Stille lag über dem Bauernhof. Die Sonne war noch nicht aufgegangen und der Hahn hatte noch nicht gekräht. Und doch war schon jemand wach.
Nico war vor ein paar Minuten gähnend aus seinem Bett gekrochen und machte sich an die Arbeit. Seine Aufgabe war es, jeden Tag ein paar der vielen Mäuse zu fangen, die sich auf dem Bauernhof herum trieben, damit sie nicht so viel vom Tierfutter anknabbern konnten.
Besonders die Kühe waren ihm und den anderen Katzen dafür sehr dankbar, denn sie hatten immer Angst mit ihrem eine Maus zu zerquetschen, wenn sie sich hinlegten.
Nico machte seinen üblichen Rundgang. Er lief einmal um die Scheune herum, anschließend um das Haus des Bauern und zum Schluss warf er einen prüfenden Blick auf den Misthaufen.
Und, trotz dass es noch so früh am Morgen war, fing er gleich fünf Mäuse. Die letzte von ihnen kam gerade völlig verschlafen aus dem Misthaufen gekrochen, da war es auch schon um sie geschehen. Nico packte zu und sperrte sie in einen kleinen Käfig.
Die kleine Maus quiekte vor Empörung und verlangte auf der Stelle eine richtige Verfolgungsjagd, wie sie üblich sein sollte, doch lies sich der Kater nicht darauf ein.
Von diesem Krach wurde allerdings Henning, der Hahn, wach. Er hatte seinen Kopf zwischen den Federn versteckt gehabt und schnarchte munter vor sich hin, bis die Maus ihn weckte.
»Huch? Wie denn? Was denn? Ist es denn schon so weit?«
Er schreckte hoch und krähte aus Leibeskräften, bis alle Tiere des Hofes und die Bauernfamilie wach waren.
»Oh nein.«, fluchte Nico.
»Du bist doch viel zu früh dran. Du hättest noch eine halbe Stunde warten sollen. Jetzt kommt doch der ganze Zeitplan durcheinander. Jedes Mal das Gleiche. Warum erschreckst du dich auch jedes Mal, wenn eine Maus anfängt zu quieken?«
Henning entschuldigte sich und überlegte bereits an einer Ausrede, die er den anderen Tieren erzählen konnte. Ein Hahn der sich von einer kleinen Maus erschrecken lies, durfte es doch nicht geben.
Nico packte sich derweil seine Beute und brachte sie in das Hauptquartier der Mäusejäger. Wie an jedem Morgen trafen sich alle sieben Katzen des Bauernhofes in einem alten Hühnerstall und präsentierten dort ihren Fang. Doch diesmal stimmte etwas nicht.
Nico sah sich um und fühlte sich plötzlich mutterseelenallein. Er sah sich ein zweites Mal um und fing schließlich an, laut zu miauen. Eine Antwort bekam er allerdings nicht. Sein Gefühl hatte ihn also nicht getäuscht. Er war allein.
Er überlegte schnell, was geschehen sein konnte. Hatten die anderen vielleicht verschlafen, oder hielten sie sich an den eigentlichen Zeitplan und jagten noch weitere Mäuse?
Also packte er erst einmal seine Beute in einen größeren Käfig und wartete die Zeit ab. Aber trotzdem blieb er allein. Es kam niemand mehr.
»Da ist doch irgendwas faul. Da stimmt etwas nicht.«
Hinter ihm kicherten die fünf Mäuse vor sich hin. Schließlich lachten sie ganz laut und hielten sich die Bäuche.
»Sechs böse Katzen sind verschwunden und du wirst die nächste sein.«
Nico erschrak. Konnte es wirklich so sein? Waren seine Freunde verschwunden?
Er kontrollierte noch einmal den Käfig, dann machte er sich auf den Weg, die anderen Katzen zu suchen.
Er lief über den ganzen Hof, durch alle Gebäude. Sogar auf den Feldern suchte er, aber er fand nichts. Keine einzige Spur war zu finden. Er war tatsächlich der letzte Mausefänger.
»Was kann das bloß passiert sein? Das verstehe ich nicht.«
Auch in den nächsten Tagen änderte sich an der Situation nichts. Nico musste also die Arbeit ganz allein erledigen, was er natürlich nicht schaffte.
Die Anzahl der Mäuse stieg von Tag zu Tag. Und sie wurden immer frecher und mutiger, denn sie wussten, dass eine einzelne Katze nicht gegen sie ankam.
Sie stahlen sehr viel Futter und nahmen es mit in ihre Verstecke. Sie knabberten Vorratssäcke an und ärgerten die Kühe. Nicht einmal Henning blieb von ihnen verschont. Der arme Hahn konnte nachts kein Auge mehr zu machen. Ständig lief eine Maus an ihm vorbei und zwickte ihn in die dünnen Beinchen. Dafür war er dann morgens so müde, dass er ständig verschlief und den Sonnenaufgang verpasste. Dadurch kam der Bauer nicht mehr pünktlich aus dem Bett und es entstand ein riesiges Chaos.
Nach einer Woche sagte Henning zu Nico: »Ich halte das einfach nicht mehr aus. Es muss endlich was geschehen. Die Mäuse übernehmen langsam das Kommando über den Bauernhof. Ich kann nicht mehr richtig schlafen und deswegen ist der Bauer ziemlich sauer. Ich glaube, dass er gestern zu seiner Frau sagte, dass er mich bald in den Kochtopf wirft, wenn ich nicht bald wieder pünktlich krähe.«
Nico wusste sich auch keinen Rat mehr. Er war den vielen Mäusen einfach nicht mehr gewachsen.
Er streifte eine Zeit lang durch die Felder, bis er schließlich zum benachbarten Bauernhof kam. Er war so in Gedanken, dass er es erst bemerkte, als er vor einem knurrenden Hofhund stand. Zum Glück war dieser angekettet.
Normalerweise hielt sich Nico von diesem Hof fern, da dieser Hund Katzen nicht leiden konnte.
»Was willst du hier? Das ist nicht dein Hof. Also verschwinde, sonst fresse ich dich auf.«
Nico bekam zwar Angst, wusste aber auch, dass der Hund seine Kette nicht zerreissen konnte. Also bestand keine Gefahr, so lange er ihm nicht zu nahe kam.
Plötzlich kam Nico eine Idee. Er flitzte weg und lief ein paar Mal um die Scheune des fremden Hofes. Und er musste feststellen, dass hier nicht eine einzige Maus zu finden war. Es schien, als würde hier keine einzige von ihnen leben.
»Das ist doch mehr als seltsam. Sonst findet man doch auf jedem Bauernhof Mäuse.«
Und dann kam er auf die Lösung dieses Rätsels. Offenbar waren alle Mäuse umgezogen. Sie mussten gehört haben, dass Nico allein kaum noch einen Nager fangen konnte. Doch woran lag das?
Er legte sich auf die Lauer und beobachtete den Hofhund. Dieser stand in der Mitte des Hofes und fraß gemütlich aus seinem großen Napf. Nur selten sah er sich um. Er musste sich ziemlich sicher sein, dass keine ungebetenen Gäste kommen würden. Schließlich lies er sich nieder und machte ein Nickerchen.
»Das ist meine Chance. Jetzt werde ich das Rätsel lösen.«
Nico schlich über den Hof, vorbei am Hund und ging vorsichtig auf dessen Hütte zu. Als er hinein sah, erschrak er und hätte fast geschrien.
Im Inneren fand er, wonach er schon lange gesucht hatte. Dort waren sechs Katzen. Sie waren gefangen und gefesselt worden. Sie alle zitterten vor Angst. Doch als sie Nico erblickten freuten sie sich.
»Seit leise, damit der Hund nichts hört. Ich werde euch befreien.«
Er zerbiss die Seile und geleitete seine Freunde hinaus bis auf die Straße.
Der Hund bekam davon nichts mit. Er lag weiterhin vor seinem Fressnapf und schnarchte.
Als die sieben Katzen auf ihrem Hof ankamen hing sofort ein lautes Geschrei in der Luft. Die Mäuse waren erschreckt, da sie nicht damit gerechnet hatten. Sofort ergriffen sie die Flucht und liefen zum Hof des Hundes, der ihnen geholfen hatte.
Nico hingegen suchte das Hauptquartier auf und packte sich die fünf Nager, die er eine Woche zuvor eingesperrt hatte.
Sie erzählten ihm, dass der Hund des Nachbarhofes alle Katzen einfangen wollte. Als Belohnung verließen alle Mäuse seinen Hof, damit er und seine Tiere ihre Ruhe haben konnten.
»Da hat er aber nicht mit mir gerechnet.«, antwortete Nico.
Er lies die fünf Mäuse frei. Dafür befahl er ihnen, dass sie sofort den Hof verlassen mussten, was sie nur zu gern taten.
Seit diesen Tagen haben die sieben Katzen fast keinen einzigen Nager mehr gesehen. Doch vom Hof des Hundes hörte man ständiges Gebell. Offenbar sah es dort drüben ganz anders aus.