Schmerz und Trost. Nähere Bekanntschaft mit der Signora. Der Professor. Der Brief. Hatte ich sie mißverstanden?
Als Federigo zu Bette war, saß ich noch auf dem offenen Altane, der nicht nur den ganzen Platz zu überschauen gestattete, sondern auch die Aussicht auf den Vesuv darbot; die wunderbare Welt, in welche ich hinübergeträumt zu sein schien, ließ mich nicht schlafen. Allmählich wurde es auf der Straße unter mir stiller und stiller; die Lichter erloschen; es war bereits nach Mitternacht, – Mein Auge hing an dem Berge, wo sich die Feuersäule vom Krater gegen die blutrote breite Wolkenmasse emporhob, die zusammen eine mächtige Pinie von Feuer und Flammen zu bilden schienen; der Lavastrom stellte ihre Wurzeln dar, mit welchen sie den Berg umschlang. Meine Seele war von dem großartigen Schauspiele ergriffen, von dieser Gottesstimme, welche aus dem Vulkane wie aus dem stillen schweigenden Nachthimmel zu mir redete. Es war ein Augenblick, wie wir ihn nur haben können, wenn unsere Seele, sozusagen, ihren Gott von Angesicht zu Angesicht schaut: ich verstand seine Allmacht, Weisheit und Güte, verstand die Liebe dessen, der Blitz und Wirbelwind als seine Diener aussendet und ohne dessen Willen kein Sperling zur Erde fällt. Mein eignes Leben stand klar vor mir, ich erblickte in demselben eine wunderbare Leitung und Führung; selbst jedes Unglück, jede Trauer war Uebergang zu etwas Besserm. Der unglückliche Tod meiner Mutter durch die wilden Pferde schien mir ja jede bessere Zukunft abzuschneiden, indem ich als ein armes hilfloses Kind dastand. Aber war das nicht vielleicht der eigentliche und edlere Grund, der später Eccellenza bewog für meine Erziehung zu sorgen, da er die unschuldige Ursache meines Unglücks war? Der Streit zwischen Mariuccia und Peppo, die fürchterlichen Augenblicke, die ich in dem Hause desselben zubrachte, trieben mich in den Weltstrom hinaus; aber wäre ich nicht zu der alten Domenica in die öde Campagna hinausgekommen, dann würde Eccellenza schwerlich auf mich aufmerksam geworden sein. Scene für Scene durchlief ich so in Gedanken mein ganzes Leben und fand in der Kette desselben die höchste Weisheit und Güte. Nur als ich zu dem letzten Gliede gelangte, schienen mir wieder alle auseinander fallen zu wollen. Die Bekanntschaft mit Annunziata war wie ein Frühlingstag, der plötzlich jede Blumenknospe in meiner Seele geöffnet hatte. Durch sie hätte alles aus mir werden können, ihre Liebe würde meines Lebens Glück vollendet haben. Bernardos Gefühl war nur Sinnlichkeit; hätte er durch ihren Verlust auch augenblicklich gelitten, so würde sein Schmerz doch nur kurz gewesen sein, er hätte sich bald zu trösten gewußt. Allein daß ihn Annunziata liebte, vernichtete alle meine Hoffnungen. Hier begriff ich der Allmacht Weisheit nicht, fühlte nur Kummer über meine vereitelten Träume. Eine Zither erklang in diesem Augenblicke unter dem Altane; ich erblickte einen Mann, den Mantel lose über die Schultern gehängt, der in die Saiten griff und ein Liebeslied anstimmte. Gleich darauf öffnete sich leise die Thür des gegenüberliegenden Hauses, und der Mann verschwand hinter derselben. – Ein glücklicher Liebhaber, der zu Kuß und Umarmung eilte! – Ich betrachtete den sternhellen Himmel, das klare dunkelblaue Meer, welchem die glühende Lava hier und da einen rötlichen Schimmer verlieh. – »Herrliche Natur!« rief da mein Herz. »Du bist meine Geliebte! Du drückst mich an dein Herz, öffnest mir deinen Himmel, und jeder Luftzug küßt mir Stirn und Lippe! Dich will ich besingen, deine Schönheit, deine heilige Größe. Wiederholen will ich dem Volke die tiefen Melodien, die du in meiner Seele singst. Laß mein Herz bluten! Der Schmetterling, der an der Nadel ängstlich seine Flügel schwingt, glänzt ja am schönsten; herrlicher wird der Fluß, indem er sich als Wasserfall vom Felsen stürzt und in Schaum auflöst. Das ist des Sängers Los. Das Leben ist ja doch nur ein kurzer Traum. Wenn ich in jener Welt Annunziata wieder treffe, wird sie auch mich lieben, alle reine Seelen lieben einander; Arm in Arm fliegen die Reihen der seligen Geister zu Gott empor.«
So träumte mein Herz, und Mut und Kraft, als Improvisator aufzutreten, sogar eine mächtige Lust dazu, erfüllte meine Seele. Nur eins lag mir noch schwer auf dem Herzen: was würden Eccellenza und Francesca zu meiner Flucht aus Rom, zu meinem Auftreten als Improvisator sagen? Sie glaubten mich still und fleißig bei meinen Büchern in Rom. – Dieses Gefühl ließ mir keine Ruhe, ich mußte noch heute Nacht an sie schreiben. Mit dem Vertrauen eines Sohnes erzählte ich alles, genau wie es sich ereignet hatte, jeden einzelnen Umstand, meine Liebe zu Annunziata, und den einzigen Trost, den ich in der Natur und Kunst fände; endigte dann mit der inständigen Bitte um eine Antwort, so mild und nachsichtig, wie sie ihr Herz mir zu geben vermöchte; bevor dieselbe einträfe, würde ich keinen Schritt thun, auch nicht öffentlich auftreten. – Länger als einen Monat möchten sie mich nicht schmachten lassen. – Während ich den Brief schrieb, fielen meine Thränen auf denselben, aber ich fühlte eine Erleichterung dabei, und als er beendigt war, schlief ich bald fest und ruhig, wie ich es lange nicht gethan hatte.
Am folgenden Tage ordneten Federigo und ich unsere Angelegenheiten, er zog in sein neues Logis, in einer der Seitenstraßen, ich blieb in der Casa tedesca, von wo ich den Vesuv und das Meer, zwei Weltwunder, die mir fremd waren, sehen konnte. – Fleißig besuchte ich Museo Borbonico, die Theater und Promenaden und war schon nach einem dreitägigen Aufenthalte ziemlich gut in der fremden Stadt orientiert.
Da erging an Federigo und mich eine Einladung von Professor Maretti und seiner Frau Santa. Im ersten Augenblicke glaubte ich, es wäre ein Irrtum, ich kannte ja beide nicht, und die Einladung schien mir zu gelten, ich sollte Federigo mitbringen. Auf meine genaueren Erkundigungen erfuhr ich, daß Maretti sehr gelehrt, daß er Archäolog wäre, und daß Signora Santa erst vor kurzem von einem Besuche aus Rom zurückgekehrt; ich und Federigo hätten wahrscheinlich ihre Bekanntschaft auf der Reise gemacht. Also unsere neapolitanische Signora.
Gegen Abend ging ich mit Federigo hin. Wir fanden eine zahlreiche Gesellschaft in dem erleuchteten Saale, dessen glatter Marmorboden den Kerzenschein zurückstrahlte, während ein mächtiger Scaldino, um welchen ein eisernes Gitter gestellt war, eine milde Wärme verbreitete.
Die Signora oder, da wir ihren Namen ja wissen, Santa kam uns mit offenen Armen entgegen. Das hellblaue seidne Gewand kleidete sie sehr gut. Wäre sie ein wenig schlanker gewesen, hätte sie für eine Schönheit ersten Ranges gelten können. Sie stellte uns der Gesellschaft vor und bat uns zu thun, als ob wir zu Hause wären.
»In mein Haus kommen nur Freunde; Sie werden bald die ganze Versammlung kennen.« Und nun nannte sie eine Menge Namen und wies auf die einzelnen Personen. »Wir plaudern, wir tanzen, hören etwas Gesang an, und die Stunden fliegen dahin.« Sie nötigte uns Platz zu nehmen. Eine junge Dame setzte sich an das Klavier und sang. Es war gerade dieselbe Arie, welche Annunziata in der Oper Dido sang, aber welch anderer Ausdruck lag dort in derselben, mit wie ungleich größerer Kraft ergriff sie dort die Seele. Dennoch mußte ich mit den andern der Sängerin Beifall spenden, und darauf griff sie einige Accorde und spielte einen lustigen Tanz; drei bis vier Herren reichten ihren Damen die Hand und schwebten mit ihnen auf dem blanken glatten Fußboden entlang. Ich zog mich in eine Fensternische zurück; ein kleines schmächtiges Männchen mit unendlich beweglicher Brille, das ich bisher nur koboldartig unaufhörlich zur Thüre hatte heraus- und hereinspringen sehen, verneigte sich tief vor mir. Um ein Gespräch anzuknüpfen, begann ich von den Ausbrüchen des Vesuv zu reden und schilderte, wie herrlich sich der Lavastrom ausnähme.
»Das ist nichts, geehrter Freund,« erwiderte er, »nichts gegen die furchtbare Eruption im Jahre 96, welche Plinius beschreibt; damals flog die Asche bis nach Konstantinopel. Wir haben uns auch in meiner Zeit hier in Neapel des Regenschirms zum Schutz gegen die Asche bedienen müssen, aber Neapel und Konstantinopel ist freilich ein Unterschied. Die klassische Zeit übertraf uns in allem, eine Zeit, in der man hätte beten sollen: serus in coelum redeas!«
Ich erzählte vom Theater Carlino, und der Mann schweifte bis auf den Thespiskarren zurück und gab mir eine Abhandlung über die tragische und komische Maske. Ich berührte zufällig die letzte Musterung der königlichen Truppen, und sofort befand er sich in einer ausführlichen Auseinandersetzung über die Art der Kriegsführung bei den Alten; die ganze Phalanx ließ er ihre Exercitien vor mir machen. Die einzige Frage, welche er selbst an mich richtete, war, ob ich Kunstgeschichte studierte, mich mit der Archäologie beschäftigte. Ich erklärte, daß das ganze Weltleben, daß alles meinem Interesse nahe läge, daß ich den Dichterberuf in mir fühlte; und der Mann klatschte entzückt in die Hände und feierte meine Leier mit dem Horazischen:
O decus Phoebi, et dapibus supremi
Grata testudo Jovis!
»Hat er Sie endlich erwischt,« sagte Santa, die zu uns herantrat, lächelnd, »dann befinden Sie sich gewiß mitten in den Zeiten des Sesostris! Aber auf Sie macht unser eignes Zeitalter Anspruch. Uns gegenüber sitzen einige Damen, mit denen Sie tanzen müssen.«
»Aber ich tanze nicht, habe nie getanzt,« versetzte ich.
»Aber wenn nun ich, die Frau des Hauses, Sie zu einem Tänzchen aufforderte, könnten Sie es mir doch nicht abschlagen.«
»Leider muß ich, denn ich würde mich so linkisch dazu anstellen, daß wir auf dem glatten Fußboden vielleicht beide zu Falle kämen!«
»Das müßte einen hübschen Anblick gewähren!« rief sie und hüpfte zu Federigo hinüber, und bald schwebten sie beide den Saal entlang.
»Eine muntere Frau,« sagte der Mann und fügte hinzu: »schön, sehr schön ist sie, Herr Abbate!«
»Sehr schön!« erwiderte ich höflich, und darauf befanden wir uns, der Himmel mag wissen, wie es zuging, mitten unter den etrurischen Vasen. Er bot sich mir zum Führer durch das Museo Borbonico an und entwickelte mir dann, welche Maler diese zerbrechlichen Schätze, auf denen jede Linie zur Schönheit der Figuren in Ausdruck und Stellung beiträgt, gemalt hätten; und, wie er erzählte, mußten sie gemalt werden, so lange der Thon noch feucht war, nichts ließ sich wieder auslöschen, jeder Strich, der einmal gezogen war, mußte bleiben.
»Sind Sie noch immer mitten in der Abhandlung?« fragte Santa, als sie wieder zu uns zurückkehrte. »Fortsetzung folgt!« rief sie lachend, zog mich von dem Gelehrten fort und flüsterte halblaut: »Lassen Sie sich doch von meinem Manne nicht beschwerlich fallen. Sie sollen hübsch munter sein, sollen an der allgemeinen Freude und Heiterkeit teilnehmen. Ich will Sie heilen, erzählen sollen Sie mir, was Sie gesehen und gehört und was Ihnen den größten Genuß bereitet hat!«
Ich erzählte, wie sehr mir Neapel gefiele, erzählte von dem, was mir am nächsten lag, von einer kleinen Wanderung, die ich diesen Nachmittag durch die Posilippogrotte gemacht hatte, vor welcher ich in dem wahren Weinwalde die Trümmer einer kleinen Kirche entdeckt, die in die Wohnung für eine Familie umgewandelt wären. Die freundlichen Kinder und die hübsche Frau, welche mir den Wein einschenkte, hätten dem Ganzen noch einen romantischeren Anstrich verliehen.
»Sie haben also schon Bekanntschaften gemacht?« sagte sie lachend und erhob den Zeigefinger. »Nun, nun, darüber brauchen Sie nicht verlegen zu werden, in Ihrem Alter befriedigt sich das Herz nicht mit einer Fastenpredigt.«
Das war ungefähr alles, woraus ich an diesem Abende Schlüsse über Signora Santas und ihres Gatten Charakter ziehen konnte. In ihrer Weise sich auszudrücken lag eine Leichtigkeit, eine den Neapolitanerinnen eigentümliche Natürlichkeit, eine Herzlichkeit, die mich wunderbar fesselte. Der Mann war gelehrt, und das war ja durchaus kein Fehler; einen bessern Führer durch das Museum konnte ich mir nicht wünschen. Daß er es wirklich war, davon überzeugte ich mich später, und Santa, der ich öfter einen Besuch abstattete, wurde mir jedesmal interessanter. Die Aufmerksamkeit, die sie mir bewies, schmeichelte mir, und die Teilnahme öffnete mir Herz und Lippen. Ich kannte die Welt gar wenig, in vielen Stücken war ich noch ein völliges Kind, und deshalb ergriff ich die erste Hand, welche mir freundlich gereicht wurde, und wechselte gegen den Handdruck mein ganzes Vertrauen aus.
Eines Tages berührte Santa den wichtigsten Moment meines Lebens: die Trennung von Annunziata, und ich fand einen Trost, eine Erleichterung darin, mich vor ihr, die mir so große Teilnahme an den Tag legte, auszusprechen. Daß sie in dem Charakter Bernardos nach der Schilderung, die ich von ihm machte, Schattenseiten nachzuweisen verstand, diente mir zu einer Art Beruhigung, aber daß sie auch an Annunziata Mängel herausfinden könnte, wollte ich nicht zugeben.
»Für die Bühne,« sagte sie, »ist sie zu klein, viel zu zart gebaut, das müssen Sie mir doch einräumen! Etwas Körperliches bedürfen wir, so lange wir noch in dieser Welt sind. Ich weiß wohl, daß hier in Neapel die jungen Herren ebenfalls von ihrer Schönheit wie berauscht waren. Die Stimme war es, die unvergleichliche herrliche Stimme, die sie mit in diese Geisteswelt hinüberzog, welcher ihre feine Gestalt angehört. Wäre ich ein Mann, ich könnte mich nie in solch ein Wesen verlieben; ich müßte ja befürchten, daß sie bei der ersten Umarmung mir unter den Händen zerbräche.«
Unwillkürlich mußte ich lächeln, und wie ich glaube, war das auch der Zweck ihrer Rede gewesen. Dagegen ließ sie Annunziatas Talent, Verstand und unbeflecktem Herzen volle Gerechtigkeit widerfahren.
An den letzten Abenden hatte ich, von der Schönheit der mir so neuen Natur rings um mich her ergriffen und in meiner eignen aufgeregten Stimmung einige kleine Gedichte niedergeschrieben: Tasso im Gefängnisse, der Bettelmönch und dann noch einen kleinen lyrischen Erguß, der meine unglückliche Liebe, die zerschmetterte Bilderwelt, in der meine Seele schwamm, in krankhafter Schwärmerei besang. Ich begann sie Santa vorzulesen, aber schon in dem ersten überwältigte mich mein Gefühl so vollständig, daß ich in lautes Weinen ausbrach. Da drückte sie mir die Hand und weinte mit mir; durch diese Thränen hatte sie mich für ewig an sich gefesselt. – Ihr Haus wurde mir zu einer zweiten Heimat; ich sehnte mich ordentlich nach den Stunden, wo ich wieder mit ihr reden konnte. Ihre Laune, die komischen Einfälle, mit denen sie oft zum Vorschein kam, gewannen mir oft ein Lachen ab, obschon ich fühlte, wie ganz anders sich Annunziatas Witz und Munterkeit bewegte, ungleich edler und reiner. Da aber keine Annunziata leibhaftig vor mir stand, so war ich Santa dankbar und ihr von Herzen zugethan.
»Haben Sie,« fragte sie mich eines Tages, »die hübsche Frau zu Posilippo und das romantische Haus, welches halb eine Kirche war, vor kurzem wiedergesehen?«
»Nur einmal seitdem,« entgegnete ich.
»Sie war wohl sehr liebevoll und zärtlich?« fragte Santa weiter; »die Kinder waren gewiß als Führer auswärts und der Mann auf der See? Nehmen Sie sich in acht, Signore, Neapel grenzt an die Unterwelt.« – Ich gab ihr aufrichtig die Versicherung, daß mich nichts als die romantische Gegend nach der Posilippogrotte hinzöge.
»Teurer Freund,« sagte sie vertraulich, »ich kenne die Dinge besser. – Ihr Herz war von Liebe, von der ersten starken Liebe zu der erfüllt, welche ich zwar derselben nicht unwürdig nennen will, die Sie aber doch weniger aufrichtig behandelte; – reden Sie mir nicht ein einziges Wort dagegen – dieselbe erfüllte Ihre ganze Seele, und Sie haben dies Bild aus Ihrem Herzen reißen, haben, wie Sie mir selbst versichert, Ihre Geliebte aufgeben müssen, aber dadurch ist eine Leere in Ihrer Seele entstanden, welche notwendig ausgefüllt werden muß. Früher lebten Sie nur in Ihren Büchern und Träumen, die Sängerin hat Sie in die Menschenwelt hinausgeführt, Sie sind wie wir andere Fleisch und Blut geworden, und dieses fordert sein Recht. Und weshalb sollte es nicht? – Ich beurteile einen jungen Menschen niemals streng; außerdem können Männer handeln wie sie wollen!«
Im letzten Punkte widersprach ich ihr, aber hinsichtlich der Oede, welche nach Annunziatas Verlust in meiner Seele entstanden sein sollte, fühlte ich nur zu gut, wie recht sie hatte; was aber konnte mir wohl das verlorene Bild ersetzen?
»Sie sind nicht ein Mensch wie andere, Sie sind eine poetische Figur, und sehen Sie, selbst die ideale Annunziata will einen Mann haben. Deshalb konnte sie Bernardo, der so tief unter Ihnen steht, vorziehen.« – »Aber,« fuhr sie fort, »Sie bringen mich dazu Sachen zu berühren, die ich als Dame kaum erwähnen dürfte. Ihre wunderbare Unschuld und geringe Weltkenntnis zwingen andere in ihrer Rede ebenso naiv zu werden, wie Sie es in Ihren Gedanken sind!« Und dabei lachte sie laut auf und klopfte mir die Wange.
Eines Abends saß ich mit Federigo zusammen, und er wurde lustig und vertraulich, erzählte mir von seinen glücklichen Tagen in Rom und wie auch sein Herz einst geklopft hatte. Mariuccia spielte eine Rolle in dem Abenteuer. – Marettis und Santas Haus besuchten mehrere junge Leute; sie tanzten gut, waren unterhaltend, und die zärtlichen Blicke der Damen so wie die Achtung der Männer war ihr Lohn. Kaum hatte ich sie kennen gelernt, so vertrauten sie mir schon ihre Herzensangelegenheiten an, Dinge, über welche ich bei Bernardo erschrak und die mich nur meine eingewurzelte Liebe zu ihm übersehen ließ. – Ja, sie waren alle sehr von mir verschieden! – Sollte Santa wirklich recht haben? Sollte ich in dieser Welt nur eine poetische Figur sein? Daß Annunziata Bernardo liebte, war ja ein hinreichender Beweis dafür; mein geistiges Ich war vielleicht lieb und wert, aber ich selbst konnte sie nicht gewinnen.
Schon einen Monat war ich in Neapel gewesen, und noch immer hatte ich weder von ihr noch Bernardo etwas gehört. Da brachte mir die Post einen Brief. Mit klopfendem Herzen empfing ich ihn, betrachtete, um zu erraten, von wem er sein könnte und was für Nachrichten er mir bringen würde, Siegel und Aufschrift und erkannte das borghesische Wappen und die Schrift der alten Eccellenza. – Ich wagte ihn kaum zu öffnen. »Ewige Mutter Gottes,« betete ich, »sei mir gnädig! Dein heiliger Wille lenke alles zum besten!« Ich öffnete den Brief und las:
»Signore!
Während ich glaubte, daß Sie die Gelegenheit, welche ich Ihnen eröffnet hatte, etwas zu lernen und ein nützliches Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft zu werden, benutzten, gingen Sie ganz andere Wege, völlig von den Plänen, die ich mit Ihnen hegte, verschieden. – Als die unschuldige Ursache des Todes Ihrer Mutter habe ich das Meinige für Sie gethan; wir sind quitt. Treten Sie als Improvisator, als Dichter, als was und wie Sie immer wollen, auf, erzeigen Sie mir aber, als den einzigen Beweis Ihrer so oft erwähnten Dankbarkeit, die Gefälligkeit, meinen Namen, meine Sorge für Sie nie der Oeffentlichkeit preiszugeben. Den größten Liebesdienst, den Sie mir hätten erweisen können, etwas zu lernen, haben Sie nicht thun wollen; der allerkleinste dagegen, mich als Ihren Wohlthäter zu bezeichnen, widerstrebt mir in so hohem Grade, daß Sie mir keinen größern Verdruß bereiten könnten.«
Das Blut strömte mir nach dem Herzen, meine Hände sanken matt in den Schoß, aber zu weinen vermochte ich nicht; es würde meine Seele erleichtert haben. »Jesus Maria!« stammelte ich, mein Haupt sank auf den Tisch hinab. Betäubt, ohne Gedanken, selbst ohne Schmerz, blieb ich in unveränderter Stellung liegen. Ich fand keine Worte, um zu Gott und den Heiligen zu beten; auch sie schienen mich wie die Welt verstoßen zu haben. – Da kam Federigo.
»Bist du krank, Antonio?« fragte er und drückte mir die Hand. »Man muß sich mit seinem Kummer nicht so einschließen. Wer weiß, ob du mit Annunziata glücklich geworden wärest! – Was für uns das Beste ist, geschieht zu allen Zeiten, das habe ich selbst mehr als einmal gelernt, wenn auch gerade nicht auf dem angenehmsten Wege.«
Schweigend reichte ich ihm den Brief, welchen er las. Inzwischen erhielten meine Thränen freien Lauf, doch schämte ich mich, sie ihn sehen zu lassen und wandte mich ab, allein er drückte mich in seine Arme und sagte: »Weine nur, weine deinen Schmerz aus, dann wird dir besser werden!« – Als ich etwas ruhiger war, fragte er mich, ob ich schon irgend einen Entschluß gefaßt hätte. Da fuhr mir ein Gedanke durch die Seele, welcher die Madonna, deren Dienste ich mich schon als Kind geweiht hatte, versöhnen mußte und mir zugleich eine sichere Zukunft bereitete. »Es ist das beste, ich werde Mönch,« sagte ich, »dazu hat mein Schicksal mich gereift, die Welt kann mir nichts mehr bieten, ich bin ja auch nur eine poetische Figur, kein Mensch wie ihr andern! Ja, im Schoße der Kirche giebt es für mich allein Frieden und Heimat.«
»Sei doch vernünftig, Antonio!« sagte Federigo; »zeige Eccellenza, zeige der Welt, welche Kraft in dir wohnt. Laß dich durch des Lebens Mißgeschick erheben und nicht beugen! – Aber ich denke und hoffe, daß du nur heute Abend ins Kloster gehen willst, morgen, wenn dir die helle Sonne ins Herz hineinscheint, wirst du diesen Plan belächeln. – Du bist ja Improvisator, Dichter, hast Geist und Kenntnisse, alles kann noch herrlich, noch vortrefflich werden. Morgen nehmen wir ein Kabriolett, jagen nach Herculanum und Pompeji hinaus und besteigen den Vesuv; dort sind wir noch nicht gewesen, du mußt dich zerstreuen, dich wieder erheitern, und wenn die finsteren Grillen verscheucht sind, dann reden wir vernünftig über deine Zukunft. Jetzt gehst du mit mir nach dem Toledo, wir wollen uns einen lustigen Abend machen! Das Leben läuft im Galopp, und alle tragen wir der Schnecke gleich unsere Last auf dem Rücken, gleichviel ob sie aus Blei oder nur aus Spielzeug besteht, die Last ist dieselbe.« Seine treue Sorge um mich rührte mich, in ihm schaute ich doch noch einen Freund. Schweigend ergriff ich meinen Hut und folgte ihm. Draußen auf dem Platze drang lustige Musik aus den Bretterbuden der kleinen Volkstheater zu uns herüber; vor einem derselben blieben wir inmitten eines großen Menschenhaufens stehen; die ganze Künstlerfamilie stand wie gewöhnlich auf einer Art Tribüne, Mann und Weib mit allerlei Flitterstaat ausgeputzt und vom unaufhörlichen Schreien völlig heiser. Ein kleiner bleicher Junge mit traurigem Gesichte stand in seiner weißen Pierrottracht daneben und spielte Violine, während seine zwei kleinen Schwestern in lustigem Tanze um ihn herum wirbelten. Der Anblick machte einen tragischen Eindruck auf mich. »Die unglücklichen Wesen!« dachte ich. Ebenso ungewiß wie ihr Schicksal lag ja auch das meinige vor mir. Ich preßte mich fest an Federigo und konnte den Seufzer, der aus meiner Brust emporstieg, nicht unterdrücken.
»Sei doch ruhig und vernünftig! Jetzt promenieren wir ein wenig, lassen den Wind deine roten Augen bleichen und dann besuchen wir Signora Maretti! Sie wird dich munter lachen oder mit dir weinen, bis dir es überdrüssig ist; sie versteht sich besser darauf als ich.« Darauf wanderten wir die große Straße auf und ab und zuletzt nach Marettis Haus.
»Endlich kommen Sie doch einmal auch an einem andern als an den gewöhnlichen Empfangsabenden!« rief Santa freundlich, als wir eintraten.
»Signor Antonio ist in seiner elegischen Stimmung, der eine Mischung von Humor zugesetzt werden muß, und wo hätte ich ihn also besser hinführen können, als zu Ihnen! Morgen fahren wir nach Herculanum und Pompeji und besteigen den Vesuv! Möchten wir es nur mit einem Ausbruche glücklich treffen!«
»Carpe diem!« rief Maretti, »ich könnte Lust bekommen, den Ausflug mitzumachen; freilich nicht um den Vesuv zu besteigen, sondern um zu sehen, wie es mit den Ausgrabungen in Pompeji steht. Ich habe von dort gerade einige Glaszieraten in verschiedenen Farben erhalten, habe diese nach den Perioden geordnet und ein opusculum darüber geschrieben. Sie müssen diese Schätze sehen,« sagte er zu Federigo, »und mir hinsichtlich der Farben einige kleine Winke geben, und Sie,« rief er und klopfte mir dabei auf die Schulter, »Sie müssen einmal recht lustig sein! Wir trinken nachher ein Glas Falerner zusammen und singen mit Horaz:
»Ornatus viridi tempora pampino
Liber vota bonos ducit ad exitus!«
Ich blieb mit Santa allein.
»Haben Sie etwas Neues geschrieben?« fragte sie. »Sie sehen völlig danach aus, als hätten Sie wieder eines der schönen Stücke gedichtet, die so wunderbar zum Herzen sprechen. Ich habe mehrmals an Sie und Ihren Tasso gedacht, und mich bei der Erinnerung ganz wehmütig gefühlt, obschon Sie wissen, daß ich nicht zu den weinenden Schwestern gehöre. Seien Sie nun hübsch guten Mutes, sehen Sie mich an und erzählen Sie mir etwas Interessantes! – Sie wissen nichts? Sagen Sie mir dann etwas über mein neues Kleid! Sehen Sie nur, wie schön es sitzt! Ein Dichter muß Sinn für alles haben! – Ich bin schlank wie eine Pinie, ordentlich mager! Nicht wahr?«
»Das sieht man gleich!« entgegnete ich.
»Schmeichler!« rief sie. »Bin ich nicht wie immer? Das Kleid hängt ganz lose um mich! Warum werden Sie darüber rot? Sie sind auch nur wie alle Männer! Wir müssen Sie öfter in Frauengesellschaft bringen, müssen Sie erst ein wenig erziehen! Darauf verstehen wir Frauen uns vortrefflich! – Nun sitzen die beiden, mein Mann und Federigo, bis über die Ohren in dem gesegneten Altertume; lassen Sie uns der Gegenwart leben, das bringt wahrere Freuden! Sie sollen unsern ausgezeichneten Falernerwein kosten und das jetzt gleich, nachher können Sie mit den beiden andern von neuem beginnen.«
Ich lehnte es ab und suchte ein allgemeines Gespräch über die Tagesbegebenheiten anzuknüpfen, aber ich merkte nur allzugut, wie zerstreut ich war. »Ich bin Ihnen zur Plage,« sagte ich, erhob mich und wollte meinen Hut nehmen. »Verzeihen Sie, Signora, ich befinde mich nicht wohl, und das macht mich ungesellig und langweilig.«
»Sie dürfen mich nicht verlassen!« sagte sie, zog mich auf den Stuhl zurück und schaute mir teilnahmsvoll und bekümmert in die Augen. »Was ist geschehen? Haben Sie Vertrauen zu mir! Ich meine es so gut und ehrlich mit Ihnen! Fühlen Sie sich durch mein heiteres und mutwilliges Wesen nicht verletzt. Das ist nun einmal meine Natur! Sagen Sie mir, was geschehen ist! Haben Sie Briefe erhalten? Ist Bernardo tot?«
»Nein, Gott sei Lob und Dank!« erwiderte ich, »es sind andere, ganz andere Dinge!« Ich wollte von Eccellenzas Brief nicht sprechen, und doch sagte ich in meinem Schmerze und in meiner vertrauensvollen Offenherzigkeit alles, und mit Thränen in den Augen bat sie mich dann nicht betrübt zu sein.
»Ich bin von der Welt ausgestoßen,« sagte ich, »von allen verlassen; niemand, durchaus niemand liebt mich mehr!«
»Doch, Antonio!« rief sie, und ich fühlte ihre Hand über meine Stirn gleiten, und brennende Lippen drückten einen Kuß auf dieselbe. »Sie sind geliebt! Sie sind schön, Sie sind gut! Ich liebe Sie, liebe Sie, Antonio!« und voller Leidenschaft schlang sie ihre Arme um mich; ihre Wange ruhte an der meinigen. Mein Blut wurde zur Flamme, ein Zittern durchschauerte meinen ganzen Körper, es war, als ob mir der Atem stockte, nie hatte ich etwas Aehnliches gefühlt. Da raschelte es an der Thüre, sie öffnete sich und Federigo und ihr Mann traten herein.
»Ihr Freund hat das Fieber!« sagte sie in ihrem gewöhnlichen leichten Tone. »Er hätte mich fast erschreckt, wurde bleich und rot in einem Augenblicke, ich befürchtete, er würde in meinen Armen ohnmächtig werden. Aber jetzt ist es wieder besser; nicht wahr, Antonio?« und nun, als ob nichts geschehen, nichts gesagt wäre, scherzte sie über mich. Ich hörte mein eignes Herz klopfen und ein Gefühl von Scham und Unwillen erhob sich in meiner Seele; ich wandte mich ab von ihr, der Sünde schönen Tochter.
»Quae sit hiems Veliae, quod coelum, Vala Salerni!« sagte Maretti, »wie geht es mit Herz und Kopf, Signore? Was hat der »ferus cupido« gethan, der die blutigen Pfeile beständig auf dem glühenden Schleifsteine wetzt?«
Der Falernerwein perlte im Glase, Santa stieß mit mir an und sagte mit einem sonderbaren Blicke: »Auf bessere Zeiten!«
»Auf bessere Zeiten!« wiederholte Federigo. »Ja, sie werden kommen! Man darf nie verzagen und entsagen!«
Maretti stieß ebenfalls mit uns an, indem er nickte: »Auf bessere Zeiten!« Santa lachte laut auf und streichelte mir die Wange.