Praktisch war ein ständiger Vertreter des Bundesrepublik in der DDR Botschafter. Das Problem: die DDR galt zwar als souveräner Staat, aber nicht als Ausland. Autor: Hartmut E. Lange
Man hatte wirklich Großes vor: Normalisierung der Beziehungen zweier tief zerstrittener Nachbarn. Doch dann knirscht es schon im Kleinen. Der Eine grüßt, Tag für Tag, und der Andere? Reagiert nicht: kein Nicken, kein Mucks. Stumm hockt Herr Namenlos auf seinem Stuhl vorm Büro des Grüßenden. Herr Bräutigam dagegen ist ein freundlicher Mann, und Geduld ist die wichtigste Tugend seines Berufsstandes, doch auch Diplomaten platzt mal der Kragen.
"Richten Sie bitte Ihrem Vorgesetzten aus, dass es überall auf der Welt üblich ist, morgens und abends einen kurzen Gruß auszutauschen. Ich würde empfehlen, das auch in der Hauptstadt der DDR zu tun."
Der Stasi-Aufpasser gibt die Botschaft weiter, und bekommt grünes Licht - fortan grüßt er freundlich zurück.
Das bewachte Büro ist ein Zimmer im Hotel Unter den Linden, Anfang Mai 1974 leitet Hans Otto Bräutigam das Vorauskommando zur Errichtung einer diplomatischen Vertretung der BRD in Ost-Berlin, das vorgesehene Gebäude ist aber noch nicht bezugsfertig.
Wandel durch Annäherung
Das eisige Verhältnis zwischen beiden deutschen Staaten soll endlich entkrampft wer-den, die neue Ostpolitik der sozial-liberalen Regierung macht’s möglich: "Wandel durch Annäherung" lautet die Devise.
Ost-Berlin plädiert für Botschaften, doch darauf will sich der Westen nicht einlassen, es hätte die Anerkennung der DDR als souveränen Staat bedeutet, und damit die Aufgabe des Fernziels Wiedervereinigung. Man findet eine Notlösung, Schein-Botschaften gewissermaßen. Dieselben Aufgaben, nur anderer Name: Ständige Vertretung.
20. Juni 1974: großer Bahnhof für Staatssekretär Günter Gaus in Ost-Berlin, mit Ab-schreiten einer Ehrenkompanie der NVA, Verneigen vor beiden deutschen Fahnen. SED-Chef Honecker überreicht dem ersten Ständigen Vertreter der BRD die Akkreditierungsurkunde.
Die Ständige Vertretung wird Ort der Begegnung von Deutschen aus Ost und West, bei zahlreichen Veranstaltungen wird diskutiert und gestritten. Wer sich dort trifft, und worüber geredet wird, interessiert die DDR-Führung sehr. Keine westliche Botschaft steht derart im Fokus der Stasi, keine ist so umstellt von auffällig unauffälligen Zivilisten, wie das fünfgeschossige Haus in der Hannoverschen Straße. Mielkes Truppe kriegt einiges mit, aber längst nicht alles. Für vertrauliche Themen wurde von einer westdeutschen Spezialfirma die sogenannte Laube eingebaut, ein abhörsicherer Raum.
Stiller Pfad in Richtung Westen
Immer wieder kommt es zu schwierigen Situationen: DDR-Bürger weigern sich das Haus zu verlassen, fordern Ausreise in den Westen, meist werden die Fälle im Stillen gelöst. Doch Mitte der 80er Jahre droht eine Eskalation: über 50 Personen haben das Haus besetzt, viele Familien mit Kindern, und - besonders heikel - ein Soldat der NVA, ein Deserteur. Wie schon oft zuvor kommt Rechtsanwalt Vogel ins Spiel. Durch seine Diskretion und Verlässlichkeit genießt der Honecker-Vertraute auch in Bonn hohes Ansehen. Die Lösungsformel ist immer dieselbe: Freiheit gegen Devisen. Für die renitenten Landeskinder kassiert die DDR das Doppelte der üblichen Freikaufsumme, 100 000 D-Mark für jeden Besetzer.