Wie ein Hauch fast war sein Name über ihre Lippen gekommen, aber er hatte ihn doch vernommen. Jubelnd [pg 264]sprang er auf und sein Auge, das eben noch so verzagt und traurig geblickt hatte, leuchtete in freudigem Glanze.
»Nun bist du meine Ilse!« rief er aus und zog sie an sein Herz, doch als er den ersten Kuß auf ihre Lippen drücken wollte, da wendete sie den Kopf zur Seite und die spröde, widerspenstige Ilse meldete sich noch einmal.
»Küssen ist nicht erlaubt,« erklärte sie mit aller Entschiedenheit, »wie könnte ich mich von einem fremden Manne küssen lassen?«
»Aber die Hand,« bat er lachend, »die Hand darf ich küssen!«
Das wurde ihm gnädig bewilligt.
Er hielt sie noch in dem Arm, als die beiden Elternpaare auf der Veranda erschienen. Alle hatten sofort begriffen, was hier geschehen war, nur der Oberamtmann stand wie versteinert da. Der Landrat und seine Gattin waren die ersten, die das Brautpaar begrüßten, beglückt nahmen sie Ilse als ihr Töchterchen an ihr Herz. Herr Macket hatte sich noch nicht vom Flecke gerührt.
Frau Anne trat zu ihm und legte die Hand auf seinen Arm. »Siehst du, Richard, aus dem Kinde ist eine Jungfrau geworden, glaubst du es nun?« fragte sie zärtlich.
»Ilse! Meine kleine Ilse!« brachte er endlich mühsam hervor und seine Brust hob und senkte sich im heftigen Kampfe. »Ist es wahr? Willst du mich verlassen?«
Da flog sie an seinen Hals und küßte ihn stürmisch, dabei rief sie unter Weinen und Lachen: »Mein kleiner, einziger Herzenspapa, ich habe ihn ja so lieb!«
* * *
Nun ist eigentlich meine Erzählung zu Ende, denn die überraschten Gesichter der Gäste zu schildern ist langweilig, selbst wenn die Ueberraschung ihnen so unerwartet kam, wie [pg 265]Ilses Verlobung am Erntefeste. Eins aber muß ich meinen lieben Leserinnen noch mitteilen, wie nämlich onkel Curt an demselben Tage plötzlich verschwunden war. Während alle fröhlich bei der Tafel saßen, hatte er sich von Johann still und ohne Aufsehen nach dem Bahnhof fahren lassen.
Frau Macket fiel seine Flucht nicht weiter auf, sie kannte ihren Bruder als einen unstäten Geist, der, wie es ihm einfiel, kam und verschwand. – Drei Wochen vergingen ohne das geringste Lebenszeichen, da endlich langte ein Brief aus München von ihm an. Sein Inhalt versetzte alle auf Moosdorf in sprachloses Erstaunen. Ilse aber kam darüber ganz außer Rand und Band. Sie klatschte in die Hände, tanzte im Zimmer umher und rief jubelnd: »Ich bin die Ursache ihres Glückes, durch mich haben sie sich gefunden! Was wird Leo dazu sagen? Wie freue ich mich!« – Doch ich will nicht vorgreifen, sondern lieber den kurzen Inhalt des Briefes mitteilen.
»Wir sind auf der Hochzeitsreise. Lotte und ich wollen den Winter in Italien zubringen. Ihr wundert Euch, nicht wahr? Ist aber gar nichts dabei zu verwundern. Lotte und ich waren schon uralte Brautleute, haben nur niemals davon gesprochen. – Im Frühjahr kehren wir zurück, ich werde Euch dann meine junge Frau vorstellen. – Dem Fischchen besonderen Gruß – sie weiß schon warum. Soll übrigens fleißig weitermalen, wenn der Brautstand ihr die Zeit dazu läßt.« –
»Denkst Du noch an Lucies Geschichte? – Jene Lucie hieß Lotte und war ich selbst – und der Maler? – Nun, Du errätst schon, wer es war, ohne daß ich ihn nenne.
»Wenn wir zurückkehren, bist Du am Ende auch eine junge Frau? Wie habe ich mich gefreut über dein sonniges Glück, Herz! Der Himmel erhalte es Dir!«