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美国纪行:Aufzeichnungen aus Amerika-15. Kapitel

时间:2017-12-08来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
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Reise in Kanada. Toronto. Kingston. Montreal. Quebec. St. John's. Rückreise nach den Vereinigten Staaten. Lebanon. Das Shakerdorf. Westpoint
Ich fühle mich nicht veranlaßt, einen Vergleich zwischen den sozialen Verhältnissen der Vereinigten Staaten und den britischen Besitzungen in Kanada anzustellen. Aus diesem Grunde werde ich mich auf einen sehr kurzen Bericht über meine Reise in letzterem Staat beschränken.
Ehe ich aber Niagara verlasse, muß ich auf einen empörenden Umstand aufmerksam machen, welcher schwerlich dem Tadel aller verständigen Reisenden, die den Niagara besucht haben, entgangen ist.
Auf dem Tafelfelsen steht eine dem Führer gehörende Hütte, wo kleine Andenken an den Ort verkauft werden und wo die den Fall Besuchenden ihre Namen in ein Buch eintragen. An der Wand des Zimmers, in dem viele Bücher dieser Art aufbewahrt sind, hängt ein Anschlag folgenden Inhalts: »Die Besucher werden gebeten, die Bemerkungen und poetischen Ergüsse aus den hier befindlichen Registern und Alben weder abzuschreiben noch auszugsweise zu verwenden.«
Ohne diesen Anschlag würde ich die Bücher ruhig haben auf der Tafel liegen lassen, wo sie mit berechneter Nachlässigkeit herumlagen, wie auf dem Tisch eines Salons; denn ich hatte genug an der absurden Lächerlichkeit einiger Verse, die unter Glas und Rahmen an den Wänden hingen. Aber durch jene Bitte neugierig geworden, von welcher Art die poetischen Ausbrüche wären, die man so sorgfältig bewachte, wandte ich ein paar Blätter um und fand sie vollgeschmiert mit den abscheulichsten Zoten, an denen jemals ein Schwein in Menschengestalt Gefallen gefunden hat.
Es ist demütigend genug zu wissen, daß es unter den Menschen so verdorbene Gemüter geben kann, die sich nicht scheuen, mit dem Schmutz ihrer Seelen den heiligsten Altar der Natur zu beflecken. Aber daß diese Ergüsse der tiefsten Gemeinheit zum Ergötzen Gleichgesinnter aufbewahrt und aller Augen vorgelegt werden, ist eine Schmach für die englische Sprache, in der sie geschrieben sind (obgleich ich hoffe, daß nur wenige der gerügten Zeilen von Engländern herrühren), und ein Flecken für die englische Seite, auf der sie bewahrt werden.
Die Kasernen unseres Militärs in Niagara haben eine sehr hübsche und luftige Lage. Einige derselben sind große einzeln stehende Häuser, ursprünglich zu Hotels bestimmt; und abends, wenn die Frauen und Kinder von den Balkonen herab den Soldaten zusehen, wie sie sich auf dem Rasenplatz vor der Tür mit Ballspiel und gymnastischen Übungen unterhalten, boten sie ein so heiteres und lebendiges Gemälde, daß es dem Vorübergehenden Freude machte zuzusehen.
In einer Garnisonstadt, wo die Demarkationslinie zwischen beiden Ländern so schmal ist wie in Niagara, kann die Desertion natürlich nichts sehr Seltenes sein; und wenn schon die Lage des Ortes zur Flucht einlädt, so verführen den Soldaten noch mehr die glänzenden und phantastischen Aussichten auf Unabhängigkeit und Wohlleben, die er auf der andern Seite zu finden vermeint. Doch ist es sehr selten, daß sich die Deserteure nach ihrer Flucht glücklich fühlen, und man kennt viele Beispiele, daß sie traurige Täuschung eingestanden und ein ernstes Verlangen ausgedrückt haben, in den Dienst zurückzukehren, wenn sie nur der Verzeihung oder gelinder Strafe sicher wären. Desungeachtet aber findet ihr Beispiel Nachahmer genug, wenn auch schon mancher auf der Flucht bei dem Versuch, über den Strom zu setzen, den Tod gefunden hat. Vor nicht langer Zeit ertranken einige, als sie hinüberzuschwimmen versuchten, und einer, der wahnsinnig genug war, auf einem Tischbrett als Floß sich hinüberzuwagen, wurde in den Wirbel hinabgerissen, wo seine zerschmetterte Leiche mehrere Tage lang ein Spiel der Wellen war.
Das Getöse des Falles entspricht der Beschreibung, die man davon macht, durchaus nicht; und man wird dies natürlich finden, wenn man die große Tiefe des Beckens in Betracht zieht, in das sich der Strom stürzt. Obgleich wir während unseres Dortseins nie heftigen Wind hatten, haben wir doch in einer Entfernung von drei Meilen von dem Fall nie etwas von seinem Getöse gehört, selbst nicht zu der sehr ruhigen Zeit des Sonnenunterganges.
Queenston, von wo aus das Dampfboot nach Toronto fährt, liegt in einem lieblichen Tale, durch welches der Niagara seine dunkelgrünen Fluten rollt. Man nähert sich der Stadt auf einer Straße, die sich um die Höhen windet, von denen sie umgeben wird, und von diesem Punkte aus gesehen ist ihre Lage sehr schön und malerisch. Auf der größten dieser Höhen stand ein Denkmal, von der gesetzgebenden Körperschaft der Provinz zum Gedächtnis des General Brock errichtet, welcher hier nach gewonnener Schlacht gegen die Amerikaner fiel. Ein Vagabund, man vermutet ein gewisser Lett, der jetzt wegen Diebstahls im Gefängnis sitzt, sprengte das Denkmal vor einigen Jahren in die Luft, und es steht jetzt als Ruine da, von deren Spitze ein Stück des eisernen Geländers herabhängt, wie ein Efeuzweig oder eine Weinrebe. Es ist viel wichtiger, als es auf den ersten Anblick scheinen mag, daß das Denkmal auf Kosten des Staates wiederhergestellt werde, was schon längst hätte geschehen sollen. Erstens ist es unter der Würde Englands, daß ein Denkmal zu Ehren eines seiner Verteidiger in diesem Zustande bleibe, auf derselben Stelle, wo er für sein Vaterland gefallen ist. Zweitens, weil der Anblick der Ruine und die Erinnerung an das unbestrafte Verbrechen, durch welches sie dazu gemacht wurde, eben nicht geeignet sind, die Antipathien der Grenzbewohner gegen ihre Nachbarn zu mildern.
Ich stand auf dem Kai des Städtchens und sah den Passagieren zu, die sich in dem Dampfboot einschifften, welches noch vor dem unsrigen abging, teilnehmend an der Besorgnis, mit der die Frau eines Sergeanten ihre wenigen Habseligkeiten sammelte – mit einem ängstlichen Auge die Träger bewachend, welche sie an Bord trugen, und mit dem andern ein Waschfaß ohne Reifen, zu welchem sie, da es das wertloseste Stück ihrer Wirtschaft war, die besorglichste Liebe hegte –, als drei oder vier Soldaten mit einem Rekruten ankamen und an Bord gingen.
Der Rekrut war ein hübscher, starker Bursche, aber nichts weniger als nüchtern; er hatte ganz das Aussehen eines Mannes, der schon einige Tage lang mehr oder weniger betrunken gewesen war. Er trug sein kleines Bündel an einem Stock über die Schulter und hatte eine kurze Pfeife im Munde. Er war so bestaubt und schmutzig, wie Rekruten gewöhnlich sind, und seine Schuhe zeigten an, daß er eine gute Strecke zu Fuß gegangen war, aber er war sehr lustig und guter Dinge und schüttelte dem einen Soldaten die Hand und schlug den andern auf die Achsel und schwatzte und lachte in einem fort.
Die Soldaten lachten mehr über den als mit dem närrischen Kauz. Sie schienen zu sagen, wie sie mit ihren Stöcken in der Hand steif dastanden und ihn teilnahmslos über ihre glänzenden Halsbinden weg ansahen: »Nur zu, Bursche, solange du noch kannst; bald wirst du's schon anders lernen.« Plötzlich aber stürzte der Rekrut, der in seiner Lustigkeit rückwärts gegen das Dollbord gestolpert war, in den Fluß hinab.
Ich habe nie in meinem Leben etwas Besseres gesehen als die Veränderung, die jetzt mit den Soldaten vorging. Fast ehe noch der Bursche im Wasser lag, war ihre soldatische Steifheit verschwunden und durch die größte Energie ersetzt. In weniger Zeit, als die Erzählung wegnimmt, hatten sie ihn wieder herausgezogen, die Füße oben und die Schöße seines Rockes über seinen Augen klebend, während das Wasser von jedem Faden seiner abgetragenen Kleider heruntertroff. Aber in dem Augenblick, da sie ihn wieder auf die Beine gestellt hatten und sahen, daß ihm kein Schaden geschehen war, waren sie wieder Soldaten und blickten ruhiger über ihre glänzenden Halsbinden weg als je.
Der halb nüchtern gewordene Rekrut blickte einen Augenblick um sich, als wenn seine erste Regung wäre, seinen Lebensrettern zu danken; aber da sie mit so teilnahmsloser Miene um ihn herumstanden und einer derselben, der gerade am eifrigsten bei seiner Rettung gewesen war, ihm seine nasse Pfeife mit einem Fluche hinreichte, steckte er diese in den Mund, schob die Hand in die triefenden Taschen und ging pfeifend an Bord, nicht, als wenn nichts geschehen wäre, sondern als ob er es mit Fleiß hätte tun wollen und der Streich ihm gut gelungen wäre.
Unser Dampfboot langte an, als das andere eben den Kai verlassen hatte, und brachte uns bald zur Mündung des Niagara, wo die Sterne und Streifen Nordamerikas auf der einen und der unio Jack Englands auf der andern Seite im Winde flattern; und so eng ist der Raum zwischen beiden, daß die Schildwachen in beiden Forts oft die Parole, wie sie auf der andern Seite gegeben wird, hören können. Dann fuhren wir in den ontariosee ein und erreichten um halb sieben Uhr Toronto.
Die Umgebung der Stadt ist flach und entblößt von landschaftlichen Reizen, aber die Stadt selbst ist voll rühriger Lebendigkeit, geschäftigem Lärm und im besten Fortschritt begriffen. Die Straßen sind gut gepflastert und mit Gaslaternen erleuchtet, die Läden wohl versehen. Viele derselben haben eine so reichliche Auswahl Waren in ihrem Fenster zur Schau gelegt, wie man nur in einer lebhaften Provinzstadt Englands erwarten kann, und manche würden der Hauptstadt keine Schande machen. Unter den öffentlichen Gebäuden zeichnen sich ein aus Stein gebautes Gefängnis, eine hübsche Kirche, ein Assisengebäude und ein vom Staat errichtetes magnetisches Observatorium aus. Außerdem schmücken noch viele ansehnliche Privatwohnungen die Stadt. In dem Kollegium für Ober-Kanada, einer der öffentlichen Unterrichtsanstalten der Stadt, wird den Bewohnern gründlicher Unterricht in allen allgemeinen Fächern für wenig Geld geboten, denn der Schüler bezahlt nicht mehr als neun Pfund jährlich. Das Kollegium besitzt viele Grundstücke und ist ein sehr nützliches und wohleingerichtetes Institut.
Der Grundstein eines neuen Kollegiums war vor wenigen Tagen von dem Generalgouverneur gelegt worden. Es wird ein schönes, geräumiges Gebäude werden, mit einer Allee als Auffahrt, die bereits gepflanzt und zu einem öffentlichen Spaziergang eingerichtet ist. Die Stadt bietet zu jeder Jahreszeit Gelegenheit zu körperlicher Bewegung, denn die Trottoirs der Nebenstraßen sind mit Planken belegt und werden in sehr gutem Stand erhalten.
Es ist sehr beklagenswert, daß die politischen Zwistigkeiten und Leidenschaften hier so tief gedrungen sind und bereits zu so schmachvollen Resultaten führten. Vor kurzem noch wurde aus einem Fenster in dieser Stadt auf die glücklichen Bewerber bei einer Wahl geschossen: der Kutscher des einen wurde, obgleich nicht gefährlich, in den Leib getroffen. Aber einer wurde bei dieser Gelegenheit totgeschossen, und aus demselben Fenster, aus dem ihn die tödliche Kugel traf, wehte dieselbe Fahne, die den Mörder (nicht nur in der Ausführung seiner Freveltat, sondern auch vor ihren Folgen) geschützt hatte, wieder bei Gelegenheit der öffentlichen, vom Governor General gehaltenen Zeremonie, von der ich eben gesprochen. Unter allen Farben des Regenbogens gibt es nur eine, die zu einem so schmachvollen Gebrauch dienen konnte: ich brauche kaum zu sagen, daß es Orange [Fußnote] war.
Um Mittag geht man von Toronto nach Kingston ab. Um acht Uhr am andern Morgen hat der Reisende das Ziel seiner Fahrt erreicht, die per Dampfboot über den ontariosee geht, wobei man Port Hope und Coburg (letzteres ist ein hübsches, wohlhabendes Städtchen) besucht. Ungeheure Massen Mehl bilden vorzugsweise die Ladung dieser Fahrzeuge. Wir hatten zwischen Coburg und Kingston nicht weniger als tausendundachtzig Fässer an Bord.
Kingston, jetzt der Sitz der Regierung in Kanada, ist eine sehr arme Stadt, die, vom Marktplatz aus gesehen, durch die Verwüstungen einer Feuersbrunst seit kurzem noch ärmer aussieht. Man kann in der Tat von Kingston sagen, daß seine eine Hälfte niedergebrannt und die andere nicht aufgebaut ist. Das Government House ist weder bequem noch elegant, und doch ist es noch das einzige einigermaßen ansehnliche Gebäude der Umgegend.
Es gibt ein bewundernswürdiges Gefängnis hier, welches sehr weise verwaltet und in jeder Hinsicht ausgezeichnet eingerichtet ist. Die Männer wurden als Schuhmacher, Seiler, Schmiede, Schneider, Zimmerleute und Steinmetzen beschäftigt und bauten eben an einem neuen Gefängnis, welches seiner Vollendung ziemlich nahe war. Die weiblichen Gefangenen mußten handarbeiten. Unter ihnen befand sich ein schönes Mädchen von zwanzig Jahren, welches beinahe schon drei Jahre gefangensaß. Sie hatte während des kanadischen Aufstandes für die sich selbst so nennenden Patrioten aus Navy Island die geheimen Depeschen hin- und hergetragen: zuweilen ging sie als Mädchen gekleidet und hatte die Papiere in ihrem Mieder versteckt, zuweilen trug sie sich als Knabe und verbarg sie in ihrem Hutfutter. Dann ritt sie immer und saß nach Männerart im Sattel, was ihr ein Spaß war, denn sie ritt jedes Pferd, das ein Mann reiten konnte, es mochte noch so wild sein, und verstand ein Viergespann vom Bock herab zu kutschieren so gut wie einer. Auf einer ihrer patriotischen Sendungen aber eignete sie sich das erste Pferd an, das ihr in den Weg kam, und dieses Verbrechen hatte sie hierhergebracht. Sie hatte ein ganz liebliches Gesicht, obgleich, wie sich der Leser nach dieser Skizze aus ihrem Leben denken kann, auch ein kleiner lauernder Teufel im Blick ihres glänzenden Auges lag, das scharf durch die Eisenstäbe ihres Gitters spähte.
Es steht hier ein bombenfestes sehr starkes Fort, welches eine kühne Position einnimmt und ohne Zweifel gute Dienste leisten kann, obwohl ich denken sollte, daß die Stadt zu nahe an der Grenze liegt, um in unruhigen Zeiten sich halten zu können. Auch eine kleine Werft sah ich, wo die Regierung an ein paar Dampfbooten arbeiten läßt, deren Bau sehr rasch vonstatten geht.
Am zehnten Mai um halb zehn Uhr morgens brachen wir von Kingston nach Montreal auf und fuhren in einem Dampfboot den St.-Lorenz-Strom hinab. Man kann sich kaum vorstellen, wie schön dieser stolze Strom fast auf allen Punkten und besonders am Anfang dieser Fahrt ist, wo er sich zwischen den Tausenden von Inseln hindurchwindet. Die große Zahl und ununterbrochene Kette dieser grünen, reich bewaldeten Eilande – von denen einige so groß sind, daß man oft eine halbe Stunde lang eine davon für das gegenüberliegende Flußufer halten kann, und andere wieder so klein, daß sie wie Muttermale auf seinem breiten Busen aussehen –, die unendliche Mannigfaltigkeit ihrer Gestalten und die zahllosen schönen Kombinationen, welche die Bäume darauf in ihren verschlungenen Formen bilden: dies alles bringt ein Gemälde von ungemeinem Interesse und höchst angenehmer Wirkung hervor.
Am Nachmittag schossen wir über einige Stromschnellen hinunter, wo der Fluß schäumte und siedete und seltsame Blasen warf: die Gewalt der Strömung ist hier fürchterlich. Um sieben Uhr erreichten wir »Dickenson's Landing«, von wo man zwei oder drei Stunden mit der Stage-Coach weiterreist, weil die Schiffahrt auf dem Fluß durch neue Stromschnellen so schwierig und gefährlich wird; daß die Dampfboote sich nicht darüber wagen. Aber die Anzahl und Länge dieser portages, über welche eine schlechte Straße führt, machen die Reise zwischen Kingston und Montreal etwas langweilig.
Unser Weg führte über einen weiten, offenen Landstrich neben dem Fluß, von wo die warnenden Lichter auf den gefährlichen Punkten des St.-Lorenz-Stromes hell herüberstrahlten. Die Nacht war rauh und dunkel und der Weg entsetzlich. Es war beinahe acht Uhr, als wir den Kai erreichten, wo das nächste Dampfboot lag. Wir gingen an Bord und zu Bett.
Das Boot lag die ganze Nacht am Ufer und fuhr ab, sobald der Morgen graute. Der Tag wurde durch ein heftiges Donnerwetter eingeläutet und war sehr feucht, allmählich jedoch besserte sich das Wetter und wurde dann ganz schön. Als ich nach dem Frühstück auf das Deck ging, erstaunte ich nicht wenig, ein außerordentlich gigantisches Floß stromabwärts schwimmen zu sehen: es waren etwa dreißig oder vierzig hölzerne Häuser darauf und wenigstens ebenso viele bewimpelte Masten, so daß es wie eine Gasse auf dem Wasser aussah. Ich habe später mehrere solche Flöße gesehen, aber ein so großes nicht wieder. Alles Bauholz (oder, wie es die Amerikaner nennen, »Gerümpel«), welches den St. Lorenz hinabgeht, wird auf diese Weise fortgeschwemmt. Wenn das Floß seinen Bestimmungsort erreicht hat, wird es auseinandergerissen, und die Schiffer kehren zurück, um ein neues zu holen.
Um acht Uhr landeten wir wieder und fuhren mit der Stage-Coach weiter und kamen vier Stunden lang durch ein hübsches und wohlbebautes Land, welches in jeder Hinsicht ganz französisch ist: im Aussehen der Landhäuser und Hütten, in der Sprache, Gebärdung und Tracht der Bauern, in den Aushängeschilden der Schenken und Kaufläden, in den Kreuzen und Muttergotteskapellen am Wege. Fast jeder gemeine Arbeiter und jeder Bauernjunge trug, wenn er auch keine Schuhe an den Füßen hatte, eine hellfarbige, meist rote Schärpe um den Leib, und die Weiber, die auf Feldern und in Gärten arbeiteten, hatten, eine wie die andere, große flache Strohhüte mit sehr breiten Krempen auf. In den Dörfern sah man katholische Priester und barmherzige Schwestern auf der Gasse; und auf den Kreuzwegen und an andern öffentlichen Orten standen die Bilder des Gekreuzigten.
Um Mittag gingen wir an Bord eines andern Dampfbootes und erreichten um drei Uhr das Dorf Lachine, neun Meilen von Montreal. Da stiegen wir wieder aus und reisten zu Lande weiter.
Montreal hat eine hübsche Lage am Rande des St. Lorenz und im Rücken einige steile, kühne Anhöhen, mit herrlichen Punkten zum Spazierenreiten und Fahren. Die Straßen sind großenteils eng und unregelmäßig wie in den meisten alten französischen Städten; in den modernern Stadtteilen sind sie weit und luftig. Sie sind mit einer Masse sehr guter Kaufläden geschmückt, und sowohl in der Stadt wie in den Vorstädten gibt es viele herrliche Privatwohnungen. Die Granitkais sind von bemerkenswerter Schönheit, Dauerhaftigkeit und Ausdehnung.
Eine sehr große katholische Kathedrale ist erst jüngst hier errichtet worden; sie hat zwei hohe Kirchtürme, von denen einer noch nicht ausgebaut ist. Auf dem freien Platz vor diesem Gebäude steht ein einzelner, finsterer, viereckiger Turm, der ein so merkwürdiges, seltsames Ansehen hat, daß die Weisen von Montreal beschlossen haben, ihn so bald als möglich niederzureißen. Das Government House ist bei weitem ansehnlicher als das zu Kingston, und die Stadt ist voller Leben und Bewegung. In einer der Vorstädte ist eine fünf oder sechs Meilen lange, mit Holz gepflasterte Straße – nicht ein bloßes Trottoir –, und eine ganz vortreffliche Straße ist es. Alle unsere Ausflüge in die Nachbarschaft wurden doppelt interessant und reizend durch den aufsprossenden Frühling, der hier so rasch und kurz ist, daß man mit einem Tag aus dem ödesten Winter in den voll blühenden Sommer springt.
Die Dampfboote nach Quebec machen ihre Fahrt bei Nacht, das heißt, sie verlassen Montreal um sechs Uhr abends und kommen um sechs Uhr morgens in Quebec an. Wir machten diesen Ausflug während unseres Aufenthalts in Montreal, der über vierzehn Tage dauerte, und waren entzückt von der Schönheit des interessanten Ortes.
Der Eindruck, den dieses Gibraltar Amerikas auf den Beschauer macht, mit seinen schwindligen Höhen, seiner gleichsam in der Luft hängenden Zitadelle, seinen pittoresken steilen Straßen und düsteren Gattertorwegen und den prachtvollen Ansichten, die sich bei jeder Wendung dem überraschten Auge bieten, ist zugleich einzig und unauslöschlich. Abgesehen von diesen sichtbaren Reizen der malerischen Stadt knüpfen sich Erinnerungen an sie, die eine Wüste interessant machen würden. Der gefährliche Abhang, dessen steile Felswand Wolf und seine wackeren Gefährten hinanklommen, die Ebenen von Abraham, wo er seine tödliche Wunde erhielt, die Festung, welche Montcalm so ritterlich verteidigte, und sein Kriegergrab, das ihm die explodierende Bombe grub, während er noch lebte, gehören nicht zu den geringsten oder gewöhnlichen historischen Erinnerungen. Das ist auch ein edles und beider großen Nationen würdiges Monument, welches das Andenken der beiden Generale verewigt und auf dem ihre Namen nebeneinander eingegraben sind.
Die Stadt ist reich an öffentlichen Instituten und katholischen Wohltätigkeitsanstalten, aber ihre außerordentliche Schönheit liegt nur in der Ansicht von der Zitadelle und dem alten Government House aus. Das weite Land, reich an Feldern und Wäldern, Berghöhen und Wasser, das sich vor einem hindehnt, mit Meilen voll kanadischer Dörfer, in langen weißen Streifen glänzend, wie die Adern der Landschaft; die bunte Menge von Giebeln, Dächern und Kaminfängen in der alten, hügeligen Stadt, die vor einem liegt; der schöne St.-Lorenz-Strom, funkelnd im Sonnenlicht; und die winzig kleinen Schiffe unter dem Felsen, von dem man hinabschaut, mit dem Takelwerk, das in dieser Entfernung wie ein Spinnengewebe, gegen das Licht gehalten, aussieht, während die Fässer und Tonnen auf den Decks zu niedlichem Spielzeug und die geschäftigen Seeleute zu kleinen Puppen einschrumpfen: alles das, vom Rahmen eines Fensters in der Festung eingefaßt und vom schattigen Hintergrund des Zimmers aus gesehen, bildet eines der bezauberndsten und glänzendsten Gemälde, die das Auge auf Erden schauen kann.
Im Frühling reisen eine Masse Auswanderer, die eben erst aus England oder Irland gekommen sind, zwischen Quebec und Montreal nach den Hinterwäldern und neuen Absiedlungen von Kanada. Wenn es schon unterhaltend ist (wie ich oft fand), einen Morgenspaziergang auf dem Kai von Montreal zu machen und sie zu Hunderten um ihre Kisten und Kasten in einzelnen Gruppen stehen zu sehen: so hat es noch ein tieferes Interesse, auf dem Dampfboot ihr Wandergefährte zu sein, sich unter sie zu mischen und, selbst unbeachtet, ihnen zuzusehen und zuzuhören.
Das Fahrzeug, in dem wir von Quebec nach Montreal zurückkehrten, war voll von solchen Auswanderern. Bei Nacht breiteten sie ihre Betten (die wenigstens, die welche hatten) zwischen den Decks aus, und sie lagen so dicht um unsere Kajütentür, daß wir beinahe blockiert waren. Es waren fast lauter Engländer, großenteils aus Gloucestershire, und sie hatten eine lange Winterfahrt über den Ozean überstanden; aber es war wunderbar, wie reinlich trotzdem die Kinder gehalten worden und wie unermüdlich in ihrer Liebe und Selbstverleugnung alle die armen Eltern waren.
Man sage und predige, so fromm und soviel man mag, es ist für den Armen viel schwerer, tugendhaft zu sein, als für den Reichen, und die Tugend des Armen ist darum um so glänzender. In mancher stolzen Behausung gibt es einen »besten der Gatten und Väter«, dessen persönliche Vorzüge in beiden Beziehungen mit Recht zum Himmel gehoben werden. Aber versetzt ihn daher, auf dieses überfüllte Deck. Streift seiner jungen schönen Frau ihre seidenen Gewänder vom Leibe, nehmt ihr ihre Juwelen, bindet ihr geflochtenes Haar auf, grabt vorzeitige Runzeln in ihre Stirn, laßt ihre Wangen von Sorgen und Entbehrungen erblassen, hüllt dann ihre entzauberte Gestalt in grobe, geflickte Kleider, laßt ihr keinen andern Schmuck und Staat als seine Liebe, dann wird seine Tugend wirklich auf die Probe gestellt. Ebenso verwandelt ihm seine Stellung in der Welt, daß er in diesen jungen Geschöpfen, die seine Knie umklammern, nicht die lebenden Zeugnisse seines Reichtums und Namens, sondern die kleinen Mitkämpfer um das tägliche Brot, die kleinen Wilddiebe sieht, die sein dürftiges Mahl schmälern und jeden kärglichen Erwerb seiner Arbeit dividieren. Statt aller Reize, welche die Kindheit, von ihrer süßesten, lieblichsten Seite betrachtet, hat, laßt ihn nur all ihre Not und Pein, Krankheiten und Leiden, ihre Launen, Verdrießlichkeiten, ihre klagende Schwäche und Hilflosigkeit empfinden: laßt seine Kleinen nicht von lieblichen Kinderspielen und Kinderträumen schwatzen, sondern von Kälte, Hunger und Durst mit ihm reden: und wenn sein Vaterherz dies alles überlebt, wenn es geduldig und zärtlich bleibt, wenn er stets über das Leben seiner Kleinen gewacht und um ihre Freuden und Leiden gesorgt hat, dann mögt ihr ihn zurückschicken ins Parlament, auf die Kanzel, auf die Richterbank, und wenn er die schönen Reden über die Verdorbenheit und Sittenlosigkeit der Armen hört, die bei harter Arbeit von der Hand in den Mund leben, dann mag er als einer, der da weiß, wie es ist, freiheraus reden und den hohen Rednern sagen, daß sie, verglichen mit jenen Armen und Hilflosen, himmlische Engel in ihrem täglichen Leben sein sollten und dann doch nur demütige Ansprüche auf den Himmel machen dürften.
Wer von uns kann sagen, was aus ihm würde, wenn eine solche Wirklichkeit, mit geringen Erleichterungen oder Abwechslungen das ganze Leben lang, sein Los sein sollte! Als ich diese Leute mir ansah, so fern von zu Hause, ohne Dach und Fach, arm, wandernd, müde von Not und Beschwerden, und als ich sah, mit welcher Geduld sie trotzdem ihre kleinen Kinder pflegten und nährten; wie sie immer zuerst nach ihrem Begehren fragten und dann nur halb das eigene stillten; was für sanfte Engel der Treue und Hoffnung die Frauen waren; wie die Männer von ihrem Beispiel sich leiten ließen; und wie sehr, sehr selten sie eine herbe Klage ausstießen oder einen Augenblick leichtsinnig waren: da fühlte sich mein Herz von einer glühenden Liebe und Achtung für meine Mitmenschen erfüllt und wünschte zu Gott, daß die, so an das Bessere im Menschen nicht glauben wollen, dagewesen wären, um mit mir diese schlichte, einfache Lehre im Buch des Lebens zu lesen.
*
Am dreißigsten Mai brachen wir wieder von Montreal nach New York auf und fuhren nach La Prairie, auf der andern Seite des St.-Lorenz-Stromes, mit dem Dampfboot hinüber; dann reisten wir mit der Eisenbahn nach St. John's, welches am Rande des Champlain-Sees liegt. Den letzten Gruß in Kanada brachten uns die englischen Offiziere in der hübschen Kaserne dort: eine Klasse von Gentlemen, die uns jede Stunde unseres Besuches durch ihre Gastfreundlichkeit und Freundschaft denkwürdig machten, und »Rule Britannia« tönte uns noch in den Ohren, als wir es schon weit hinter uns gelassen hatten.
Aber Kanada wird stets einen der ersten Plätze in meiner Erinnerung einnehmen. Wenige Engländer gibt es, die, wenn sie hinkommen, nicht ihre Erwartungen übertroffen sehen. Es schreitet ruhig fort: die alten Zwistigkeiten haben sich gelegt und sind beinahe vergessen; die öffentliche Meinung und der Unternehmungsgeist der Privatleute sind beide in gesundem, frischem Zustande; keine Fieberhitze oder Unruhe in seinem System, lauter Gesundheit und Lebenskraft; es ist voll vielversprechender, hoffnungsreicher Elemente. Ich war gewöhnt, mir Kanada als einen vergessenen, vernachlässigten, dem Verfall und der Schlafsucht anheimgegebenen Winkel vorzustellen; daher staunte ich nicht wenig, als ich in Montreal die Nachfrage nach Arbeitskräften, die Höhe der Löhne und die belebten Kais sah; wie die Fahrzeuge ihre Ladung einnahmen und löschten; welche Schiffahrt nach verschiedenen Häfen getrieben ward; welche Solidität in Handel und Wandel, in den Straßen und öffentlichen Gebäuden vorherrschte; wie achtunggebietend der Charakter der Tagespresse war; und wieviel Komfort und Glück durch ehrbaren Fleiß dort zu gewinnen ist. Die Dampfboote auf den Seen geben an Reinlichkeit, Bequemlichkeit und Sicherheit, an Höflichkeit und vollkommenem Komfort und an weltmännischem Charakter und Benehmen von Seiten der Kapitäne selbst den berühmten schottischen Dampfbooten nichts nach, die bei uns mit Recht so geschätzt sind. Die Gasthäuser sind in der Regel schlecht; denn die Gewohnheit, in Hotels zu leben, ist hier nicht so allgemein wie in den Staaten, und die britischen Offiziere, die in allen kanadischen Städten großenteils die gute Gesellschaft bilden, führen meist Menage unter sich; aber in jeder andern Hinsicht wird der Reisende in Kanada sich so wohl befinden wie nur irgendwo.
Eines der amerikanischen Dampfboote – dasjenige, welches uns über den Champlain-See, von St. John's nach Whitehall, trug – muß ich mit besonderem Lobe bedenken, und es ist gewiß nicht zu viel gesagt, wenn ich behaupte, daß es schöner war als das, mit dem wir von Queenston nach Toronto reisten, und das, welches uns von letzterer Stadt nach Kingston brachte, oder überhaupt schöner als irgendeins in der Welt. Dies Dampfboot war die »Burlington«; sie ist ein Muster von Sauberkeit und Eleganz zu nennen. Die Decks sind Salons, die Kajüten Boudoirs, auf das geschmackvollste mit Kupferstichen, Gemälden und musikalischen Instrumenten ausgestattet; jede Ecke, jeder Winkel des Schiffes ist ein wahres Wunder von reizendstem Komfort und schönster Arbeit. Sein Kapitän, Mr. Sherman, dem das Schiff allein seine Vorzüge verdankt, hat sich bei mehr als einer Gelegenheit ausgezeichnet. So hatte er den Mut, während der Unruhen in Kanada britische Truppen zu transportieren, zu einer Zeit, wo kein anderes Transportmittel für sie zu haben war. Er und sein Fahrzeug stehen in allgemeiner Achtung bei den Engländern und bei den Amerikanern, seinen Landsleuten; und kein Mann wußte die Achtung des Volkes, die ihm geworden, in seinem Kreis leichter zu gewinnen und zu tragen als er.
Auf diesem schwimmenden Palaste kamen wir bald wieder in den Vereinigten Staaten an und legten abends in Burlington an, einer hübschen Stadt, wo wir ungefähr eine Stunde verweilten. Dann ging es weiter nach Whitehall, wo wir uns um sechs Uhr morgens ausschiffen sollten, was noch zeitiger hätte geschehen können, wenn nicht die Dampfboote einige Stunden lang in der Nacht beilegen müßten, weil der See hier so schmal wird, daß die Schiffahrt in der Dunkelheit nicht ohne Gefahr ist und an einer Stelle das Dampfboot sogar um ein Kap bugsiert werden muß.
Nachdem wir in Whitehall gefrühstückt hatten, fuhren wir mit der Stage-Coach nach Albany, einer großen und lebhaften Stadt, die wir zwischen 4 und 5 Uhr nachmittags erreichten, sehr angegriffen von der Hitze des Tages. Um sieben Uhr brachen wir auf einem großen Dampfboot, auf der »North River«, nach New York auf. Das Boot war so voll, daß das obere Deck aussah wie die Logengänge eines Theaters in den Zwischenakten und das untere wie die Tottenham Court Road an einem Sonntagabend. Doch schliefen wir ruhig und erreichten gegen 5 Uhr morgens unser Reiseziel.
Hier rasteten wir nur einen Tag und eine Nacht, um uns von den überstandenen Strapazen zu erholen, und traten dann unsern letzten Ausflug in Amerika an. Wir hatten noch fünf Tage freie Zeit bis zum Abgang des Schiffes, welches uns nach England bringen sollte, und ich fühlte ein großes Verlangen, das »Shakerdorf« zu sehen, welches nur von den Mitgliedern dieser Sekte bewohnt wird.
Zu dem Zwecke fuhren wir wieder den North River aufwärts bis Hudson, wo wir einen Wagen zur Fahrt nach dem 30 Meilen entfernten Lebanon mieteten, natürlich ein anderes Lebanon als das Dorf, in dem wir auf dem Ausflug in die Prärie übernachteten.
Die Gegend, durch welche sich die Straße wand, war fruchtbar und schön, das Wetter heiter, und mehrere Meilen weit blieben uns die Kaatskill-Berge, wo Rip van Winkle und die gespenstischen Holländer an einem denkwürdigen stürmischen Nachmittag Kegel spielten, in der blauen Ferne wie Wolkenmassen sich in die Luft türmend, zur Seite. An einer Stelle, wo sich der Weg über eine steile Höhe hinwand, an deren Fuß eine eben im Bau begriffene Eisenbahn hinging, kamen wir in eine frische Ansiedlung. Hier, wo alle Materialien zur Hand sind, um anständige Hütten zu bauen, mußte die rohe, ärmliche Bauart dieser Löcher doppelt auffallen. Die besten gaben nur unvollkommenen Schutz vor der Witterung; die schlechtesten ließen Wind und Regen frei ein durch große Löcher in den mit Grasbüscheln bedeckten Dächern und den Lehmwänden; einige hatten weder Tür noch Fenster; andere waren fast eingestürzt und kümmerlich gestützt; nichts sah man als Trümmer und Schmutz. Häßliche alte und sehr hübsche junge Frauen, Schweine, Hunde, Männer, Kinder und Säuglinge, Töpfe, Kessel, Dünger- und Kehrichthaufen, halbverfaultes Stroh und stehendes Wasser, alles in einen unzertrennlichen Haufen zusammengedrängt – das war der Inhalt jeder dieser finstern, schmutzigen Hütten.
Zwischen neun und zehn Uhr abends erreichten wir Lebanon, welches wegen seiner warmen Bäder und eines großen Hotels berühmt ist. Letzteres entspricht ohne Zweifel dem Geschmack derjenigen, die hier Genesung oder Vergnügen suchen, auf mich machte es jedoch einen unaussprechlich trostlosen Eindruck. Man wies uns in ein großes Zimmer, von zwei düster brennenden Kerzen erleuchtet, welches man den Salon nannte; von da ging es eine Treppe hinunter zu einer andern großen Einöde, die man den Speisesaal nannte. Unsere Schlafzimmer wurden uns aus einer langen, langen Reihe kleiner Kammern mit weißen nackten Wänden ausgewählt, die zu beiden Seiten eines langen, öden Ganges lagen. Sie waren Gefängniszellen so ähnlich, daß ich fast erwartete, nach dem Schlafengehen eingeschlossen zu werden, und unwillkürlich auf das Rasseln der Riegel an der Außenseite lauschte. Bäder sind allerdings sehr notwendig hier, denn die andern Waschanstalten waren so karg ausgestattet, wie es mir selbst in Amerika noch nicht vorgekommen war. So entblößt waren die Schlafzimmer selbst von den nötigsten Möbeln, wie Stühle, daß ich fast gesagt hätte, sie wären mit nichts hinreichend versehen, wenn ich mich nicht erinnerte, daß wir die Nacht mehr als überflüssig gebissen wurden.
Die Lage des Hauses ist jedoch schön, und wir bekamen ein gutes Frühstück. Nachdem wir das eingenommen hatten, machten wir uns auf den Weg zu unserm Ziel, welches zwei Meilen weiter lag, und die Straße dorthin wurde uns bald durch ein Schild gewiesen, auf dem zu lesen stand: »Zum Shakerdorf«.
Unterwegs trafen wir eine Gesellschaft Shakers, welche am Wege arbeiteten. Sie trugen die breitesten aller breitkrempigen Hüte und waren dem Äußern nach so unermeßlich hölzerne Menschen, daß sie mir geradesoviel Teilnahme einflößten wie ebenso viele Galionsfiguren. Kurz darauf erreichten wir den Anfang des Dorfes und stiegen vor dem Hause ab, wo die Arbeiten der Shakers verkauft werden und welches zugleich das Hauptquartier des Ältesten ist, um hier die Erlaubnis nachzusuchen, dem Gottesdienst der Shakers beiwohnen zu dürfen.
In Erwartung derselben traten wir in ein trübseliges Zimmer, wo verschiedene Hüte grämlich an der Wand hingen und eine Uhr an der Wand jeden Schlag mit einer Art Widerwillen ertönen ließ, als wenn sie das mürrische Schweigen nur ungern bräche. An der Wand standen in einer Reihe sechs oder acht Stühle mit hohen, steif in die Höhe gerichteten Lehnen, die so sehr von dem allgemeinen sauertöpfischen Wesen angesteckt waren, daß man sich lieber auf den Boden gesetzt hätte, als ihnen zum geringsten Dank verpflichtet zu sein.
Da trat mit steifen Schritten ein alter sauertöpfischer Shaker herein, mit Augen so glanz- und leidenschaftslos und kalt wie die großen runden metallknöpfe an seinem Rock und seiner Weste: ein Mensch gewordenes Gespenst. Nachdem wir ihn von unserm Wunsche unterrichtet hatten, zog er ein Zeitungsblatt aus der Tasche, worin die Gemeindeältesten, deren einer er war, nur wenige Tage früher bekanntgemacht hatten, daß infolge gewisser störender Unterbrechungen ihrer Andacht durch Fremde ihre Kapelle dem Publikum ein Jahr lang verschlossen sei.
Da sich gegen diese Anordnung keine Einwendung machen ließ, ersuchten wir den Ältesten, einige Einkäufe von Shakerwaren machen zu dürfen; was mit sauertöpfischer Miene erlaubt wurde. Wir gingen demnach zu einer Niederlage in demselben Hause auf der andern Seite des Ganges, wo die Waren unter der Aufsicht von etwas Lebendigem in einer Hülle von Wollzeug ausgestellt waren. Der Älteste sagte, es sei eine Frau, und ich glaube es auch, obgleich ich nicht auf den Gedanken gekommen wäre.
Auf der andern Seite des Weges war ihr Gotteshaus, ein reinliches Gebäude aus Holz, mit großen Fenstern und grünen Jalousien, einem geräumigen Gartenhaus ähnlich. Da es nicht möglich war hineinzukommen und nichts zu tun war, als auf- und niederzugehen, und die Kapelle und die andern Häuser des Dorfes (die großenteils von Holz gebaut und braunrot angestrichen waren, wie die Scheunen in England, und so viele Stockwerke hatten wie eine englische Fabrik) von außen anzusehen, habe ich dem Leser weiter nichts mitzuteilen als das wenige, was ich während unserer Einkäufe erfahren konnte.
Man nennt diese Leute Shakers (»Schüttler«) wegen der eigentümlichen Form ihres Gottesdienstes, der in einer Art Tanz der Frauen und Männer von jedem Alter besteht, die sich zu diesem Zwecke in zwei Reihen, nach dem Geschlecht gesondert, einander gegenüberstellen. Die Männer legen erst Hut und Rock ab, die sie an die Wand hängen, ehe sie anfangen, und binden ein Band um die Hemdsärmel, als wollten sie sich zur Ader lassen. Sie begleiten ihren Tanz mit einem summenden Geräusch und tanzen, bis sie ganz erschöpft sind, abwechselnd vor- und zurücktrottend. Die Wirkung auf den Zuschauer soll im höchsten Grad lacherregend sein, was man unbedingt glauben muß, wenn man die Abbildung der Zeremonie sieht, die ich besitze und die nach dem Zeugnis von Augenzeugen vollkommen richtig sein soll.
Sie werden von einer Frau regiert, deren Herrschaft so gut wie unumschränkt ist, obgleich ihr ein Rat der Ältesten zur Seite steht. Wie wir hörten, lebt sie in strengster Zurückgezogenheit in einigen Zimmern über der Kapelle und ist profanen Augen nicht sichtbar. Wenn sie der Dame, welche die Aufsicht über die Niederlage führte, nur im geringsten gleicht, ist es eine große Wohltat, sie so verborgen wie möglich zu halten, und ich kann meine vollkommene Billigung dieser menschenfreundlichen Einrichtung kaum hinreichend ausdrücken.
Alle Besitzungen sind Gemeingut, und alle Einkünfte der Kolonie fließen in eine allgemeine Kasse, die von den Ältesten verwaltet wird. Da sie Proselyten unter Leuten gemacht haben, die ihr gutes Auskommen in der Welt haben, und mäßig und sparsam sind, muß ihre finanzielle Lage sehr gedeihlich sein: vorzüglich, da sie viel Grundbesitz ankaufen. Auch ist Lebanon nicht ihre einzige Niederlassung; wenn ich nicht irre, gibt es wenigstens noch drei andere.
Sie sind gute Landwirte, und ihre Produkte werden gern gekauft und gut bezahlt. »Shakersämereien«, »Shakerkräuter«, »Shakerbranntweine« findet man häufig in großen und kleinen Städten zum Verkauf angezeigt. Sie sind gute Viehzüchter und menschlich und barmherzig gegen die Tiere. So findet »Shakervieh« stets bereitwillige Käufer.
Sie essen und trinken nach spartanischem Vorbild an gemeinschaftlicher Tafel. Eine Verbindung zwischen den beiden Geschlechtern besteht nicht; und jeder Shaker und jede Shakerin weiht sich dem ehelosen Leben. Das Gerücht schwatzt viel über diesen Umstand, aber hier muß ich abermals auf die Dame in der Niederlage verweisen und behaupten, daß, wenn viele ihrer Schwestern ihr gleichen, alle derartigen Verleumdungen auch nicht einen Schatten der Wahrscheinlichkeit für sich haben. Aber daß sie als Proselyten Personen von einem Alter aufnehmen, welches noch nicht fähig ist, sein Gemüt zu beurteilen oder einen festen Entschluß zu fassen, kann ich durch eigene Beobachtung bestätigen, denn ich habe auf dem Felde Shakers von außerordentlicher Jugendlichkeit gesehen.
Sie sollen geschickte Handelsleute, aber dabei ehrlich und rechtlich sein und selbst beim Pferdehandel den betrügerischen Neigungen widerstehen, die aus einer noch unentdeckten Ursache von diesem Handelszweig fast unzertrennlich zu sein scheinen. In allen Dingen gehen sie ruhig ihren Weg fort, leben in ihrer trostlos stillen Gemeinde und zeigen wenig Verlangen, sich mit anderer Leute Angelegenheiten abzugeben.
Das ist alles recht gut und schön, aber doch muß ich gestehen, daß ich den Shakers keinen besonderen Geschmack abgewinnen noch sie mit günstigen Blicken betrachten und beurteilen kann. Ich verabscheue aus meines Herzens Grunde jenes heillose Streben, welche Klasse oder Sekte es auch zu dem ihrigen machen mag, welches das Leben seiner Reize entkleiden, der Jugend ihre unschuldigen Freuden rauben, dem reiferen und dem Greisenalter seine schönsten Zierden entreißen und das irdische Dasein nur zu einem engen Pfade zum Grabe machen möchte; dieses Streben, welches, wenn es zur Herrschaft auf Erden gelangt wäre, die schöpferische Phantasie der größten Männer gelähmt und verödet und sie, die Besitzer der Kraft, ewigdauernde Bilder vor noch ungebornen Generationen heraufzubeschwören, zu etwas nicht viel Besserem als Tieren gemacht hätte! Ich beteure, daß ich in diesen breitrandigen Hüten und dunklen Röcken – kurz, in dieser Frömmigkeit mit faltenvollem, demütigem Gesicht, möge sie sich durch kurzgeschornes Haar, wie in Lebanon, oder durch lange Nägel, wie bei den Hindus, auszeichnen – nichts sehe als die schlimmsten aller Feinde des Menschen im Himmel und auf Erden, die das Wasser bei den Hochzeitsfesten dieser Erde nicht in Wein, sondern in Galle verwandeln. Und wenn es Leute geben muß, die geschworen haben, den harmlosen Schmuck und die unschuldigen Freuden des Lebens, die ein unveräußerliches Erbteil des Menschen sind – so unveräußerlich und gottgegeben, wie jede andere Liebe und Hoffnung der Menschen –, zu vernichten, so mögen sie hintreten zu den Verdorbenen und Zuchtlosen; der Blödsinnigste weiß, daß sie nicht auf dem Wege zum Heil sind, und wird sie verachten, verabscheuen und fliehen.
Wir verließen das Shakerdorf mit einem herzlichen Widerwillen gegen die alten und einem ebenso herzlichen Mitleid für die jungen Shakers – letzteres nur gemildert durch die Wahrscheinlichkeit, daß sie davonlaufen würden, sobald sie älter und klüger geworden sind, was sie nicht selten tun – und kehrten wieder über Lebanon nach Hudson zurück. Von dort aus benutzten wir ein nach New York fahrendes Dampfschiff, welches wir aber nur bis Westpoint benutzten, wo wir die Nacht, den ganzen folgenden Tag und dann noch eine Nacht blieben.
An dieser schönen Stelle, der schönsten in den reizenden Hochlanden des North River, rings umgeben von dunkelgrünen Hügeln und zerstörten Forts, in der Ferne die Stadt Newburgh, unten ein glänzender Pfad sonnenerhellten Wassers, wo oft ein weißes Segel im Lichte blinkt, wenn das Schiff einen neuen Kurs segelt, sobald ein Windstoß aus den Schluchten der Ufer droht, rings umschlossen von Stellen, die durch Washington in dem Befreiungskrieg geheiligt sind – an dieser Stelle steht die Militärakademie Amerikas.
Sie könnte auf keiner passenderen Stelle stehen, und eine schönere mag es kaum geben. Die Ausbildung ist anstrengend, aber vortrefflich und kräftigend. Während der Monate Juni, Juli und August kampieren die Kadetten auf der geräumigen Ebene vor dem Institut, und das ganze Jahr hindurch machen sie hier täglich ihre militärischen Übungen. Der Kursus dauert vier Jahre; aber mag die strenge Disziplin oder der jedem Zwang widerstrebende Nationalcharakter oder beides vereint die Schuld tragen, nur die Hälfte der Kadetten hält den ganzen Kursus durch.
Da die Zahl der Kadetten der der Kongreßmitglieder ziemlich gleich ist, schickt jeder Kongreßdistrikt einen Schüler hierher, bei dessen Wahl das Kongreßmitglied des Bezirks seinen Einfluß geltend macht. Anstellungen im Dienste werden nach demselben Grundsatze gegeben. Die Wohnungen der Lehrer haben alle eine reizende Lage, und den Fremden empfängt ein vortreffliches Hotel, welches nur zwei Mängel hat: den Mangel an geistigen Getränken (welche den Kadetten streng verboten sind) und die etwas unbequeme Festsetzung der Essenszeiten. Das Frühstück ist nämlich um sieben, das Mittagessen um ein Uhr und das Abendessen bei Sonnenuntergang.
Die Schönheit und Frische dieses stillen Asyls in der schönsten, jugendlichsten Zeit des Sommers – es war Anfang Juni – waren wirklich reizend. Ich verließ es am sechsten, um mich den folgenden Tag nach England einzuschiffen, erquickt von dem Gedanken, daß unter den letzten denkwürdigen Schönheiten, die unser Auge gesehen hatte und die jetzt dem Geist in dem milden Glanz der Erinnerung erschienen, die waren, deren Bild, von Meisterhand gezeichnet, mit frischen Farben in den Seelen der meisten Menschen glüht, um dort nicht so leicht zu altern oder unter dem Staube der Zeit zu verbleichen: die Kaatskill-Berge; Sleepy Hollow und der Tappaan Zee. [Fußnote] 
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