Nach einer langen Wanderung kamen sie in der Hauptstadt des Landes an. Der Regen hatte inzwischen nachgelassen, die Wolken lockerten auf und der Regenbogen war längst verschwunden. Dafür ragte nun vor ihnen ein großes Schloss in die Höhe, dessen Türme bis in die Wolken zu wachsen schienen. Dahinter ragte ein riesiges Gebirge auf, dessen Gipfel zu hoch waren, um sie zu sehen.
Und in dem Schloss lebte der Regenbogenkönig mit seiner Familie.
Marvin war trauriger als jemals zuvor in seinem Leben.
»Wir werden nie den Topf voll Gold finden. Selbst wenn der Regenbogen wieder auftauchen sollte. Niemand kann uns sagen, wie wir hin kommen. Er ist einfach viel zu schnell für uns.«
Während sie durch die Straßen zogen, bemerkten sie, dass viele Leute stehen blieben, leise tuschelten und flüsterten. Und immer wieder zeigte jemand vorsichtig mit dem Finger auf die beiden Biber.
»Was hat das alles zu bedeuten?«, fragte Fridolin.
Aber sein Freund hatte darauf auch keine Antwort.
»Ich finde das auch sehr seltsam.«
Nach einem langen Tag suchten sie sich ein kleines Gasthaus in der Nähe der Stadtmauer aus. Noch immer hatte ihnen niemand den richtigen Weg weisen können. Nun dachte auch Marvin das erste Mal darüber nach, ob es nicht klüger wäre, sich auf den Rückweg nach Hause zu machen.
»Schon so lange sind wir jetzt unterwegs. Durch viele Länder sind wir gereist und noch mehr Städte haben wir gesehen. Und trotzdem hat uns nicht ein einziger helfen können. Nun sind wir in der Hauptstadt des Regenbogenlandes angekommen und selbst hier weiß niemand mehr als wir zwei.
Ich glaube, wenn man uns hier nicht helfen kann, dann kann es niemand auf der ganzen weiten Welt. Wir sollten nach Hause gehen.«
Er lies sich auf sein Bett fallen und vergrub seinen Kopf unter einem großen Federkissen.
Fridolin sah von seinem Bett aus hinüber und nickte traurig.
»Du hast Recht. Wir können den Regenbogen nicht erreichen, weil wir nicht wissen, wie das geht. Wir sollten aufgeben und gehen.«
Am nächsten Morgen wurden die beiden von einem lauten Klopfen geweckt. Es stand jemand auf der anderen Seite der Tür und wollte offensichtlich mit den Bibern reden.
Marvin stand auf und öffnete. Da sah er einen Trupp der königlichen Soldaten vor sich. Sofort bekam er Angst, dass sie gegen ein Gesetz verstoßen hatten und nun im Gefängnis landen würden.
Doch dann schob sich ein kleiner, aber fein gekleideter Mann nach vorn.
»Seit ihr die zwei komischen Biber, die auf den Regenbogen klettern wollen, um einen Topf voll Gold zu finden? Seit ihr diejenigen, über die man sich in der ganzen Stadt und dem ganzen Land bereits Geschichten erzählt?«
Marvin begann zu zittern und bekam kein Wort heraus. Dafür zitterte er nun am ganzen Körper.
»Endlich haben wir euch gefunden.«, rief der Mann.
»Wir suchen schon die ganze Nacht nach euch und waren bereits in allen anderen Gasthäusern der Stadt. Ich freue mich so sehr, euch endlich persönlich zu treffen.«
Fridolin war inzwischen zur Tür gekommen, hatte dem Fremden zugehört und verstand nichts von allem, was gesagt wurde. Marvin erging es da nicht anders.
Doch dann erklärte der Mann in den schicken Kleidern, warum er gekommen war.
»Der König unseres Landes hat mich zu euch gesandt. Er möchte euch in sein Schloss einladen, um mit euch zu sprechen.«
Nun waren die beiden Biber überrascht. Mit allem hatten sie gerechnet, nur nicht damit.
Sie packten sofort ihr weniges Hab und Gut zusammen und ließen sich von einer großen Kutsche in das Schloss fahren.
Der König wartete schon im Hof seinen Schlosses auf den bevor stehenden Besuch. Schließlich traf die Kutsche ein und er führte seine Gäste in den riesigen Thronsaal.
»Nehmt Platz, meine Freunde und erzählt mir von eurer langen und beschwerlichen Reise in mein Königreich.«
Die Biber machten es sich gemütlich und Fridolin begann zu berichten, warum sie sich auf die lange Wanderung gemacht hatten. Als er vom Topf voll Gold erzählte, fing der König an zu lachen.
»Immer wieder höre ich Berichte von jungen Burschen, die den Topf voll Gold am Ende des Regenbogens suchen. Aber noch kein einziger hat ihn je gefunden, weil es ihn einfach nicht gibt. Er ist nur ein Märchen.«
Marvin war enttäuscht. Er hatte es bereits befürchtet. Aber nun musste er vom König die volle Wahrheit erfahren.
»Ihr zwei Biber sei aber die ehrgeizigsten Sucher, von denen ich je gehört habe. Ich hätte nie gedacht, dass es jemanden geben würde, der einfach nicht aufgibt. Ihr seid schon zwei komische Kerle. Aber ich mag euch.«
Fridolin zog seinen Rucksack zu sich und holte sein Buch daraus hervor.
»Das einzige, was wir auf unserer Wanderung finden konnten, waren viele Geschichten über den Regenbogen. Es waren sogar so viele, dass ich sie mir unmöglich hätte im Kopf behalten können. Deswegen habe ich sie in dieses dicke Buch geschrieben. Mehr haben wir leider nicht.«
Der König nahm das Buch in seine Hände und blätterte vorsichtig durch die Seiten.
»Das ist genau der Grund, warum ich euch hierher eingeladen habe.«
Er zog eine Schachtel Streichhölzer aus der Tasche und zündete eine Kerze an. Dann nahm er ein glatt poliertes Stück Glas in Tropfenform zur Hand und hielt es davor.
»Wenn es regnet, dann fallen viele Tropfen Wasser vom Himmel. Scheint dazu dann auch noch die Sonne, dann strahlt sie ihr Licht durch die Tropfen hindurch. Dabei zerfällt das Licht in seine farbigen Bestandteile.«
Er nahm das Buch hoch und hielt es neben den Glastropfen.
»Und wenn dann die farbigen Teile auf ein Hindernis stoßen, erscheint ein Regenbogen. Ihr seit also die ganze Zeit nur einem Bild am bewölkten Himmel gefolgt.«
Fasziniert sahen die Biber auf das Buch. Auf ihm war nun der Regenbogen mit all seinen Farben zu sehen: da waren rot, orange, gelb, grün, blau, indigo und violett.
»Auch wenn ihr vergeblich nach dem Topf voll Gold gesucht habt, findet ihr nun am Ende dieses kleinen Regenbogens einen Schatz, der euch unvorstellbar reich machen wird.«
Marvin und Fridolin verstanden nicht, wovon der König sprach. Sie sahen keinen Schatz, sondern nur ein Buch mit einem Regenbogen darauf.
»Ihr seht richtig, meine Freunde. Dieses Buch ist euer Schatz. Die Geschichten darin werden bald viele Zuhörer finden. Reist damit nach Hause und erzählt den Leuten vom Regenbogen. Das wird euch reicher machen, als alles Gold dieser Welt. Und ich möchte der erste Sein, der euren Erzählungen lauscht. Das ist mein einziger Wunsch an euch zwei.
Also setzt euch mit an meine Tafel, esst und speist mit mir und erzählt mir Geschichten aus eurem Buch.«
Marvin und Fridolin blieben noch ein paar Monate am Hof des Königs. Jeden Tag lasen sie ihm ihre Geschichten vor.
Doch eines Tages war die Zeit gekommen, dass sie Abschied nehmen mussten. Es zog sie wieder zurück in ihre Heimat.
Vor dem Schloss gab ihnen der König ein Geschenk.
»Dies ist der Regenbogentropfen, den ich euch damals gezeigt hatte. Tragt ihn immer als Erinnerung bei euch.«
Auch Fridolin hatte ein Geschenk für den König.
»Ich hatte viel Zeit in eurem Schloss und habe als Dank für eure Gastfreundschaft alle Geschichten noch einmal in einem neuen Buch aufgeschrieben, damit ihr euch auch in Zukunft daran erfreuen könnt.«
Ein letztes Mal gaben sie sich die Hand. Dann machten sich die Biber auf den langen Weg nach Hause.
Einige Monate später kamen Marvin und Fridolin zurück an ihren See. Schon vor Wochen hörten ihre Freunde und Nachbarn von der Rückkehr der beiden Biber. Denn es war ihnen die Kunde voraus geeilt von den beiden Regenbogenbibern, die im ganzen Land Geschichten über den Regenbogen erzählten und damit Jung und Alt unterhielten.
Doch nun war die lange Wanderung zu Ende. Marvin und Fridolin saßen auf der Terrasse, gekleidet in bunt schillernden Hosen und Jacken. Jeder von ihnen hatte ein dickes Buch im Schoß liegen, aus denen sie ihren gespannten Zuhörern Geschichten vorlasen.
Aber irgendwann geht jede Geschichte einmal zu Ende.
Die beiden Biber wünschten allen eine gute Nacht und zogen sich müde in ihre Betten zurück. Noch einmal redeten sie über ihre Erlebnisse.
»Die ganze Zeit sind wir einem großen Trugbild hinterher gelaufen, in der Hoffnung reich zu werden. Wir haben geträumt von einem großen Baumhaus, einer Weltreise, Reichtum und einem riesigen Festessen.«
»Oh ja.«, sagte Fridolin dazu.
»Und wir haben das auch alles bekommen. Denn das Haus hatten wir schon immer, die Weltreise haben wir gerade erst beendet und das Festessen gab es jeden Tag am Hof des Regenbogenkönigs.«