Die Walpurgisnacht hat´s in sich. Die Hexen reiten zum Brocken, wo sich die Dämonen paaren. Und mancher Bürgermeister sieht der Nacht mit Grausen entgegen, wenn die fidele Jugend die halbe Gemeinde zerlegt. Wer ist schuld an solchen Zuständen? Autorin: Carola Zinner
Als Dichter hat man´s fein. Ein Dichter kann schreiben was er will und wie es ihm gefällt. Wenn er Lust hat, lässt er hunderte von Hexen auf ihren Besen zum Brocken reiten, wo sie um große Feuer lagern und schlemmen, wo sie tanzen und sich paaren mit Dämonen. Tief unten aus dem Berg leuchten die Adern des Erzes, und beim Liebesakt, heißt es, springt aus dem Mund der Hexe eine rote Maus -
all das und noch viel mehr geschieht in der Walpurgisnacht, nur weil der Dichter es schön findet.
Der Volkskundler hat ´s da schon etwas schwerer. Wenn man ihn fragt, woher all diese Vorstellungen von der Walpurgisnacht stammen, sollte er Fakten an der Hand haben. Früher hatte die Volkskunde auf solche Fragen eine Standard-Antwort, die nach Belieben einsetzbar war, dass es sich da nämlich um alte keltische Fruchtbarkeitsbräuche handle, die vom Christentum ins Negative verkehrt wurden. So was hörte man immer gern, es raunte von alten Zeiten und kernigen Vorfahren, deren seltsame Rituale sich über Jahrtausende hinweg erhalten hatten.
Dumm ist nur, dass die Kelten es nachlässigerweise versäumt haben, irgendwelche Notizen zu hinterlassen, in denen sie uns über ihre Bräuche informieren. Also weiß der Volkskundler eigentlich gar nicht so furchtbar viel zu sagen auf die interessante Frage, warum ausgerechnet an diesem Abend des
30. April und der darauf folgenden Walpurgisnacht so vieles stattfindet an Liebesorakeln und Liebesbräuchen, aber auch an kleinen und großen Streichen.
Die Heilige Walpurgis ist nicht schuld!
An der Heiligen Walpurgis kann es nicht liegen, die war eine brave Klosterschwester aus England, die im 8. Jahrhundert ihrem onkel Bonifazius hierzulande bei der Missionsarbeit half.
An irgendeinem 1. Mai rund um das Jahr 870, knapp hundert Jahre nach ihrem Tod, wurde Walpurgis heilig gesprochen und gilt seitdem als besonders zuständig in Sachen Pestilenz, Fieber und Lähmungen.
Das immerhin passt. Schreckensstarr steht manch einer am Morgen des 1. Mai am Fenster, wenn er sieht, was in der Heimlichkeit der Nacht aus der gestern noch so properen Gemeinde geworden ist. In der Telefonzelle klemmt eine Porzellantoilette, aus dem Marktbrunnen quillt eine duftige Wolke aus Badeschaum, und der Maibaum ist verschwunden. Dafür stehen die Biertische fürs Maifest auf dem Dach des Rathauses, dessen Fensterscheiben verziert sind mit Rasierschaum und zermantschtem Klopapier.
Niemand weiß, warum ausgerechnet in einigen Regionen Altbayerns in dieser Nacht der Drang so stark ist, das Ortsbild zu verändern, statt dass man sich vorbereitet auf irgendeinen Arbeitermarsch oder hübsche Liebes-Bräuche,
wie sie in anderen Regionen üblich sind. Dort stellt man frisches Birkengrün vor das Haus der Angebeteten oder wählt eine Maienkönigin. Mancher bayerische Bürgermeister wäre ja sogar dankbar für emanzipatorisch angehauchte Hexentänze rund um ein Maifeuer, unterbliebe dafür nur der alljährliche Verwüstungs-Unfug in dieser seltsamen Nacht zum 1. Mai.
Nein, nicht die Kelten!
In welcher übrigens einst im alten Irland ein Frühlingsfest stattfand, an dem, so viel ist belegt, große Feuer entzündet wurden und angeblich - das nun wiederum ist nicht belegt - auch irgendwelche Reinigungs- und Fruchtbarkeitsrituale stattfanden.
Moment mal. In Irland? Waren da nicht die Kelten?
Könnte es da nicht vielleicht doch sein, dass…?
Nein, sagt der Volkskundler mit fester Stimme. Es gibt keinen einzigen handfesten Beweis für eine Herkunft unserer Walpurgisnacht von einem alten keltischen Fruchtbarkeitsbrauch.
Wirklich nicht.