Merle erschrak beim Blick an die Raumdecke ihres Schlafzimmers. Ganz oben hatte sich eine große Winkelspinne in eine der Ecken zurückgezogen und wartete dort auf Beute.
»Ich kann unmöglich heute Nacht hier schlafen. Ich werde bestimmt kein Auge zumachen können.«
Merle schnappte sich ihr Handy und rief ihren Freund an. Er musste unbedingt vorbei kommen und dieses achtbeinige Monster einfangen.
»Schatz, es tut mir leid.«, entschuldigte er sich. »Du weißt doch, dass mein onkel heute Geburtstag hat und ich dreihundert Kilometer weit weg bin. Ich glaube aber ganz fest daran, dass du mit der Spinne allein fertig wirst. Du bist immerhin eine erwachsene Frau. Versuch es doch mal mit dem Staubsauger.«
Der Staubsauger. Natürlich. Das war die rettende Idee.So machte ihr Freund das doch immer.
Merle holte ihn sofort aus dem Wandschrank, baute in im Schlafzimmer auf. Sie drückte auf den Einschaltknopf, stülpte das Saugrohr über das Krabbeltier und sah triumpierend dabei zu, wie die Spinne verschwand.
»Schnell weg damit!«
Merle schaltete ab und stellte den Sauger zurück in den Schrank. In den nächsten Wochen wollte sie aufs Saugen verzichten. Zu groß war ihre Angst, dass die Spinne wieder hervor kommen könnte. Dafür konnte Merle aber nun beruhigt ins Bett gehen, die Augen schließen und einschlafen.
Eine Stunde später öffnete sich langsam ein Auge, dann ein zweites, drittes. Am Ende waren es acht Augen, die versuchten, in der völligen Dunkelheit etwas zu erkennen. Die Winkelspinne fühlte sich nooch etwas benommen, war aber aus ihrer Ohnmacht erwacht.
»Ich kann es noch gar nicht glauben. Ich habe den Staubsauger überlebt.«
Sie atmete erleichtert auf.
»Du bist nicht die Einzige, der dieses Kunststück gelungen ist. Wir haben es alle überlebt.«
Tatsächlich saßen alle eingesaugten Spinnen im Staubsaugerfilter.
»Aber warum seid ihr noch nicht geflüchtet?«, fragte die Winkelspinne.«
»Wir warten auf den richtigen Moment. Wenn unsere Gruppe groß genug ist, klettern wir aus unserem Versteck. So viele von uns auf einmal kann man nicht wieder einfangen. Dann schaffen wir es hoffentlich an die Freiheit und zurück in die Natur.«
Die Winkelspinne grinste, was im Filterbeutel niemand sehen konnte.
»Das geht doch viel einfacher. Die Frau da draußen schläft. Sie merkt jetzt gar nichts.«
Die spinne winkte in die Dunkelheit, kletterte im Saugerschlauch hoch und ließ ihre Artgenossen verblüfft zurück. Leise krabbelte sie unter der Schranktür durch, an der Wand hinauf und durch das offene Fenster hinaus.
Endlich frei.