34 Jahre lang leitete Markus Wolf den Auslandsnachrichtendienst im Ministerium für Staatssicherheit. 26 Jahre dauerte es bis man im "Westen" das erste Foto von ihm hatte. Autor: Ekkehard Kühn
"Nehmen wir ihn mit drauf, oder kriegen das Bild auch Fremde zu sehen", pflegte meine Oma mit Blick auf mich immer zu fragen, wenn Weihnachten ein Familienfoto geschossen wurde, und es um meine Präsenz auf demselben ging. Ich galt als unphotogen und so wurde mir schon im zarten Kindesalter eine Abneigung gegen das Photographiertwerden quasi oktroyiert. Ich will jetzt nicht behaupten, dass die Abneigung von Markus Wolf gegen das Photographiertwerden mit ähnlichen Kindheitserlebnissen zusammenhing, aber wenn, dann hat er es wenigstens verstanden, seine Schwäche beruflich umzusetzen: Die Geheimdienste beispielsweise offerieren Tätigkeiten, in denen die Verbreitung von Mitarbeiterphotos grundsätzlich negativ beurteilt wird.
Geheimablichtung
Während es von meiner Karriere als Photoverweigerer weiter nichts mehr zu berichten gibt, wurde Markus Wolf mit seiner Macke prompt Spionagechef der DDR, eine Entwicklung, die im Westen einige Schwierigkeiten produzierte, aber auch Arbeitsplätze schuf! Denn natürlich waren ganze Geheimdienstabteilungen damit beschäftigt, diesen Markus Wolf in geeigneter Weise und selbstverständlich geheim abzulichten. Es ist hier nicht der Platz um allein die Materialkosten aufzulisten, die falschen Bärte, falschen Pässe, falschen Haare und falschen Lebensläufe, mit denen die Verfolger und Beschatter des Markus Wolf ausgerüstet werden mussten, ganz zu schweigen von den Preisen in den Stripteasebars, die der Herr gerne und ausgiebig zu besuchen pflegte.
Über viele Jahre war Wolf für seine Westkollegen der "Mann ohne Gesicht", ein Genie, das Willy Brandt den Günter Guillaume in den Pelz gesetzt hatte. Und mit jedem gescheiterten Photoversuch wuchs Wolf für den Westen zu fast übermenschlicher Größe heran: Hatte er nicht vielleicht zwei Köpfe, rasend intelligent wie er zu sein schien oder war er etwa nur ein Phantom der DDR-Propaganda? Aber dann kam der Tag, an dem alles anders zu werden versprach: Man hatte erfahren, dass ein gewisser Dr. Kurt Werner alias Markus Wolf eine Schwedenreise plane, um in Stockholm den bayerischen SPD-Landtagsabgeordneten Ludwig Cremer zu treffen.
Nicht ganz scharf
Na endlich! Der Fuchs verließ seinen Bau! Selbstverständlich waren ihm dabei jede Menge "Mitarbeiter" behilflich: für den Empfang in Finnland, ein besonders raffinierter Umweg zwecks Verwischung von Spuren, für die Überfahrt nach Schweden, zum Besorgen einer konspirativen Wohnung, zum Buchen von guten Plätzen im Sommer-Sexclub "Chat Noir", zum Mieten von Autos etc. etc. Und wofür das alles ? Um einen kleinen Landtagsabgeordneten zu treffen, der zwar viel guten Willen mitbrachte, aber wenig Handfestes, wirtschaftlich gesehen ein miserables Preis-Leistungsverhältnis. Aber: wenigstens gelang es ein paar Fotos zu schießen von Wolf, am 29. Juni 1978 in Schweden. Na und? Entweder waren es alte Apparate oder die Agenten haben vor Aufregung gezittert, sonderlich scharf sind die Bilder jedenfalls nicht geworden, und soweit erkennbar machte der DDR-Bonze eher den Eindruck eines Versicherungsvertreters als den eines mit Tod und Teufel vertrauten Geheimdienstfreaks. Ich weiß wirklich nicht, ob ihn meine Oma so aufs Bild gelassen hätte.