Am heiligen Abend, als es schon dunkelte und da und dort in den Häusern die ersten Christbäume angezündet wurden, kam unser Gretchen mit ihren zwei Pflegbefohlenen fröhlich und wohlbehalten zu Hause an. Sie hatte ja schon ganz darauf verzichtet gehabt, Weihnachten daheim feiern zu dürfen, und nun sollte es zu Hause eine schönere Feier geben als je, durch die kleinen Gäste, die sie mitbrachte. Frau Reinwald, die tags vorher gar nicht an eine Bescherung denken mochte, hatte nun einen größeren Tisch zu decken als sonst, und tat es voll Vergnügen.
Das kleine Pärchen fühlte sich gleich ganz wie zu Hause, Gretchen war ihnen ja vertraut und die Tante so ähnlich der Mutter, und wie hätte man Heimweh bekommen können in einem Haus, wo man gleich von dem brennenden Christbaum begrüßt wird?
Ja, das war ein glücklicher Abend, und als die Kleinen zur Ruhe gebracht waren und Gretchen allein mit den Eltern blieb, durfte sie von all ihren Erlebnissen berichten. Auch Oskar kam an die Reihe. „Mit ihm konnte ich nicht fertig werden,“ schloß Gretchen, nachdem sie erzählt, wie er sie in Schrecken versetzt und zum Nachgeben gezwungen hatte mit seiner Drohung, sich durchs Fenster zu stürzen.
„Ja, einem solch leidenschaftlichen Knaben bist du noch nicht gewachsen,“ sagte Frau Reinwald. „Aber auch die eigenen Eltern können doch nichts machen, wenn ein Kind so unbändig ist!“ meinte Gretchen.
„Oho, das wäre schlimm!“ entgegnete ihr der Vater.
„Man kann es aber doch nicht darauf ankommen lassen, ob er wirklich zum Fenster hinausspringt oder nicht, oder hätte ich nicht nachgeben sollen?“ fragte Gretchen.
„Doch, im Augenblick konntest du nicht anders handeln, und auch ich hätte ihm wohl zunächst den Willen getan, damit er seinen gefährlichen Posten verlasse. Aber dann hätte ich ihm gesagt, wie unrecht dies Ertrotzen ist, und hätte ihn dafür so durchgeprügelt, daß er es nicht zum zweitenmal versucht hätte.“
„Aber so etwas kann ein Mädchen in deinem Alter nicht tun,“ fügte Frau Reinwald hinzu, „und darum ist’s diesem jungen Hausmütterchen auch so wohl, daß es seine Würde ablegen und wieder selbst Kind sein darf, statt andere Kinder zu erziehen.“
Ja, Gretchen war es leicht und wohl zumute, heute und in den folgenden Tagen. Die ganze Verantwortung für die Kinder übernahm die Mutter, und für sie blieb die ungetrübte Freude an den herzigen Kleinen. Aus N. kamen fleißig Nachrichten; die beiden Knaben waren ernstlich krank, aber ihre Mutter konnte wieder aufatmen, und die ganze Haushaltung ging ihren geordneten Gang. Dies hörte Gretchen immer wieder mit besonderer Befriedigung und sagte mit Stolz: „Wenn ich auch sonst nicht viel geleistet habe, so habe ich doch Fräulein Trölopp entdeckt!“