„Das ist nur natürlich. Ihre Tochter wird also nachmittags drei Uhr mit den Kleinen hier abreisen.“ – –
Gretchen war in der glücklichsten Stimmung, und diese teilte sich auch den Kindern mit. Alle drei konnten kaum einschlafen vor Freude. Auch Rieke zeigte sich einverstanden mit den neuesten Plänen, doch sagte sie vorsichtig: „Es kommt erst noch darauf an, was das für eine Dame ist, denn es gibt solche, die sind nicht einmal so viel wert wie Fräulein Gretchen, an die man nun doch schon gewöhnt war.“ Aus Riekes Mund mußte Gretchen das schon als Lobspruch betrachten.
Am nächsten Morgen erschien Fräulein Trölopp frühzeitig auf ihrem Posten. Sie schien alles von selbst zu wissen. „Wir packen zuerst der Kinder Reisegepäck,“ sagte sie, „damit heute nachmittag nichts fehlt, und dann richten wir das große Zimmer als Krankenzimmer ein.“ Gretchen war voll Eifer und ging Fräulein Trölopp in allem zur Hand. Als es aber galt, schwere Möbel teils anders zu stellen, teils aus dem Zimmer zu schaffen, mußte Rieke helfen. Manche Anordnung wollte Rieke nicht passen, aber Fräulein Trölopp schien ihr Widerstreben nicht zu bemerken. Allmählich machte Rieke ein ganz böses Gesicht und schien manchen Befehl, den ihr Fräulein Trölopp ganz ungeniert erteilte, zu überhören. Plötzlich hielt Fräulein Trölopp inne, stellte sich vor Rieke und frug: „Wie alt sind Sie?“
„In den Zwanzigern,“ entgegnete Rieke mürrisch.
„Und ich bin bald fünfzig. Sie dienen vielleicht seit zehn Jahren und ich seit dreißig. Da ist’s klar, daß ich befehle und Sie gehorchen. Sie werden auch einmal fünfzig und stehen dann über der zwanzigjährigen, wenn Sie nämlich tüchtig sind. Ich will nun alles so einrichten, wie es für die kranken Kinder und ihre Mutter am besten ist, und ich habe da meine Erfahrungen. Wir dürfen jetzt nicht an uns denken, sondern bloß an die Familie. Wenn alles in gutem Gang ist, dann erst kommen wir an die Reihe. Wenn ich für die Kranken gesorgt habe, dann werde ich auch für Sie sorgen. Ich werde sorgen, daß Sie ausgehen können, werde Ihnen behilflich sein, Ihre Kleider in stand zu setzen und für Ihre Extraleistungen werde ich Ihnen ein Geschenk vermitteln. Zuerst aber müssen Sie mir Ihren ganzen guten Willen, Ihre volle Kraft zur Verfügung stellen. Wir zwei müssen zusammenhalten. Unnützes werde ich nicht verlangen. Packen Sie an, das Sofa muß hinaus, Polstermöbel taugen nicht ins Krankenzimmer!“ und Rieke packte fest an, sie fügte sich dem starken Willen, sie fühlte: da gab es kein Widerstreben.
Bei dem ersten gemeinschaftlichen Mittagsmahl mit Fräulein Trölopp schien Herr van der Bolten etwas gestört. Für sein Künstlerauge war die neue Tischgenossin kein Labsal. Sie saß an dem Platz, den sonst seine feine liebliche Gattin einnahm. Er war schweigsamer als sonst und vermied, Fräulein Trölopp anzusehen. Fühlte sie es, oder war es Zufall, daß sie zu Herrn van der Bolten sagte: „Morgen mittag wird schon Ihre Frau Gemahlin an meinem Platz sitzen, und ich werde über Mittag bei den Kranken bleiben, damit Sie beide Ruhe haben während des Essens, es wird Ihnen gut tun.“ Da leuchtete Herrn van der Boltens Gesicht hell auf, mit dankbarem Blick erwiderte er die guten Worte, bot Fräulein Trölopp die Platte und sagte: „Sorgen Sie auch für sich selbst, nicht nur für andere!“