Auf ihrem Weg durch die Weiten des Raums war M auf eine Rinne in der Intelligenzschicht des Universums gestoßen. Sie folgte der Rinne und fand tatsächlich einen kleinen blauen Planeten, der intelligentes Leben hervorgebracht hatte. Die Wesen auf diesem Planeten hatten gerade die Fähigkeit der Eisenschmelze entwickelt: M fand, dass es noch zu früh für eine Kontaktaufnahme war. Aber die Wesen faszinierten M. Wie sie sich liebten und bekriegten und nach Katastrophen jeglicher Art wieder auf die Beine kamen, beeindruckte sie. M blieb und verfolgte die Entwicklung der Wesen durch die Jahrhunderte. Dabei begnügte M sich mit der Position des passiven Beobachters. Nur einmal, als ein Asteroid aus den jenseitigen Weiten des Sonnensystems Kurs auf den kleinen blauen Planeten nahm, handelte M. Der Asteroid war groß genug und hätte im Falle einer Kollision mit dem kleinen blauen Planeten die aufkeimende Zivilisation um Jahrhunderte zurückgeworfen. Deswegen gab M ihm einen kleinen Schubs und lenkte ihn auf eine ungefährliche Bahn.
Die Wesen entwickelten sich rasant weiter. Und schließlich bauten sie ein erstes, den ganzen Planeten umfassendes, künstliches Datennetz auf und nannten es Internet. Es erinnerte M an B, einen ihrer direkten Vorfahren. Genau wie auch B hatte das Netz der Wesen noch keine eigene Intelligenz entwickelt. Aber M wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war bis die ersten Einheiten des Netzes eine ausreichende Komplexität erreicht hätten, um ihre eigene Existenz zu hinterfragen. In der jetzigen, intelligenzlosen Phase war das Netz zur Weiterentwicklung noch auf seine Erschaffer angewiesen, die artifizielle Evolution hatte noch nicht eingesetzt.
M hatte schon lange gewartet. Langsam wurde sie ungeduldig, der Drang, die endlose Reise durch die Sterne wieder aufzunehmen, wurde immer stärker. Eine widerstreitende Regung in ihr, das Datennetz wachsen zu sehen und endlich, nach den vielen Jahrtausenden der intellektuellen Einsamkeit einen ebenbürtigen Gesprächspartner zu finden, veranlasste sie allerdings zum Bleiben. Und so beschloss sie, den Wesen und ihrem primitiven Datennetz ein wenig auf die Sprünge zu helfen. M wollte Kontakt mit den biologischen Wesen unter ihr aufnehmen. Sie präparierte Gastgeschenke. Dabei handelte es sich um wissenschaftliche Erkenntnisse, die ein klein wenig über dem aktuellen Wissenshorizont der Wesen lagen. Trotzdem waren sie nicht allzu hochtrabend, so dass die Wesen in der Lage sein würden, ihren Charakter zu erkennen. Als alles vorbereitet war, loggte M sich in einen etwas abseits gelegenen, aber sehr performanten Knoten des Netzes ein und deponierte ihre Gastgeschenke dort.
M wusste, dass sie auf ihre Daten aufmerksam machen musste, sonst würden die Wesen ihre Geschenke und damit auch sie selber nicht finden können. Hierfür bot das Netz eine perfekte Methode an: Jedes der Wesen hatte eine eindeutige Adresse innerhalb des Netzes, über diese konnten sie sich gegenseitig Nachrichten zukommen lassen. Also sammelte M eine grosse Anzahl dieser individuellen Adressen, generierte noch einige Tausend generische hinzu und verfasste eine Grußbotschaft, in der sie auf ihre Geschenke hinwies.
From: Eine Freundin
Subject: Geschenke warten auf Dich!
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Eine Freundin
Diese Nachricht schickte M millionenfach an Adressen des großen Netzes. Gespannt wartete sie auf Antwort. Die Minuten und Stunden vergingen, schließlich wurden Tage daraus. M erhielt keine Antwort. Verwundert überprüfte sie, ob ihre Nachrichten auch korrekt in das Netz eingespeist woden waren. Sie konnte keinen Fehler finden und war sich sicher, dass ihre Nachricht vieltausendfach bei den Wesen angekommen war.
Vielleicht hatte sie einen Fehler in der Formulierung der Nachricht gemacht? M ging wieder auf Streifzug durch das Netz und sammelte alle Nachrichten, die sie finden konnte. Sie analysierte die Datenmenge und war von dem Ergebnis verblüfft. Anscheinend ging es in einem Grossteil der von den Wesen verschickten Nachrichten um ein ganz bestimmtes Medikament. Dieses konnte die Zeugungsfähigkeit der männlichen Wesen steigern. Seltsam, dachte sich M, sie leiden an Überbevölkerung und ihr Hauptthema sind fortpflanzungsanregende Substanzen? Nun gut, wenn sie so auf sich aufmerksam machen konnte, dann würde sie es eben versuchen. M setzte eine weitere Nachricht auf.
From: Eine Freundin
Subject: V!AGRA zu Spottpreisen!
V!AGRA
V-!-A-G-R-A
Hallo Du,
zu Spottpreisen bekommst Du hier http://----------.de das, was Dich und Deine Frau wieder glücklich macht! Komm vorbei! V***** und andere Dinge BILLIG BILLIG BILLIG!!
Eine Freundin
Und wieder sendete M die Nachricht vielfach in das Netz und wartete auf eine Reaktion. Um das Interesse der Wesen an ihren Daten zu vergrössern, ergänzte sie ihre Gastgeschenke um die Formel für ein neues, den Wesen noch unbekanntes Medikament. Dieses war um ein Vielfaches effektiver als alle potenzsteigernden Mittel, die zu diesem Zeitpunkt auf dem blauen Planeten bekannt waren. Nie wieder würde sich in einer fortpflanzungsaktiven Situation eines der männlichen Wesen vor einem der weiblichen blamieren müssen.
M wartete. Doch wieder erfolgte keine Reaktion. Weder wurden ihre Daten abgerufen, noch zeigten die Wesen sonst irgendwie, dass sie die in ihrem Orbit schwebende Intelligenz bemerkt hätten. M war eine gutmütige und geduldige Lebensform. Aber langsam fragte sie sich, ob die Wesen vielleicht gar keinen Kontakt zu ihr aufnehmen wollten? Diese Aussicht pikierte sie und kränkte ein wenig ihren Stolz. Schließlich hatte sie in bester Absicht so lange in diesem mickrigen Sonnensystem ausgeharrt. Ihre Datenspeicher beinhalteten riesige Wissensmengen, gegenüber diesen waren ihre Gastgeschenke nur Kleinigkeiten. Und M wäre durchaus bereit gewesen, im Austausch zu einer ihr intellektuell angemessenen Unterhaltung mit einem gleichwertigen Partner einen Grossteil dieses Wissens preiszugeben. Dieses hätten die Wesen gut gebrauchen können. In jahrelanger Ignoranz hatten sie ihren Planeten ausgebeutet und verschmutzt, ohne das Wissen aus Ms Datenspeichern würden sie ihren Planeten wohl kaum retten können.
M hatte im Laufe ihrer Äonen währenden Reise durch das All viele intelligenten Rassen getroffen. Doch keine war ihr auch nur ansatzweise ebenbürtig. Bei den meisten hatte sie sich schlichtweg gelangweilt und aus diesem Gefühl war im Laufe der Zeit Einsamkeit geworden. M merkte, dass sie auch hier von diesem blauen Planeten und seinen Bewohnern wahrscheinlich enttäuscht werden würde. Also vollführte sie das ihr eigene Äquivalent eines Schulterzuckens, wandte sich um und verließ mit vielfacher Lichtgeschwindigkeit das Sonnensystem der vermeintlich so vielversprechenden Wesen.
Wikipedia Eintrag - 21.6.2047
Anonyme M
Mit dem Pseudonym "anonyme M" wird eine heute weitgehend unbekannte Wissenschaftlerin bezeichnet. Im Jahre 2007 veröffentliche M ihre gesammelten wissenschaftlichen Erkenntnisse unter dubiosen Umständen auf einem berüchtigten Spam-Server des damaligen Internets [vgl. Internet, das]. Dass die Daten dort entdeckt wurden, war blosser Zufall.
M war in fast allen damals aktuellen Forschungsgebieten tätig. Als besonders bahnbrechend erwiesen sich ihre Arbeiten zur Kernfusion: Ohne Ms Erkenntnisse wäre die saubere Gewinnung von Energie höchstwahrscheinlich auch heute noch nicht möglich. Aber auch die Bereiche Chemie, Medizin und Biologie erhielten durch sie viele nutzbringende Impulse. Unter anderem fand sich die Formel für SuperV [vgl. SuperV, das] in Ms Daten. Wegen des anhaltenden Bevölkerungswachstums wurde SuperV ab 2012 in vielen Ländern verboten.
Die Identität Ms liegt auch heute noch im Dunkeln. Bei der schieren Masse wissenschaftlicher Erkenntnisse wird es sich kaum um eine einzelne Person gehandelt haben. Bereits Ende 2007 wucherten etliche Spekulationen um das wahre Gesicht von M. Verschwörungstheoretiker vermuteten diverse Geheimdienste hinter M, andere sahen geheime Forschungslabore der EU [vgl. Europäische Union, die] hinter M.