Unter ihren geschickten Händen stand Ilse bald fertig geschmückt da. Frau Anne betrachtete sie mit freudigen Blicken, so reizend hatte sie ihr Kind noch niemals gesehen. [pg 255]War der duftige Anzug daran schuld? Oder hatten die Augen einen besonderen Glanz?
* * *
Kaum zehn Minuten später kam der Wagen vom Bahnhof zurück und brachte die Gäste. Der Landrat stieg zuerst aus demselben. Ungeniert nahm er Ilse, die mit ihrer Mama zum Empfange bereit stand, in die Arme und küßte sie auf die Wange. Leo begrüßte die Damen mit einem Handkuß. Ilse wußte jetzt, wie sie sich bei einem so kritischen Falle zu benehmen hatte, sie zog die Hand nicht fort, die Mama hatte es auch nicht gethan.
Die Eltern führten Gontraus hinauf in die bereitstehenden Gastzimmer, Leo blieb noch zögernd auf der Veranda stehen. Er trat zu Ilse, die etwas entfernt von ihm stand. Sie lehnte gegen einen Pfeiler und zupfte sehr eifrig an einer Weinranke. Sein Blick ruhte auf dem reizenden Mädchen, das ihm in den wenigen Wochen, seit er sie nicht gesehen hatte, größer und schöner geworden schien.
»Sie sind so still und so ernst,« redete er sie an, »gar nicht wie im Lindenhof. Wo ist Ihr fröhlicher Uebermut geblieben? Drückt Sie ein Kummer?«
»Kummer? o nein!« Und ihre Augen lachten ihn mit der alten Fröhlichkeit an. »Im Gegenteil, eine große, große Freude habe ich gehabt!« Und sie verkündete ihm Nellies Verlobung.
Eigentlich wunderte es sie, daß er so wenig darauf zu erwidern hatte. Fast keine Miene hatte er bei dieser hochwichtigen Nachricht verzogen. Sein Blick hing unverwandt an ihren Lippen, und doch schien es, als wären seine Gedanken in weiter Ferne.
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»Ist sie sehr glücklich?« fragte er in halber Zerstreuung.
»Glücklich?« wiederholte Ilse verwundert über seine Frage. »Selig ist sie! Sie müssen nur ihren Brief lesen!«
»Lesen Sie ihn mir vor,« bat er. »Lassen Sie uns die schöne Einsamkeit benutzen, jetzt sind wir ungestört.«
»Das geht nicht! Nein, gewiß nicht!« rief sie beinahe ängstlich. Es schreckte sie plötzlich der Gedanke: Wie kannst du ihm Nellies geheimste Empfindungen offenbaren? – Doch war es dieser Gedanke allein, der sie so seltsam beklommen machte? Entsprang die Furcht, mit ihm allein zu sein, aus derselben Quelle?
»Wenn ich Sie sehr darum bitte, auch dann nicht?«
Sie war schon halb auf der Flucht, als seine dringende Bitte ihr Ohr berührte.
»Ich kann nicht! Ich habe im Hause zu thun! Später!« rief sie ihm verwirrt zu, flog über die Veranda hinweg durch den Speisesaal bis in die offenstehende Thür des kleinen Boudoirs der Mama.
Er sah ihr nach, bis der Zipfel ihres weißen Kleides entschwunden war. Auf seinem Antlitz spiegelten sich die verschiedensten Gefühle, sie drückten Zweifel, Hoffnung und Entzücken aus.
Als Ilse so hastig in das kleine Zimmer trat, atemlos und mit heißen Wangen, erschrak sie fast, als sie den onkel antraf.
»Nun, Backfischchen, was ist dir denn begegnet?« fragte er und legte das Buch, in welchem er gelesen, aus der Hand.
»O nichts, nichts, gar nichts!« rief sie schnell. »Ich bin nur so heiß und mein Herz klopft so furchtbar.«