zur zweiten Auflage.
Die zweite Auflage dieses Buches ist der ersten in kürzerer Frist als der eines Jahres gefolgt. Sie ist mit dem Bilde der Verfasserin geschmückt, damit die jugendlichen Leserinnen auch die Züge derjenigen kennen und lieben lernen, die ihnen dies schöne Vermächtnis hinterlassen hat. Sie hat diese Liebe reich verdient; sie hat dieselbe im Leben bei all denen, die ihr edles Herz kannten, im vollsten Maße genossen und sich weit über das Grab hinaus gesichert.
Emmy von Rhoden war das Pseudonym der zu früh dahingegangenen Gattin eines unsrer beliebtesten Schriftsteller, meines Freundes Friedrich Friedrich. Mir selbst und den Meinen war die Verfasserin eine teure Freundin, deren schriftstellerisches Debüt ich mit wärmstem Interesse begleitete. Als sie ihre ersten, für ein jüngeres Alter berechneten Jugendschriften (»Das Musikantenkind«, eine Erzählung für Kinder von 11–14 Jahren, und »Lenchen Braun«, eine Weihnachtsgeschichte für Kinder von 10–12 Jahren) veröffentlichte und damit schnell litterarisches Aufsehen und nachhaltige Freude in den empfänglichen Gemütern der Kinderwelt erregte, hatte Emmy Friedrich Friedrich aus Bescheidenheit das Pseudonym Emmy von Rhoden gewählt. Jetzt hat der Tod den Schleier der Pseudonymität gelüftet.
Es ist mir ein Herzensbedürfnis, den Wunsch meines tiefgebeugten Freundes zu erfüllen, der aus leichtbegreiflichen Gründen es nicht über sich vermochte, der zweiten Auflage des »Trotzkopf« ein Vorwort zu geben. Er war der Meinung, daß ich, der ich die Unvergeßliche in ihrer liebenswürdigen menschlichen und schriftstellerischen Eigenart genau kannte, ein charakterisierendes Einführungswort der neuen Auflage finden [pg VIII]würde. Nun aber, da ich das innerliche Wesen dieser seltenen Frau in Worte kleiden soll, fühle ich die ganze Schwere dieser Aufgabe. Soll ich von der Gemütstiefe reden, mit welcher die Verewigte das Wesen der Jugend erfaßte; von dem innigen Verständnis, welches sie den Eigentümlichkeiten einer jungen Mädchenseele entgegenbrachte; von der feinen Beobachtung des jugendlichen Gebarens; von der farbenfrischen Erzählerkunst, mit welcher sie vor dem seelischen Ohr des Lesers auch die zartesten Saiten der jugendlichen Empfindung erklingen ließ?
Wer einen Ueberblick über die neueste Unterhaltungslitteratur für die Jugend gewann, in welcher sich allerlei Unnatur und Tendenz aufdringlich breit macht, wird die großen Vorzüge erkennen, welche den »Trotzkopf« zu einer echten und wahren Jugendschrift machen. Diese Erzählung ist natürlich frisch, unterhaltend und spannend, und was schwerer als dies alles wiegt: sie ist psychologisch wahr! Mit glücklichem Takt hat die Verfasserin alles rein Belehrende, alles Pedantische und unnatürlich Prüde vermieden. Sie erzählt mit ungekünstelter Natürlichkeit, wie ein junges, ungebändigtes Menschenkind durch das Leben selbst erzogen wird. Deshalb wirkt dies Buch auch im besten Sinne erziehend. Eine Erzählung, welche die jugendlichen Gemüter nicht fesselt und packt, bleibt wirkungslos und wenn tausend weise Lehren in dieselbe hineingestreut sind, denn diese sind nur graue Theorien, während das Grün des goldenen Lebensbaumes nur aus dem Leben selbst emporwächst.
Und so möge dies anziehende, von der Sonne der Phantasie beglänzte Werk, das auf innerlichster Lebenserfahrung aufgebaut ist, seinen Weg weiter gehen zur Freude der gern angeregten Jugend! Es ist der Segen aller guten und edlen Naturen, daß ihre Schöpfungen auf viele Generationen hinaus wirken. Des alten Sebastian Frank Wort mag sich auch an dieser Jugendschrift als wahr erweisen: »Das aber ist der Bücher rechter einiger Gebrauch, daß wir darinnen ein Zeugnis unsres Herzens sehen.«
Berlin, Oktober 1885.
Franz Hirsch.