»Bist du groß geworden!« rief der Oberamtmann und betrachtete sie mit stolzer Freude; »ich hätte dich kaum wiedererkannt! Als halbes Kind gingst du von uns und jetzt kehrst du heim als junge Dame!«
Er hielt sie noch immer in seinen Armen und konnte sich nicht satt sehen an ihr. Sanft entwand sie sich ihm, noch hatte sie die Mutter nicht begrüßt, die mit Thränen im Auge daneben stand und ihr die Arme entgegenstreckte. Ilse flog an ihr Herz und umschlang sie innig.
»Meine liebe Mama!« das war alles, was sie sagen konnte. Und Frau Macket verstand sie, innig drückte sie ihr Kind an sich, sie wußte, daß sie jetzt sein Herz für immer gewonnen hatte.
»Hier ist noch jemand, der dich begrüßen will, Kleines,« unterbrach der Oberamtmann die kleine rührende Szene, die ihn selbst schon ganz weichmütig machte, »sieh, onkel Curt, berühmter Maler und Afrikareisender, möchte gern deine Bekanntschaft machen!«
Ilse reichte ihm die Hand und stand nun einem wirklichen Künstler gegenüber. Ob sie ihn »reizend« fand? – Als sie ihn ansah, den mittelgroßen, etwas breitschultrigen Mann, in der Samtjoppe, die mehr bequem als elegant saß, mit dem breitkrempigen Hute, der ein braun gebranntes, etwas ver[pg 240]wittertes Gesicht tief beschattete, da drängte sich unwillkürlich ein andrer in ihre Gedanken und sie verglich. »Die Juristen gefallen mir doch besser als die Künstler,« – so meinte sie still in ihrem Herzen.
Ehe Ilse in den Wagen stieg, wurde sie von Johann feierlich begrüßt. Zur besonderen Ueberraschung hatte er Bob mitgebracht, der nun in toller, ausgelassener Freude seine Herrin begrüßte. Johann vergaß dabei seine Empfangsrede, die er sich mühsam zurechtgedacht hatte. Verlegen drehte er seine Mütze und sein breiter Mund zog sich von einem Ohre zum andern.
»Da ist der Hund, Fräulein Ilschen,« sagte er. »Das unvernünftige Vieh hat das Fräulein gewissermaßen gleich erkannt. Ich auch, wenn auch das Fräulein gewissermaßen schön und stattlich geworden sind, wie ein Kürassier.« – Diesen wunderlichen Vergleich gebrauchte Johann nur bei ganz außergewöhnlichen Gelegenheiten, er galt für ihn als höchster Ausdruck des Vollkommnen.
Alle lachten und Ilse reichte dem Freunde ihrer Kindheit die Hand.
»Es ist gut, Johann,« sagte der Oberamtmann, »du hast eine schöne Rede gehalten. Nun aber steige auf und lasse die Pferde tüchtig zugreifen, in einer halben Stunde müssen wir in Moosdorf sein.«
Im Vaterhause war alles festlich bereitet. Fahnen, Kränze, Blumen, sogar eine Ehrenpforte mit einem mächtigen »Willkommen!« begrüßten die heimkehrende Tochter. – Aber sie hatte nur einen flüchtigen Blick für alle Herrlichkeiten, ihre Ungeduld trieb sie hinein in das Haus, sie mußte zuerst das Brüderchen sehen.