Albino Luciani kam aus kleinen Verhältnissen, spielte gerne Boccia und predigte offen wie ein Landpfarrer. Am 3. September wurde er als Johannes Paul I. ins Papstamt eingeführt. Sein Pontifikat dauerte nur 33 Tage.
Es war eine vertrackte Geschichte: Verständnis, Geborgenheit, Liebe bekam der drollige Knirps von seiner stramm sozialistischen Familie. Als er sich später für die Kirche entschied, machte er dort eine erstaunliche Karriere - und begegnete Misstrauen, Verachtung und einer von frommem Gehabe überdeckten furchtbaren Einsamkeit.
Im weltverlorenen Canale d´Agordo, einem Gebirgsdorf in der Nähe der Dolomiten, wo er 1912 geboren wurde, herrschte bittere Armut. Der Vater ging als Gastarbeiter nach Frankreich, Deutschland und in die Schweiz, um das Brot für die achtköpfige Familie zu verdienen. Von Mai bis Oktober liefen die Kinder barfuß, um Schuhe zu sparen, erinnerte sich sein Bruder Eduardo. Nur für den Winter hatten sie Holzpantinen.
Dann stirbt er eben als Bischof
Aber der kleine Albino Luciani, abenteuerlustig und hilfsbereit, fühlte sich wohl zuhause, wo es wenig zu essen, aber immer ein gutes Wort gab. Der Vater, Sozialist und Gewerkschafter, fiel aus allen Wolken, als der Dreikäsehoch von den Fastenpredigten eines Kapuziners schwärmte und verkündete, so ein Priester wolle er auch werden. Doch er war nicht so radikal antikirchlich eingestellt wie viele seiner Kollegen. Mit elf Jahren ließ er Albino ins Knabenseminar von Feltre gehen.
Mit kaum dreiundzwanzig zum Priester geweiht, machte der Arbeitersohn die typische kirchliche Karriere: Kaplan, Theologiedozent am Priesterseminar, Promotion in Rom, mit sechsundvierzig Jahren Bischof des kleinen Bistums Vittorio Veneto am Rand der Alpen. Luciani war damals, 1958, schon ziemlich kränklich. Doch der frisch gewählte Papst Johannes XXIII. tat die Hinweise seiner Umgebung mit der ihm eigenen Unbekümmertheit ab: Ach, dann stirbt er eben als Bischof!
Luciani starb nicht, ein Jahrzehnt später avancierte er zum Patriarchen von Venedig, benutzte gern den Vaporetto auf dem Canale Grande, um mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, und fuhr zur Erholung in ein Südtiroler Bergkloster, wo er in der Dorfwirtschaft voller Hingabe Boccia spielte. Als Paul VI. 1978 starb, wählten ihn die Kardinäle schon am ersten Konklave-Tag zum Papst, als Kompromisskandidaten, weil die Kronprinzen der stark konservativen Fraktion und des eher liberalen Flügels sich gegenseitig blockierten. Luciani, Johannes Paul I. nannte er sich, soll 99 von 111 Stimmen bekommen haben. Am 3. September 1978 wurde er ins Papstamt eingeführt.
Zwei Dinge sind im Vatikan schwer zu bekommen
Er wusste, dass er alles andere als gesund war. "Gott möge euch verzeihen, was ihr mit mir gemacht habt", sagte er seinen Kardinalskollegen nach dem Wahlakt. Nur dreiunddreißig Tage hat er die Kirche regiert - und mit seinen herzlichen Gesten, seinem Verzicht auf Demutsbezeigungen und seinem warmen Lächeln die Herzen der Menschen gewonnen. In der Kurie freilich schlugen sie die Hände über dem Kopf zusammen, als er in den Audienzen einfach wie ein Landpfarrer zu reden begann und Gott als "Mutter" bezeichnete. Als er auch noch den vatikanischen Banken- und Finanzskandal zur Chefsache machte und Amtsenthebungen vorbereitete, wurde ihm klar, wie isoliert er war. Zwei Dinge sind im Vatikan schwer zu bekommen, bemerkte er sarkastisch, Ehrlichkeit und eine Tasse Kaffee.
Eines Morgens Ende September 1978 fand eine Nonne des päpstlichen Haushalts den Heiligen Vater tot auf seinem Bett, die Rechte zur Faust verkrampft: Herzinfarkt. Das Licht brannte noch. Die Schriftstücke, die neben der Leiche lagen, befassten sich mit dem Bankenskandal.