»Ich glaube, daß ich ein sehr traurig Gesicht machte zu ihr Vorschlag und ich konnte auch gar nix sagen. Dein Brief hielt ich noch in die Hand, aber ich habe nicht gewagt, Fräulein Raimar zu sprechen, sie hätte doch mein Bitten abgeschlagen.
»›Du hast wohl keine Lust,‹ fragte sie, weil ich schweigend war.
»›O, gar keine Lust,‹ dacht’ ich, aber ich durft’ nicht sagen, wie furchtbar schrecklich mich der Gedanke war, ein Vierteldutzend Kinder zu unterrichten. Immer so weise und artig sein, – immer so mit der guten Beispiel vorangehn – nein, das macht mir gar nicht Spaß.
»›Bestimmen Sie für mir, Fräulein,‹ sagte ich, ›ich werde thun, wie Sie denken. Werde ich aber klug genug sein, zu ein’ so großer Aufgabe?‹
»›Laß das meine Sorgen sein,‹ sagte Fräulein Raimar sehr bestimmend, ›ich würde Dich nicht empfehlen, wenn ich nicht wüßte, daß Du diese Stellung vollkommen erfüllen kannst.‹
»Damit verließ sie mir und ich blieb tief betrübt zurück.
»Die Zubereitung für mein Abreise wurde gemacht und ich hatte viel zu thun, o – und viel zu hören!
»Miß Lead hielt langen, strengen Predigten und vorbereitete mich zu eine würdige Gouvernante. Fräulein Raimar mahnte mir täglich zu Ernst und Gediegenheit, nur Fräulein Güssow sah mir oft mit ein lang traurigen Blick an, der zu mich sprach: Thust mich leid, Darling, daß Du unter fremde Leute dienen mußt.
»Der ernste Abschiedstag war da. Es war der achtundzwanzigste September, morgens 11 Uhr, ein Stunde vor meine Abreise. Ich saß in mein Zimmer auf mein Reisekoffer und weinte. Ich war so gefüllt von Kummer, das [pg 250]Herz drückte mir so schwer wie ein Mühlstein in der Brust. Kannst Du Dich das vorstellen? Nein, süß Ilschen, Du kannst nicht. Als Du von uns gingst, weintest Du auch und warst sehr betrübt, aber Du kehrtest in ein liebe Vaterhaus heim und Deine Eltern trocknete Deine Thräne, – wer trocknet meine? Niemand. Ich ging fort in die Fremde und ›ka Katzerl, ka Hunderl‹ kümmert sich um mir. Ich wünschte mir tot zu liegen, wie unsre süße Lilli.
»Wie ich mir so ganz verlassen fühle und laut schluchze, steht plötzlich Doktor Althoff, mein Doktor Althoff vor mir. Ich hatte ihn nicht gehört, als er anklopfte und die Thür öffnete. Du kannst mein Schreck denken! Ich spring’ von mein Reisekoffer und halt’ das Tuch vor mein weinend Gesicht, ich schämte mir so.
»Leise zog er es fort und fragte mich mit seiner schöner, tiefer Organ: ›Warum weinen Sie, Miß Nellie? Thut Sie es weh, aus dem Institut zu scheiden, möchten Sie hier bleiben!‹
»Ich sagte gar nix, weil ich nicht konnte vor lautes Schluchzen.
»›Sehen Sie mich an, Miß Nellie,‹ bat er, ›ich möchte gern in Ihr Auge sehen bei das, was ich Sie fragen will.‹