenngleich es nicht den Anschein hatte, als ob sie dadurch zur Lösung kommen sollte, denn Mr. Baps entgegnete:
»Ja, aber gesetzt der Fall, Rußland träte mit seinem Talg dazwischen?« Dies brachte Sir Barnet fast zum Verstummen, denn er konnte darauf bloß den Kopf schütteln und sagen: »Ja nun, dann müssen wir uns eben auf unsere Baumwolle werfen.«
Sir Barnet Skettles sah Mr. Baps nach, wie dieser sich entfernte, um Mrs. Baps aufzuheitern, die, ganz verlassen dastehend, tat, als mustere sie das Notenheft des Gentleman, der die Harfe spielte. Augenscheinlich hielt er ihn für einen merkwürdigen Menschen und erklärte dies bald nachher auch dem Doktor, zu dem er sagte, ob er sich wohl die Freiheit nehmen dürfe, zu fragen, wer dieser Herr sei und ob er wohl je in der Handelskammer gesessen habe. Der Doktor antwortete verneinend; er glaube nicht, daß dies der Fall sei, denn er kenne ihn bloß als einen Professor der –
»Einer mit der Statistik verwandten Wissenschaft – ich wollte darauf schwören!« bemerkte Sir Barnet Skettles.
»Dies gerade nicht, Sir Barnet«, versetzte Doktor Blimber, sich das Kinn reibend. »Nein, nicht ganz so.«
»Jedenfalls wollte ich eine Wette darauf eingehen, daß er sich auf Zahlen versteht«, sagte Sir Barnet Skettles.
»Das könnte sein, doch nicht in der Art, wie Ihr meint, Sir«, sagte Doktor Blimber. »Mr. Baps ist ein sehr würdiger Mann, Sir Barnet, und in der Tat nichts anderes, als unser Professor der Tanzkunst.«
Paul war nicht wenig erstaunt, wahrzunehmen, daß diese Mitteilung die Ansicht des Sir Barnet Skettles von Mr. Baps ganz und gar umwandelte, und daß Sir Barnet in eine richtige Wut geriet, und düstere Blicke zu Mr. Baps auf der andern Seite des Zimmers hinüberschoß. Ja, er ging sogar so weit, die Bitterkeit seines Herzens vor Lady Skettles auszuschütten, indem er ihr erzählte, was vorgefallen war, und sich über die unerhörte maßlose Unverschämtheit dieses Menschen ereiferte.
Noch etwas anderes fiel Paul auf. Nachdem nämlich Mr. Feeder etliche Kelche Glühwein zu sich genommen hatte, fing er an, warm zu werden. Der Tanz verlief im allgemeinen sehr formell, und die Musik erinnerte so ziemlich an die in der Kirche; aber nach besagten Kelchen bemerkte Mr. Feeder zu Mr. Toots, daß er nun ein bißchen Feuer in die Sache werfen wolle. Er fing nun nicht nur an zu tanzen, als sei er auf Tanzen erpicht, sondern suchte auch insgeheim die Musik anzuspornen, daß sie lustigere Weisen spiele. Auch wurde er sehr aufmerksam gegen die Damen, und als er mit Miß Blimber tanzte, flüsterte – ich sage flüsterte er ihr zu, obschon nicht so leise, daß nicht für Paul ein Stückchen merkwürdiger Poesie abgefallen wäre:
»Wär' treulos auch mein Herz erschaffen.
Euch könnt es kränken sicher nie!«
 
Dann hörte Paul ferner, wie er dieselben Worte der Reihe nach vor vier jungen Damen wiederholte. Wohl mochte der B.A. Grund haben, zu Mr. Toots zu sagen, er fürchte, er werde es morgen zu büßen haben.
Mrs. Blimber war ob diesem – beziehungsweise gesprochen – abscheulichen Benehmen etwas beunruhigt, namentlich aber ob der Änderung in dem Charakter der Musik, die jetzt Gassenhauer zu spielen begann, denn die Besorgnis lag nahe genug, es könnte dadurch bei Lady Skettles Anstoß erregt werden. Lady Skettles war jedoch so gütig, Mrs. Blimber zu bitten, sie möchte doch der Sache ja nicht erwähnen, und nahm die Erklärung, daß Mr. Feeders Temperament bei solchen Gelegenheiten gerne Sprünge mache, mit der größten Feinheit und Höflichkeit auf; er scheine ihr, sagte sie, für seine Stellung ein recht gebildeter Mensch zu sein, und namentlich gefalle ihr der anspruchslose Schnitt seines Haars, das, wie wir bereits angedeutet haben, ungefähr ein Viertel Zoll lang war.
Als einmal in dem Tanz eine Pause eintrat, bemerkte Lady Skettles zu Paul, er scheine ein großer Freund von Musik zu sein. Paul erwiderte, daß er Musik sehr liebe, und wenn es bei ihr auch der Fall sei, so sollte sie einmal seine Schwester Florence singen hören. Lady Skettles machte nun plötzlich die Wahrnehmung, daß sie vor Begierde fast sterbe, sich dieses Vergnügens zu erfreuen, und obgleich Florence anfangs sehr ängstlich war, als sie aufgefordert wurde, vor so vielen Leuten zu singen, und aufs dringendste um Entschuldigung bat, begab sie sich doch unverweilt an das Piano, als ihr Paul zurief:
»Ich bitte, tu es, Floy – um meinetwillen, Liebe!«
Alle traten nun ein wenig beiseite, um Paul die Aussicht nicht zu versperren, und als er das zarte Wesen allein dort sitzen sah – so jung, so wohlwollend, so schön und so liebevoll gegen ihn – als er hörte, wie ihre von Natur aus so süße Stimme, dieses goldene Kettenglied zwischen ihm und allem Glück, aller Liebe seines Lebens, das Schweigen brach, wandte er sein Gesicht ab, um seine Tränen zu verbergen. Nicht, wie er sagte, als man ihn darüber befragte, weil die Musik zu wehmütig und melancholisch war – nein, weil sie ihm so warm und lieb zu Herzen ging.
Sie alle liebten Florence. Wie hätten sie auch anders können? Paul hatte es voraus gewußt, daß es so kommen werde und müsse; und wie er so in seiner gepolsterten Ecke dasaß, die Hände ruhig gefaltet und das eine Bein leicht untergeschlagen, konnten sich nur wenige eine Vorstellung machen, welche süße Ruhe er empfand, oder welch einen Triumph, welches Entzücken seinen kindlichen Busen schwellte, während er zu ihr hinblickte. Von seiten sämtlicher Knaben klangen verschwenderische Lobpreisungen über »Dombeys Schwester« an sein Ohr, und auf jeder Lippe drückte sich Bewunderung der ruhigen, bescheidenen, kleinen Schönheit aus. Man sprach unaufhörlich von ihrem Verstand, von ihren Talenten, und wie von Sommernachtslüften getragen verbreitete sich ringsher eine Stimmung voll Sympathie für Florence und ihn – eine Stimmung, die beschwichtigend und rührend auf ihn einwirkte.
Er wußte nicht warum; denn alles, was der Knabe jenen Abend bemerkte, fühlte und dachte – Gegenwärtiges und Abwesendes – was er damals sah und was gewesen war, erschien ihm in dem bunten Farbenspiel des Regenbogens, in dem des Gefieders schöner Vögel, wenn sie von der Sonne beleuchtet werden, oder in dem weichen Lichte des Abendhimmels nach der untergegangenen Sonne. Die vielen Dinge, die in letzter Zeit seinen Geist beschäftigt hatten, schwebten in der Musik an ihm vorbei – nicht als ob sie abermals seine Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen oder ihn je wieder beschäftigen wollten, sondern als Gegenstände, die friedlich vergangen und dahin sind. Ein einsames Fenster, durch das er vor Jahren geschaut hatte, wies hinaus auf einen Ozean, Meilen und Meilen weit; auf seinen Gewässern schlummerten die Phantasien, die ihn erst gestern noch so vielfach beschäftigt hatten, still und ruhig gleich abebbenden Wellen. Dasselbe geheimnisvolle Gemurmel, über das er sich so oft gewundert, wenn er am Gestade auf seinem Ruhebette lag, meinte er noch immer durch den Gesang seiner Schwester, durch das Gesumm der Stimmen und durch die Fußtritte zu hören: er schien teilzuhaben an den Gesichtern, die an ihm vorbeischwebten, und sogar an der schwerfälligen Gentilität des Mr. Toots, der häufig zu ihm kam, um ihm die Hand zu drücken. Er meinte, es zu hören durch das allgemeine Wohlwollen, das ihm zuteil wurde, und selbst der Ruf seines altmodischen Wesens schien damit in Verbindung zu stehen, obschon er nicht wußte, wie. So saß der kleine Paul sinnend, sinnend und horchend, zuschauend und träumend da; er fühlte sich sehr glücklich.
Endlich kam die Zeit zum Abschiednehmen, und nun fand in der Tat unter der Gesellschaft eine große Aufregung statt. Sir Barnet Skettles brachte Skettles junior heran, daß er ihm die Hand reichen solle, und ersuchte ihn, seinem guten Papa unter Vermeidung seiner besten Komplimente zu bemerken, er, Sir Barnet Skettles, habe gesagt, er hoffe, die beiden jungen Gentlemen würden sehr gute Bekannte werden. Lady Skettles küßte ihn, strich ihm das Haar aus der Stirn und hielt ihn in ihren Armen; ja, sogar Mrs. Baps – die arme Mrs. Baps! Paul freute sich darüber – kam von dem Notenheft des harfenspielenden Gentleman herüber und verabschiedete sich von ihm ebenso herzlich wie nur irgend jemand im Zimmer.
»Gott befohlen, Doktor Blimber«, sagte Paul, seine Hände ausstreckend.
»Gott befohlen, mein kleiner Freund«, entgegnete der Doktor.
»Ich danke Euch recht sehr, Sir«, entgegnete Paul, unschuldig zu seinem ehrfurchtgebietenden Gesicht aufblickend. »Habt doch die Güte, zu befehlen, daß man für Diogenes Sorge trage.«
Diogenes war der Hund, der nie zuvor einen Freund in sein Vertrauen aufgenommen hatte. Paul war der erste. Der Doktor gab die Zusage, daß es in Pauls Abwesenheit Diogenes an nichts fehlen solle, und der Knabe dankte abermals dafür, indem er ihm wiederholt die Hand reichte. Dann verabschiedete er sich von Mrs. Blimber und Cornelia mit so herzlich gefühlter Innigkeit, daß erstere von diesem Augenblick an vergaß, Lady Skettles gegenüber des Ciceros zu erwähnen, obschon sie sich den ganzen Abend mit diesem Vorhaben getragen hatte. Cornelia nahm Pauls beide Hände in die ihrigen und sagte:
»Dombey, Dombey, du bist stets mein liebster Zögling gewesen. Gott behüte dich!«
Und hierin zeigte sich Pauls Ansicht nach, wie leicht man einer Person unrecht tun konnte; denn Miß Blimber war es Ernst mit ihren Worten und sie fühlte tief dabei, obschon sie im übrigen gegen ihre Schüler das Zwangssystem liebte.
Und nun lief unter den jungen Gentlemen das Gemurmel herum, daß Dombey gehe. Dem Ruf »der kleine Dombey tritt den Heimweg an!« folgte ein allgemeiner Aufbruch, Paul und Florence nach in die Halle hinunter, und die ganze Familie Blimber schloß sich dem Zuge an. Solches hatte sich, wie Mr. Feeder laut sagte, soweit seine Erfahrung reichte, nie bei einem früheren jungen Gentleman zugetragen; aber es war zweifelhaft, zu ermitteln, ob sich's hier um eine nüchterne Tatsache handelte, oder ob die Kelche auch ihren Teil daran hatten. Die Bedientenschaft, der Tafeldecker an der Spitze, hatte insgesamt ein großes Interesse daran, den kleinen Dombey abreisen zu sehen, und sogar der blödsichtige junge Mann, der Pauls Bücher und Effekten in die Kutsche beförderte, die den Knaben und Florence zum Übernachten nach Mrs. Pipchins Wohnung bringen sollte, zerschmolz sichtlich.
Nicht einmal der Einfluß der sanfteren Leidenschaft auf die jungen Gentlemen – und sie alle waren bis auf den letzten herunter in Florence ganz vernarrt – konnte sie abhalten, sich von Paul sehr lärmend zu verabschieden. Sie schwenkten ihm ihre Hüte nach, drängten sich auf ihn zu, um ihm mit dem Rufe »Dombey, vergiß mich nicht!« die Hand zu reichen, und ergingen sich in vielen ähnlichen Ausrufen, wie man sie unter dergleichen jungen Chesterfields nicht oft findet. Als Florence unsern Paul, ehe die Tür geöffnet wurde, besser einhüllte, flüsterte er ihr zu, ob sie dies höre, ob sie es je vergessen werde, und ob sie sich dieser Teilnahme freue. Bei diesen Fragen lag ein Strahl innigen Entzückens in seinen Augen.
Um einen letzten Blick auf seine Bekannten zu werfen, drehte er sich noch einmal um und war nicht wenig erstaunt, zu sehen, wie glänzend, wie zahlreich und wie dicht aneinander gedrängt die Gesichter waren, wie in einem übervollen Theater. Wahrend er so zu ihnen hinschaute, kamen sie ihm vor wie Köpfe in einem schwankenden Spiegel, und im nächsten Augenblick saß er draußen in der dunklen Kutsche, sich fest an Florence anschmiegend. So oft er von dieser Zeit an Doktor Blimbers Anstalt zurückdachte, vergegenwärtigte sich ihm nur dieser letzte Anblick; sie schien ihm nichts Wirkliches mehr zu sein, sondern stets nur ein Traum, voll von Augen.
Indes war dies nicht die allerletzte Beziehung zu Doktor Blimbers Etablissement, sondern es gab auch noch eine andere. Wir meinen Mr. Toots, der unerwarteter Weise eins von den Kutschenfenstern niederließ, hereinsah und mit einem ganz erstaunlichen Kichern fragte: »Ist Dombey da?« Dann zog er die Blende unverweilt wieder auf, ohne auf eine Antwort zu warten. Aber auch hiermit ließ es Mr. Toots noch nicht bewenden, denn ehe die Kutsche abfahren konnte, machte er mit dem nämlichen Kichern denselben Prozeß an dem andern Fenster, fragte mit dem gleichen Ton der Stimme: »Ist Dombey da?« und verschwand genau so wie früher.
Wie Florence darüber lachte! Paul erinnerte sich oft daran und konnte sich gleichfalls bei solchen Gelegenheiten des Lachens nicht erwehren.
Aber bald nachher – am nächsten Tage und den folgenden – kam noch viel, dessen sich Paul nur verwirrt entsinnen konnte. Warum er zum Beispiel Tage und Nächte in Pipchins Wohnung blieb, statt nach Hause zu gehen, warum er im Bette lag, während Florence an seiner Seite saß, ob sein Vater im Zimmer gewesen oder ob er nur einen hohen Schatten an der Wand gesehen, ob er seinen Doktor oder irgend jemand anders sagen gehört hatte, er hätte wohl vor Gram dahinschwinden können, wenn man ihn von dem Gegenstand entfernt hätte, auf den er im Verhältnis zu seiner Schwäche seine Sympathien so fest gebaut habe.
Er konnte sich nicht einmal erinnern, ob er oft zu Florence gesagt hatte: »o Floy, nimm mich nach Hause und verlaß mich nie!« meinte aber doch, es müsse so gewesen sein. Bisweilen stellte er sich vor, er habe sich selbst wiederholt die Worte sagen hören: »bring' mich nach Hause, Floy – bring' mich nach Hause.«
So viel war ihm übrigens im Bewußtsein, daß er nach Hause gekommen und die wohlbekannten Treppen hinaufgetragen worden war, daß eine Kutsche viele Stunden hintereinander gerasselt habe, während er auf dem Sitz saß, und daß bei dieser Gelegenheit Florence nicht von seiner Seite gewichen, während die alte Mrs. Pipchin den Platz ihm gegenüber eingenommen. Er entsann sich auch seines alten Bettes, in das man ihn wieder legte, seiner Tante, Miß Tox und der Susanna Nipper; aber es war auch etwas anderes da – etwas ihm Neues, das ihn sehr verwirrte.
»Seid so gut, mich mit Florence sprechen zu lassen«, sagte er, »Mit Florence allein – nur für einen Augenblick.«
Sie beugte sich zu ihm nieder, und die andern traten zurück.
»Floy, mein Herz, war nicht der Papa in der Halle, als man mich aus der Kutsche herausholte?«
»Ja, mein Lieber.«
»Nicht wahr, er weinte nicht und ging in sein Zimmer, Floy, als er mich herankommen sah?«
Florence schüttelte ihr Köpfchen und drückte ihre Lippen an seine Wangen.
»Ich bin recht froh darüber, daß er nicht weinte«, sagte der kleine Paul. »Es kam mir so vor. Du mußt nicht davon reden, was ich dich gefragt habe.« 
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