„Du verstehst es nicht besser,“ sagte das Erdreich. „Du hast nicht genug Poesie, um es zu begreifen. Ich aber bin sogar in diesen trockenen Zeiten voll[S. 151] Melodien und voll der merkwürdigsten Märchen. Du hast gar keine Ahnung von all der Herrlichkeit und Schönheit, die aus mir quillt. In mir spielen sich große Dramen ab, erschütternde, entsetzliche Begebenheiten, die mir genug zu denken geben, während ich auf den Regen warte, wohingegen du beständig grau und gleichförmig und weiß und gelb und langweilig bist. Dein Sandhaargras würde noch einmal so starr zu Berge stehen, wenn ich es dir erzählte.“
„Erzähle!“ bat der Sand.
„Was könnte es nützen? Du verstehst es ja doch nicht. Ich könnte dir von allen den seltsamen Blumen erzählen, die in mir wachsen, da drüben in meiner Heimat. Könnte dir erzählen, wie listig sie es anfangen, Bienen und Fliegen anzulocken und ihnen ihren Staub mit auf den Weg zu geben bis zur nächsten Blüte. Ich könnte erzählen von dem Duft, der meine Wälder erfüllt... von meinen Feldern mit dem Getreide, das sich golden und schwer zu Boden neigt, und mit den blauen Kornblumen und dem roten Mohn dazwischen... von dem Aufspringen der Knospen und davon, wie im Lenz alles empordrängt zum Licht und wie alle ganz außer sich sind vor Freude: Menschen und Tiere, Blumen und Bäume. Erzählen könnte ich von den Ameisen... Hast du auch Ameisen?“
„Ein paar im Sandhaargras,“ flüsterte der Sand ganz verschämt.
„Ha! Aber ich habe sie zu Millionen, siehst du. Sie bauen gewaltige Hügel unter den Bäumen und rennen Tag und Nacht umher... Die Ameisen führen ein so merkwürdiges Leben! Aber das weiß[S. 152] ja jedes Kind, so daß ich gar nicht davon reden mag.“
„Das ist alles recht gut und schön,“ sagte der Sand, „aber wo bleibt das Fürchterliche, das Erschütternde?“
„Was hältst du zum Beispiel vom Kuckuck?“ fragte die Erde. „Kennst du den?“
„Nein,“ war die Antwort.
„Natürlich — woher solltest du ihn auch kennen! Das ist ein überaus vornehmer und verwöhnter Vogel, der jährlich nur ganz kurze Zeit hier im Lande wohnt... nur die schönsten Sommermonate über. So vornehm ist er, daß er selbst gar kein Nest baut, sondern seine Eier in die Nester anderer Vögel legt. Und die fremden Vögel brüten die Eier aus, in dem Glauben, es wären ihre eigenen. Der junge Kuckuck stößt die anderen Jungen dann zum Neste hinaus und frißt und frißt, und die Pflegeeltern sterben manchmal schließlich vor Hunger und Kummer.... Ach, das ist eine grauenhafte Geschichte, die einen in einer Sommernacht wach halten kann. Und der Kuckuck ist mein, verstehst du, und das alles sind meine Vögel und meine grünen Wälder...“
„Ja, die Geschichte ist wirklich schrecklich. Gott sei Dank, daß ich keinen Anteil daran habe!“
„Aus dir spricht der bloße Neid. Du bist alles andere als interessant. Das weißt du, und das quält dich.“