Der Direktor Feuerschlund sah aus wie ein Wüterich. – Denkt nur an seinen schwarzen Bart, der wie ein Schurz Brust und Beine bedeckte! – Aber im Grund war der schreckliche Mann doch nicht sehr böse. Als er den armen Bengele sah und ihn jammern hörte: »Ich will nicht sterben, ich will nicht verbrennen«, wurde er weich und gerührt. Er wehrte sich eine Zeitlang gegen dieses Gefühl, schließlich aber konnte er sich nicht mehr halten und mußte laut niesen.
Kasperle stand bisher gebückt und kummervoll wie eine Trauerweide. Bei dem Niesen wurde er plötzlich heiter und sagte dem Bengele verstohlen und ganz leise:
»Ein gutes Zeichen, Brüderlein! Der Direktor hat niesen müssen. Er hat Mitleid mit dir; jetzt bist du gerettet!«
Wenn sonst die Menschen gerührt sind, weinen sie oder tun, als ob sie's in den Augen bisse. Feuerschlund mußte in solchen Fällen immer niesen. Wer es wußte, merkte ihm gleich die innere Rührung an.
Nach dem Niesen setzte der Direktor wieder sein wildes Gesicht auf und fuhr den Bengele an:
»Laß das Heulen! Ich bekomme Magenweh von deinem Jammern; schon drückt mich's wieder ...« – Hatzi, hatzi! mußte er noch zweimal niesen.
»Gesundheit!« sagte Bengele.
»Dankschön! – Leben deine Eltern noch?« fragte Feuerschlund.
»Der Vater, ja! Die Mutter habe ich nie gekannt.«
»Was für ein Elend wäre es für deinen Vater, wenn ich dich jetzt ins Feuer geworfen hätte. Armer Vater, du tust mir leid ...« hatzi, hatzi, hatzi, dreimal mußte er niesen.
»Gesundheit!« sagte Bengele.
»Dankschön! – Eigentlich muß ich dir aber auch leid tun. Schau da, ich habe kein Holz mehr, um den Hammel fertig zu braten, und du hättest gerade guten Dienst getan. Aber jetzt habe ich Mitleid mit dir und es ist nichts mehr zu machen. Ich will dafür einen von meinen Schauspielern aufs Feuer legen. – Heda! Gendarmen!«
Gleich erschienen zwei lange Holzgendarmen; sie trugen einen altmodischen Helm auf dem Kopf und schwangen ihre Säbel.
Mit rauher Stimme sagte der Direktor:
»Faßt den Kasperle, bindet ihn und legt ihn hier auf das Feuer. Mein Hammel muß gar werden!«
Denkt euch den Schrecken des unschuldigen Kasperle! Seine Beine knacksten zusammen, und er fiel stracks auf die Nase.
In diesem fürchterlichen Augenblick warf sich Bengele dem Direktor zu Füßen, weinte und flehte:
»Erbarmen, Herr Feuerschlund!«
»Herr Feuerschlund?« gab dieser barsch zurück.
»Erbarmen, Herr Direktor!«
»Direktor?«
»Erbarmen, Herr Hofrat!«
»Hofrat?«
»Erbarmen, Herr Geheimerat!«
»Geheimerat?«
»Erbarmen, Exzellenz!«
Beim Titel Exzellenz verzog der Direktor sofort den Mund zu einem feinen Lächeln; er wurde plötzlich artig und zugänglich und sagte zu Bengele:
»Nun, mein Lieber, was ist dein Begehr?«
»Ich bitte um Gnade fürs Kasperle.«
»Hier gilt keine Gnade mehr. Dich habe ich geschont, also muß ich einen andern aufs Feuer legen. Mein Hammel muß gar werden.«
»Dann« – stolz richtete sich Bengele auf und warf seine Mütze weit von sich wie ein Held – »dann kenne ich meine Pflicht. Vorwärts, Gendarmen, bindet mich und legt mich auf die Glut! Kasperle, mein aufrichtigster Freund, soll nicht meinetwegen sterben!«
All die hölzernen Leutchen jammerten laut; die beiden Gendarmen weinten wie kleine Kinder.
Feuerschlund blieb anfangs hart und unerbittlich; er schien so gefühllos und kalt wie ein Eisklotz. Aber dann faßte ihn langsam die Rührung, er mußte vier-, fünfmal niesen, nahm den Bengele zärtlich in seine Arme und sprach:
»Du bist ein braver Hampelmann! Komm her und gib mir einen Kuß!«
Bengele kletterte wie ein Eichhörnchen an dem Bart des Direktors hinauf und drückte ihm einen festen Kuß auf die Nasenspitze.
»Also bin ich begnadigt?« fragte Kasperle mit kaum hörbarem, dünnem Stimmchen.
»Begnadigt!« sagte Feuerschlund, seufzte und schüttelte den Kopf:
»Es geht nicht anders! Heute abend muß ich meinen Hammel halb roh essen. Aber einandermal! Es soll mir keiner so wieder kommen!«