Es war einmal eine Prinzessin, die war sehr schön. Sie saß auf einem goldenen Throne und hatte ein goldenes Kleid an und eine goldene Krone auf ihren schwarzen Locken.
Sie dachte angestrengt nach. Das war für sie eine schwere, ungewohnte Arbeit. Aber es wollte ihr nichts einfallen, obwohl sie den Zeigefinger an die Stirn legte und lange in Sinnen versunken dasaß. Als ihr am dritten Tage noch kein Gedanke kam, rief sie ihre Oberhofzeremonienmeisterin und bat sie, ihr beim Nachdenken behilflich zu sein. So saßen sie zwei Tage, drei Tage - aber ein Einfall kam ihnen nicht.
Jetzt mußten sämtliche Hofdamen sich zu ihnen setzen und ihnen denken helfen. Jedoch auch denen fiel nichts Gescheites ein.
Selbst der König ließ sich herab, seinen Zeigefinger an die Stirne zu legen und nachzudenken. Schließlich dachte das ganze Hofgesinde, und von dem Nachdenken wurde es so langweilig am Hofe, daß der König einen Oberhofmundklappenschließer ernannte, der dem Hofe beim Schließen der vom Gähnen ermüdeten Kiefer helfen mußte.
Nach acht Tagen war der Oberhofmundklappenschließer so krank von dieser schweren Arbeit, daß er einen halbjährigen Urlaub antreten mußte. An seiner Statt stellte der König drei neue Beamte an: einen neuen Oberhofmundklappenschließrat, einen Hofmundklappenschließer und einen gewöhnlichen Maulhalter fürs Gesinde.
Mittlerweile fing man auch im ganzen Lande zu denken an; aber leider half das alles nichts: Kein Einfall wollte kommen.
Niemand sprach mehr ein Wort, alles war vom Denken stumm geworden und dachte, dachte, dachte.
Nur die Küchenliesel dachte nicht nach. Sie sang den ganzen Tag und lachte dazu. Als es nun im Schlosse bei dem gewaltigen Nachdenken so gar stille wurde, da schallte Liesels Gesang bis vor den Thron des Königs, und weil diesem im Grunde seines Herzens das Denken recht langweilig war, befahl er, die Sängerin tot oder lebendig vor seinen Thron zu bringen.
Die Küchenliesel erschien, wischte sich die Hände an der Schürze ab, knickste und sprach:
"Guten Tag, Herr König. Sie haben mich rufen lassen, sagen Sie mir nur schnell, was Sie von mir wollen, ich habe nicht lange Zeit. Die Milch läuft mir sonst vom Feuer. Seit die Ober-, Unter- und Überköche mit Nachdenken beschäftigt sind, bin ich allein in der Küche und habe viel zu tun."
Der König nickte huldreich.
"Also du denkst nicht nach, Liesel?"
"Nein, Herr König, dazu habe ich keine Zeit. Mir fällt so viel von selbst ein, daß ich darauf gar nicht zu warten brauche. Ich muß außerdem auch fleißig sein und arbeiten und kann meine Zeit nicht mit Denken totschlagen."
Wie Liesel so sprach, stand mit einem Male die schöne Prinzessin vor ihr.
"Du sagst, dir fällt so vieles ein, mein Kind? Das wäre ja herrlich. Uns will trotz aller Anstrengungen kein einziger Gedanke kommen, so sag du uns deine Einfälle."
"Gnädigste und schönste Prinzessin, wenn ich Sie ansehe, dann fällt mir ein: "Es ist doch wunderbar, daß noch kein Königssohn unsere Prinzessin Trina geheiratet hat."
Da klatschte die Prinzessin vor Freude in die Hände und rief:
"Küchenliesel, du bist die Klügste am ganzen Hofe. Sieh, ich weiß es jetzt bestimmt, daß das der Einfall war, auf den ich immer wartete und worüber ich so lange nachgedacht habe. Deine Meinung gefällt mir, und ich werde über diese Frage einige Wochen eingehend nachdenken. Du kannst mir dabei helfen."
"Nein, nein!" sagte die Küchenliesel freundlich, aber bestimmt. "Das wollen wir lieber nicht tun. Beim Nachdenken, das drei Wochen dauert, kommt nichts Gescheites heraus. Mir fällt noch etwas anderes ein: Meine Mutter sagte stets: "Schöne Ware muß auch gezeigt werden, sonst findet sie keinen Käufer, und just so ist es mit jungen Mädchen, selbst wenn es Prinzessinnen sind. Schöne Prinzessinnen müssen in die Welt geführt werden, dann kommen Königssöhne wie die Bienen herbei. Gebt einmal einen großen Ball, und ladet alle Königssöhne auf zwei bis drei Stunden in der Umgebung ein."
Die Prinzessin war entzückt über diese Fülle von Gedanken und tat nach ihrem Wort. Da kamen zum Balle Königssöhne, dicke und dünne, schöne und häßliche, junge, alte, reiche, arme, bucklige und gerade, sogar ein Sänger war darunter, der glaubte bestimmt, die Hand der Prinzessin zu erhalten. Sie wählte ihn aber nicht, denn er war kein Freund vom Denken.
Dafür fanden aber drei andere Prinzen Gnade vor den Augen der wunderschönen Prinzessin, und zwar in so hohem Grade, daß sie sich gar nicht entschließen konnte, unter ihnen zu wählen; denn sie gefielen ihr alle drei gleich gut. Da war guter Rat teuer.
Alle drei konnte die Prinzessin doch nicht heiraten. Was tun? - Lange, lange stand der ganze Hof im Nachdenken und bangem Zweifel um den Thron der Prinzessin, vor dem die drei Prinzen knieten.
Die Küchenliesel, die ihres klugen Rates wegen zur Oberhofrätin ernannt war, sah sich kopfschüttelnd die Sache an.
"Drei Königssöhne", sprach sie heimlich zu sich, "ist zuviel. Ich wüßte gleich genau, wer mir am besten gefiele."
Die Prinzessin bemerkte, daß Liesel wieder einmal ein rettender Einfall gekommen war und sprach zu ihr: "Oberhofrätin Küchenliesel, ich will Euch eine geheime Unterredung gewähren."
Und die beiden gingen hinter eine Türe und besprachen sich leise miteinander. Dann kam die Prinzessin mit strahlendem Gesichte in den Saal zurück, setzte sich auf den Thron, rückte sich behaglich die Krone ein wenig zurecht und begann:
"Liebe Königssöhne, da ihr drei mir alle gleich gut gefallet und ich mich heute nicht entscheiden kann, einen von euch zu wählen, so zieht hinaus in die Welt und suchet mir in einem Jahre das Schönste, Höchste und Kostbarste zu bringen, was euch die Erde bietet. Derjenige, dessen Gaben mir am besten gefallen, soll mein Gemahl werden und mit mir in Freude und Herrlichkeit das Reich beherrschen."
Damit waren die drei Prinzen wohl zufrieden. Sie verließen den Hof und die Prinzessin, um das Schönste, Höchste und Kostbarste zu finden, was es in der Welt gab. Prinz Jubb fuhr über weite Meere nach fernen Ländern. Er wollte das größte Gebirge besteigen und der Prinzessin den Stein zu Füßen legen, der die höchste Spitze der Erde gebildet hatte. Durch Indien zog er. Wilde Tiere, Tiger und giftige Schlangen drohten ihm Unheil. Er hatte manch einen lebensgefährlichen Kampf zu bestehen. Aber mutig zog er durch Gefahr und Todesschrecken.
Nach tagelangem Klettern in der Wildnis des Gebirges, über tosende Bergströme hinweg, an schroffen Wänden, die steil hinauf in die Höhe führten, erstieg Prinz Jubb endlich den Gipfel des Berges.
Da jauchzte sein Herz. Seine Mühsale waren vergessen. Wie ein Held stand er oben und schaute die Welt tief unter sich.
Frisch und fröhlich nahm er den Stein, der die höchste Spitze des Berges bildete, und rief:
"Du, Bergesspitze, warst das Höchste, was die Erde trug, du wirst mir das Herz der wunderschönen Prinzessin erobern."
Nun begann Prinz Jubb den Abstieg. Schneegestöber versperrte seinen Weg. Lawinen donnerten ins Tal. Der Stein, welchen der Königssohn trug, wurde immer schwerer, nur mühsam konnte er ihn weiterschleppen. Da entsank unserem Prinzen der Mut. Müde und matt legte er sich zum Schlummer nieder, der Stein war sein Kissen, auf ihn legte er sein müdes Haupt und schlief ein.
Da kamen die Erdgeister herbei, die Zwerge des Berges, sie trugen den müden Wanderer in die blaue Eisgrotte der Eiskönigin.
Wie Prinz Jubb erwachte, strahlte ihm blaues, leuchtendes Licht aus den Wänden der Grotte entgegen. Das war so zauberisch schön, daß er sich nicht satt daran sehen konnte. Alles war aus blendendem, schimmerndem Kristall in der blauen Grotte! Eisblumen blühten und schmückten die Wände. Solche Herrlichkeit hatte Prinz Jubb sich nicht träumen lassen.
Da trat die Eiskönigin in die Grotte.
"Woher kommst du, fremder Mann? Noch nie betrat ein menschlicher Fuß mein Reich. Du bist hier ungerufen eingedrungen, nun hält dich mein Zauberbann, nun darfst du nie wieder fort."
Und Prinz Jubb wollte es auch gar nicht. Er hatte die Erinnerung an sein vergangenes Leben ganz verloren. Die Eiskönigin war so schön, so schön, wie es sich kein Mensch denken kann, und sie liebte den Prinzen Jubb, und beide lebten in Wonne und Freude in der blauen Eisgrotte im fernen Himalajagebirge.
Der zweite Königssohn, Prinz Niki, war an das Meer gezogen. Er dachte sich: "Schöne Frauen lieben den Schmuck, und was ist schöner und kostbarer als eine Perlenschnur?"
Darum wollte er selbst tief ins Meer tauchen, um weiße, glänzende Perlen aus seiner Tiefe zu fischen. Prinz Niki hatte schon viele matt schimmernde Perlen gefunden, aber immer größere und schönere erwartete er zu finden. Nichts galt ihm schön und kostbar genug für die Prinzessin.
Als er nun wieder einmal tauchte, da sah er inmitten eines roten Korallenwaldes auf dem Meeresgrunde eine große Perlmuschel. Prinz Niki schritt auf den Korallenwald zu, aber drohende Meerungeheuer verwehrten ihm den Eintritt.
Schreckliche Kraken und unförmliche Fische, Riesenkrebse mit langen Scheren bewaffnet, Seesterne und die alte Seeschlange versperrten ihm den Weg. Am tollsten trieb es der Schwertfisch, der mit seinem langen Schwerte, das ihm am Kopfe festgewachsen war, Prinz Niki durchbohren wollte. Der junge Königssohn war indessen nicht mutlos. Mit seinem Degen schlug er dem Fische das Haupt mitsamt dem Schwerte ab. Da ertönte süße Musik aus dem roten Korallenwalde. Bunte Quallen, wie herrliche, farbige Blumen anzusehen, schwammen um die Zweige der Korallenbäume. Seelilien blühten in der blauen Tiefe des Meeres. Purpurne und goldgelbe Schwämme leuchteten am Boden. Die Seeungeheuer waren verschwunden. Auf einem Muschelwagen, von silbernen Delphinen gezogen, kam die Meerfrau dahergefahren. Die holde Dame nahm Prinz Niki gefangen, und er ließ sich, ach, so gerne, von ihr gefangennehmen; denn sie war wunderschön.
Nie mehr begehrte Prinz Niki hinauf zum goldenen Sonnenlicht. In blauer Meerestiefe lebte er im roten Korallenwalde als Gemahl der Meerfrau. Er hatte vergessen, daß eine Prinzessin Trina ihn einst aussandte, das Schönste, Höchste und Kostbarste zu suchen, was die Erde trägt.
Nur Prinz Nulpe war in der Heimat geblieben. Jeden Tag wollte er ausziehen, um das Schönste zu suchen, aber soviel er auch nachdachte, ihm fiel nie ein, was eigentlich das Schönste und Herrlichste auf der Welt sei. So saß er in tiefen Gedanken auf seinem Schloß, und ehe er es gedacht, war der Tag herangekommen, an dem er mit den anderen Prinzen vor der wunderschönen Königstochter erscheinen sollte. Er hatte nichts gefunden - nichts - gar nichts und kam mit leeren Händen.
Mittags, um die zwölfte Stunde, sollte die Wahl des Königsgemahls sein. In höchster Pracht saß der König und die Prinzessin auf dem Throne. Und die Küchenliesel, die jetzt Geheime Oberhofrätin mit dem Titel Exzellenz und dem grünen Rätselorden mit drei Fragezeichen war, stand an den Stufen des Thrones.
Prinz Nulpe war schon morgens früh um acht Uhr angekommen. Man wartete mit Ungeduld auf die beiden anderen Prinzen. Es wurde elf Uhr. Niemand kam. Herolde bliesen vom Turme herab in die Landschaft, um die Prinzen auf den rechten Weg zu führen, falls sie sich verirrt hätten. Es wurde zwölf Uhr. Niemand kam. Der Magen des alten Königs seufzte schon bedenklich nach dem Mittagessen.
Da sprach die Küchenliesel, die ebenfalls bereits Hunger verspürte: "Wir können nicht länger der Königssöhne harren. Die Wahl muß beginnen."
Das war allen aus der Seele gesprochen.
Prinz Nulpe trat, sich tief verneigend, vor den Thron. Er stand allein da er brachte auch nichts - gar nichts. Der König sprach:
"Sagt an, liebwerter Prinz Nulpe, was habt Ihr als das Schönste und Beste auf der Welt gefunden? Wollt Ihr es uns zeigen?"
Prinz Nulpe war verlegen. Er trat von einem Fuß auf den andern und putzte sich die Nase vor Verlegenheit. Er hatte auch nichts, und er wußte auch nichts. Da sah er hilfesuchend in das Antlitz der Küchenliesel, und dann kam es wie eine Erleichterung über ihm, als sie ihm zuflüsterte:
"Das Schönste und Herrlichste auf der Welt ist die Prinzessin Trina."
Und laut und deutlich, mit inniger Betonung sprach Prinz Nulpe:
"Das Schönste und Herrlichste auf der Welt ist die Prinzessin Trina."