Die große Liebe hatte im europäischen Adel lange nichts zu suchen. Untereinander und standesgemäß und seinesgleichen sollte die Wahl des Partners und der Partnerin ablaufen. Kinder in rascher Folge, zahlreich und männlich. Napoleon aber geht es anders an: Er heiratet nach Neigung! Autorin: Isabella Arcucci
Dieser entzückende, von dunklen Locken umrahmte Kopf, mit den funkelnden braunen Augen… Beinahe hätte ihn die Guillotine von dem grazilen weissen Hals getrennt. Doch die Anmut hat über die Grausamkeit triumphiert! Nun lacht der Kussmund bei jedem gewagten Bonmots, das durch den Salon geworfen wird, und der schlanke Hals biegt sich hingebungsvoll bei jeder Drehung im Takt der Musik. Und dann dieser Busen… Nur zart umhüllt von dem fast durchsichtigen Stoff, der sich unterhalb der hohen Taille mit nonchalanter Verspieltheit an den schlanken Körper schmiegt. Unfassbar, dass diese Frau schon über 30 ist und Mutter… Der junge Napoleon ist hingerissen. Rose de Beauharnais hat all das, was der kleine Korse nicht hat: Schönheit, Weltgewandtheit und das, was man heute Connections nennt. Rose führt im postrevolutionären Paris einen beliebten Salon, ist ein Partygirl. Immer knapp bei Kasse, immer umschwärmt. Napoleon will nicht der x-te Verehrer sein, der liebeskrank den Namen Rose stöhnt. Er nennt sie Joséphine.
Das Mädchen aus Martinique und der korsische Emporkömmling
Napoleon und Joséphine erkennen: wir können einander nützlich sein. Er, der Emporkömmling, der als militärischer Hoffnungsträger gehypt wird und sie, die gut vernetzte Überlebenskünstlerin, Tochter einer niederen Adelsfamilie aus Martinique, die schon als kleines Mädchen in der Hitze der Tropen von Paris träumte und dann mit 16 allein in die Stadt der Liebe fuhr – um eine arrangierte Ehe einzugehen. Mit einem Vicomte de Beauharnais, der sie betrog und verstieß. Ihre zwei Kinder zog sie allein groß und im Gefängnis wartete sie bereits auf ihre Hinrichtung. Dann stürzte Robespierre und Josephine kam dank ihrer Beziehungen und ihres Charmes frei.
Jetzt gehört sie zur Haute Volée von Paris, der Stadt ihrer Träume und der sechs Jahre jüngere Napoleon hält um ihre Hand an. Napoleon ist oft eifersüchtig und grob, glaubt Gerüchten, dass Josephine ihn betrügt, während er für Frankreich kämpft. Doch es sind seine innigen Liebesbriefe von der Front, mit denen er das Herz seiner Gemahlin immer wieder aufs Neue erobert.
Gemeinsam ganz nach oben
Und er erobert Frankreich. 1804 krönt Napoleon sich und Josephine zu Kaiser und Kaiserin. Das Power-Paar hat es bis ganz nach oben geschafft. Nun lebt es sich auseinander. Napoleon hat Affären, Josephine gibt Unmengen für Kleider aus. Umstandsmode ist nicht dabei. Die Kaiserin ist jetzt über 40 und der Kaiser braucht einen Thronerben. Am 10. Januar 1810 wird die Ehe von Napoleon und Joséphine für geschieden erklärt. Der Kaiser heiratet die Habsburger Erzherzogin Marie-Louise, jung und gebärfreudig. Doch so einfach ist es nicht. Trotz Entfremdung und Staatsräson: Napoleon liebt Josephine noch immer. Auch nach der Scheidung schreiben sie sich Briefe.