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Buddenbrooks-Neunter Teil-Viertes Kapitel

时间:2022-04-02来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
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Acht Tage später saß in Senator Buddenbrooks Privatkontor, auf dem Ledersessel zur Seite des Schreibtisches, ein kleiner, glattrasierter Greis mit tief in Stirn und Schläfen gestrichenem, schlohweißem Haar. In gebückter Haltung stützte er sich mit beiden Händen auf die weiße Krücke seines Stockes, ließ das spitz hervorspringende Kinn auf den Händen ruhen und hielt mit bösartig zusammengepreßten Lippen und abwärts gezogenen Mundwinkeln von unten herauf einen so abscheulichen und durchdringend tückischen Blick auf den Senator gerichtet, daß es unbegreiflich erschien, warum dieser die Gemeinschaft mit einem solchen Menschen nicht lieber mied. Aber Thomas Buddenbrook saß ohne merkliche Unruhe zurückgelehnt und sprach zu dieser hämischen und dämonischen Erscheinung wie zu einem harmlosen Bürger … Zwischen dem Chef der Firma Johann Buddenbrook und dem Makler Sigismund Gosch ward über die Kaufsumme für das alte Haus in der Mengstraße beratschlagt.
 
Das nahm eine lange Zeit in Anspruch, denn das Angebot von 28000 Talern Kurant, das Herr Gosch gemacht hatte, schien dem Senator zu niedrig, während der Makler sich zur Hölle verschwur, wenn dieser Summe auch nur einen Silbergroschen hinzuzufügen nicht eine Tat des Wahnwitzes wäre. Thomas Buddenbrook sprach von der zentralen Lage und dem ungewöhnlichen Umfange des Grundstückes, aber Herr Gosch hielt mit zischender, gepreßter und verbissener Stimme, verzerrten Lippen und grauenerregenden Gesten einen Vortrag über das erdrückende Risiko, das er übernähme, eine Explikation, die in ihrer lebensvollen Eindringlichkeit beinahe ein Gedicht zu nennen war … Ha! Wann, an wen, für wieviel er dieses Haus wohl wieder würde absetzen können? Wie oft im Rollen der Jahrhunderte denn eine Nachfrage nach einem solchen Grundstück laut würde? Ob sein hochverehrter Freund und Gönner ihm etwa versprechen könne, daß morgen mit dem Zuge von Büchen ein Nabob aus Indien eintreffen werde, um sich im Buddenbrookschen Hause einzurichten? Er – Sigismund Gosch – werde damit sitzenbleiben … damit sitzenbleiben werde er, und dann sei er ein geschlagener, ein endgültig vernichteter Mensch, der nicht mehr die Zeit haben werde, sich zu erheben, denn seine Uhr sei abgelaufen, sein Grab sei geschaufelt, geschaufelt sei es … Und da diese Wendung ihn fesselte, so fügte er noch etwas von schlotternden Lemuren und dumpf auf den Sargdeckel fallenden Erdschollen hinzu.
 
Dennoch gab der Senator sich nicht zufrieden. Er sprach über die vortreffliche Teilbarkeit des Grundstückes, betonte die Verantwortung, die er seinen Geschwistern gegenüber trage, und beharrte bei dem Preise von 30000 Talern Kurant, um dann aufs neue mit einem Gemisch von Nervosität und Wohlgefallen eine wohlpointierte Entgegnung des Herrn Gosch anzuhören. Das dauerte wohl zwei Stunden lang, in deren Verlaufe Herr Gosch Gelegenheit hatte, alle Register seiner Charakterkunst zu ziehen. Er spielte gleichsam ein doppeltes Spiel, er spielte einen heuchelnden Bösewicht. »Schlagen Sie ein, Herr Senator, mein jugendlicher Gönner … 84000 Kurantmark … es ist das Angebot eines alten, ehrlichen Mannes!« sagte er mit süßer Stimme, indem er den Kopf auf die Seite legte, sein von Grimassen verwüstetes Gesicht zu einem Lächeln der treuherzigen Einfalt verzog und seine Hand, eine große, weiße Hand, mit langen und zitternden Fingern, von sich streckte. Aber das war Lüge und Verräterei! Ein Kind hätte diese heuchlerische Maske durchschauen müssen, unter welcher die tiefinnere Schurkenhaftigkeit dieses Menschen gräßlich hervorgrinste …
 
Endlich erklärte Thomas Buddenbrook, daß er sich eine Bedenkzeit erbitten und jedenfalls mit seinen Geschwistern Rücksprache nehmen müsse, bevor er die 28000 Taler akzeptiere, was wohl kaum jemals geschehen könne. Er brachte vorderhand das Gespräch auf ein neutrales Gebiet, erkundigte sich nach den geschäftlichen Erfolgen des Herrn Gosch, nach seinem persönlichen Wohlergehen …
 
Herrn Gosch ging es schlecht; mit einer schönen und großen Armbewegung wies er die Annahme zurück, er könne zu den Glücklichen gehören. Das beschwerliche Greisenalter nahte heran, es war da, wie gesagt, seine Grube war geschaufelt. Er konnte abends kaum noch sein Glas Grog zum Munde führen, ohne die Hälfte zu verschütten, so machte der Teufel seinen Arm zittern. Da nützte kein Fluchen … Der Wille triumphierte nicht mehr … Immerhin! Er hatte ein Leben hinter sich, ein nicht ganz armes Leben. Mit wachen Augen hatte er in die Welt gesehen. Revolutionen und Kriege waren vorübergebraust, und ihre Wogen waren auch durch sein Herz gegangen … sozusagen. Ha, verdammt, das waren andere Zeiten gewesen, als er während jener historischen Bürgerschaftssitzung an der Seite von des Senators Vater, neben Konsul Johann Buddenbrook dem Ansturm des wütenden Pöbels getrotzt hatte! Der schrecklichste der Schrecken … Nein, sein Leben war nicht arm gewesen, auch innerlich nicht so ganz. Verdammt, er hatte Kräfte verspürt, und wie die Kraft, so das Ideal – sagt Feuerbach. Und auch jetzt noch, auch jetzt … seine Seele war nicht verarmt, sein Herz war jung geblieben, es hatte nie aufgehört, würde nie aufhören, grandioser Erlebnisse fähig zu sein, seine Ideale warm und treu zu umschließen … Er würde sie mit ins Grab nehmen, gewiß! Aber waren Ideale dazu da, erreicht und verwirklicht zu werden? Keineswegs! Die Sterne, die begehrt man nicht, aber die Hoffnung … oh, die Hoffnung, nicht die Erfüllung, die Hoffnung war das beste im Leben. L'espérance toute trompeuse qu'elle est, sert au moins à nous mener à la fin de la vie par un chemin agréable. Das hatte Larochefoucauld gesagt, und es war schön, nicht wahr?… Ja, sein hochverehrter Freund und Gönner brauchte dergleichen nicht zu wissen! Wen die Wogen des realen Lebens hoch auf ihre Schultern genommen hatten, daß das Glück seine Stirn umspielte, der brauchte solche Dinge nicht im Kopfe zu haben. Aber wer einsam tief unten im Dunkel träumte, der hatte dergleichen nötig!…
 
»Sie sind glücklich«, sagte er plötzlich, indem er eine Hand auf des Senators Knie legte und mit schwimmendem Blick zu ihm emporsah. »… O doch! Versündigen Sie sich nicht, indem Sie das leugnen! Sie sind glücklich! Sie halten das Glück in den Armen! Sie sind ausgezogen und haben es sich mit starkem Arm erobert … mit starker Hand!« verbesserte er sich, weil er die zu schnelle Wiederholung des Wortes »Arm« nicht ertragen konnte. Dann verstummte er, und ohne ein Wort von des Senators abwehrender und resignierter Antwort zu vernehmen, fuhr er fort, ihm mit einer dunklen Träumerei ins Gesicht zu blicken. Plötzlich richtete er sich auf.
 
»Aber wir plaudern«, sagte er, »und doch sind wir in Geschäften zusammengekommen. Die Zeit ist kostbar – verlieren wir sie nicht mit Bedenken! Hören Sie mich an … Weil Sie es sind … verstehen Sie mich? Weil …« Es sah aus, als wollte Herr Gosch aufs neue in ein schönes Sinnen versinken, aber er raffte sich auf und rief mit einer weiten, schwungvollen und enthusiastischen Geste: »Neunundzwanzigtausend Taler … Siebenundachtzigtausend Mark Kurant für das Haus Ihrer Mutter! Top?…«
 
Und Senator Buddenbrook schlug ein.
 
Frau Permaneder fand, wie zu erwarten stand, den Kaufpreis zum Lachen gering. Würde jemand, in Anbetracht der Erinnerungen, die sich für sie daran knüpften, eine Million für das Haus auf den Tisch gezählt haben, sie hätte dies als eine anständige Handlungsweise empfunden – weiter nichts. Indessen gewöhnte sie sich rasch an die Zahl, die ihr Bruder ihr genannt hatte, besonders, da ihr Denken und Trachten von Zukunftsplänen in Anspruch genommen war.
 
Sie freute sich von Herzen über die vielen guten Möbel, die ihr zugefallen waren, und obgleich fürs erste niemand daran dachte, sie aus ihrem Elternhause zu verjagen, betrieb sie das Auffinden und Mieten einer neuen Wohnung für sich und die Ihren mit vielem Eifer. Der Abschied würde schwer sein … gewiß, der Gedanke daran trieb ihr die Tränen in die Augen. Aber andererseits hatte die Aussicht auf Neuerung und Veränderung doch ihren Reiz … War es nicht fast wie eine neue, eine vierte Etablierung? Wieder besichtigte sie Wohnräume, wieder nahm sie Rücksprache mit dem Tapezierer Jacobs, wieder unterhandelte sie in den Läden über Portieren und Läuferstoffe … Ihr Herz pochte, wahrhaftig, das Herz dieser alten, vom Leben gestählten Frau schlug höher!
 
So vergingen Wochen, vier, fünf und sechs Wochen. Der erste Schnee kam, der Winter war da, die Öfen prasselten, und Buddenbrooks überlegten traurig, wie diesmal das Weihnachtsfest vergehen werde … Da plötzlich geschah etwas, etwas Dramatisches, etwas über alle Maßen Überraschendes; der Lauf der Dinge nahm eine Wendung, die das allgemeinste Interesse verdiente und auch erhielt; ein Ereignis trat ein … es schlug ein, es machte, daß Frau Permaneder inmitten ihrer Geschäfte stille stand und erstarrte!
 
»Thomas«, sagte sie, »bin ich verrückt? Phantasiert vielleicht Gosch? Es kann nicht möglich sein! Es ist zu absurd, zu undenkbar, zu …« Sie verstummte und hielt ihre Schläfen mit beiden Händen erfaßt. Aber der Senator zuckte die Achseln.
 
»Liebes Kind, noch ist nichts entschieden; aber der Gedanke, die Möglichkeit ist aufgetaucht, und bei einiger ruhigen Überlegung wirst du finden, daß an der Sache gar nichts Undenkbares ist. Ein bißchen frappierend ist es, gewiß. Ich trat auch einen Schritt zurück, als Gosch es mir sagte. Aber undenkbar? Was steht denn im Wege?…«
 
»Ich überlebe es nicht«, sagte sie, setzte sich in einen Stuhl und blieb regungslos.
 
Was ging vor? – Schon hatte sich ein Käufer für das Haus gefunden oder doch eine Person, die Interesse für den Fall an den Tag legte und bereits dem Wunsche Ausdruck gegeben hatte, das feilstehende Besitztum behufs weiterer Unterhandlungen einmal gründlich in Augenschein zu nehmen. Und diese Person war Herr Hermann Hagenström, Großhändler und Königlich Portugiesischer Konsul.
 
Als das erste Gerücht Frau Permaneder erreicht hatte, war sie gelähmt gewesen, verblüfft, vor den Kopf geschlagen, ungläubig, unfähig, den Gedanken in seiner Tiefe zu erfassen. Nun aber, da die Frage mehr und mehr an Form und Gestalt gewann, da der Besuch Konsul Hagenströms in der Mengstraße ganz einfach schon vor der Türe stand, nun raffte sie sich zusammen, und es kam Leben in sie. Sie protestierte nicht, sie bäumte sich auf. Sie fand Worte, glühende und scharfschneidige Worte, und sie schwang sie wie Brandfackeln und Kriegsbeile.
 
»Dies geschieht nicht, Thomas! So lange ich lebe, geschieht dies nicht! Wenn man seinen Hund verkauft, so sieht man danach, was für einen Herrn er bekommt. Und Mutters Haus! Unser Haus! Das Landschaftszimmer!…«
 
»Aber ich frage dich ja, was denn eigentlich im Wege steht?«
 
»Was im Wege steht? Grundgütiger Gott, was im Wege steht! Berge sollten ihm im Wege stehen, diesem dicken Menschen, Thomas! Berge! Aber er sieht sie nicht! Er kümmert sich nicht darum! Er hat kein Gefühl dafür! Ist er denn ein Vieh?… Seit Urzeiten sind Hagenströms unsere Widersacher … Der alte Hinrich hat Großvater und Vater schikaniert, und wenn Hermann dir noch nichts Ernstliches hat antun können, wenn er dir noch keinen Knüppel zwischen die Beine geworfen hat, so geschah es, weil sich ihm noch keine Gelegenheit dazu bot … Als wir Kinder waren, habe ich ihn auf offener Straße geohrfeigt, wozu ich meine Gründe hatte, und seine holdselige Schwester Julchen hat mich dafür beinahe zuschanden gekratzt. Das sind Kindereien … gut! Aber sie haben voll Hohn und Freude zugesehen, wenn wir Unglück hatten, und meistens war ich diejenige, die ihnen dies Vergnügen verschaffte … Gott hat es so gewollt … Aber inwiefern der Konsul dir geschäftlich geschadet, und mit welcher Unverschämtheit er dich überflügelt hat, das mußt du selbst am besten wissen, Tom, darüber kann ich dich nicht belehren. Und als zu guter Letzt noch Erika eine gute Heirat machte, da hat es sie gewurmt, so lange, bis sie es fertig gebracht hatten, den Direktor aus der Welt zu schaffen und einzusperren, durch die Hand ihres Bruders, dieses Katers, dieses Satans von Staatsanwalt … Und nun wollen sie sich erfrechen … sie entblöden sich nicht …«
 
»Höre, Tony, erstens haben wir in der Sache ja ernstlich gar nicht mehr mitzureden, denn wir haben mit Gosch abgeschlossen, und es ist nun an ihm, das Geschäft zu machen mit wem er will. Ich gebe dir ja zu, daß eine gewisse Ironie des Schicksals darin läge …«
 
»Ironie des Schicksals? Ja, Tom, das ist nun deine Art, dich auszudrücken! Ich aber nenne es eine Schmach, einen Faustschlag mitten ins Gesicht, und das wäre es!… Bedenkst du denn nicht, was es bedeutet? So bedenke doch, was es bedeuten würde, Thomas! Es würde bedeuten: Buddenbrooks sind fertig, sie sind endgültig abgetan, sie ziehen ab, und Hagenströms rücken mit Kling und Klang an ihre Stelle … Nie, Thomas, niemals wirke ich mit bei diesem Schauspiele! Niemals biete ich die Hand zu dieser Niederträchtigkeit! Mag er nur kommen, laß ihn nur sich unterstehen, hierher zu kommen, um das Haus zu besichtigen. Ich empfange ihn nicht, das glaube mir! Ich setze mich mit meiner Tochter und meiner Enkelin in ein Zimmer und drehe den Schlüssel um und verwehre ihm den Eintritt, das tue ich …«
 
»Du wirst das machen, wie du es für klug hältst, meine Liebe, und vorher überlegen, ob es nicht ratsam sein wird, den gesellschaftlichen Anstand aufmerksam zu wahren. Vermutlich glaubst du, daß Konsul Hagenström sich durch dein Benehmen tief getroffen fühlen würde? Nein, weit gefehlt, mein Kind. Er würde sich weder erfreuen noch erbosen darüber, sondern er würde erstaunt sein, kühl und gleichgültig erstaunt … Die Sache ist die, daß du bei ihm dieselben Gefühle gegen dich und uns voraussetzest, die du gegen ihn hegst. Irrtum, Tony! Er haßt dich ja gar nicht. Warum sollte er dich hassen? Er haßt keinen Menschen. Er sitzt in Erfolg und Glück und ist voll Heiterkeit und Wohlwollen, glaube mir das eine. Ich habe dir schon mehr als zehnmal versichert, daß er dich auf der Straße in der liebenswürdigsten Weise grüßen würde, wenn du dich überwinden könntest, einmal nicht gar zu kriegerisch und hochmütig in die Luft zu blicken. Er wundert sich darüber, zwei Minuten lang empfindet er ein ruhevolles und etwas mokantes Erstaunen, unfähig, einen Mann, dem niemand etwas anhaben kann, aus dem Gleichgewicht zu bringen … Was wirfst du ihm vor? Wenn er mich geschäftlich weit überflügelt hat und mir hie und da mit Erfolg in öffentlichen Angelegenheiten entgegentritt – schön und gut, so muß er denn wohl ein tüchtigerer Kaufmann und ein besserer Politiker sein als ich … Durchaus kein Grund, so sonderbar wütend zu lachen, wie du da tust! Um aber auf das Haus zurückzukommen, so hat ja das alte längst kaum noch eine tatsächliche Bedeutung für die Familie, sondern die ist allmählich ganz auf das meine übergegangen … ich sage das, um dich für jeden Fall zu trösten. Andererseits ist es ja klar, wodurch Konsul Hagenström auf Kaufgedanken gebracht worden ist. Die Leute sind emporgekommen, ihre Familie wächst, sie sind mit Möllendorpfs verschwägert und an Geld und Ansehen den Ersten gleich. Aber es fehlt ihnen etwas, etwas Äußerliches, worauf sie bislang mit Überlegenheit und Vorurteilslosigkeit verzichtet haben … Die historische Weihe, sozusagen das Legitime … Sie scheinen jetzt Appetit danach bekommen zu haben, und sie verschaffen sich etwas davon, indem sie ein Haus beziehen wie dieses hier … Paß auf, der Konsul wird hier alles möglichst konservieren, er wird nichts umbauen, er wird auch das ›Dominus providebit‹ über der Haustür stehen lassen, obgleich man billig sein und ihm zugestehen muß, daß nicht der Herr, sondern er ganz allein der Firma Strunck & Hagenström zu einem so erfreulichen Aufschwung verholfen hat …«
 
»Bravo, Tom! Ach, wie das wohltut, einmal von dir eine Bosheit über ihn zu hören! Das ist ja eigentlich alles, was ich will! Mein Gott, hätte ich deinen Kopf, wie wollte ich ihm zusetzen! Aber da stehst du nun …«
 
»Du siehst ja, daß mein Kopf mir tatsächlich wenig nützt.«
 
»Aber da stehst du nun, sage ich, und sprichst über die Sache mit dieser unfaßlichen Gelassenheit und erklärst mir Hagenströms Handlungsweise … Ach, rede wie du willst, du hast ein Herz im Leibe so gut wie ich, und ich glaube einfach nicht, daß es dich innerlich so ruhig läßt, wie du tust! Du antwortest mir auf meine Klagen … vielleicht willst du dich selbst nur trösten …«
 
»Jetzt wirst du vorlaut, Tony. Wie ich ›tue‹, das gilt – bitte ich mir aus! Alles übrige geht niemanden etwas an.«
 
»Sage nur das eine, Tom, ich flehe dich an: Wäre es nicht ein Fiebertraum?«
 
»Vollkommen.«
 
»Ein Alpdrücken?«
 
»Warum nicht.«
 
»Eine Katzenkomödie zum Heulen?«
 
»Genug! Genug!« –
 
– Und Konsul Hagenström erschien in der Mengstraße, er erschien zusammen mit Herrn Gosch, der, seinen Jesuitenhut in der Hand, gebückt und verräterisch um sich blickend, an dem Folgmädchen vorbei, das die Karten überbracht hatte und die Glastür offen hielt, hinter dem Konsul ins Landschaftszimmer trat …
 
Hermann Hagenström, in einem fußlangen, dicken und schweren Pelze, der vorne offen stand und einen grüngelben, faserigen und durablen englischen Winteranzug sehen ließ, war eine großstädtische Figur, ein imposanter Börsentypus. Er war so außerordentlich fett, daß nicht nur sein Kinn, sondern sein ganzes Untergesicht doppelt war, was der kurzgehaltene, blonde Vollbart nicht verhüllte, ja, daß die geschorene Haut seiner Schädeldecke bei gewissen Bewegungen der Stirn und der Augenbrauen dicke Falten warf. Seine Nase lag platter als jemals auf der Oberlippe und atmete mühsam in den Schnurrbart hinein; dann und wann aber mußte der Mund ihr zu Hilfe kommen, indem er sich zu einem ergiebigen Atemzuge öffnete. Und das war noch immer mit einem gelinde schmatzenden Geräusch verbunden, hervorgerufen durch ein allmähliches Loslösen der Zunge vom Oberkiefer und vom Schlunde.
 
Frau Permaneder verfärbte sich, als sie dieses altbekannte Geräusch vernahm. Eine Vision von Zitronensemmeln mit Trüffelwurst und von Straßburger Gänseleberpastete suchte sie heim dabei und hätte beinahe für einen Augenblick die steinerne Würde ihrer Haltung erschüttert … Das Trauerhäubchen auf dem glattgescheitelten Haar, in einem vortrefflich sitzenden schwarzen Kleid, dessen Rock mit Volants bis oben hinauf besetzt war, saß sie mit gekreuzten Armen und etwas emporgezogenen Schultern auf dem Sofa und richtete noch beim Eintritt der beiden Herren eine gleichgültige und ruhevolle Bemerkung an ihren Bruder, den Senator, der es nicht hätte verantworten können, sie in dieser Stunde im Stiche zu lassen … Sie blieb auch noch sitzen, während der Senator, der den Gästen bis zur Mitte des Zimmers entgegengeschritten war, eine herzliche Begrüßung mit dem Makler Gosch und eine korrekt höfliche mit dem Konsul tauschte, erhob sich dann auch ihrerseits, vollführte eine gemessene Verbeugung vor beiden zugleich und beteiligte sich dann ohne jedweden Übereifer mit Wort und Hand an den Aufforderungen ihres Bruders, gefälligst Platz zu nehmen. Übrigens hielt sie hierbei vor unberührter Gleichgültigkeit ihre Augen beinahe ganz geschlossen.
 
Während man sich setzte und im Verlaufe der ersten darauf folgenden Minuten sprachen abwechselnd der Konsul und der Makler. Herr Gosch bat mit abstoßend falscher Demut, hinter der allen sichtbar die Tücke lauerte, gütigst die Störung zu entschuldigen, doch hege Herr Konsul Hagenström den Wunsch, einen Rundgang durch die Räumlichkeiten des Hauses zu tun, da er eventuell als Käufer darauf reflektiere … Und dann wiederholte der Konsul mit einer Stimme, die Frau Permaneder wiederum an belegte Zitronensemmeln gemahnte, dasselbe noch einmal in anderen Worten. Ja, in der Tat, der Gedanke sei ihm gekommen, und er sei schnell zum Wunsche geworden, den er sich und den Seinen erfüllen zu können hoffe, gesetzt, daß nicht Herr Gosch ein gar zu gutes Geschäft dabei zu machen beabsichtige, ha, ha!… nun, er zweifle nicht, daß sich die Angelegenheit zur allseitigen Zufriedenheit werde ordnen lassen.
 
Sein Gehaben war frei, sorglos, behaglich und weltmännisch, was seinen Eindruck auf Frau Permaneder nicht verfehlte, besonders da er aus Courtoisie sich mit seinen Worten fast immer an sie wandte. Er ließ sich sogar darauf ein, seinen Wunsch in beinahe entschuldigendem Ton ausführlich zu begründen. »Raum! Mehr Raum!« sagte er. »Mein Haus in der Sandstraße … Sie glauben es nicht, gnädige Frau, und Sie, Herr Senator … es wird uns effektiv zu eng, wir können uns manchmal nicht mehr darin rühren. Ich rede nicht einmal von Gesellschaft … bewahre. Es ist effektiv nur die Familie nötig, Huneus', Möllendorpfs, die Angehörigen meines Bruders Moritz … und wir befinden uns effektiv wie die Heringe. Also warum – nicht wahr?«
 
Er sprach in dem Tone einer leichten Entrüstung, mit einem Ausdruck und mit Handbewegungen, welche besagten: Sie werden das einsehen … ich brauche mir das nicht gefallen zu lassen … ich wäre ja dumm … da es doch, Gott sei Dank, am Nötigsten nicht fehlt, der Sache abzuhelfen …
 
»Nun habe ich warten wollen«, fuhr er fort, »ich habe warten wollen, bis Zerline und Bob ein Haus gebrauchen würden, um ihnen erst dann das meine abzutreten und mich nach etwas Größerem umzutun; aber … Sie wissen«, unterbrach er sich, »daß meine Tochter Zerline und Bob, der Älteste meines Bruders, des Staatsanwaltes, seit langen Jahren verlobt sind … Die Hochzeit soll nun nicht allzu lange mehr hinausgeschoben werden. Zwei Jahre höchstens noch … Sie sind jung – desto besser! Aber kurz und gut, warum soll ich auf sie warten und mir die günstige Gelegenheit entgehen lassen, die sich mir augenblicklich bietet? Es läge effektiv kein vernünftiger Sinn darin …«
 
Zustimmung herrschte im Zimmer, und die Unterhaltung blieb ein wenig bei dieser Familienangelegenheit, dieser bevorstehenden Verehelichung stehen; denn da vorteilhafte Heiraten zwischen Geschwisterkindern in der Stadt nichts Ungewöhnliches waren, so nahm niemand Anstoß daran. Man erkundigte sich nach den Plänen der jungen Herrschaften, Pläne, die sogar schon die Hochzeitsreise betrafen … Sie gedachten an die Riviera zu gehen, nach Nizza usw. Sie hatten Lust dazu – und warum also nicht, nicht wahr?… Auch der jüngeren Kinder wurde erwähnt, und der Konsul sprach mit Behagen und Wohlgefallen von ihnen, leichthin und mit Achselzucken. Er selbst besaß fünf Kinder und sein Bruder Moritz deren vier: Söhne und Töchter … ja, danke sehr, sie waren alle wohlauf. Warum sollten sie übrigens nicht wohlauf sein – nicht wahr? Kurzum, es ging ihnen gut. Und dann kam er wieder auf das Anwachsen der Familie und die Enge in seinem Hause zu sprechen … »Ja, dies hier ist etwas anderes!« sagte er. »Das habe ich schon auf dem Wege hier herauf sehen können – das Haus ist eine Perle, eine Perle ohne Frage, gesetzt, daß der Vergleich bei diesen Dimensionen haltbar ist, ha! ha!… Schon die Tapeten hier … ich gestehe Ihnen, gnädige Frau, ich bewundere, während ich spreche, beständig die Tapeten. Ein scharmantes Zimmer effektiv! Wenn ich denke … hier haben Sie bislang Ihr Leben verbringen dürfen …«
 
»Mit einigen Unterbrechungen – ja«, sprach Frau Permaneder mit jener besonderen Kehlkopfstimme, die ihr manchmal zu Gebote stand.
 
»Unterbrechungen – ja«, wiederholte der Konsul mit zuvorkommendem Lächeln. Dann warf er einen Blick auf Senator Buddenbrook und Herrn Gosch, und da die beiden Herren im Gespräche begriffen waren, rückte er seinen Sessel näher zu Frau Permaneders Sofasitz heran und beugte sich zu ihr, so daß nun das schwere Pusten seiner Nase dicht unter der ihren ertönte. Zu höflich, sich abzuwenden und sich seinem Atem zu entziehen, saß sie steif und möglichst hoch aufgerichtet und blickte mit gesenkten Lidern auf ihn nieder. Aber er bemerkte durchaus nicht das Gezwungene und Unangenehme ihrer Lage.
 
»Wie ist es, gnädige Frau«, sagte er … »Mir scheint, wir haben früher schon einmal Geschäfte miteinander gemacht? Damals handelte es sich freilich nur … um was noch gleich? Leckereien, Zuckerwerk, wie?… Und jetzt um ein ganzes Haus …«
 
»Ich erinnere mich nicht«, sagte Frau Permaneder und steifte ihren Hals noch mehr, denn sein Gesicht war ihr unanständig und unerträglich nahe …
 
»Sie erinnern sich nicht?«
 
»Nein, ich weiß, ehrlich gesagt, nichts von Zuckerwerk. Mir schwebt etwas vor von Zitronensemmeln mit fetter Wurst belegt … einem recht widerlichen Frühstücksbrot … Ich weiß nicht, ob es mir oder Ihnen gehörte … Wir waren Kinder damals … Aber das mit dem Hause heute ist ja ganz und gar Sache des Herrn Gosch …«
 
Sie warf ihrem Bruder einen raschen, dankbaren Blick zu, denn er hatte ihre Not gesehen und kam ihr zu Hilfe, indem er sich die Frage erlaubte, ob es den Herren genehm sei, vorerst einmal den Gang durchs Haus zu unternehmen. Man war bereit dazu, man verabschiedete sich vorläufig von Frau Permaneder, denn man hoffte, später noch einmal das Vergnügen zu haben … und dann führte der Senator die beiden Gäste durch den Eßsaal hinaus.
 
Er führte sie treppauf, treppab und zeigte ihnen die Zimmer der zweiten Etage sowie diejenigen, die am Korridor des ersten Stockwerks gelegen waren, und die Parterreräumlichkeiten, ja selbst Küche und Keller. Was die Büros betraf, so nahm man Abstand davon, einzutreten, da der Rundgang in die Arbeitszeit der Versicherungsbeamtenschaft fiel. Ein paar Bemerkungen über den neuen Direktor wurden gewechselt, den Konsul Hagenström zweimal hintereinander für einen grundehrlichen Mann erklärte, worauf der Senator verstummte.
 
Sie gingen dann durch den kahlen, in halbgeschmolzenem Schnee liegenden Garten, taten einen Blick in das »Portal« und kehrten auf den vorderen Hof zurück, dorthin, wo die Waschküche lag, um sich von hier aus den schmalen gepflasterten Gang zwischen den Mauern entlang über den hinteren Hof, wo der Eichbaum stand, nach dem Rückgebäude zu begeben. Hier gab es nichts als vernachlässigte Altersschwäche. Zwischen den Pflastersteinen des Hofes wucherte Gras und Moos, die Treppen des Hauses waren in vollem Verfall, und die freie Katzenfamilie im Billardsaale konnte man nur flüchtig beunruhigen, indem man die Tür öffnete, ohne einzutreten, denn der Fußboden war hier nicht sicher.
 
Konsul Hagenström war schweigsam und ersichtlich mit Erwägungen und Plänen beschäftigt. »Nun ja –«, sagte er beständig, gleichgültig abwehrend, und deutete damit an, daß, sollte er hier Herr werden, dies alles natürlich nicht so bleiben könne. Mit der gleichen Miene stand er auch ein Weilchen auf dem harten Lehmboden zu ebener Erde und blickte zu den öden Speicherböden empor. »Nun ja –«, wiederholte er, setzte das dicke und schadhafte Windetau, das hier, mit seinem verrosteten Eisenhaken am Ende, während langer Jahre regungslos inmitten des Raumes gehangen hatte, ein wenig in Pendelbewegung und wandte sich dann auf dem Absatze um.
 
»Ja, nehmen Sie besten Dank für Ihre Bemühungen, Herr Senator; wir sind wohl zu Ende«, sagte er, und dann blieb er beinahe stumm, auf dem rasch zurückgelegten Wege zum Vordergebäude sowie auch später, als die beiden Gäste sich im Landschaftszimmer, ohne noch einmal Platz zu nehmen, bei Frau Permaneder empfohlen hatten und Thomas Buddenbrook sie die Treppe hinunter und über die Diele geleitete. Kaum aber war die Verabschiedung erledigt, und kaum wandte sich Konsul Hagenström, auf die Straße hinaustretend, seinem Begleiter, dem Makler, zu, als zu bemerken war, daß ein überaus lebhaftes Gespräch zwischen den beiden begann …
 
Der Senator kehrte ins Landschaftszimmer zurück, woselbst Frau Permaneder, ohne sich anzulehnen und mit strenger Miene, an ihrem Fensterplatze saß, mit zwei großen Holznadeln an einem schwarzwollenen Röckchen für ihre Enkelin, die kleine Elisabeth, strickte und hie und da einen Blick seitwärts in den »Spion« warf. Thomas ging eine Weile, die Hände in den Hosentaschen, schweigend auf und nieder.
 
»Ja, ich habe ihn nun dem Makler überlassen«, sagte er dann; »man muß abwarten, was daraus wird. Ich denke, er wird das Ganze kaufen, hier vorne wohnen und das hintere Terrain anderweitig verwerten …«
 
Sie sah ihn nicht an, sie veränderte auch nicht die aufrechte Haltung ihres Oberkörpers und hörte nicht auf, zu stricken; im Gegenteile, die Schnelligkeit, mit der die Nadeln sich in ihren Händen umeinander bewegten, nahm merklich zu.
 
»O gewiß, er wird es kaufen, er wird das Ganze kaufen«, sagte sie, und es war die Kehlkopfstimme, deren sie sich bediente. »Warum sollte er es nicht kaufen, nicht wahr? Es läge effektiv kein vernünftiger Sinn darin.«
 
Und mit emporgezogenen Brauen blickte sie durch das Pincenez, das sie jetzt bei Handarbeiten gebrauchen mußte, aber durchaus nicht richtig aufzusetzen verstand, steif und fest auf ihre Nadeln, die mit verwirrender Geschwindigkeit und leisem Geklapper umeinanderwirbelten.
 
Weihnachten kam, das erste Weihnachtsfest ohne die Konsulin. Der Abend des vierundzwanzigsten Dezembers wurde im Hause des Senators begangen, ohne die Damen Buddenbrook aus der Breiten Straße und ohne die alten Krögers; denn wie es nun mit den regelmäßigen »Kindertagen« ein Ende hatte, so war Thomas Buddenbrook auch nicht geneigt, alle Teilnehmer an den Weihnachtsabenden der Konsulin nun seinerseits zu versammeln und zu beschenken. Nur Frau Permaneder mit Erika Weinschenk und der kleinen Elisabeth, Christian, Klothilde, die Klosterdame und Mademoiselle Weichbrodt waren gebeten, welch letztere ja nicht abließ, am fünfundzwanzigsten in ihren heißen Stübchen die übliche, mit Unglücksfällen verbundene Bescherung abzuhalten.
 
Es fehlte der Chor der »Hausarmen«, die in der Mengstraße Schuhzeug und wollene Sachen in Empfang genommen hatten, und es gab keinen Knabengesang. Man stimmte im Salon ganz einfach das »Stille Nacht, heilige Nacht« an, worauf Therese Weichbrodt aufs exakteste das Weihnachtskapitel verlas, an Stelle der Senatorin, die das nicht sonderlich liebte; und dann ging man, indem man mit halber Stimme die erste Strophe des »O Tannebaum« sang, durch die Zimmerflucht in den großen Saal hinüber.
 
Es lag kein besonderer Grund vor zu freudigen Veranstaltungen. Die Gesichter waren nicht eben glückstrahlend und die Unterhaltung nicht eben heiter bewegt. Worüber sollte man plaudern? Es gab nicht viel Erfreuliches in der Welt. Man gedachte der seligen Mutter, sprach über den Hausverkauf, über die helle Etage, die Frau Permaneder vorm Holstentore in einem freundlichen Hause angesichts der Anlagen des »Lindenplatzes« gemietet hatte, und über das, was geschehen werde, wenn Hugo Weinschenk wieder auf freiem Fuße wäre … Inzwischen spielte der kleine Johann auf dem Flügel einiges, was er mit Herrn Pfühl geübt hatte, und begleitete seiner Mutter, etwas fehlerhaft, aber mit schönem Klange, eine Sonate von Mozart. Er wurde belobt und geküßt, mußte dann aber von Ida Jungmann zur Ruhe gebracht werden, da er heute abend, noch infolge einer kaum überstandenen Darmaffektion, sehr blaß und matt aussah.
 
Selbst Christian, welcher, da er nach jenem Zusammenstoße im Frühstückszimmer von Heiratsgedanken nichts mehr hatte verlautbaren lassen, mit seinem Bruder in dem alten, für ihn nicht sehr ehrenvollen Verhältnis fortlebte, war gänzlich ungesprächig und zu keinem Spaße aufgelegt. Er machte mit wandernden Augen einen kurzen Versuch, bei den Anwesenden ein wenig Verständnis für die »Qual« in seiner linken Seite zu erwecken und ging früh in den Klub, um erst zum Abendessen zurückzukehren, das in der hergebrachten Weise zusammengesetzt war … Dann hatten Buddenbrooks diesen Weihnachtsabend hinter sich, und sie waren beinahe froh darüber.
 
Zu Beginn des Jahres 72 ward der Hausstand der verstorbenen Konsulin aufgelöst. Die Dienstmädchen zogen davon, und Frau Permaneder lobte Gott, als auch Mamsell Severin, die ihr bislang im Wirtschaftswesen aufs unerträglichste die Autorität streitig gemacht hatte, sich mit den übernommenen Seidenkleidern und Wäschestücken verabschiedete. Dann standen Möbelwagen in der Mengstraße, und die Räumung des alten Hauses begann. Die große geschnitzte Truhe, die vergoldeten Kandelaber und die übrigen Dinge, die dem Senator und seiner Gattin zugefallen waren, wurden nun in die Fischergrube geschafft, Christian bezog mit den Seinen eine Garçonwohnung von drei Zimmern in der Nähe des Klubs, und die kleine Familie Permaneder-Weinschenk hielt ihren Einzug in dem hellen und nicht ohne Anspruch auf Vornehmheit eingerichteten Stockwerk am Lindenplatze. Es war eine hübsche kleine Wohnung, und an der Etagentür stand auf einem blanken Kupferschilde in zierlicher Schrift zu lesen: A. Permaneder-Buddenbrook, Witwe.
 
Kaum aber stand das Haus in der Mengstraße leer, als auch schon eine Schar von Arbeitern am Platze erschien, die das Rückgebäude abzubrechen begannen, daß der alte Mörtelstaub die Luft verfinsterte … Das Grundstück war nun endgültig in den Besitz Konsul Hagenströms übergegangen. Er hatte es gekauft, er schien seinen Ehrgeiz darein gesetzt zu haben, es zu kaufen, denn ein Angebot, das Herrn Sigismund Gosch von Bremen aus zugegangen war, hatte er unverzüglich überboten, und er begann nun, sein Eigentum in der ingeniösen Art zu verwerten, die man seit langer Zeit an ihm bewunderte. Schon im Frühjahr bezog er mit seiner Familie das Vorderhaus, indem er dort nach Möglichkeit alles beim alten beließ, vorbehaltlich kleiner gelegentlicher Renovierungen und abgesehen von einigen sofortigen, der Neuzeit entsprechenden Änderungen; zum Beispiel wurden alle Glockenzüge abgeschafft und das Haus durchaus mit elektrischen Klingeln versehen … Schon aber war das Rückgebäude vom Boden verschwunden, und an seiner Statt stieg ein neues empor, ein schmucker und luftiger Bau, dessen Front der Bäckergrube zugekehrt war und der für Magazine und Läden hohe und weite Räume bot.
 
Frau Permaneder hatte ihrem Bruder Thomas gegenüber wiederholt eidlich beteuert, daß fortan keine Macht der Erde sie werde bewegen können, ihr Elternhaus auch nur mit einem Blicke wiederzusehen. Allein es war unmöglich, dies innezuhalten, und hie und da führte ihr Weg sie notwendig an den rasch aufs vorteilhafteste vermieteten Läden und Schaufenstern des Rückgebäudes oder der ehrwürdigen Giebelfassade andererseits vorüber, wo nun unter dem »Dominus providebit« der Name Konsul Hermann Hagenströms zu lesen war. Dann aber begann Frau Permaneder-Buddenbrook auf offener Straße und angesichts noch so vieler Menschen einfach laut zu weinen. Sie legte den Kopf zurück, ähnlich einem Vogel, der zu singen anhebt, drückte das Schnupftuch gegen die Augen und stieß wiederholt einen Wehelaut hervor, dessen Ausdruck aus Protest und Klage gemischt war, worauf sie, ohne sich um irgendeinen Vorübergehenden noch um die Mahnungen ihrer Tochter zu bekümmern, sich ihren Tränen überließ.
 
Es war noch ganz ihr unbedenkliches, erquickendes Kinderweinen, das ihr in allen Stürmen und Schiffbrüchen des Lebens treugeblieben war. 
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