Vor vielen Jahren lebte ein Kaiser in einem großen, reichen Land. Er liebte schöne Kleidung und gab dafür sehr viel Geld aus. Er kümmerte sich weder um sein Volk, noch um seine Soldaten oder um Politik. Er wechselte lieber mehrmals am Tag seine Kleider.
Eines Tages kamen zwei Männer in die Stadt. Sie sagten: „Wir sind be rühmte Weber und Schneider. Wir machen die schönsten Stoffe und wunderschöne Kleider." Auch erklärten sie die Besonderheit ihrer Stoffe: „Nur wer klug ist, kann unsere Stoffe und Kleider sehen. Die Dummen können die Stoffe nicht sehen. Für sie sind die Stoffe und Kleider unsichtbar." Der Kaiser hörte das und rief die beiden Männer zu sich. Denn er interessierte sich nicht nur für neue kostbare Kleider, sondern auch fUr die Besonderheit der Kleidung. Er dachte: „So kann ich endlich herausfinden, wer klug und wer dumm ist!" Der Kaiser bestellte sofort Kleider und zahlte den Webern viel Geld, Gold und Silber.
In den nächsten Tagen sahen die beiden Weber sehr beschäftigt aus. Bis spät in der Nacht sah der Kaiser Licht in ihrem Zimmer. Er freute sich schon sehr auf seine neuen Kleider. Die wollte er beim großen Stadtfest tragen. Dieses Fest fand einmal im Jahr statt und die Gäste kamen von nah und fern.
Nach drei Tagen schickte der Kaiser seinen ältesten Minister zu den Webern. Der alte Minister war ein sehr fleißiger und kluger Mann. Der Kaiser dachte: „Der Minister sieht die Kleider bestimmt, dann kann er mir berichten." Der Minister ging zu den beiden Männern. Er betrat ihr Zimmer und schaute sich um. Aber er konnte keinen Stoff sehen. Der Tisch war leer, dort lagen nur Nadel und Faden. Der Minister bekam einen Schreck: „Bin ich dumm?!? Nein, unmöglich!" Die Weber fragten: „Und, wie gefällt Ihnen dieser Mantel hier? Sind die Farben nicht wunderschön?" Schnell antwortete der Minister; „Ja, ja, sehr schön. Die Farben sind wirklich ausgezeichnet. Zeigen Sie mir doch auch bitte die Hose! - Oh, auch die gefallt mir sehr." Dann ging der Minister zurück und erzählte dem Kaiser über die prächtigen Kleider. Der alte Minister hatte die Kleider überhaupt nicht gesehen. Aber das wußte niemand. Am nächsten Tag schickte der Kaiser wieder einen Minister zu den Webern. Auch er sah nichts. Aber auch er sagte das nicht und sprach viel von den neuen Kleidern. Der Kaiser freute sich von Tag zu Tag immer mehr auf diese prächtigen Kleider. Dann endlich kam das Stadtfest und die Kleider waren fertig. Früh am Morgen ging der Kaiser mit seinen Freunden zu den beiden Webern und holte die Kleider ab. Aber was war das! Der Kaiser blickte sich um, konnte aber nichts sehen. Er dachte: „Unmöglich! Ich, der Kaiser, bin dumm?! Dümmer als meine Minister?! Warum kann ich die Kleider nicht sehen? Was soll ich nur machen?" „Wie gefallen Ihnen die neuen Kleider? Möchten Sie sie gleich anprobieren?", fragten die Weber den Kaiser sehr höflich. Der Kaiser meinte mit lauter Stimme: „Oh, wie wunderbar!" Da sagten auch die Freunde: „Ja, ganz ausgezeichnet!" Keiner wollte die Wahrheit sagen. Der Kaiser zog sehr verwirrt die Kleider an und betrachtete sich im Spiegel. Er sah keine neuen Kleider. Aber er lobte die Arbeit der beiden Weber sehr.
Dann ging der Kaiser mit seinen Freunden zum Stadtfest. Viele Menschen waren auf der Straße und warteten auf den Kaiser. Sie alle wollten die neuen Kleider bewundern. Und sie alle wunderten sich sehr, denn sie sahen die Kleider nicht. Aber alle lobten die wunderbaren Stoffe, Farben und Muster, Plötzlich rief ein kleines Kind ganz laut: „Schaut mal! Der Kaiser trägt nichts, nur seine Unterwäsche. Schau, Mama, schau!" Da sahen sich die Leute an und lachten. Sie riefen nun alle: „Schaut des Kaisers neue Kleider! Der hat ja gar nichts an!"
Der Kaiser hörte das Kind und die Leute. Nun bemerkte er die Wahrheit und ärgerte sich sehr. Er lief nach Hause und dachte: „Die beiden Weber haben mich betrogen. Betrüger! Betrüger! Ich muß sie bestrafen." Aber die beiden hatten schon ihr Geld, Gold und Silber eingepackt und die Stadt verlassen.