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Buddenbrooks-Neunter Teil-Erstes Kapitel

时间:2022-04-02来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
(单词翻译:双击或拖选) 标签: Neunter Teil
Hinter den beiden Herren, dem alten Doktor Grabow und dem jungen Doktor Langhals, einem Angehörigen der Familie Langhals, der etwa seit einem Jahre in der Stadt praktizierte, trat Senator Buddenbrook aus dem Schlafzimmer der Konsulin in das Frühstückszimmer und schloß die Tür.
 
»Darf ich Sie bitten, meine Herren … auf einen Augenblick«, sagte er und führte sie die Treppe hinauf, über den Korridor und durch die Säulenhalle ins Landschaftszimmer, wo des feuchten und kalten Herbstwetters wegen schon geheizt war. »Meine Spannung wird Ihnen begreiflich sein … nehmen Sie Platz! Beruhigen Sie mich, wenn es irgend möglich ist!«
 
»Potztausend, mein lieber Senator!« antwortete Doktor Grabow, der sich, das Kinn in der Halsbinde, bequem zurückgelehnt hatte und die Hutkrempe mit beiden Händen gegen seinen Magen gestemmt hielt, während Doktor Langhals, ein untersetzter, brünetter Herr mit spitzgeschnittenem Bart, aufrecht stehendem Haar, schönen Augen und einem eitlen Gesichtsausdruck, seinen Zylinder neben sich auf den Teppich gestellt hatte und seine außerordentlich kleinen, schwarzbehaarten Hände betrachtete … »Für irgendwelche ernstliche Beunruhigung ist natürlich fürs erste platterdings keine Ursache vorhanden; ich bitte Sie … eine Patientin von der verhältnismäßigen Widerstandskraft unserer verehrten Frau Konsulin … Meiner Treu, als gedienter Ratgeber kenne ich diese Widerstandskraft. Für ihre Jahre wirklich erstaunlich … was ich Ihnen sage …«
 
»Ja, eben, in ihren Jahren …«, sagte der Senator unruhig und drehte an der langen Spitze seines Schnurrbartes.
 
»Ich sage natürlich nicht, daß Ihre liebe Frau Mutter wird morgen wieder spazierengehen können«, fuhr Doktor Grabow sanftmütig fort. »Diesen Eindruck wird die Patientin nicht auf Sie gemacht haben, lieber Senator. Es ist ja nicht zu leugnen, daß der Katarrh seit vierundzwanzig Stunden eine ärgerliche Wendung genommen hat. Der Schüttelfrost gestern abend gefiel mir nicht recht, und heute gibt es da nun wahrhaftig ein bißchen Seitenstechen und Kurzluftigkeit. Etwas Fieber ist auch vorhanden – oh, unbedeutend, aber es ist Fieber. Kurz, lieber Senator, man muß sich wohl mit der vertrakten Tatsache abfinden, daß die Lunge ein bißchen affiziert ist …«
 
»Lungenentzündung also?« fragte der Senator und blickte von einem Arzte zum andern …
 
»Ja, – Pneumonia«, sagte Doktor Langhals mit ernster und korrekter Verbeugung.
 
»Allerdings, eine kleine, rechtsseitige Lungenentzündung«, antwortete der Hausarzt, »die wir sehr sorgfältig zu lokalisieren trachten müssen …«
 
»Danach ist immerhin Grund zu ernster Besorgnis vorhanden?« Der Senator saß ganz still und sah dem Sprechenden unverwandt ins Gesicht.
 
»Besorgnis? O … wir müssen, wie gesagt, darum besorgt sein, die Erkrankung einzuschränken, den Husten zu mildern, dem Fieber zu Leibe zu gehen … nun, das Chinin wird seine Schuldigkeit tun … Und dann noch eins, lieber Senator … Keine Schreckhaftigkeit den einzelnen Symptomen gegenüber, nicht wahr? Sollte sich die Atemnot ein wenig verstärken, sollte in der Nacht vielleicht etwas Delirium stattfinden, oder morgen ein bißchen Auswurf sich einstellen … wissen Sie, so ein rotbräunlicher Auswurf, wenn auch Blut dabei ist … Das ist alles durchaus logisch, durchaus zur Sache gehörig, durchaus normal. Bereiten Sie, bitte, auch unsere liebe, verehrte Madame Permaneder darauf vor, die ja die Pflege mit soviel Hingebung leitet … A propos, wie geht es ihr? Ich habe ganz und gar zu fragen vergessen, wie es in den letzten Tagen mit ihrem Magen gewesen ist …«
 
»Wie gewöhnlich. Ich weiß nichts Neues. Die Sorge um ihr Befinden tritt ja jetzt naturgemäß etwas zurück …«
 
»Versteht sich. Übrigens … mir kommt dabei ein Gedanke. Ihre Frau Schwester hat Ruhe nötig, besonders in der Nacht, und Mamsell Severin allein dürfte doch wohl nicht ausreichen … wie wäre es mit einer Pflegerin, lieber Senator? Wir haben da unsere guten katholischen Grauen Schwestern, für die Sie immer so wohlwollend eintreten … Die Schwester Oberin wird sich freuen, Ihnen dienen zu können.«
 
»Sie halten das also für nötig?«
 
»Ich bringe es in Vorschlag. Es ist so angenehm … Die Schwestern sind unschätzbar. Sie wirken mit ihrer Erfahrenheit und Besonnenheit so beruhigend auf die Kranken … gerade bei diesen Krankheiten, die, wie gesagt, mit einer Reihe von etwas unheimlichen Symptomen verbunden sind … Also, um es zu wiederholen: ruhig Blut, nicht wahr, mein lieber Senator? Übrigens werden wir ja sehen … wir werden ja sehen … Wir sprechen ja heute abend noch einmal vor …«
 
»Zuversichtlich«, sagte Doktor Langhals, nahm seinen Zylinder und erhob sich gleichzeitig mit seinem älteren Kollegen. Aber der Senator blieb noch sitzen, er war noch nicht fertig, hatte noch eine Frage im Sinne, wollte noch eine Probe machen …
 
»Meine Herren«, sagte er, »ein Wort noch … Mein Bruder Christian ist nervös, kurz, verträgt nicht viel … Raten Sie mir, ihm von der Erkrankung Mitteilung zu machen? Ihm vielleicht … die Rückkehr nahezulegen –?«
 
»Ihr Bruder Christian ist nicht in der Stadt?«
 
»Nein, in Hamburg. Vorübergehend. In Geschäften, soviel ich weiß …«
 
Doktor Grabow warf seinem Kollegen einen Blick zu; dann schüttelte er dem Senator lachend die Hand und sagte: »Also lassen wir ihn ruhig bei seinen Geschäften! Warum ihn unnütz erschrecken? Sollte irgendeine Wendung in dem Befinden eintreten, die seine Anwesenheit wünschenswert macht, sagen wir: um die Patientin zu beruhigen, ihre Stimmung zu heben … nun, so wird ja immer noch Zeit sein … immer noch Zeit …«
 
Während die Herren über Säulenhalle und Korridor zurückgingen und auf dem Treppenabsatz ein Weilchen stehenblieben, sprachen sie über andere Dinge, über Politik, über die Erschütterungen und Umwälzungen des kaum beendeten Krieges …
 
»Nun, jetzt kommen gute Zeiten, wie, Herr Senator? Geld im Lande … Und frische Stimmung weit und breit …«
 
Und der Senator stimmte dem halb und halb bei. Er bestätigte, daß der Ausbruch des Krieges den Verkehr in Getreide von Rußland zu großem Aufschwung gebracht habe und erwähnte der großen Dimensionen, die damals der Haferimport, zum Zwecke der Armeelieferung angenommen habe. Aber der Profit habe sich sehr ungleich verteilt …
 
Die Ärzte gingen, und Senator Buddenbrook wandte sich, um noch einmal in das Krankenzimmer zurückzukehren. Er überlegte, was Grabow gesagt hatte … Es hatte soviel Hinterhältiges darin gelegen … Man hatte gefühlt, wie er sich vor einer entschiedenen Äußerung hütete. Das einzige klare Wort war »Lungenentzündung« gewesen, und dieses Wort wurde nicht tröstlicher dadurch, daß Doktor Langhals es in die Sprache der Wissenschaft übersetzt hatte. Lungenentzündung in den Jahren der Konsulin … Schon, daß es zwei Ärzte waren, die kamen und gingen, gab der Sache einen beunruhigenden Aspekt. Grabow hatte das ganz leichthin und fast unmerklich arrangiert. Er gedenke, sich über kurz oder lang zur Ruhe zu setzen, hatte er gesagt, und da der junge Langhals berufen sei, seine Praxis zu übernehmen, so mache er – Grabow – sich ein Vergnügen daraus, ihn hie und da schon jetzt heranzuziehen und einzuführen …
 
Als der Senator in das halbdunkle Schlafzimmer trat, war seine Miene munter und seine Haltung energisch. Er war so gewöhnt daran, Sorge und Müdigkeit unter einem Ausdruck von überlegener Sicherheit zu verbergen, daß beim Öffnen der Tür diese Maske beinahe von selbst infolge eines ganz kurzen Willensaktes über sein Gesicht geglitten war.
 
Frau Permaneder saß an dem Himmelbett, dessen Vorhänge zurückgeschlagen waren, und hielt die Hand ihrer Mutter, die, von Kissen gestützt, den Kopf dem Eintretenden zuwandte und ihm mit ihren hellblauen Augen forschend ins Gesicht sah. Es war ein Blick voll beherrschter Ruhe und von angespannter, unausweichlicher Eindringlichkeit, der, da er ein wenig von der Seite kam, beinahe etwas Lauerndes hatte. Abgesehen von der Blässe der Haut, die auf den Wangen ein paar Flecke von fieberiger Röte hervortreten ließ, zeigte dies Gesicht durchaus keine Mattigkeit und Schwäche. Die alte Dame war sehr aufmerksam bei der Sache, aufmerksamer noch als ihre Umgebung, denn am Ende war sie die zunächst Beteiligte. Sie mißtraute dieser Krankheit und war ganz und gar nicht gewillt, sich aufs Ohr zu legen und den Dingen nachgiebig ihren Lauf zu lassen …
 
»Was haben sie gesagt, Thomas?« fragte sie mit so bestimmter und lebhafter Stimme, daß sich sofort ein heftiger Husten einstellte, den sie mit geschlossenen Lippen zurückzuhalten suchte, der aber hervorbrach und sie zwang, die Hand gegen ihre rechte Seite zu pressen.
 
»Sie haben gesagt«, antwortete der Senator, als der Anfall vorüber war, und streichelte ihre Hand … »Sie haben gesagt, daß unsere gute Mutter in ein paar Tagen wieder auf den Füßen sein wird. Daß du das noch nicht kannst, weißt du, das liegt daran, daß dieser dumme Husten natürlich die Lunge ein bißchen angegriffen hat … es ist nicht gerade Lungenentzündung«, sagte er, da er sah, daß ihr Blick noch eindringlicher wurde … »obgleich ja auch das noch nicht das Ende aller Dinge wäre, ach, da gibt es Schlimmeres! Kurz, die Lunge ist etwas gereizt, sagen die beiden, und damit mögen sie wohl recht haben … Wo ist denn die Severin?«
 
»Zur Apotheke«, sagte Frau Permaneder.
 
»Seht ihr, die ist schon wieder in der Apotheke, und du, Tony, siehst aus, als wolltest du jeden Augenblick einschlafen. Nein, das geht nicht länger. Wenn es auch nur für ein paar Tage ist … wir müssen eine Pflegerin hier haben, meint ihr nicht auch? Wartet, ich lasse jetzt gleich bei meiner Grauen-Schwester-Oberin anfragen, ob eine disponibel ist …«
 
»Thomas«, sagte die Konsulin jetzt mit behutsamer Stimme, um den Hustenreiz nicht wieder zu entfesseln, »glaube mir, du erregst Anstoß mit deiner beständigen Protektion der Katholischen gegenüber den Schwarzen Protestantischen. Du hast den einen direkte Vorteile verschafft und tust nichts für die anderen. Ich versichere dich, Pastor Pringsheim hat sich neulich mit deutlichen Worten bei mir darüber beklagt …«
 
»Ja, das nützt ihm gar nichts. Ich bin überzeugt, daß die Grauen Schwestern treuer, hingebender, aufopferungsfähiger sind als die Schwarzen. Diese Protestantinnen, das ist nicht das Wahre. Das will sich alles bei erster Gelegenheit verheiraten … Kurzum, sie sind irdisch, egoistisch, ordinär … Die Grauen sind degagierter, ja, ganz sicher, sie stehen dem Himmel näher. Und gerade, weil sie mir Dank schulden, sind sie vorzuziehen. Was ist Schwester Leandra uns nicht gewesen, als Hanno Zahnkrämpfe hatte! Ich will nur hoffen, daß sie frei ist …«
 
Und Schwester Leandra kam. Sie legte still ihre kleine Handtasche, ihren Umhang und die graue Haube ab, die sie über der weißen trug, und ging, während der Rosenkranz, der an ihrem Gürtel hing, leise klapperte, mit sanften und freundlichen Worten und Bewegungen an ihre Arbeit. Sie pflegte die verwöhnte und nicht immer geduldige Kranke Tag und Nacht und zog sich dann stumm und fast beschämt über die menschliche Schwäche, der sie unterlag, zurück, um sich von einer anderen Schwester ablösen zu lassen, zu Hause ein wenig zu schlafen und dann zurückzukehren.
 
Denn die Konsulin verlangte beständigen Dienst an ihrem Bette. Je mehr sich ihr Zustand verschlimmerte, desto mehr wandte sich ihr ganzes Denken, ihr ganzes Interesse ihrer Krankheit zu, die sie mit Furcht und einem offenkundigen, naiven Haß beobachtete. Sie, die ehemalige Weltdame, mit ihrer stillen, natürlichen und dauerhaften Liebe zum Wohlleben und zum Leben überhaupt, hatte ihre letzten Jahre mit Frömmigkeit und Wohltätigkeit erfüllt … warum? Vielleicht nicht nur aus Pietät gegen ihren verstorbenen Gatten, sondern auch aus dem unbewußten Triebe, den Himmel mit ihrer starken Vitalität zu versöhnen und ihn zu veranlassen, ihr dereinst trotz ihrer zähen Anhänglichkeit an das Leben einen sanften Tod zu vergönnen? Aber sie konnte nicht sanft sterben. Manches schmerzlichen Erlebnisses ungeachtet war ihre Gestalt vollständig ungebeugt und ihr Auge klar geblieben. Sie liebte es, gute Mahlzeiten zu halten, sich vornehm und reich zu kleiden, das Unerfreuliche, was um sie her bestand oder geschah, zu übersehen, zu vertuschen und wohlgefällig an dem hohen Ansehen teilzunehmen, das ihr ältester Sohn sich weit und breit verschafft hatte. Diese Krankheit, diese Lungenentzündung war in ihren aufrechten Körper eingebrochen, ohne daß irgendwelche seelische Vorarbeit ihr das Zerstörungswerk erleichtert hätte … jene Minierarbeit des Leidens, die uns langsam und unter Schmerzen dem Leben selbst oder doch den Bedingungen entfremdet, unter denen wir es empfangen haben, und in uns die süße Sehnsucht nach einem Ende, nach anderen Bedingungen oder nach dem Frieden erweckt … Nein, die alte Konsulin fühlte wohl, daß sie trotz der christlichen Lebensführung ihrer letzten Jahre nicht eigentlich bereit war, zu sterben, und der unbestimmte Gedanke, daß, sollte dies ihre letzte Krankheit sein, diese Krankheit ganz selbständig, in letzter Stunde und in gräßlicher Eile, mit Körperqualen ihren Widerstand zerbrechen und die Selbstaufgabe herbeiführen müsse, erfüllte sie mit Angst.
 
Sie betete viel; aber fast noch mehr überwachte sie, sooft sie bei Besinnung war, ihren Zustand, fühlte selbst ihren Puls, maß ihr Fieber, bekämpfte ihren Husten … Der Puls aber ging schlecht, das Fieber stieg desto höher, nachdem es ein wenig gefallen war und warf sie aus Schüttelfrösten in hitzige Delirien, der Husten, der mit inneren Schmerzen verbunden war und blutigen Auswurf zutage förderte, nahm zu, und Atemnot ängstigte sie. Das alles aber kam daher, daß jetzt nicht mehr nur ein Lappen der rechten Lunge, sondern die ganze rechte Lunge in Mitleidenschaft gezogen war, ja, daß, wenn nicht alles täuschte, auch schon an der linken Seite Spuren des Vorganges bemerkbar waren, den Doktor Langhals, indem er seine Fingernägel besah, »Hepatisation« nannte und über den Doktor Grabow sich lieber gar nicht weiter ausließ … Das Fieber zehrte unablässig. Der Magen begann zu versagen. Unaufhaltsam, mit zäher Langsamkeit, schritt der Kräfteverfall vorwärts.
 
Sie verfolgte ihn, nahm, wenn sie irgend dazu imstande war, eifrig die konzentrierte Nahrung, die man ihr bot, hielt sorglicher noch als ihre Pflegerinnen die Stunden des Medizinierens inne und war von all dem so in Anspruch genommen, daß sie beinahe nur noch mit den Ärzten sprach und wenigstens nur im Gespräche mit ihnen aufrichtiges Interesse an den Tag legte. Besuche, die anfänglich vorgelassen wurden, Freundinnen, Mitglieder des »Jerusalemsabend«, alte Damen aus der Gesellschaft und Pastorsgattinnen, empfing sie apathisch oder mit zerstreuter Herzlichkeit und entließ sie rasch. Ihre Angehörigen empfanden peinlich die Gleichgültigkeit, mit der die alte Dame ihnen begegnete; sie nahm sich wie eine Art Geringschätzung aus, die besagte: »Ihr könnt mir ja doch nicht helfen.« Selbst dem kleinen Hanno, der in einer erträglichen Stunde eingelassen wurde, strich sie nur flüchtig über die Wange und wandte sich dann ab. Es war, als wollte sie sagen: »Kinder, ihr seid alle liebe Leute, aber ich – ich muß vielleicht sterben!« Die beiden Ärzte dagegen empfing sie mit lebhafter und interessierter Wärme, um eingehend mit ihnen zu konferieren …
 
Eines Tages erschienen die alten Damen Gerhardt, die Nachkommen Paul Gerhardts. Sie kamen mit ihren Mantillen, ihren tellerartigen Hüten und ihren Provianttaschen von Armenbesuchen, und man konnte ihnen nicht verwehren, ihre kranke Freundin zu sehen. Man ließ sie allein mit ihr, und Gott allein weiß, was sie zu ihr sprachen, während sie an ihrem Bette saßen. Als sie aber gingen, waren ihre Augen und Gesichtszüge noch klarer, noch milder und selig verschlossener als vorher, und drinnen lag die Konsulin mit ebensolchen Augen und ebensolchem Gesichtsausdruck, lag ganz still, ganz friedlich, friedlicher als jemals, ihr Atem ging selten und sanft, und sie fiel ersichtlich von Schwäche zu Schwäche. Frau Permaneder, die den Damen Gerhardt ein starkes Wort nachmurmelte, schickte sofort zu den Ärzten, und kaum erschienen die beiden Herren im Rahmen der Tür, als eine vollständige, eine verblüffende Veränderung mit der Konsulin vor sich ging. Sie erwachte, sie geriet in Bewegung, sie richtete sich beinahe auf. Der Anblick dieser Männer, dieser beiden notdürftig unterrichteten Mediziner gab sie mit einem Schlage der Erde wieder. Sie streckte ihnen die Hände entgegen, beide Hände, und fing an: »Seien Sie mir willkommen, meine Herren! Die Sachen stehen nun so, daß heute im Lauf des Tages …«
 
Aber es war längst der Tag gekommen, da die doppelseitige Lungenentzündung nicht mehr wegzuleugnen gewesen war.
 
»Ja, mein lieber Herr Senator«, hatte Doktor Grabow gesagt und Thomas Buddenbrooks Hände genommen … »Wir haben es nicht verhindern können, es ist nun doppelseitig, und das ist immer bedenklich, wie Sie so gut wissen wie ich, ich mache Ihnen kein X für ein U … Es ist, ob der Patient nun zwanzig oder siebenzig Jahre alt ist, in jedem Falle eine Sache, die man ernst nehmen muß, und wenn Sie mich daher heute noch einmal fragten, ob Sie Ihrem Herrn Bruder Christian schreiben, ihm vielleicht ein kleines Telegramm schicken sollten, so würde ich nicht abraten, ich würde mich besinnen, Sie davon abzuhalten … Wie geht es ihm übrigens? Ein spaßhafter Mann; ich habe ihn immer herzlich gern gehabt … Um Gottes willen, ziehen Sie keine übertriebenen Folgerungen aus meinen Worten, lieber Senator! Nicht als ob nun eine unmittelbare Gefahr vorläge … ach was, ich bin töricht, das Wort in den Mund zu nehmen! Aber unter diesen Verhältnissen, wissen Sie, muß man immer aus der Ferne mit unvorhersehbaren Zufälligkeiten rechnen … Mit Ihrer verehrten Frau Mutter als Patientin sind wir ja ganz außerordentlich zufrieden. Sie hilft uns wacker, sie läßt uns nicht im Stich … nein, ohne Kompliment, als Patientin ist sie unübertrefflich! Und darum hoffen, mein lieber Herr Senator, hoffen! Lassen Sie uns immer das Beste hoffen!«
 
Aber es kommt ein Augenblick, von dem an die Hoffnung der Angehörigen etwas Künstliches und Unaufrichtiges ist. Schon hat sich eine Veränderung mit dem Kranken vollzogen, und etwas der Person Fremdes, die er im Leben darstellte, ist in seinem Benehmen. Gewisse, seltsame Worte kommen aus seinem Munde, auf die wir nicht zu antworten verstehen und die ihm gleichsam den Rückweg abschneiden und ihn dem Tode verpflichten. Und wäre er uns der Liebste, wir können nach all dem nicht mehr wollen, daß er aufstehe und wandle. Würde er es dennoch tun, so würde er Grauen um sich verbreiten wie einer, der dem Sarge entstiegen …
 
Gräßliche Merkmale der beginnenden Auflösung zeigten sich, während die Organe, von einem zähen Willen in Gang gehalten, noch arbeiteten. Da, seit die Konsulin sich mit einem Katarrh hatte zu Bette legen müssen, Wochen vergangen waren, so hatten sich durch das Liegen an ihrem Körper mehrere Wunden gebildet, die sich nicht mehr schlossen und in einen fürchterlichen Zustand übergingen. Sie schlief nicht mehr; erstens, weil Schmerz, Husten und Atemnot sie daran hinderten, dann aber, weil sie selbst sich gegen den Schlaf auflehnte und sich an das Wachsein klammerte. Nur für Minuten ging ihr Bewußtsein im Fieber unter; aber auch bei bewußten Sinnen sprach sie laut mit Personen, die längst gestorben waren. Eines Nachmittags in der Dämmerung sagte sie plötzlich mit lauter, etwas ängstlicher, aber inbrünstiger Stimme: »Ja, mein lieber Jean, ich komme!« Und die Unmittelbarkeit dieser Antwort war so täuschend, daß man nachträglich die Stimme des verstorbenen Konsuls zu hören glaubte, der sie gerufen hatte.
 
Christian traf ein; er kam von Hamburg, woselbst er, wie er sagte, Geschäfte gehabt hatte, und verweilte übrigens nur kurze Zeit im Krankenzimmer; dann verließ er es, indem er sich über die Stirn strich, die Augen wandern ließ und sagte: »Das ist ja furchtbar … Das ist ja furchtbar … Ich kann es nun nicht mehr.«
 
Auch Pastor Pringsheim erschien, streifte Schwester Leandra mit einem kalten Blick und betete mit modulierender Stimme am Bette der Konsulin.
 
Und dann kam die kurze Besserung, das Aufflackern, ein Nachlassen des Fiebers, eine täuschende Rückkehr der Kräfte, ein Stillewerden der Schmerzen, ein paar klare und hoffnungsvolle Äußerungen, die den Umstehenden Tränen der Freude in die Augen treiben …
 
»Kinder, wir behalten sie, ihr sollt sehen, wir behalten sie trotz alledem!« sagte Thomas Buddenbrook. »Wir haben sie Weihnachten bei uns und erlauben nicht, daß sie sich dabei aufregt wie sonst …«
 
Aber schon in der nächstfolgenden Nacht, kurze Zeit nachdem Gerda und ihr Gatte zu Bette gegangen waren, wurden sie von seiten Frau Permaneders in die Mengstraße berufen, da die Kranke mit dem Tode kämpfe. Der Wind fuhr in den kalten Regen, der herniederging, und trieb ihn prasselnd gegen die Fensterscheiben.
 
Als der Senator und seine Frau das Zimmer betraten, das von den Kerzen zweier Armleuchter erhellt war, die auf dem Tische brannten, waren die beiden Ärzte schon zugegen. Auch Christian war aus seinem Zimmer heruntergeholt worden und saß irgendwo, indem er dem Himmelbette den Rücken zuwandte und die Stirn, tief gebückt, in beide Hände stützte. Man erwartete den Bruder der Kranken, Konsul Justus Kröger, nach dem ebenfalls geschickt worden war. Frau Permaneder und Erika Weinschenk hielten sich leise schluchzend am Fußende des Bettes. Schwester Leandra und Mamsell Severin hatten nichts mehr zu tun und blickten betrübt in das Gesicht der Sterbenden.
 
Die Konsulin lag, von mehreren Kissen gestützt, auf dem Rücken, und ihre beiden Hände, diese schönen, mattblau geäderten Hände, die nun so mager, so ganz abgezehrt waren, streichelten hastig und unaufhörlich, mit zitternder Eilfertigkeit die Steppdecke. Ihr Kopf, mit einer weißen Nachthaube bedeckt, wandte sich ohne Unterlaß, mit entsetzenerregender Taktmäßigkeit, von einer Seite zur anderen. Ihr Mund, dessen Lippen einwärts gezogen zu sein schienen, öffnete und schloß sich schnappend bei jedem qualvollen Atmungsversuch, und ihre eingesunkenen Augen irrten hilfesuchend umher, um hie und da mit einem erschütternden Ausdruck von Neid auf einer der anwesenden Personen haften zu bleiben, die angekleidet waren und atmen konnten, denen das Leben gehörte und die nichts weiter zu tun vermochten, als das Liebesopfer zu bringen, das darin bestand, den Blick auf dieses Bild gerichtet zu halten. Und die Nacht rückte vor, ohne daß eine Veränderung eingetreten wäre.
 
»Wie lange kann es noch dauern?« fragte Thomas Buddenbrook leise und zog den alten Doktor Grabow in den Hintergrund des Zimmers, während Doktor Langhals gerade irgendeine Injektion an der Kranken vornahm. Auch Frau Permaneder, das Taschentuch am Munde, trat herzu.
 
»Ganz unbestimmt, lieber Senator«, antwortete Doktor Grabow. »Ihre Frau Mutter kann in fünf Minuten erlöst sein, und sie kann noch stundenlang leben … ich kann Ihnen nichts sagen. Es handelt sich um das, was man Stickfluß nennt … ein Ödem …«
 
»Ich weiß es«, sagte Frau Permaneder und nickte in ihr Taschentuch, während die Tränen über ihre Wangen rannen. »Es kommt bei Lungenentzündungen oft vor … Es hat sich dann so eine wässerige Flüssigkeit in den Lungenbläschen angesammelt, und wenn es schlimm wird, so kann man nicht mehr atmen … Ja, ich weiß es …«
 
Die Hände vor sich gefaltet, blickte der Senator zum Himmelbette hinüber.
 
»Wie furchtbar sie leiden muß!« flüsterte er.
 
»Nein!« sagte Doktor Grabow ebenso leise, aber mit ungeheurer Autorität und legte sein langes, mildes Gesicht in entschiedene Falten … »Das täuscht, glauben Sie mir, liebster Freund, das täuscht! Das Bewußtsein ist sehr getrübt … Es sind allergrößten Teiles Reflexbewegungen, was Sie da sehen … Glauben Sie mir …«
 
Und Thomas antwortete: »Gott gebe es!« – Aber jedes Kind hätte es an den Augen der Konsulin sehen können, daß sie ganz und gar bei Bewußtsein war und alles empfand …
 
Man nahm seine Plätze wieder ein … Auch Konsul Kröger war eingetroffen und saß, über die Krücke seines Stockes gebeugt, mit geröteten Augen am Bette.
 
Die Bewegungen der Kranken hatten zugenommen. Eine schreckliche Unruhe, eine unsägliche Angst und Not, ein unentrinnbares Verlassenheits- und Hilflosigkeitsgefühl ohne Grenzen mußte diesen, dem Tode ausgelieferten Körper vom Scheitel bis zur Sohle erfüllen. Ihre Augen, diese armen, flehenden, wehklagenden und suchenden Augen schlossen sich bei den röchelnden Drehungen des Kopfes manchmal mit brechendem Ausdruck oder erweiterten sich so sehr, daß die kleinen Adern des Augapfels blutrot hervortraten. Und keine Ohnmacht kam!
 
Kurz nach drei Uhr sah man, wie Christian aufstand. »Ich kann es nun nicht mehr«, sagte er und ging, indem er sich auf die Möbelstücke stützte, die an seinem Wege standen, lahmend zur Tür hinaus. – Übrigens waren Erika Weinschenk sowohl wie Mamsell Severin, eingelullt wahrscheinlich von den einförmigen Schmerzenslauten, auf ihren Stühlen eingeschlafen und blühten rosig im Schlummer.
 
Um vier Uhr ward es schlimmer und schlimmer. Man stützte die Kranke und trocknete ihr den Schweiß von der Stirn. Die Atmung drohte gänzlich zu versagen, und die Ängste nahmen zu. »Etwas zu schlafen …!« brachte sie hervor. »Ein Mittel …!« Aber man war weit entfernt davon, ihr etwas zu schlafen zu geben.
 
Plötzlich begann sie wieder zu antworten, auf etwas, was die anderen nicht hörten, wie sie es schon einmal getan hatte. »Ja, Jean, nicht lange mehr!« … Und gleich darauf: »Ja, liebe Klara, ich komme!…«
 
Und dann begann der Kampf aufs neue … War es noch ein Kampf mit dem Tode? Nein, sie rang jetzt mit dem Leben um den Tod. »Ich will gerne …«, keuchte sie … »ich kann nicht … Was zu schlafen!… Meine Herren, aus Barmherzigkeit! was zu schlafen …!«
 
Dieses »aus Barmherzigkeit« machte, daß Frau Permaneder laut aufweinte und Thomas leise stöhnte, indem er einen Augenblick seinen Kopf mit den Händen erfaßte. Aber die Ärzte kannten ihre Pflicht. Es galt unter allen Umständen, dieses Leben den Angehörigen so lange wie nur irgend möglich zu erhalten, während ein Betäubungsmittel sofort ein widerstandsloses Aufgeben des Geistes bewirkt haben würde. Ärzte waren nicht auf der Welt, den Tod herbeizuführen, sondern das Leben um jeden Preis zu konservieren. Dafür sprachen außerdem gewisse religiöse und moralische Gründe, von denen sie auf der Universität sehr wohl gehört hatten, wenn sie ihnen im Augenblick auch nicht gegenwärtig waren … Sie stärkten im Gegenteil mit verschiedenen Mitteln das Herz und brachten durch Brechreiz mehrere Male eine momentane Erleichterung hervor.
 
Um fünf Uhr konnte der Kampf nicht mehr furchtbarer werden. Die Konsulin, im Krampfe aufgerichtet und mit weit geöffneten Augen, stieß mit den Armen um sich, als griffe sie nach einem Haltepunkt oder nach Händen, die sich ihr entgegenstreckten, und antwortete nun unaufhörlich in die Luft hinein nach allen Seiten auf Rufe, die nur sie vernahm, und die immer zahlreicher und dringlicher zu werden schienen. Es war, als ob nicht nur ihr verstorbener Gatte und ihre Tochter, sondern auch ihre Eltern, Schwiegereltern und mehrere andere, ihr im Tode vorangegangene Anverwandte irgendwo anwesend waren, und sie nannte Vornamen, von denen niemand im Zimmer sofort hätte sagen können, welche Verstorbenen damit gemeint seien. »Ja!« rief sie und wandte sich nach verschiedenen Richtungen … »Jetzt komme ich … Sofort … Diesen Augenblick noch … So … Ich kann nicht … Ein Mittel, meine Herren …«
 
Um halb sechs Uhr trat ein Augenblick der Ruhe ein. Und dann, ganz plötzlich, ging über ihre gealterten und vom Leiden zerrissenen Züge ein Zucken, eine jähe, entsetzte Freude, eine tiefe, schauernde, furchtsame Zärtlichkeit, blitzschnell breitete sie die Arme aus, und mit einer so stoßartigen und unvermittelten Schnelligkeit, daß man fühlte: zwischen dem, was sie gehört, und ihrer Antwort lag nicht ein Augenblick – rief sie laut mit dem Ausdruck des unbedingtesten Gehorsams und einer grenzenlosen angst- und liebevollen Gefügigkeit und Hingebung: »Hier bin ich!« … und verschied.
 
Alle waren zusammengeschrocken. Was war das gewesen? Wer hatte gerufen, daß sie sofort gefolgt war?
 
Jemand zog den Fenstervorhang zurück und löschte die Kerzen, während Doktor Grabow mit mildem Gesicht der Toten die Augen schloß.
 
Alle fröstelten in dem fahlen Herbstmorgen, der nun das Zimmer erfüllte. Schwester Leandra verkleidete den Toilettenspiegel mit einem Tuche. 
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