Um sechs Uhr am andern Morgen hieß es: Aufgestanden! Da galt kein langes Besinnen, und wenn die jungen Glieder noch so sehr vom Schlafe befangen waren, es wurde keine Gnade geübt. Ilse pflegte daheim bald früh, bald spät aufzustehen, wie sie gerade Lust hatte. Einer bestimmten Ordnung, wie sie die Mama so sehr gewünscht, hatte sie sich nicht fügen wollen. Es wurde ihr denn auch nicht wenig schwer, so auf Kommandowort sich erheben zu müssen, gerade heute hatte sie den Wunsch, noch einigemal sich im Bette herumzudrehen, sie war so spät erst eingeschlafen. Aber daran war nicht zu denken, Nellie stand schon da und wusch sich. Mit einem Sprunge war sie Schlag sechs Uhr aus dem Bette gewesen.
»Wach auf, Ilse,« sagte sie, »um halb sieben trinken wir Kaffee.«
»Schon aufstehen,« antwortete die Verschlafene, »aber ich bin noch so müde.«
»Thut nix, du darfst nicht mehr schlafrig sein.«
Aber Ilse zögerte noch. Nellie stand schon fertig da, ja hatte schon alles, was sie zur Nacht- und Morgentoilette nötig hatte, beiseite geräumt, als sie sich langsam erhob.
»O Ilse, eile dir, du hast nur zehn Minuten Zeit! Schnell, schnell, ich will dich helfen! Wo sind dein Kamm?«
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Ilse zeigte auf ein Papier, das im Fenster lag. »Dort liegen sie eingewickelt,« gab sie zur Antwort.
»Das ist nicht nett, das gefällt mir nicht,« meinte Nellie und rümpfte das Näschen. »Du mußt dich ein Taschen nähen, von grauer Stoff und rote Band, sieh, wie dies da,« und sie zeigte ihre Kammtasche, »siehst du, so ist’s fein.«
Ilse machte nicht viel Umstände mit ihrem Haar. Sie kämmte und bürstete es, damit war alles abgemacht, die natürlichen Locken ringelten sich von selbst ohne weitere Bemühung. Ein hellblaues Band schlang ihr Nellie durch dieselben und band es mit einer Schleife seitwärts zu.
»Nun noch die Schürze,« sagte sie, als Ilse soweit fertig war, »sie darf nicht fehlen.« Sie lachte, als Ilse sich dagegen sträubte.
»Du bist ein klein, albern Ding,« schalt sie und band ihr die Schürze vor, trotz Ilses heftigem Widerstande. »Gleich hältst du still! Ohn’ ein Schürzen giebt es kein Kaffee.«
Die lustige Nellie setzte es wirklich durch, daß Ilse sich ihrem Willen fügte.
»So,« sagte sie, »nun bist du schön! Die blau gestickter Schürze ist sehr nett und du bekommst einer süßer Kuß.«
An langen Tafeln saßen die Mädchen bereits, Nellie und Ilse waren die letzten. Fräulein Raimar war des Morgens niemals zugegen, nur Fräulein Güssow führte die Aufsicht. Ilse mußte sich zu ihr setzen. Als ihr der Kaffee gereicht wurde, nahm sie die Tasse ganz manierlich beim Henkel in die Hand, aß auch wie es sich gehört nicht mit großen Bissen, wie am Abend zuvor; aber sie hatte eine andre Unart, die ebenfalls zu tadeln war, sie schlürfte den Kaffee so laut, daß sie allgemeine Heiterkeit erregte.