Die 30-jährige Yan Jiu ist Absolventin der Finanzuniversität der Inneren Mongolei. Sie schreibt seit 2003. Und ihre Werke werden online veröffentlicht. Sie sagt, dass das Internet ihr Flügel verleiht. Wenn sie im August ein Buch fertig geschrieben hat, dann ist es im September schon veröffentlicht. Auf dem traditionellen Weg über ein Verlagshaus dauert es viel länger. Und wenn man seine Werke als E-Books verkauft, dann kriegt der Autor über die Hälfte der Erlöse. Bei Verlagen sind es meist um die zehn Prozent. Aus dieser Perspektive betrachtet versteht man die Internet-Affinität der jungen Schriftsteller-Generation noch besser. Doch Yan Jiu sagt auch, dass das Internet eine Herausforderung ist.
„Die Leser bewerten die Werke auf einem Internet-Portal sehr kritisch. Wenn sie dich lieben, dann bringen sie dich in die Top-Liste. Es ist vollkommen marktorientiert."
Im Unterschied zu traditionellen Schriftstellern sind Online-Autoren vollkommen von der Gunst der Leser abhängig. Yan Jiu sagt, dass wenn ein Autor schlecht schreibt, dann wird er von den Lesern ignoriert.
Die junge Schriftstellerin mag die traditionelle Kultur und forscht auch über den Klassiker „Traum der roten Kammer" und die Geschichte Ming- und Qing-Dynastie. Auch die alten Sitten und Gebräuche von Beijing faszinieren sie. Ihre Werke haben oft einen historischen Hintergrund. Sie schafft es, ihre Charaktere in schlichten Worten detailliert zu beschreiben. Eigentlich heißt Yan Jiu Miao Yan. Auf ihr Pseudonym angesprochen, sagt sie:
„Im Internet habe ich oft als ein Mann publiziert. Meine Romane mit historischen Themen gefallen vor allem Männern. Das ist später herausgekommen und dann habe ich als eine Frau geschrieben."
Und weil Yan Jiu sich so gut mit Geschichte auskennt, halten sie viele für viel älter als 30.
Internet-Schriftsteller unterscheiden sich von ihren traditionellen Kollegen, indem sie mehr auf emotionale Themen eingehen. Auf diese Weise werden sie von der Internet-Gemeinde besser beachtet. Ihre Werke heißen „Die Wiedergeburt am Ende der Kangxi-Periode" oder „Die Menschen aus dem Traum der Roten Kammer".
Prof. Bai Ye ist ein berühmter Literaturkritiker und zeigt sich von der Arbeit von Yan Jiu beeindruckt. Über das Buch „Die Wiedergeburt am Ende der Kangxi-Periode" sagt er, dass es detailliert und genau das Leben und die Sitten jener Zeit schildert. Er geht sogar soweit, es mit dem „Traum der Roten Kammer" zu vergleichen. Es sei keine leere Gefühlsduselei, sondern ein umfassenden Gesellschaftsbild jener Zeit. Dazu noch einmal die Schriftstellerin selbst:
„Ich gehe besonders auf die Ereignisse in der Familie ein. Zwar schreibe ich aus der Perspektive eines Mannes, doch ich bin ja eine Frau und schreibe deswegen viel detaillierter und konkreter. Natürlich reicht mein Stil nicht an die alten Meister heran. Doch es gibt immer etwas, worüber man sprechen kann. Es können Gefühle sein, es kann etwas angenehmes sein. Mann muss nicht geschwollen schreiben, damit es den Lesern gefällt. Schlichte Sprache reicht aus, um die wichtigen Sachen zu betonen."
Bevor sich Yan Jiu an den Schreibtisch setzt, muss sie viel über die jeweilige Epoche nachforschen. Es ist genauso, wie beim „Traum der Roten Kammer". Wenn man das Meisterwerk gelesen hat, dann interessiert man sich für die Kleider oder das Essen jener Zeit. Auch die Romane von Yan Jiu beschreiben sehr anschaulich das Alltagsleben, die Etikette, die Gesellschaftsordnung der damaligen Zeit. Ihre Werke sind sehr bildlich. Es ist so, als ob man sich eine Fernsehserie ansieht.
Als eine unabhängige Online-Autorin verbringt Yan Jiu einen großen Teil ihres Lebens im Internet. Meistens bleibt sie zu Hause, kauft in Online-Shops und chattet. Ihr Freundeskreis ist nicht besonders groß. Und einen Lebenspartner hat sie bis jetzt nicht gefunden. Sie selbst nennt sich eine alte Jungfer.
Yan Jiu ist bei der Literaturwebseite Shengda unter Vertrag. Es ermöglicht ihr ein sorgenfreies Leben. Sie sagt, dass sie sich glücklich schätzt, im Internet-Zeitalter zu leben. Im Internet kann sie in recht kurzer Zeit ziemlich viele Leser gewinnen. Es ist gut für ihr Selbstbewusstsein und sie hat auch mehr Freiheiten. Auf die Frage angesprochen, ob Online-Literatur und literarische Werte vereinbar sind, sagt Yan Jiu:
„Das Internet behindert meine literarische Ansprüche nicht. Im Gegenteil, im Internet kann ein Schriftsteller seinen literarischen Durst besser stillen. Wenn man zum Beispiel über ein ernstes Thema schreibt, dann überlegt man sich, ob es jemand veröffentlichen wird, ob man einen Verlag dafür findet oder nicht. Das alles schränkt die Gedanken ein, dann schreibt man sehr schablonenhaft. Aber im Internet kann man sehr lebendig schreiben, man braucht keine Angst zu haben, etwas Kreatives zu machen. Bei den Verlagen gibt es nur sehr wenige, die sich trauen, jemand unter Vertrag zu nehmen, der kreativ ist. Bei einem Online-Verlag ist es anders. Wenn man etwas Neues schreibt, kann es sein, dass es ein Bestseller wird. Es ist sehr spannend."