»Bequem ist diese Kostüm, das ist wahr,« sagte sie und fing an, allerhand lustige Sprünge auszuführen und sich im Kreise zu drehen. »Man ist so luftig – so leicht!«
Ilse brach plötzlich in ein so herzhaftes Gelächter aus, daß Nellie auf sie zueilte und ihr den Mund mit der Hand verschloß.
»Du darfst nicht so toll lachen,« sagte sie, »du wirst uns verraten!«
»Ich kann nicht anders, du siehst ja zum totlachen aus.«
Nellie trat mit dem Wachsstocke vor den kleinen Spiegel und betrachtete sich.
»O wie abscheulich!« sagte sie und riß die Sachen herunter, »wie kannst du so ein häßlicher Anzug schön finden!«
Ilse verschloß ihre Herrlichkeiten wieder in den Koffer, dann wurde das Licht gelöscht und in wenigen Augenblicken schliefen die beiden Mädchen fest und tief.
* * *
Vierzehn Tage waren seit Ilses Aufnahme in der Pension vergangen. Manche bittre Thräne hatte sie in der kurzen Zeit, die ihr wie eine Ewigkeit erschien, geweint, und oft, recht oft hatte sie die Feder angesetzt, um dem Vater zu schreiben, daß er sie zurückholen möge. Nur weil sie sich vor der Mutter scheute, that sie es nicht. Erst zweimal hatte sie die vielen und langen Briefe, die sie aus der Heimat erhalten, beantwortet, nur ganz kurz und mit der Entschuldigung, daß ihr die Zeit zu längeren Briefen fehle.
Endlich, eines Sonntag Nachmittags, den fast alle Pensionärinnen zum Briefschreiben benutzten, setzte auch sie sich dazu nieder. Große Lust hatte sie indessen nicht. Sie wußte gar nicht recht, was sie schreiben sollte; wie es ihr eigentlich um das Herz war, mochte sie ja doch nicht sagen.
Sie schlug die neue Schreibmappe auf, wählte nach langem [pg 57]Suchen einen rosa Bogen mit einer Schwalbe darauf, tauchte eine Feder in das Tintenfaß und – malte allerhand Schnörkeleien auf ein Stückchen Papier. Nachdem sie diese Unterhaltung ein Weilchen getrieben, begann sie endlich den Brief. Nach wenigen Zeilen hörte sie auf und legte das Geschriebene beiseite. Der Anfang gefiel ihr nicht. Es wurde ein neuer Schwalbenbogen geopfert und noch einer. Der vierte endlich hatte mehr Glück. Sie beschrieb denselben von Anfang bis zu Ende, ja, sie nahm noch einen fünften Bogen dazu. Sie war nun einmal in das Plaudern gekommen, immer wieder fiel ihr etwas ein, das sie dem Papa mitteilen mußte.
Als sie zu Ende war, durchlas sie noch einmal ihre lange Epistel und wir blicken ihr über die Schulter und lesen mit.
»Mein liebes Engelspapachen!
Es ist heute Sonntag. Das Wetter ist so schön und im Garten blühen die Rosen (da fällt mir eben ein, hat meine gelbe Rose, maréchal Niel, die der Gärtner im Frühjahre verpflanzte, schon Knospen angesetzt? bitte, vergiß nicht, mir Antwort zu geben) – und die Vögel singen so lustig – ach! und deine arme Ilse sitzt im Zimmer und kann sich nicht im Freien umhertummeln. Mein liebes Pa’chen, das ist recht traurig, nicht wahr? Ich komme mir oft vor wie unser Mopsel, wenn er genascht hatte und zur Strafe dafür eingesperrt wurde. Ich möchte auch manchmal, wie er es that, an der Thüre kratzen und rufen: macht auf! Ich will hinaus!