Die rothaarige Wölfin hatte zuerst den Klang von Menschenstimmen und das Gebell der Schlittenhunde gehört. Sie sprang als erste von dem Mann im Feuerkreis weg. Die anderen hatten nur zögernd die Beute, die sie so lange verfolgt hatten, aufgegeben.
An der Spitze des Rudels lief ein großer grauer Wolf. Die Wölfin lief neben ihm her. Der Führer knurrte sie nicht an, wenn sie zufällig einen Satz ihm voran machte, so wie er es bei den anderen Tieren tat. Im Gegenteil, er behandelte sie freundlich, für ihren Geschmack sogar zu freundlich. Er drängte sich gern an sie heran, und dann zeigte sie ihm knurrend die Zähne. Einmal biss sie ihn sogar in die Schulter. Auch da sprang er nur zur Seite.
Auf ihrer anderen Seite lief ein hagerer alter Wolf, der mit den Narben mancher Schlacht bedeckt war. Er lief ihr immer zur Rechten, denn er hatte nur ein Auge, und zwar das linke. Auch er kam ihr immer so nah, dass seine Schnauze ihre Schulter oder den Hals berührte. Auch ihn wies sie mit ihren Zähnen zurück. Manchmal knurrten sich die beiden Nebenbuhler drohend und zähnefletschend an.
Aber noch ein anderer Wolf drängte sich gern an die Spitze. Er war ein junger, dreijähriger Wolf, der schon völlig ausgewachsen war. Wurde er von den älteren Tieren angegriffen, blieb er eiligst stehen, setzte sich fest auf die Hinterbeine, stemmte die Vorderfüße steif auf den Boden, sträubte das Fell und knurrte drohend. Die anderen Wölfe prallten in diesen Situationen im Lauf von hinten auf den jungen Wolf und drückten ihre Missfallen durch scharfe Bisse in seine Hinterbeine und Flanken aus. So brachte er sich stets in großes Ungemach, wiederholte diese Manöver aber trotzdem immer wieder.
An jedem Tag liefen die Wölfe trotz ihrer abgemagerten Körper viele Meilen weit. Auch die ganze Nacht über und am nächsten Tag trabten sie weiter, an der Spitze die Stärksten und im Nachtrab die Schwachen, die Jungen und die ganz Alten. Sie trabten über die weite Fläche einer gefrorenen, toten Welt. Kein Leben regte sich. Sie allein waren lebendig, und sie suchten andere lebendige Wesen, um sie zu verschlingen.
Sie kamen in eine tiefer gelegene Gegend, wo ihre Suche endlich belohnt wurde. Hier stießen sie auf Elche. Hier war Leben, hier war Fleisch und kein geheimnisvolles Feuer. Der Kampf mit einem Elchbullen war kurz und verzweifelt. Er wurde von allen Seiten angegriffen. Zwar brachte er den Wölfen Wunden bei und tötete mit seinen großen Hufen und seinem Geweih auch einige, aber es gab keine Rettung für ihn. Der Kampf endete damit, dass die Wölfin ihn an der Kehle packte, während die Zähne der anderen überall in sein Fleisch einschlugen. Sie begannen ihn zu verzehren, noch bevor sein letzter Atemzug getan und sein Todeskampf vorüber war.
Nun gab es Speise in Fülle. Obwohl der Elch über achthundert Pfund wog, waren bald ein paar Knochen alles, was von ihm übrig war.
Die Zeit der Not war vorüber. Sie waren nun in einem Land, wo es Wild gab, und sie jagten vorsichtiger, indem sie nur lahme und krüpplige Tiere aus kleinen Elchrudeln aussuchten.
Schließlich kam der Tag, an dem sich das Wolfsrudel teilte. Die Wölfin, der junge Führer an ihrer Linken und der alte Einäugige führten die Hälfte des Rudels zum Mackenziefluss hinunter und in das Land der Seen im Osten.
Von Tag zu Tag verminderte sich dieser Rest des Rudels. Zu zweien, immer ein Wolf und eine Wölfin, machten sie sich aus dem Staube. Zuletzt blieben nur noch vier übrig: die Wölfin, der junge Führer, der Einäugige und der ehrgeizige Dreijährige.
Die Wölfin zeigte jetzt grimmige Laune. Bald trugen alle drei Bewerber die Spuren ihrer Zähne, aber sie verteidigten sich nie ihr gegenüber. Gegeneinander waren sie allerdings wild. Der Dreijährige wurde eines Tages in seinem Ärger gar zu frech. Er zauste den Einäugigen auf der blinden Seite und riss ihm das Ohr in Fetzen. Dieser hatte in seinem Leben so viele Erfahrungen gesammelt und so viele Kämpfe überlebt, dass er nicht einen Augenblick überlegte, was nun zu tun sei. Als der Kampf begann, stellte sich der dritte Wolf auf die Seite des alten, und nun griffen beide den Dreijährigen an, in der Absicht, ihn zu töten. Von beiden Seiten fielen die unbarmherzigen Zähne seiner früheren Kameraden ihn an.
Während des Kampfes setzte sich die Wölfin, die ja die Ursache der Auseinandersetzung war, geduldig hin und wartete. Der Dreijährige musste sein Leben lassen, wahrscheinlich für das erste Liebesabenteuer, das er in seinem Leben hatte. Zu beiden Seiten seines Leichnams standen die Nebenbuhler. Sie blickten die Wölfin an, die zufrieden im Schnee saß. Allein der alte Wolf war klug, in der Liebe sowohl wie im Kampf.
Als der jüngere den Kopf wandte, um eine Wunde an der Schulter zu lecken, schoss der Einäugige auf jenen los und packte ihn an der Gurgel. Er biss tief und scharf zu und zerriss ihm die große Schlagader am Hals. Dann sprang er zurück. Der junge Anführer sprang noch einmal auf ihn los und kämpfte, bis ihm die Glieder versagten und ihn das Leben verließ.
Die ganze Zeit über saß die Wölfin da und schaute zufrieden drein. Sie freute sich über den Kampf, denn er war der Liebesbeweis der Wildnis. Als er beendet war, ging der Einäugige mit großen Schritten auf die Wölfin zu. Seine Haltung war ein Gemisch von Triumph und Vorsicht, aber zum ersten Mal begegnete ihm die Wölfin freundlich.
Nun trabten sie durch die Wälder wie gute Freunde nebeneinander her. Die Tage vergingen und sie jagten zusammen, töteten ihre Beute und verzehrten sie gemeinsam.
Einige Zeit darauf schien die Wölfin ruhelos zu werden. Es war, als suchte sie etwas, das sie nicht finden konnte. Sie verbrachte viel Zeit damit, an Felsen und den steilen Flussufern nach Höhlen herumzustöbern. Einauge hatte kein Interesse daran, aber er folgte ihr gutmütig bei der Suche.
Als sie an einem hellen Mondscheinabend durch die Wälder liefen, blieb der Wolf plötzlich stehen. Seine Schnauze richtete sich empor, und die Nasenlöcher weiteten sich, als er die Witterung einzog. Bei seiner Gefährtin hatte ein gleichgültiges Schnüffeln genügt, und sie trabte ruhig weiter. Er folgte ihr zwar, blieb aber dann und wann stehen.
Die Wölfin glitt vorsichtig bis an den Rand einer großen, von Bäumen umgebenen Lichtung. Als auch Einauge heran kam, standen sie beide dicht nebeneinander, lauernd, horchend, witternd. Hundegekläff drang an ihre Ohren, dann Männerstimmen, schrilles Weiberschimpfen und einmal das Geschrei eines Kindes. In die Nase der Wölfin stiegen die tausendfachen Gerüche eines Indianerlagers, die eine Geschichte erzählten, die Einauge zwar nicht verstand, die aber der Wölfin in allen Einzelheiten bekannt war.
Sie war seltsam aufgeregt und zog die Luft mit wachsendem Interesse ein. Einauge jedoch verriet Besorgnis und machte den Versuch weiter zu gehen. Sie drehte sich zu ihm, berührte wie beruhigend mit der Schnauze seinen Hals und blickte nach dem Lager hinüber. Sie wollte vorwärts gehen, sich am Feuer wärmen, sich mit den Hunden balgen und zwischen den Männern hin und her laufen. Schließlich kehrten sie doch um und liefen in die Wälder zurück.