Vor urdenklichen Zeiten lebte einmal ein Wirt nahe bei einem Wald. Er war sehr geizig und drehte jedes Geldstück dreimal um, bevor er es ausgab, als ob es aus Gold wäre. Zur selben Zeit lebte ein mächtiger, reicher König, und der schaute das Geld nicht an, sondern lebte in Saus und Braus. Einmal schrieb der' König eine Taed aus und setzte für das beste Weidstück einen herrlichen Lohn. Wenn einer von Adel das beste Wild erjagen würde, sollte er des Königs Tochter zur Frau erhalten, wenn ein Gemeiner, so sollte dieser mit Gold reichlich belohnt werden.
Der Tag der Jagd brach an, und auch unser Wirt war dabei, denn die Belohnung stach ihm zu sehr in die Augen. Den ganzen Tag wurde gejagt und geblasen, und die Hunde bellten, daß es in den Wäldern einen Höllenlärm gab. Abends war die Jagd beendet, und den Preis erhielt ein Graf, der einen stolzen Hirsch mit goldenem Geweih erjagt hatte. Der Wirt war aber mit seinem Tagwerk auch nicht unzufrieden, denn er hatte ein wildes Männlein, das ein goldenes Schwert trug, eingefangen und heimgebracht.
Das Männlein war so lieb und nett, daß der Wirt einen Glaskasten über diesen machen ließ und auf den Kasten stellte, und wenn jemand den Wirt besuchte, so mußte er auch das wilde Männlein im Glaskasten sehen.
Die Wirtsleute hatten auch ein Söhnlein. Das war ein munterer, feiner Knabe und das einzige Kind im Wirtshaus. Das wilde Männlein gefiel ihm ungemein gut, und stundenlang stand er vor dem Kasten und konnte sich an dem kleinen Wicht und an dem funkelnden Schwert nicht sattsehen. Wenn ich nur auch so ein schönes goldenes Schwert hätte, dachte sich der Knabe immer, denn laut zu sagen wagte er es nicht, seines geizigen Vaters wegen. Als er einmal allein in der Kammer war und das Männlein im Glaskasten gar lieb und freundlich tat, nahm der Knabe allen Mut zusammen und sagte: "O liebes Mandl! Schenk mir doch dein goldenes Schwert! Ich bitte dich gar schön."
"Gern geb ich es dir", antwortete das Männlein, "doch nur unter einer Bedingung. Du mußt mich aus dem Kasten lassen und es niemandem sagen. Tust du das, so sollst du mein Schwert haben."
Der Knabe war mit dieser Antwort zufrieden und versprach dem Männlein, was es verlangte. Aber nun fragte es sich, wie er zum Schlüssel des Glaskastens gelangen könnte, denn die Mutter mußte ihn wie einen Schatz bewahren und trug ihn immer bei sich. Der Knabe war gescheit und wußte bald Rat. Er ging zur Mutter und bat sie, ihm die Locken zu kämmen. Die Mutter hatte heute am willigen Kind die größte Freude, denn sonst wollte der Knabe sich diese Arbeit nie gefallen lassen. Die Mutter kämmte ihm nun das Haar aus, und während sie ihr ganzes Augenmerk auf die schönen goldigen Locken gerichtet hatte, huschte der Knabe mit seiner Hand in die Rocktasche der Mutter und nahm ihr unbemerkt den Schlüssel heraus.
Der Bursche war nun froher Dinge, lief in die Kammer, wo das kleine Männlein stand, und ließ es aus dem Kasten.
Das Männlein hielt sein Wort, dankte seinem kleinen Befreier und schenkte ihm das goldene Schwert. Darauf sprang es zum Fenster hinaus und war im Nu in den Wald verschwunden.
Der Wirtssohn mit dem goldenen Schwert wußte nun vor Freude fast nicht, was er anfangen sollte, stellte sich in den gläsernen Kasten hinein und tat genau so wie das Männchen. Da kam gerade die Mutter dazu, und die erschrak nicht wenig, als sie ihren Buben im Glaskasten und vom Männlein keine Spur mehr sah. Sie rief gleich den Vater herbei, und als dieser merkte, was geschehen war, holte er sich Birkenruten, nahm den Knaben aus dem Kasten und schlug ihn. Den sehr übel zugerichteten Kleinen warf er dann über die Mauer in den Anger hinaus mit den Worten: "Nun pack dich und geh zu deinem wilden Mandl hinaus."
Der Knabe lag nun lange, lange im grünen Gras draußen, ohne zu sich zu kommen. Als er endlich die Augen aufschlug, stand das Männchen vor ihm, hielt ihn und nahm ihn zu sich. Es führte ihn in den kühlen Wald hinaus, gab ihm alles, was er brauchte, und zog ihn auf wie sein eigenes Kind. Der Knabe wuchs zusehends und ward immer schöner und stärker. Als er groß und stark genug war, um eine Lanze schwingen zu können, lehrte ihn das Männlein die Ritterspiele, und der Bub hatte seine größte Freude daran und lernte in kurzer Zeit alles. Als er nun ausgelernt hatte, gab ihm das Männlein ein neues, aber sonderbares Narrenkleid und ein Schwert und sagte zu ihm:
"Du bist nun erwachsen und sollst auch die Welt sehen. Geh nun aus dem Walde und suche die Königsstadt. Hast du diese gefunden, so diene an dem Hofe des Königs. Wenn dich aber jemand fragt, wer du seiest, so sage immer: "Wer weiß?" und schweige sonst. Wenn dir aber etwas fehlt, so rufe mich. Ich werde dann gewiß kommen und dir helfen."
Mit diesen Worten entließ es den Wirtssohn aus dem Walde. Dem war wunderlich zumute, als er wieder ins Freie hinauskam. Er war traurig und froh zugleich, und so wanderte er weiter, bis er zur Königsburg kam.
Als ihn dort der Wächter sah, mußte dieser laut auflachen, denn der Junge war sonderlich gekleidet und sah aus wie ein Narr. Der Knabe wollte nun durchaus zum König, die Wächter aber ließen ihn nicht und hielten ihn zum besten. Sie stellten ihm allerlei Fragen, und er antwortete immer nur: "Wer weiß?", und deswegen hießen sie ihn nur Werweiß. Einem der Diener aber gefiel der schöne, rätselhafte Jüngling sehr, und er meldete ihn dem König, der Werweiß zu sich kommen ließ. Der König gewann nun den wunderlichen Jungen lieb und ließ ihn in der Küche anstellen. Werweiß tat seinen Dienst als Küchenjunge, mußte Wasser tragen, Feuer machen, Holz spalten und Töpfe und Teller spülen. Das war aber Werweiß zu schlecht und er wollte aus der Küche wegkommen. Deshalb zerschlug er, als er einmal allein war, alles Küchengeschirr und trat die Scherben mit Füßen. Da kam das kleine Waldmännlein, verwies ihm dieses Treiben und machte alles wieder ganz.
Werweiß war aber nicht zufrieden und zertrümmerte noch zweimal die Küchengeräte, Teller, Töpfe, Schüsseln, Häfen und Pfannen und Pfännlein. Aber immer kam das winzige Männlein und machte das Zertrümmerte wieder ganz. Das dritte Mal hatte ein Küchenjunge gesehen, wie Werweiß das Geschirr zu Stücken schlug, und dieser sagte es dem Koch. Der Koch war darüber erzürnt und jagte den Werweiß aus der Küche in den Stall hinunter. Der frühere Küchenjunge war nun Stallknecht und mußte die Pferde füttern und tränken, sie striegeln und waschen. Das gefiel Werweiß ganz und gar nicht, denn er wäre lieber darauf herumgeritten und hätte lieber Ritterspiele getrieben.
In dieser Zeit war der König in den Krieg gezogen, denn seine Feinde waren in das Land eingefallen und verbrannten die Dörfer und verwüsteten die Saatfelder. Da kam es zu einer großen Schlacht, und der König hätte bald verloren. Als Werweiß im Stalle hörte, daß eine sehr bedenkliche Schlacht geschlagen werden sollte, rief er nach dem Waldmännlein, und das Waldmännlein kam und brachte ihm fürstliche Kleider und ein Heer von Männlein. Werweiß zog die schönen Kleider an, schwang sich auf ein mutiges Roß und kam dem König zu Hilfe.
Als die Feinde den unerwarteten Helfer des Königs und das neue Heer sahen, verloren sie den Mut und flohen. Sobald aber die Feinde flüchtig wurden, gab Werweiß seinem Rosse die Sporen und jagte fort nach Hause und die kleinen Männlein mit ihm. Der König wollte dem unbekannten Retter danken, doch er war samt Roß und Rüstung nicht mehr zu sehen. Als der König als Sieger nach Hause kam, war Werweiß schon wieder im Stall und putzte die Pferde.
Bald brach ein neuer Krieg aus und das Männlein brachte ein Heer, und Werweiß kam damit dem König zu Hilfe und verhalf ihm zum Siege. Nach vollendeter Schlacht wollte der König dem Retter danken, er war aber nirgends mehr zu sehen, weil er wie im Sturm davongeeilt war. Den König wunderte es wohl oft, wer seine Helfer gewesen waren, aber er mochte forschen und fragen wie er wollte, nirgends konnte er eine Spur von dem schönen Fürsten, der ihm zu Hilfe gekommen war, entdecken. Und wie es sich zweimal zugetragen hatte, so auch ein drittes Mal. Es kam wieder ein Fürst mit seinem Heere und schlug die Feinde und ritt dann mit seinen Mannen so schnell wie ein Gewitter davon. - Werweiß war aber, als der König heimkehrte, schon wieder im Stalle und putzte die Pferde.
Aber das Stallknechtsein wollte ihm gar nicht behagen und er dachte: Wenn ich doch aus dem verfluchten Stall draußen wäre! Wie sollte er aber hinauskommen? - Er ließ alle Pferde los und trieb sie gegeneinander. Da schlugen und traten sie sich blutig, daß es ein Grausen war. "Wenn die anderen das sehen, wird mich der Stallmeister aus dem Stall jagen", meinte Werweiß. Aber der Junge hatte sich verrechnet. Denn es kam das Waldmännlein und machte alle Pferde wieder gesund, als ob ihnen gar nichts geschehen wäre.
Werweiß war aber deswegen im Stalle nicht zufriedener und ließ die Pferde noch zweimal los, und diese schlugen sich mit den Hufen so blutig, daß das Blut über den Boden rann. Es nützte aber nichts, denn es kam immer das kleine Waldmännlein und machte die Pferde gesund und heilte die Wunden. Das drittemal aber hatte der Stallmeister den Höllenlärm, den die losgelassenen Pferde im Stalle machten, gehört, wurde böse und jagte Werweiß aus dem Stall.
Der Junge war nun ohne Dienst und wußte nicht, was er machen sollte. Da erbarmte sich seiner der Gärtner und nahm ihn als Gartenjungen an. Werweiß mußte nun im Garten helfen, die Pflanzen bewässern, die welken Blätter abpflücken und die Blumen pflegen, und das gefiel ihm besser als in der Küche helfen und die Rosse striegeln. Da stand er wohl oft bei den Rosen, und wenn er in ihre Kelche sah und ihren Duft einatmete, wurde ihm so wohl, daß er mit keinem König getauscht hätte. Er trug, wenn er im Garten war, immer einen Strohhut und hatte ihn so in das Gesicht gedrückt, daß seine schönen, goldenen Haare fast gar nicht gesehen wurden. Und wenn Werweiß so die Blumen begoß oder bei ihnen sinnend stand oder jätete, da saß die älteste Königstochter oft auf dem marmornen Balkon droben und schaute in den Garten hinunter. Und sooft sie den Gartenjungen sah, konnte sie fast ihre Augen nicht wieder wegwenden, denn er gefiel ihr so wohl, weil er so schön wie der Mai war. Hatte sie ihn bei Tage gesehen, dann dachte sie auch im Schlafe an ihn und träumte vom Gärtnerknaben die wunderlichsten Dinge.
Einmal sah sie ihn wieder im Garten drunten bei den Blumen, und da konnte sie nicht mehr droben bleiben, sondern mußte hinuntersteigen. Sie ging zu ihm hin und bat um einen Blumenstrauß. Doch wie sie auch bat, Werweiß gab ihr keine Blumen, denn er wollte ihnen nicht das Leben nehmen, und gab ihr auch keine Antwort. Wie alles Bitten und Flehen nichts half, da wurde die Königstochter böse und ging zu den Rosen hin und riß die schönsten davon ab. Als Werweiß dies sah, vergaß er das Gebot des Waldmännleins und sprach: "Reiß nicht die Rosen ab, denn ..." - Da fiel ihm aber die Rede des Männleins, die er im Zorn vergessen hatte, wieder ein und er schwieg und tat, als ob er sich schämte. Wie er so dastand und leicht errötet war, konnte ihm die Königstochter nicht mehr böse sein. Sie kam näher und sprach: "Junge, nimm doch einmal deinen Hut ab, damit ich deine Haare sehen kann, ich bitte dich."
Werweiß stellte sich aber, als ob er kein Wort verstünde. Als die schöne Königstochter das sah, meinte sie wirklich, er verstehe ihre Rede nicht, ging auf ihn zu und wollte ihm den Strohhut lüften. Das ließ aber der schöne Gärtnerjunge nicht geschehen und lief auf und davon, denn er fürchtete, an seinen Locken erkannt zu werden. Traurig und sinnend stand die Prinzeß bei den Rosen und ging dann auf ihr Zimmer zurück, um vom rätselhaften Jüngling zu träumen. Sie stand seit dieser Zeit noch öfter als früher auf dem Söller oder am Fenster und sah in den Garten. Und wenn sie den Jungen drunten sah, vergaß sie Leid und Weh und fühlte sich glücklich.
Indessen war seit den Kriegen fast ein Jahr vorübergegangen, und es standen die Bäume wieder mit goldenen oder roten Blättern da und schüttelten sie in das bereifte Gras.
Da dachte der König wieder an die drei Schlachten und an die drei Könige, die ihm zu Hilfe gekommen waren. Wohl oft hatte er an die schönen Helden gedacht und Boten ausgesandt, um sie aufzufinden, doch alles Suchen war vergebens. Da fiel ihm ein, ein großes Hochzeitsfest zu veranstalten, und wenn die drei Könige kommen würden, jedem von ihnen eine seiner schönen Töchter zu geben. Er bereitete also ein großes königliches Fest, das zwei Tage dauern sollte, und lud aus nah und fern Gäste ein. Selbst in die Nachbarländer sandte er Herolde und ließ Fürsten und Grafen zur Hochzeit laden. Seinen Töchtern aber gab er wundervolle, prächtige Geschenke. Diese sollten sie den Königen als ihren Erwählten geben.
Als der Tag des Festes anbrach, gab es viele Überraschungen: Droben im Königsschloß waren alle Türen und Tore bekränzt und im Saal wurde musiziert, als ob man im Himmel wäre. Der König und seine drei schönen Töchter empfingen oben im Saale die Ankommenden und waren so schön gekleidet, daß man nichts Schöneres sehen mochte. Es kam der Mittag, aber die drei Fürsten kamen nicht. Man setzte sich zur Tafel und aß und trank, aber der König war schwermütig und konnte nicht heiter werden. So ging es bis zum Abend. Da gingen die zwei jüngeren Töchter zum Vater und sagten: "Was sollen wir mit den prächtigen Geschenken tun? Die Könige kommen doch nicht mehr."
Da erwiderte der König: "Tut meinetwegen, was ihr wollt, arme Kinder."
Die Älteste aber saß ruhig und ernst da und gab ihr Geschenk keinem. Sie dachte an den schönen Gärtner, der ihr so wohl gefiel und den sie heute noch nicht gesehen hatte. Die Schwestern merkten das und neckten sie mit dem Gärtnertroll, wie sie ihn nannten. Sie erwiderte kein Wort. Als man vom Tische aufgestanden war, holte sie das Geschenk und stieg in den Garten hinunter. Dort stand Werweiß sinnend bei den Rosen und war traurig. Als sie ihn sah, hatte sie die größte Freude und gab ihm das prächtige Geschenk. Er küßte ihre Hand und wollte danken, aber da fiel ihm die Rede des Waldmännleins ein und er schwieg.
Traurig gingen Werweiß und die Königstochter voneinander, denn es war ihnen schwer ums Herz. Noch trauriger war aber der alte König, und er grämte sich sehr, weil morgen Hochzeit sein sollte und kein Bräutigam sich sehen ließ. Er konnte die ganze Nacht kein Auge schließen, und seine Haare bleichten vor Kummer und Sorge über Nacht.
Während der König so ohne Schlaf in seinem Bette lag, kam das Waldmännlein zu Werweiß in die Schlafkammer und brachte prächtige, goldgestickte Kleider, wie sie nur Könige tragen. Werweiß mußte gleich aufstehen und sich ankleiden. Dann führte ihn das graue Männlein in den Hof hinaus, und da saßen hundert und hundert Reiter auf stolzen Rossen.
"Das ist alles dein", sprach das Männchen. "Nun melde dich dem König und wirb um seine Tochter." So sprach das Männlein und verschwand. Da bliesen einige Reiter in die Trompeten, und als dies der König hörte, eilte er ans Fenster. Da sah er den König, der die Schlachten gewonnen hatte, und seine Mannen, und er hätte vor Freude und Staunen vergehen mögen. Er setzte sich nun gleich die Krone auf, eilte in den Hof hinunter und umarmte dann Werweiß. Dieser entschuldigte sich aber, daß er erst heute habe kommen können, und der König war es zufrieden. Er führte nun den schönen Ritter hinauf in den Saal und bot ihm eine seiner Töchter an. Werweiß wählte sich die Älteste, und da mußte sie neben ihm sitzen und war so glücklich, daß sie selbst mit den Engeln im Himmel droben nicht getauscht hätte, weil ihr Bräutigam dem Gärtnerjungen so glich wie ein Apfel dem ändern. Es gab nun eine lustige Hochzeit, wie noch nie eine gefeiert worden ist, so lange der Himmel blau und das Gras grün war. Und wie man so beisammensaß, sich Gesundheit zutrank und die Braut nie einen Blick von ihrem schönen Bräutigam wandte, öffneten sich plötzlich die Tore, und ein schöner, stolzer König, dem der graue Bart bis auf die Brust niederwallte, trat mit einem großen Gefolge ein. Er eilte auf Werweiß zu und küßte ihn. Der König mit dem Bart aber war niemand anderer, als das Waldmännlein, das endlich erlöst war, weil Werweiß sein Gebot so treu befolgt hatte. Nun ging es noch lustiger her als früher, und die Freude hatte kein Maß.