Der erste Weihnachtswichtel
»Weihnachten!« Der kleine Wichtel sprach dieses Wort mit größter Verachtung aus und spuckte auf den Boden des Hausflurs. »wie ich dieses Fest hasse. Überall Frohsinn, Geschenke und kitschige, hässliche Dekorationen. Und wenn ich dann auch noch an den Weihnachtsmann denke, wird mir richtig schlecht. Dieser angebliche Wohltäter, der allen Kindern ein Geschenk bringt. Ich bin mir sicher, dass er auch seine dunklen Seiten hat, die die Menschen schockieren würden.«
Der kleine Wichtel setzte seinen Weg fort. An jeder Haustüre des großen Wolkenkratzers blieb er stehen, riss die Dekorationen herunter und stopfte sie in einen großen Müllbeutel. »Ihr werdet es schon sehen. Dieses Jahr fällt euer ach so schönes Weihnachten einfach mal aus. Keine Adventskränze, keine Plastikweihnachtsmänner und vor allem keine leuchtenden Rentiere. Ich will dieses Jahr meine Ruhe haben.«
»Was ist denn mit dir los? Ist dir eine Laus über die Leber gelaufen? Warum willst du denn Weihnachten verhindern?«
Der Wichtel erschrak. Er hatte es nicht bemerkt, dass sich jemand von hinten genähert hatte. Schnell wirbelte er herum und sah sich einem alten Mann mit langem Bart gegenüber, der in verschlissenen Schlappen und einem abgetragenen Morgenmantel im Flur stand. In seiner Hand hielt er einen löchrigen Kartoffelsack.
»Was mich an Weihnachten stört? Jedes Jahr flippen die Leute aufs Neue wegen diesem Weihnachtsmann aus. Sie schmücken alles, sind froh. Sie stellen ihm sogar Kekse und Milch neben den Kamin, damit er Proviant für seine lange Reise um die Welt hat.« Er seufzte laut und setzte sich neben seinen Müllsack auf den Boden. »Wie kann denn ein einzelner Mann so beliebt sein, dass man sich auf der ganzen Welt auf ihn freut? Ich finde das so unglaublich unfair.«
Der Alte setzte sich nun auch und lächelte. »Gib es zu, mein kleiner Freund. Du bist neidisch und eifersüchtig. Du wärst auch gern so beliebt bei den Menschen.«
Das Gesicht des Wichtels lief rot an. Der Blick verfinsterte sich. »Bist du verrückt geworden? Neidisch? Eifersüchtig? Ich? Niemals!« Er schloss die Augen und ließ den Kopf sinken. »Ja, ich gebe es zu. Du hast Recht. Ich bin eben nur ein kleiner unbedeutender Wichtel, den niemand kennt. Mir wird nie jemand Beachtung schenken und sich über mich freuen.«
Der alte Mann legte seinen Arm um den Wichtel. »Ist schon in Ordnung. Darüber darf man sich ruhig ärgern. Viele geben sich ihr ganzes Leben lang Mühe, finden aber keine Beachtung, obwohl sie sie verdient hätten. Den meisten fehlt es an der nötigen Hilfe von Anderen.«
Der Wichtel verdrehte die Augen. »Aber mir kann kein einziger Mensch helfen. Wie soll ich denn zum Nordpol kommen? Wie soll ich dafür sorgen, dass Weihnachten erfolgreich wird und alle Menschen glücklich? Das kann ich leider nicht allein.«
Nun grinste der Alte breit. »Das kannst du tatsächlich nicht allein. Menschen können das ebenfalls nicht. Aber ich kenne da jemanden, der es könnte: Der Weihnachtsmann.«
Der alte Mann öffnete seinen Kartoffelsack und holte einen Mantel in roter und weißer Farbe heraus. Er zog ihn sich über.
»Du bist es wirklich?« Der Wichtel wollte es nicht glauben, doch der Weihnachtsmann nickte.
»Wie wäre es, wenn du mir hilfst, das Weihnachtsfest auszurichten? Ich könnte deine Hilfe sehr gut gebrauchen. Mir wächst die Arbeit langsam über den Kopf. Ich muss am Nordpol eine Werkstatt einrichten, in der die Geschenke hergestellt werden. So ganz allein ist das für mich einfach nicht mehr zu schaffen.«
Der Wichtel überlegte eine Weile und bewegte dabei seinen Kopf mal zur einen und mal zur anderen Seite. »Ich kann dir nicht helfen. Die anderen Wichtel glauben, dass ich dich nicht leiden kann. Sie werden mich auslachen, wenn ich plötzlich meine Meinung ändere.«
»Das lass mal meine Sorge sein. Ich stelle jeden von euch ein. Ihr Wichtel werdet meine Werkstatt betreiben und du wirst sie leiten.«
Wieder überlegte der Wichtel. Schließlich nickte er. »Ich bin dabei.«
»Prima!« Der Weihnachtsmann stand auf und half seinem neuen Freund auf. »Da du aber jetzt für mich und das Weihnachtsfest arbeitest, darfst du keine Weihnachtsdekoration mehr klauen.«
Irgendwas war ja immer. Der Wichtel öffnete seinen Müllsack und holte seine Beute hervor. Nach und nach hängte er sie wieder an den einzelnen Türen auf.
»Hm.« Der Weihnachtsmann hatte aufmerksam zugeschaut. »Das wirkt alles noch sehr langweilig. Lass uns die Dekoration noch ein wenig pimpen. Ich habe in meinem Geschenkesack noch ein paar Spielzeuge, die mir beim Basteln misslungen sind.« Er holte ein paar besonders hässliche Puppen heraus, die er mit an die Türen hängte.
»Und jetzt schnell weg von hier.« Der Weihnachtsmann packte den Wichtel an der Hand und zog ihn hinter sich her aus dem Haus. »Es soll uns ja niemand dabei erwischen, wie wir Schabernack treiben. Man soll nur Gutes von uns denken.«