Die Sonne strahlend, thronend über allem, verehrt – hat Flecken?! Jesuitenpater Christoph Scheiner schaut mehrmals durchs Teleskop, ehe er es glaubt und veröffentlicht. Sehr zum Leidwesen von Galileo Galilei, der das auch gerne als Erster entdeckt hätte oder zumindest publiziert. Autor: Simon Demmelhuber
Ist das Taubendreck? Asche? Ruß? Pater Christoph Scheiner, Professor für Mathematik, Hebräisch und Astronomie am Ingolstädter Jesuitenkolleg, ist gereizt. Schon wieder! Schon wieder schwarze Flecken, wo nur Glanz und Klarheit sein sollte. Liegt es am Teleskop, dem unerhörten Wunderwerk, das ein holländischer Brillenmacher erst drei Jahre zuvor erfunden hat? Gut möglich. Christoph Scheiner hat das Fernrohr nachgebaut, hat es verbessert und hoch oben im Turm der Jesuitenkirche aufgestellt.
Den Blick frei
Doch irgendwas stimmt nicht mit dem Instrument. Scheiner zerlegt es, putzt das Rohr, reinigt die Linsen, prüft den Papierschirm, der das Sonnenbild am Augenende auffängt - alles tadellos. Aber warum dann die dunklen Male? Das gibt keinen Sinn. Gott hat die Königin der Gestirne ja nicht nur geschafften, damit sie das Weltall wärmt und durchleuchtet. Er hat dieses lauterste, hellste, reinste aller Lichter auch deshalb angezündet, damit es die Größe, Liebe und Güte des Weltenbauers predigt, damit unser Verstand in der Vollkommenheit des Geschöpfs die Vollkommenheit des Schöpfers schaut. Dieses Meisterstück und Ebenbild Gottes sollte entstellt sein wie ein Blatterngesicht? Nein! Undenkbar!
Oh, unschöne Flecken
Immer wieder schnauft Scheiner, den Talar gerefft, Reifwolken blasend, die engen Turmstufen hoch, beobachtet, rechnet, zeichnet, notiert. Die Male sind da! Sündschwarz und deutlich. Wie kann das sein? Das widerspricht allem, was die Schrift bezeugt, allem, was Aristoteles weiß und die Kirche glaubt. Der Pater ist verwirrt.
Bislang war er Theologe und Forscher in einem, bislang waren Offenbarung und Natur zwei verschränkte Lehrwerke, die sich wechselseitig erklärten: Zeigte sich Gott in der Bibel im Gewand des Wortes, war er zugleich zeichenhaft sichtbar im Kleid der Dinge; zusammen formten Schrift und Welt die eine unteilbare Wirklichkeit Gottes.
Und jetzt? Bedeuten diese Flecken, dass er künftig entweder Theologe oder Forscher ist? Dass es fortan zwei und mehr Wirklichkeiten gibt, die auseinandertreiben? Friert ihn darum so arg? Weil er den Teufel lachen hört aus dem Spalt, der zwischen Glaube und Wissenschaft aufklafft wie der Höllenschlund selbst?
Andererseits, was er da am 11. März 1611 erstmals und danach immer wieder gesehen hat, ist zweifellos wahr. Obendrein ist die Sonne gar nicht besudelt. Was er zunächst für Flecken hielt, sind gewiss nur Kleinstplaneten, die das unberührte, makellose Gestirn umkreisen. Und wahr ist auch, dass Scheiner ein kleines, winziges, verzeihliches bisschen stolz ist auf seinen Fund. So packt er am Ende alles in drei lange, mit Zeichnungen, Tabellen, Berechnungen gespickte Briefe an einen Freund, der die Neuigkeit 1612 gedruckt erscheinen lässt.
Im Jahr darauf liest Galilei das Buch, kräht neidisch "ich hab' die Sonnenflecken viel früher gesehen", und ab geht die Post! Von da an zanken sich zwei große Geister wie Gossenkater um den Finderlohn des Erstentdeckers.