Wie schön nahm sich doch Salerno von der See aus gesehen aus, als wir an dem lieblichen Morgen absegelten. Sechs kräftige Bootsleute führten die Ruder; ein kleiner Knabe schön zum Malen, saß zusammengekauert am Steuer; er hieß Alphonso. Das Wasser war grün und hell wie Glas. Die ganze Küste rechter Hand glich mächtigen schwebenden Gärten, von der kühnen Semiramis der Phantasie angelegt. Wie Bogengänge lagen unten an der See offne tiefe Höhlen, tief hinein schlugen die Wellen der Brandung und spielten darin. Auf der hervorspringenden Felsenspitze lag ein Kastell, eine Wolke glitt unter den Zinnen desselben hin. Wir sahen Minuri und Majuri, und bald darauf Masaniellos und Flavio Giojas [Fußnote] Geburtsstadt, Amalfi, das zwischen den grünen Weingärten freundlich hervorschimmerte.
Die große Schönheitsfülle überwältigte mich. Möchten doch alle Geschlechter der Erde diese Herrlichkeit schauen können! Kein Sturm aus Norden oder Westen bringt dem blühenden Garten, auf dessen Terrasse Amalfi liegt, Kälte und Winter. Nur von Osten und Süden her weht ein Luftzug, ein warmer Luftzug aus dem Lande der Orangen und Palmen hin über das herrliche Meer.
Amphitheatralisch erhebt sich die Stadt mit ihren weißen Häusern, deren Dächer überall nach der morgenländischen Bauart flach sind; noch höher den Berg hinauf steigen die Weingärten; dort, wo auf dem Bergrücken das alte Kastell mit seiner Ringmauer der Wolke zum Stütz- und Richtpunkt dient, ragt der grüne Schirm einer einsamen Pinie hoch in die blaue Luft.
Die Fischer mußten uns aus dem Boote durch die Brandung ans Land tragen. Tiefe Höhlen in den Felsen zogen sich bis unter die Stadt; in einzelne strömt das Wasser hinein, andere standen leer, die Boote waren zum Teil ans Land gezogen, und ein lustiges Gewimmel glücklicher Kinder spielte darin, die meisten nur in einem Hemde oder höchstens noch in einer kurzen Weste, die ihre ganze Bekleidung ausmachten. Halbnackte Lazzaroni streckten sich in dem warmen Sande; die braune Kappe, ihre wichtigste Bedeckung, war, während sie ihren Mittagsschlaf hielten, bis über die Ohren gezogen. Alle Kirchenglocken läuteten, ein Zug von jungen Geistlichen in lila Röcken ging unter Psalmengesang an uns vorüber. Ein frischer Blumenkranz hing um das Bild des Gekreuzigten.
Hoch über der Stadt liegt linker Hand unmittelbar an einer tiefen Felsenhöhle ein prächtiges großes Kloster. Dies dient allen Fremden zur Herberge. Francesca wurde in einen Tragsessel gesetzt, wir gingen den tief in den Felsen eingehauenen Weg hinterher, tief unter uns lag das klare blaue Meer. Wir hielten vor der Klosterpforte, die tiefe Felsenhöhle dicht daneben gähnte uns entgegen. Drei Kreuze mit dem Erlöser und den Schächern standen darin, und über denselben, oben auf dem Felsen knieten Engel in bunten Kleidern und mit großen weißen Flügeln. Kein Kunstwerk war es, alles war aus Holz gebildet und nur dürftig angestrichen; aber ein frommes gläubiges Herz atmet in dem rohgestalteten Bilde seine eigne Schönheit.
Durch den kleinen Klosterhof stiegen wir bald zu den uns angewiesenen Zimmern hinauf; von meinem Fenster aus überschaute ich das unendliche Meer bis nach Sizilien; wie silberweiße Punkte standen die Schiffe an dem fernen Horizonte.
»Herr Improvisator,« sagte Gennaro, »wollen wir nicht zu den niedrigeren Regionen hinabsteigen und nachsehen, ob die Schönheit dort ebenso groß ist wie hier? Die weibliche ist es sicher, denn die englischen Damen, welche wir hier zu Nachbarinnen haben, sind doch auch allzu kalt und bleich. Sie haben doch Sinn für die Weiber? Um Vergebung! Diese sind es ja gerade, welche Sie in die Welt hinausgetrieben und mir einen angenehmen Abend und eine interessante Bekanntschaft verschafft haben!«
Wir stiegen den Felsenpfad hinab.
»Das blinde Mädchen bei Pästum war doch schön,« sagte Gennaro; »ich denke, ich werde sie mir nach Neapel verschreiben, sobald ich nach Kalabreserwein schreibe; beide bringen mein Blut zum Sieden.« Wir kamen nach der Stadt, die, wenn ich mich so ausdrücken darf, wunderbar auf und über sich selbst gepackt dalag. Ihr gegenüber mußte einem der schmale Ghetto in Rom wie ein prächtiger Korso vorkommen. Die Gassen waren eigentlich nur enge Durchgänge zwischen den hohen Häusern und durch dieselben. Bald kam man durch eine Thür in einen langen Flur mit kleinen Oeffnungen auf beiden Seiten, welche in dunkle Gemächer führten, bald passierte man eine schmale Gasse zwischen Mauern und Felsenwänden, treppauf und treppab, ein halbdunkles Labyrinth unsauberer Gänge. Ich wußte oft nicht, ob wir uns in einer Stube oder in einer Straße befanden. An den meisten Stellen brannten auch Lampen, sonst wäre es, obschon mitten am Tage, finstere Nacht gewesen.
Endlich atmeten wir freier und standen auf einer steinernen Brücke, die zwei Felsenlücken miteinander verband. Der kleine Platz unten in der Tiefe war gewiß der größte in der ganzen Stadt. Zwei Mädchen tanzten daselbst Saltarello, und ein kleiner vollkommen nackter Junge, schön gebildet und mit braunen Gliedern, stand wie ein Amor und sah ihnen zu. Hier fröre man nie, erzählte man mir, die strengste Kälte, welche man in Amalfi seit vielen Jahren empfunden hätte, waren acht Grad Wärme.
Dicht neben dem kleinen Turme auf dem vorspringenden Felsengrund, von wo man die schöne Bucht bis Minuri und Majuri überschaut, wand sich ein kleiner Pfad zwischen Aloen und Myrten dahin, und bald wandelten wir im Schatten hoher Weinbogen weiter. Wir fühlten einen brennenden Durst und lenkten unsere Schritte nun nach einem weißen Gebäude, welches am Ende des Gartens zwischen dem frischen Grün gar freundlich hervorguckte. Die milde warme Luft war mit lauter Duft erfüllt, wunderbar schöne bunte Insekten schwirrten rund um uns.
Das Haus, vor welchem wir standen, war höchst malerisch; in die Wand waren als Zierat einige unter dem Schutt gefundene Marmorkapitäler und ein ebenfalls daselbst entdeckter schöner Arm und Fuß eingemauert. Auf dem Dache selbst befand sich ein schöner Garten von Orangen und üppigen Schlingpflanzen, die wie grüne Samtdecken über die Mauer hinaushingen. Vor dem Hause blühte eine Wildnis von Monatsrosen. Zwei hübsche kleine Mädchen, im Alter von sechs bis sieben Jahren, spielten und wanden Kränze; aber am schönsten war doch die junge Frau mit der weißleinenen Binde um das Haar, die uns an der Thür entgegenkam. Der seelenvolle Blick, die langen dunklen Augenwimpern, die edlen Formen –, ja, sie war sehr schön! – Wir zogen den Hut deshalb auch tiefer ab.
»Das schönste Mädchen besitzt also dieses Haus?« sagte Gennaro. »Will dasselbe wohl als Hausmutter zwei müden Wandersleuten einen Labetrunk reichen?«
»Die Hausmutter thut es mit Vergnügen!« sagte sie lächelnd, und die schneeweißen Zähne hoben die roten frischen Lippen noch mehr hervor; »ich will ihnen den Wein hier heraus ins Freie bringen, allein ich habe nur eine einzige Sorte.«
»Wenn Sie ihn einschenken, wird er vortrefflich,« sagte Gennaro; »ich trinke ihn am liebsten, wenn ihn mir ein junges Mädchen, die so schön ist wie Sie, kredenzt.«
»Indes müssen Eccellenza heute mit der Frau vorlieb nehmen!«
»Sie sind verheiratet!« sagte Gennaro lächelnd. »So jung!«
»O ich bin sehr alt!« sagte sie und lachte.
»Wie alt?« fragte ich. Sie sah mir fragend ins Auge und antwortete: »Achtundzwanzig Jahre.« Sie war kaum älter als fünfzehn Jahre, aber prächtig ausgewachsen; eine Hebe konnte nicht schöner dargestellt werden.
»Achtundzwanzig!« sagte Gennaro; »ein schönes Alter, welches Ihnen recht gut steht! – Sind Sie lange verheiratet?«
»Zwanzig Jahr!« erwiderte sie, »erkundigen Sie sich nur bei meinen Töchtern!« Die kleinen Mädchen, welche wir hatten spielen sehen, kamen in demselben Augenblicke gerade auf uns zu. »Ist das eure Mutter?« fragte ich, obwohl ich recht gut wußte, daß es nicht der Fall war. Sie sahen dieselbe lächelnd an, nickten darauf Ja und schmiegten sich liebkosend an sie. Sie brachte uns den Wein, einen herrlichen Wein, und wir tranken ihre Gesundheit.
»Der da ist ein Dichter, ein Improvisator!« sagte Gennaro und wies auf mich. »Er hat allen Damen in Neapel den Kopf verdreht. – Aber er ist ein Kieselstein, ein sonderbares Menschenkind! Denken Sie sich nur, er haßt alle Frauenzimmer, hat noch nie ein Weib geküßt.«
»Das ist unmöglich!« sagte sie und lachte.
»Ich dagegen bin von einem ganz anderen Schlage, ich liebe alles Schöne, küsse alle schönen Lippen, bin sein treuer Genosse und versöhne so die Welt und die Weiber, wohin wir kommen. – Ich setze es auch durch, fordere es bei jedem schönen Weibe als ein Recht und erwarte auch hier jetzt meinen Tribut.« Er ergriff dabei ihre Hand.
»Ich entbinde Sie sowohl wie die andere Eccellenza gern von jeder Mühewaltung. Ueberhaupt habe ich mit der Bezahlung des Tributs nicht das Geringste zu thun; das ist etwas, was mein Mann stets persönlich abmacht.«
»Und wo ist er?«
»Nicht allzu weit!« erwiderte sie.
»Eine so schöne Hand habe ich in Neapel noch nicht gesehen,« sagte Gennaro. »Was kostet ein Kuß auf dieselbe?«
»Einen Scudo!« entgegnete sie.
»Einer auf die Lippen also das Doppelte?«
»Der ist für keinen Preis zu erhalten; mein Mann hat sich das Nutzungsrecht vorbehalten!« Während dieses Gesprächs schenkte sie uns wieder den wärmenden starken Wein ein, scherzte und lachte mit uns, aber aus dem lustigen Geplauder erfuhren wir doch, daß sie erst vierzehn Jahr alt wäre und sich im vorigen Jahre mit einem jungen schönen Manne verheiratet hätte, der sich augenblicklich in Neapel befände und erst morgen heimkehrte. – Die kleinen Mädchen wären ihre Geschwister und bis zur Rückkunft ihres Mannes bei ihr auf Besuch. – Gennaro bat dieselben um einen Rosenstrauß, und sie liefen, da er ihnen einen Carlin versprochen hatte, um ihn zu pflücken.
Vergebens bat er sie um einen Kuß, sagte ihr tausend süße Schmeicheleien und schlang seinen Arm um ihren Leib. Sie riß sich los und schalt, kam aber trotzdem immer zurück, denn es belustigte sie doch. Er nahm einen Louisdor zwischen die Finger, erzählte, was für schöne Bänder sich für denselben kaufen ließen, wie prächtig sie sich in ihrem dunklen Haare ausnehmen würden, und diese ganze Herrlichkeit könnte sie für einen einzigen Kuß, den sie ihm gäbe, erhalten.
»Die andere Eccellenza ist weit besser,« sagte sie und wies auf mich. – Mein Blut brannte, ich ergriff sie bei der Hand und sagte, sie sollte nicht auf ihn hören, es wäre ein schlechter Mensch, sollte sein verführerisches Gold nicht ansehen, sondern sich dadurch an ihm rächen, daß sie mir einen Kuß gäbe.
Sie sah mich an.
»Er hat in seiner ganzen Rede nur ein einziges wahres Wort gesagt, daß ich nämlich noch nie ein Weib geküßt habe. Ich habe meine Lippen rein erhalten, bis ich die Schönste fände; und nun hoffe ich, daß Sie die Tugend belohnen.«
»Sie sind ja ein meisterhafter Verführer!« rief Gennaro. »Sticht er nicht sogar mich aus, der ich mich doch auf das Handwerk verstehe!«
»Sie sind trotz Ihrem Golde ein Bösewicht,« sagte sie, »und damit Sie sehen, daß ich mir weder aus dem Golde noch aus einem Kusse etwas mache, so soll der Improvisator einen haben.« Dabei drückte sie ihre Hände um meine Wangen, ihre Lippen berührten die meinigen, und sie verschwand hinter dem Hause.
Als die Sonne untergegangen war, saß ich oben im Kloster auf meinem kleinen Zimmer und sah zum Fenster hinaus über das Meer; es glänzte rosenrot und die Brandung schlug brausend an das Ufer. Die Fischer zogen ihre Boote auf das Land, und als die Dunkelheit zunahm, leuchteten die Lichter heller und die Brandung schimmerte bläulich; alles war so unendlich still. Da sangen die Fischer mit Frauen und Kindern einen Choral am Strande; die kindlichen Sopranstimmen mischten sich mit dem tiefen Baß, und Wehmut durchzitterte meine Seele. Eine Sternschnuppe zog blitzartig am Himmel hin, sie schien hinter den Weinbogen niedergefallen zu sein, wo mich heute die lustige junge Frau geküßt hatte. Ich dachte daran, wie schön sie war, dachte an das blinde Mädchen, das Schönheitsbild bei den Tempelruinen, aber Annunziata stand im Hintergrunde, geistig und körperlich schön, also doppelt schön! Meine Brust hob sich, meine Seele brannte vor Liebe, vor Sehnsucht und Verlangen. Die reine Flamme, welche Annunziata in meinem Herzen angezündet hatte, das Opferfeuer, dessen Priesterin sie war, sie hatte es verlassen, wild brannte nun das Feuer in dem ganzen Gebäude. »Ewige Mutter Gottes!« betete ich, »meine Brust ist voller Liebe, mein Herz ist vor Sehnsucht und Verlangen zum Zerspringen!« Und ich ergriff die Rosen, welche im Glase standen, drückte die schönste an meine Lippen und dachte an Annunziata.
Länger konnte ich es nicht aushalten, ich ging zum Meere hinab, wo sich die leuchtende Brandung brach, wo der Fischer sang und der Wind Kühlung wehte. Ich stieg zu der steinernen Brücke hinauf, auf welcher ich heute gestanden hatte. Eine in einen großen Mantel eingehüllte Gestalt schlich sich dicht an mir vorüber; ich erkannte sie, es war Gennaro. Er schlug den Fußpfad nach dem kleinen weißen Hause ein; ich folgte ihm leise. Jetzt schwebte er dicht an dem Fenster vorbei, durch welches der Lampenschein bis zu uns herausfiel. Hier nahm ich, zwischen dem herabhängenden Weinlaube verborgen, Platz und konnte nun in die Stube hineinsehen. Auf der entgegengesetzten Seite, wo eine hohe Treppe nach dem Seitenzimmer führte, befand sich ein ähnliches Fenster.
Die beiden kleinen Mädchen lagen, fast entkleidet, nur das Hemdchen lose um sich, auf den Knieen und sangen vor dem kleinen Tische, auf welchem das Kruzifix und die Lampe stand. Die älteste Schwester, das Hausmütterchen, was sie ja war, kniete in der Mitte. Es war die Madonna mit zwei Engeln, ein lebendes Altarbild, wie von Raffael gemalt, was ich vor mir sah. Ihr dunkles Auge war in die Höhe geschlagen, das Haar floß in reicher Fülle über die nackten Schultern hinab, die Hände falteten sich über der jugendlich schönen Brust.
Mein Pulsschlag ging schneller, ich wagte kaum zu atmen. Jetzt erhoben sich alle drei; sie begleitete die kleinen Mädchen die Treppe hinauf bis nach dem Seitenzimmer, schloß die Thüre hinter ihnen und beschäftigte sich nun in dem vordersten Zimmer mit allerlei häuslichen Arbeiten. Ich sah, wie sie aus einem Schubfach ein rotes Zeichenbuch hervorholte, es mehrmals umwandte und lächelte, auch im Begriff stand es zu öffnen, allein in demselben Augenblick den Kopf schüttelte und es wieder in das Schubfach warf, als ob sie jemand überraschte.
Einen Augenblick darauf hörte ich ein leises Klopfen an das entgegengesetzte Fenster; erschreckt blickte sie dorthin und lauschte; es klopfte wieder, und ich hörte jemand reden, ohne ein einziges Wort auffangen zu können.
»Eccellenza!« rief sie laut, »was wollen Sie? Weshalb kommen Sie um diese Zeit her? Um Himmels willen! Ich bin darüber böse, sehr böse.«
Er sagte wieder etwas.
»Ja, ja, es ist wahr!« rief sie, »Sie haben Ihr Zeichenbuch vergessen! Meine kleine Schwester war unten im Wirtshause, um es Ihnen zu bringen, aber Sie wohnen gewiß oben im Kloster! Frühmorgens hätte dieselbe Sie dort aufgesucht. Hier ist es!«
Sie holte es hervor, er sagte wieder einige Worte, sie schüttelte den Kopf.
»Nein, nein! Was fällt Ihnen ein! Ich öffne Ihnen die Thüre nicht! Sie kommen nicht herein!« Darauf ging sie nach dem Fenster und riegelte es auf, um ihm das Buch zu reichen. Er griff nach ihrer Hand, sie ließ das Buch fallen und es blieb auf dem Fensterbrett liegen. Gennaro steckte darauf den Kopf hinein, und die junge Frau schritt schnell nach dem Fenster hinüber, vor welchem ich stand, so daß ich jedes Wort, das Gennaro sagte, zu hören vermochte.
»Und Sie wollen mir nicht gestatten, Ihre schöne Hand zum Danke zu küssen? Wollen nicht den geringsten Findelohn annehmen? Mir nicht einmal einen Becher Wein reichen? Ich brenne vor Durst! Darin liegt doch nicht das geringste Böse. – Weshalb wollen Sie mir nicht einzutreten gestatten?«
»Nein,« sagte sie, »wir haben um diese Zeit nichts miteinander zu besprechen! Nehmen Sie, was Sie vergessen haben, und lassen Sie mich das Fenster schließen!«
»Ich gehe nicht,« versetzte Gennaro, »ehe Sie mir nicht Ihre Hand reichen, ehe Sie mir nicht den Kuß geben, um den Sie mich heute betrogen und ihn dem dummen Menschen gaben.«
»Nein, nein,« erwiderte sie, mußte aber trotz ihres Aergers doch lachen, »Sie wollen sich erzwingen, was Sie nicht bekommen, deshalb will ich es gerade nicht, thue ich es gerade nicht!«
»Es ist das letzte Mal,« sagte Gennaro in einem weichen und flehenden Tone, »bestimmt das letzte Mal, daß wir uns sehen, und da können Sie mir die geringe Gunst versagen, mir die Hand zu reichen! Mehr verlange ich nicht, obgleich Ihnen mein Herz tausenderlei zu sagen hat. – Die Madonna will ja, daß wir Menschen einander wie Brüder und Schwestern lieben sollen! Als Bruder will ich mein Gold mit Ihnen teilen. Sie sollen sich schmücken und doppelt so schön werden wie Sie sind! Alle Freundinnen werden Sie beneiden und niemand soll unser Glück sehen!« Und bei den letzten Worten sprang er mit einem Satze zum Fenster hinein.
Sie stieß einen Schrei aus, »Jesus Maria!« Heftig klopfte ich an das Fenster, vor dem ich stand, so daß das Glas klirrte, und wie von einer unsichtbaren Macht getrieben, stürmte ich nach dem offenen Fenster, indem ich dabei, um doch eine Art Waffe zu haben, eine Latte von einem Weinspaliere losriß.
»Bist du es, Nicolo?« rief sie laut.
»Ich bin es!« antwortete ich tief und fest. Ich sah Gennaro sich zum Fenster hinausflüchten, sein Mantel flatterte im Winde, und die Lampe erlosch, es wurde ganz finster im Zimmer.
»Nicolo!« rief sie am Fenster und ihre Stimme bebte. »Du wieder hier? Die Madonna sei gelobt!«
»Signora!« stammelte ich.
»All ihr Heiligen!« hörte ich sie ausrufen. Das Fenster flog zu, ich stand draußen wie angenagelt. Einige Augenblicke waren verstrichen, als ich sie leise durch das Zimmer schreiten hörte, die Kammerthür öffnete und schloß sich wieder. Ich vernahm, wie ein Riegel vorgeschoben wurde. »Nun ist sie sicher!« dachte ich, und schlich mich leise fort; ich fühlte mich so wohl, so wunderbar froh ums Herz. »Nun habe ich doch den Kuß bezahlt, den ich heute empfing!« sagte ich zu mir selbst; »vielleicht hätte sie mir noch einen zugegeben, hätte sie gewußt, welch ein Schutzengel ich für sie gewesen bin.«
Als ich im Kloster anlangte, wurde ich gerade zum Abendessen gerufen; niemand hatte mich vermißt. Aber Gennaro kam nicht, Francesca wurde unruhig, Fabiani sandte Boten auf Boten, endlich kam er. Er wäre auf den Bergen spazieren gegangen und hätte sich verirrt, so erzählte er, allein zum Glück hätte er einen Bauer getroffen, der ihn auf den rechten Weg geführt hätte. »Ihr Rock ist auch ganz zerrissen,« sagte Francesca. Gennaro griff nach dem Zipfel. »Ja,« entgegnete er, »das Stück sitzt in einem Dornbusche, ich merkte es gleich. Der Himmel mag auch wissen, wie ich mich so verirren konnte. Der Abend war so schön, die Dunkelheit brach so plötzlich ein, und ich wollte deshalb den Weg etwas abschneiden, kam aber gerade dadurch von demselben ab.«
Wir lachten über sein Abenteuer, das ich freilich besser kannte und tranken auf seine Gesundheit; der Wein war ausgezeichnet, und wir wurden recht aufgeräumt. Als ich später auf meinem Zimmer saß, kam Gennaro, dessen Schlafgemach nur durch eine Thür von dem meinigen getrennt war, halb entkleidet zu mir herein, lachte, legte mir vertraulich die Hand auf die Schulter und bat mich, nicht zu viel von der schönen Frau zu träumen, die wir heute gesehen hätten.
»Den Kuß erhielt ich doch!« sagte ich scherzend.
»O ja, den erhielten Sie,« erwiderte er lächelnd, »aber glauben Sie, ich wäre das Stiefkind geblieben?«
»Es hat wenigstens den Anschein!« versetzte ich.
»Ich bin noch nie das Stiefkind gewesen!« sagte er in kaltem Tone, in dem fast etwas Bitteres lag; aber ein leichtes Lächeln spielte wieder um seinen Mund und er flüsterte: »Könnten Sie schweigen, würde ich Ihnen etwas erzählen.«
»Erzählen Sie dreist!« bat ich. »Niemand soll auch nur eine Silbe von mir erfahren!« Und ich erwartete nun seine Klagen über das übelausgefallene Abenteuer zu vernehmen.
»Ich vergaß heute absichtlich mein Zeichenbuch oben bei der schönen Frau, um einen Scheingrund zu haben, gegen Abend wieder zu ihr zu kommen, denn dann sind die Frauen nicht so streng. Dort bin ich gewesen. Beim Ueberklettern der Gartenmauer und beim Hindurchzwängen durch die Hecken habe ich mir den Rock zerrissen.«
»Und die schöne Frau?« fragte ich.
»Sie war doppelt schön,« entgegnete er und nickte bedeutungsvoll, »doppelt schön und gar nicht streng, als wir allein waren. Das wußte ich ja schon im voraus. Dir gab sie einen Kuß, mir gab sie tausend und ihr Herz als Zugabe. Ich will die ganze Nacht von meinem Glücke träumen! Armer Antonio!« Er warf mir einen Kußfinger zu und sprang in sein Bett.
Der Morgenhimmel war, als wir das Kloster verließen, wie mit einem grauen Flor bedeckt. Am Strande erwarteten uns flinke Matrosen, die uns wieder in das Boot hineintrugen. Die Reise ging nach Capri, der Flor des Himmels zerriß in leichte Wolken, die Luft wurde doppelt hoch und klar, nicht eine Welle rührte sich. Das schöne Amalfi verschwand hinter den Felsen. Gennaro warf einen Kußfinger dorthin, indem er mir zuraunte: »Dort haben wir Rosen gepflückt!«
»Du stachest dich wenigstens an den Dornen!« dachte ich und nickte bejahend.
Das große unendliche Meer bis nach Sizilien und Afrika hinab breitete sich vor uns aus; linker Hand lag Italiens Felsenküste mit ihren seltsamen Höhlen. Vor einzelnen derselben lagen kleine Städte, die gleichsam um sich zu sonnen aus ihren Höhlen herausgetreten zu sein schienen; in anderen saßen Fischer, die ihr Essen kochten oder ihre Boote neben der hohen Brandung teerten.
Das Meer glich einem fetten blauen Oele; wir steckten die Hände in das Wasser, und sie schimmerten ebenso bläulich wie dieses. Der Schatten, welchen unser Boot auf das Wasser warf, war von dem reinsten Dunkelblau, die Schatten der Ruder bildeten bewegliche Schlangen in allen Abstufungen von Blau.
»Herrliches Meer!« jubelte ich, »den Himmel ausgenommen ist doch in der ganzen Natur nichts so schön wie du!« Ich dachte daran, wie ich als Kind oft auf dem Rücken gelegen und mich in die blaue unendliche Luft hinaufgeträumt hatte. Jetzt schien sich mein Traum in Wirklichkeit aufgelöst zu haben. Wir kamen an drei kleinen Felseneilanden »I galli« vorüber; mächtige, übereinander geworfene Steinblöcke waren es, Riesentürme, aus der Tiefe emporgerichtet und andere über diese gestürzt. Hoch schlug die blaue Brandung gegen die grünen Steinmassen. Im Sturm mußte es eine Scylla mit ihren heulenden Hunden sein.
Still schlummerte die Wasserfläche um das nackte steinreiche Kap Minerva, wo im Altertume die Sirenen wohnten. Vor demselben lag das romantische Capri, wo Tiberius in Wollust geschwelgt und über den Meerbusen nach Neapels Küste geschaut hatte. Das Segel unseres Bootes wurde aufgehißt, und von Wind und Wellen getragen, näherten wir uns der Insel. Jetzt sahen wir erst so recht des Wassers unendliche Reinheit und Klarheit. Es war so vollkommen durchsichtig, als glitten wir über Luft hin, jeder Stein, jedes Rohr, fadentief unter uns, war deutlich; mir schwindelte, als ich aus dem Boote in die Tiefe hinabblickte, über welche wir dahinglitten.
Nur von einer Seite ist die Insel Capri zugänglich; ringsum steile senkrechte Felsenmauern, nach Neapel zu senken sie sich amphitheatralisch mit Weingärten, Orangen- und Olivenhainen. Unten am Strande liegen einige Fischerhütten und ein Wachthaus. Höher hinauf blickte zwischen den grünen Gärten das Städtchen Anna Capri hervor; eine ganz kleine Zugbrücke und ein Thor führen hinein. In Paganis Wirtshause, vor dessen Thüre eine hohe Palme steht, hielten wir Rast.
Auf Eseln gedachten wir nach der Mittagsmahlzeit zu den Ruinen der Villa des Tiberius hinauf zu reiten; jetzt jedoch erwartete uns das Frühstück, und zwischen diesem und dem folgenden Mittagsessen wollten sich Francesca und Fabiani ausruhen, um Kräfte für den bevorstehenden Ausflug zu sammeln. Gennaro und ich fühlten kein Bedürfnis dazu. Die Insel kam mir nicht größer vor, als daß wir sie nicht ganz gut in ein paar Stunden umrudern und uns die hohen Felsenthore ansehen könnten, die sich gegen Süden isoliert aus dem Wasser hervorheben.
Wir nahmen ein Boot und zwei Ruderer; ein leichter Wind hatte sich erhoben, so daß wir ungefähr während des halben Weges die Segel gebrauchen konnten. Die See brach sich an den niedrigen Schären. Zwischen denselben lagen Fischnetze ausgespannt, so daß wir, um diese nicht zu verletzen, zunächst ein Stück weiter hinaus in das Meer stechen mußten. Es war eine köstliche lustige Fahrt in dem kleinen Boote. Bald sahen wir vom Meere nach dem Himmel zu nur die senkrechten Felsen, die grauen Steinmassen, hier und da in den Spalten eine Aloe oder eine wilde Levkoje, aber nicht einmal so viel festen Boden, daß er auch nur für einen Steinbock genügt hätte. Unten in der Brandung, die wie ein bläuliches Feuer in die Höhe schlug, wuchsen an den Felsen die blutroten Seeäpfel, die, feucht vom Wasser, einen doppelten Glanz hatten. Es schien, als blutete der Felsen bei jedem Wellenschlage.
Jetzt lag uns das offene Meer zur Rechten, die Insel zur Linken. Große Höhlen, von denen nur der oberste Teil der Oeffnung ein wenig über das Wasser ragte, zeigten sich in der Felsenwand, einzelne wurden nur beim Zurückströmen der Wellen sichtbar. In ihnen wohnen die Sirenen; das blühende Capri, welches wir umschifften, bildet nur das Dach ihres Felsenschlosses.
»Ja, böse Geister hausen dort,« sagte der eine Ruderer, ein alter Mann mit silberweißem Haare. »Schön soll es dort sein, aber sie lassen ihren Raub nicht wieder los und kommt doch einmal jemand wieder von dort unten zur Oberwelt empor, so ist ihm für diese Welt der Verstand erloschen.«
Etwas weiter vor uns zeigte er uns eine Oeffnung, die zwar ein wenig größer als die andern war, aber doch nicht so groß, daß unser Boot, sogar ohne Segel und wenn wir uns in demselben ausstreckten, hätte hindurchkommen können.
»Das ist das Hexenloch,« [Fußnote] flüsterte der Jüngere, der am Steuer saß und jetzt etwas mehr vom Felsen abhielt. »Dadrinnen ist alles von Gold und Edelsteinen, aber man verbrennt in den Feuerflammen, wenn man hineinkommt! – Santa Lucia bitte für uns!«
»Hätte ich nur eine der Sirenen hier im Boote!« sagte Gennaro. »Aber schön müßte sie sein! Wir würden schon mit ihr auskommen.«
»Ihr Glück bei allen Damen,« sagte ich lächelnd, »würde sich auch hier geltend machen.«
»Auf der schwellenden See muß man gerade küssen und umarmen, das ist der Wellen ewiges Spiel! Ach,« seufzte er, »hätten wir nur die schöne Frau von Amalfi. War das ein Weib! Nicht wahr? Sie nippten ja doch auch den Nektar ihrer Lippen. Wie köstlich, wie zurückhaltend sie sich stellen konnte! Sie hätten sie nur gestern Abend sehen sollen, sie brannte heftiger als ich.«
»Nein, nein,« sagte ich, halb unwillig über seine unverschämte Prahlerei. »Das ist ja gar nicht der Fall, ich weiß es besser.«
»Wie soll ich dies verstehen?« fragte er und sah mir ganz erstaunt ins Gesicht.
»Ich habe es selbst gesehen, der Zufall führte mich dorthin! Ich zweifle sonst durchaus nicht daran, daß Sie großes Glück haben, aber diesmal wollen Sie nur Scherz mit mir treiben.« – Er sah mich noch immer schweigend an.
»Ich gehe nicht,« sprach ich Gennaro lächelnd nach, »ehe Sie mir nicht den Kuß geben, um den Sie mich betrogen und ihn dem dummen Menschen gaben.«
»Signore! Sie haben mich belauscht!« sagte er mit furchtbarem Ernste, und ich sah, wie er erbleichte. »Wie können Sie wagen mich zu beleidigen? Sie müssen sich mit mir schlagen oder Sie haben meine volle Verachtung!«
Daß meine Rede diese Wirkung auf ihn ausüben würde, hatte ich nicht erwartet.
»Gennaro, das kann nicht Ihr Ernst sein!« rief ich und ergriff ihn bei der Hand; er zog sie zurück, antwortete mir nicht, sondern befahl den Matrosen uns an Land zu setzen.
»Wir müssen um die Insel herum,« sagte der Alte, »nur dort, wo wir ausfuhren, können wir wieder landen.«
Sie legten sich in die Ruder, und bald näherten wir uns den hohen Felsengewölben in dem blauen schwellenden Wasser; aber Zorn und Kummer bewegten mein Gemüt; ich betrachtete Gennaro, der mit seinem Stocke ins Wasser schlug.
»Una tromba!« rief der jüngste der Matrosen; und über die See schwebte vom Kap Minerva aus eine kohlschwarze Wolkensäule in schräger Richtung vom Meere zum Himmel empor. Das Wasser kochte rings um dieselbe. Schnell ließen sie das Segel unseres Bootes fallen.
»Wohin steuern wir?« fragte Gennaro.
»Zurück, zurück!« sagte der Jüngere.
»Wieder um die ganze Insel?« fragte ich.
»Unter Lee, dicht an die Felsenwand heran; die Wasserhose scheint ihre Richtung weiter von der Insel ab zu nehmen.«
»Die Brandung wird das Boot an den Felsen zerschmettern!« sagte der Alte und griff rasch in das Ruder:
»Ewiger Gott!« stammelte ich, denn die schwarze Wolkensäule kam mit Windeseile über das Wasser daher, als wollte sie gerade an Capris Felsenwand, an der wir uns befanden, entlang gehen. Sie mußte uns mit sich in die Höhe wirbeln, oder uns dicht an der senkrechten Felsenwand in die Tiefe hinabdrücken. Ich griff mit dem Alten in das Ruder, Gennaro half dem Jüngeren, aber schon hörten wir den Wind pfeifen und das Wasser vor dem Fuße der Wasserhose kochen, es war, als ob sie selbst uns von sich fort treiben wollte.
»Santa Lucia, errette uns!« riefen beide Seeleute, ließen die Ruder los und sanken auf die Kniee.
»Ergreift doch die Ruder!« rief Gennaro, aber totenbleich sahen sie gen Himmel. – Da sauste der Orkan über unsere Köpfe dahin. Zur Linken zog, nicht weit von uns, schwarze Nacht über die Wogen, sie hoben uns hoch, hoch in die Höhe, schlugen schaumweiß über das Boot, die Luft drückte, als sollte uns das Blut aus den Augen springen, es wurde Nacht, des Todes Nacht. Ich fühlte nur eins, daß das Meer über mir lag, daß ich, daß wir alle des Meeres, des Todes Beute waren. Mein Bewußtsein verließ mich.
Lebhafter als die Größe des Vulkans, ebenso stark wie die Trennung von Annunziata, steht mir der Anblick vor der Seele, den ich hatte, als sich mein Auge wieder öffnete. Der blaue Aether war tief unter mir, über mir und ringsum. Ich bewegte den Arm und gleich elektrischen Feuerfunken sprühten Millionen Sternschnuppen um mich her. Vom Luftstrome wurde ich getragen; ich war nun tot und schwebte durch den Aether zu Gottes Himmel empor; doch ein schweres Gewicht lag auf meinem Haupte, es war meine irdische Sünde. Sie zog mich abwärts und der Luftstrom schlug, kalt wie die See, über meinen Kopf. Mechanisch tastete ich vor mir her, ich fühlte einen festen Gegenstand und klammerte mich an denselben an. Todesmattigkeit hatte sich meiner bemächtigt, ich fühlte, es war weder Blut noch Mark in mir. Mein Leichnam lag gewiß auf des Meeres Tiefe, meine Seele stieg jetzt der großen Entscheidung entgegen. »Annunziata!« seufzte ich. Mein Auge schloß sich wieder. Diese Ohnmacht muß lange gedauert haben. – Ich atmete wieder und fühlte mich gestärkter, mein Bewußtsein war klarer. – Ich lag auf einer kalten festen Masse, wie es mir vorkam, auf einer Felsenspitze, hoch in dem unendlichen blauen Aether, der mich rings umleuchtete. Ueber mir wölbte sich der Himmel, mit seltsamen kegelförmigen Wolken, blau wie er selbst. Alles war Ruhe, alles war unendlich still; aber eine eisige Kälte durchschauerte mich. Langsam erhob ich den Kopf. Meine Kleider waren blaue Flammen, meine Hände schimmerten wie Silber, und doch fühlte ich, daß sie körperlich waren. Meine Gedanken strengten sich an: Gehörte ich dem Tode oder dem Leben an? Ich tauchte die Hand in die eigentümlich glänzende Luft unter mir. Ich griff in eine Welle hinein, und doch war es eine Flamme, blau, wie brennender Spiritus, aber kalt wie Wasser. Aehnlich der Wasserhose draußen auf der See, nur kleiner und bläulich funkelnd, stand eine unförmliche und hohe Säule neben mir. War es mein Schreck, meine Erinnerung, die mir dies Bild vorspiegelten? Ich wagte es nach einigen Augenblicken zu berühren. Es war fest wie Stein, kalt wie dieser; ich tastete mit der Hand in den halbdunkeln Raum hinter mir und traf auf eine feste glatte Mauer, aber dunkelblau wie der Nachthimmel. Wo war ich? – Einen leuchtenden See hatte ich für Luft unter mir gehalten; er brannte bläulich, aber ohne Hitze zu verbreiten. War er es, der alles rundum erleuchtete, oder leuchteten die Felsenwände und das Gewölbe hoch über mir? War es die Wohnung des Todes, die Grabzelle meiner unsterblichen Seele? Eine irdische Aufenthaltsstätte war es nicht. In allen Uebergängen von Blau leuchtete jeglicher Gegenstand; ich selbst stand in einem Glanze, den das Licht von innen herausströmte.
Dicht neben mir war eine ausgehauene Treppe, die aus mächtigen Saphiren zu bestehen schien; jede Stufe war ein ungeheuerer Block dieses funkelnden Steines. Ich wollte hinaufsteigen, aber Felsenstücke verschlossen mir den Eingang. War ich nicht würdig dem Himmlischen näher zu treten? Beladen mit dem Zorne eines Menschen gegen mich, war ich aus der Welt gegangen. Wo war Gennaro, wo die beiden Ruderer?
Ich war allein, ganz allein; ich dachte an meine Mutter, an Domenica, Francesca, an sie alle und fühlte, daß meine Phantasie mir kein Blendwerk erschuf; der Glanz, welchen ich schaute, war vorhanden, so wie ich selbst es war, geistig oder körperlich. In einer Felsenspalte stand frei und offen ein Gegenstand da, den ich berührte. Es war eine Concha, schwer und groß. Sie war voller Gold- und Silbermünzen, ich befühlte die einzelnen Stücke, und mein Aufenthaltsort wurde mir immer seltsamer. Dicht an der Wasserfläche bemerkte ich, nicht weit von der Stelle, an der ich mich befand, einen klaren blauen Stern, der einen einzigen langen Strahl ätherrein über den Wasserspiegel warf. Plötzlich gewahrte ich, daß er wie der Mond verdunkelt wurde, ein schwarzer Gegenstand zeigte sich, und ein kleines Boot glitt über das brennende blaue Wasser hin. Es war, als wäre es aus der Tiefe emporgestiegen und schwömme leicht über dieselbe hin. Ein alter Mann ruderte langsam, das Wasser färbte sich bei jedem Ruderschlage rosenrot. In dem anderen Teile des Bootes saß noch eine menschliche Gestalt, es war, so viel ich sehen konnte, ein Mädchen. Schweigend, unbeweglich, wie Steinbilder, saßen sie, nur des Alten Hände bewegten sich mit dem Ruder. Ein sonderbar tiefer Seufzer erreichte mein Ohr; es war, als ob ich schon früher einen ähnlichen gehört hatte. – Sie ruderten in einem Kreise umher und näherten sich darauf der Stelle, wo ich stand. Der Alte legte die Ruder in das Boot, und das Mädchen erhob die Hände und rief tief schmerzlich: »O Mutter Gottes verlaß mich nicht! – Hier bin ich ja, wie du gesagt hast!«
»Lara!« rief ich laut. Sie war es. Ich erkannte ihre Stimme, ihre Gestalt, es war Lara, das blinde Mädchen von den Tempelruinen in Pästum.
»Gieb mir das Augenlicht! Laß mich Gottes schöne Welt sehen!« betete sie weiter. Es war, als hätte eine Tote geredet; es bebte mir durch die Seele. Die Schönheit der Welt, von der ich ihr durch meinen Gesang eine Ahnung eingehaucht hatte, verlangte sie von mir. – Meine Lippen verstummten, schweigend breitete ich meine Arme nach ihr aus. Noch einmal erhob sie sich. »Verleih mir –!« stammelten ihre Lippen, und sie sank in das Boot zurück. Das Wasser spritzte feurige Tropfen um sie her. Einen Augenblick beugte sich der Alte über sie, stieg darauf zu meinem Standorte hinauf, sein Blick ruhte auf mir, ich sah ihn das Kreuzeszeichen in der Luft machen, darauf ergriff er die mächtige kupferne Concha, setzte sie in das Boot und stieg selbst hinein. Instinktmäßig folgte ich ihm in das Schifflein, sein verwunderter Blick starrte mich unablässig an. Nun ergriff er das Ruder und wir fuhren auf den leuchtenden Stern zu. Ein kalter Luftstrom drang uns entgegen; ich neigte mich über Lara, eine enge Felsenöffnung schloß sich um uns, aber nur einen Augenblick, dann lag das Meer, das große Meer in seiner unendlichen Ausdehnung vor uns, und hinter uns ragten die senkrechten Felsen himmelwärts. Aus einer kleinen finsteren Oeffnung waren wir herausgekommen; dicht neben derselben befand sich ein niedriger, mit einzelnen Sträuchern und dunkelroten Blumen bewachsener Abhang. Der Neumond leuchtete wunderbar hell.
Lara richtete sich in die Höhe. – Ich wagte nicht ihre Hand zu berühren, sie war ein Geist, in einer Geisterwelt befand ich mich; ich fühlte, daß ich es mit keinem Traumbild meiner Phantasie zu thun hatte.
»Gieb mir die Kräuter!« sagte sie und streckte ihre Hand aus. – Es war, als müßte ich der Stimme des Geistes folgen. Ich betrachtete die grünen Sträucher, die roten Blumen, welche auf dem niedrigen Abhange unter den hohen Felsen wuchsen. Ich stieg aus dem Boote, pflückte die seltsam duftenden Blumen und reichte ihr den Strauß. Da befiel Todesmattigkeit meine Glieder, ich sank in die Kniee, aber noch sah mein Auge, wie der Alte das Kreuzeszeichen schlug, die Blumen nahm und Lara in ein größeres Boot hob, welches an der Seite lag. Das kleinere wurde hinten angebunden, das Segel gehißt, und sie segelten fort, hin über die See. Ich streckte meine Hände nach ihnen aus, aber der Tod näherte sich meinem Herzen, es war, als ob es brechen sollte.
»Er lebt!« war das erste Wort, welches ich wieder vernahm, ich schlug die Augen auf und erblickte Fabiani und Francesca. Es stand noch ein Fremder neben mir, der meine Hand hielt und mir ernst und überlegend ins Auge schaute.
– Ich lag in einem schönen großen Zimmer, es war Tag.
– Wo war ich? Das Fieber brannte in meinem Blute; nur langsam und nach und nach erfuhr ich, wie ich hierher gekommen, wie ich gerettet worden war.
Als Gennaro und ich gestern nicht zurückkehrten, war man unsertwegen sehr besorgt gewesen; auch die Fischer hatten nichts von sich hören lassen, und als man nun in Erfahrung brachte, daß man eine Wasserhose die südliche Küste der Insel hatte entlang brausen sehen, da hielt man unser Schicksal für entschieden. Zwei Fischerboote wurden sofort ausgesandt die Insel zu umfahren, so daß sie sich unterwegs begegnen mußten, aber keine Spur von uns oder dem Boote war zu entdecken. Francesca hatte geweint, sie war mir doch so gut; mit Schmerz beklagte sie auch Gennaro und die armen Seeleute. – Fabiani hatte keine Ruhe, selbst wollte er alles durchsuchen, wollte jede Felsenspalte durchspähen, ob sich nicht einer von uns durch Schwimmen dorthin gerettet hätte, der nun vielleicht den schrecklichsten Tod, den Tod durch Hunger und Angst, erlitt; denn von keiner Seite konnte man zu den Menschen emporsteigen. Früh am Morgen ruderte er mit vier kräftigen Männern aus dem Hafen, untersuchte die frei im Meere stehenden Felsenthore, die einzelnen Felsenspalten. Die Ruderer wollten sich dem fürchterlichen Hexenloche nicht nähern, aber Fabiani befahl ihnen, auf den kleinen grünen Abhang loszusteuern. – Als er sich demselben näherte, gewahrte er auf ihm eine Gestalt ausgestreckt liegen. Ich war es, ich lag wie eine Leiche zwischen den grünen Sträuchern. Meine Kleider waren vom Winde halb getrocknet, sie hoben mich in das Boot, er deckte mich mit seinem Mantel zu, rieb mir die Brust und Hände und fühlte dabei, daß ich schwach atmete. Sie brachten mich an das Land und in ärztliche Behandlung – ich war wieder unter der Zahl der Lebendigen, Gennaro und beide Seeleute waren ertrunken. Ich mußte alles erzählen, dessen ich mich noch erinnern konnte, und ich redete von der seltsam strahlenden Höhle, in der ich erwacht war, von dem Boote mit dem alten Fischer und dem blinden Mädchen, aber alle sagten, es wäre ein Hirngespinst meiner Phantasie, ein Fiebertraum in der Nachtluft. Ich mußte es ja beinahe selbst glauben und doch konnte ich es wieder nicht, es stand mir zu lebendig vor der Seele.
»Bei dem Hexenloche fanden Sie ihn?« fragte der Arzt und schüttelte den Kopf.
»Sie glauben doch nicht etwa, daß dieser Ort mehr Kraft und Einfluß besitzt, als jeder andere?« entgegnete Fabiani.
»Die Natur ist eine Kette von Rätseln,« erwiderte der Arzt; »erst die wenigsten haben wir gelöst.«
Es wurde Licht in meiner Seele. Das Hexenloch, jene Welt, von der unsere Seeleute geredet hatten, worin alles funkelnd und blitzend, alles Feuer und Strahlen war, hatte die See mich vielleicht in dasselbe geworfen? Ich erinnerte mich der engen Oeffnung, durch welche uns das Boot hinausgetragen hatte. War es Wirklichkeit oder Traum? Hatte ich in die Geisterwelt hineingeschaut? Die Gnade der Madonna hatte mich gerettet und beschirmt. Meine Gedanken träumten sich in die strahlend schöne Halle zurück, wo mein Schutzengel Lara hieß. Wahrheit war das Ganze, kein Traum! Ich hatte gesehen, was erst Jahre nachher entdeckt wurde und jetzt Capris, ja Italiens schönster Besitz ist: Grotta Azurra; die Frau selbst war das blinde Mädchen Lara von Pästum. Aber wie konnte ich damals es glauben, damals es denken. – Es war ja allzu seltsam! ich faltete meine Hände und dachte an meinen Schutzengel.