Um 1900 veränderte die Technik fast alle Lebensbereiche, doch die Bevölkerung wusste kaum, was ihr Leben plötzlich so einschneidend veränderte. Am 13. November war Grundsteinlegung für das Deutsche Museum in München.
So ganz vertraut man der neuen Technik dann doch nicht am 13. November 1906. Und das ausgerechnet zur Grundsteinlegung des Deutschen Museums! Zwar hält ein Foto die Szene auf der Münchner Isarinsel fest. In einer provisorischen Halle herrscht ein riesiger Andrang schwarz befrackter Ehrengäste, über ihnen, auf einer Empore, höchste Prominenz aus
Kaiser- und Königshaus. Aber nein, so richtig großartig wirkt das alles trotzdem nicht. Kleine Köpfe, große Helme, weiße Federbüsche im Gegenlicht. Wie gut, dass der großartige Moment auch auf einem gediegenen Ölbild festgehalten ist. Ganz alte Schule, und jetzt erkennt man:
Kaiser Wilhelm II., linke Hand am Säbel, in der rechten ein Hämmerchen am Grundstein, fester Blick in die weite Ferne. In die Zukunft! Neben ihm geisterhaft leuchtend in kostbaren Gewändern Prinzen und Prinzessinnen. Dann die Reihe dahinter: etwa Carl von Linde, der Erfinder des Kühlschranks, Konrad Wilhelm Röntgen, der Entdecker der gleichnamigen Strahlen und Oskar von Miller, Starkstrompionier und vor allem: der eigentliche Gründer des Deutschen Museums.
Volksbildung und Volksbelustigung
Ohne Oskar von Miller fände der ganze Auflauf nicht statt.
Er ist schon 48 Jahre alt, das "von" im Namen ist Verdienstadel. Allerdings geerbter, den Titel hatte schon sein Vater errungen. Ferdinand von Miller hatte seinerzeit das größte Erzbild der Welt gegossen - die Münchner Bavaria. Sohn Oskar war früh von der neuen Starkstromtechnik begeistert.
Mit 27 Jahren organisierte er bereits die erste elektrotechnische Ausstellung in Deutschland samt Starkstromübertragung von Miesbach nach München.
Im Glaspalast standen die Gäste staunend vor einem mit Starkstrom betriebenen Wasserfall samt Kunstlandschaft. Aus 57 Kilometern Entfernung kam der Strom! Ja, unglaublich! Was alles ging in diesen neuen Zeiten!
Tatsächlich bringt die Jahrhundertwende den Durchbruch für die Ingenieurswissenschaften in fast allen Lebensbereichen. Die Industrialisierung verläuft stürmisch, aber trotzdem gibt es in der breiten Bevölkerung kaum eine Vorstellung davon, was genau ihr Leben plötzlich so einschneidend verändert. Oskar von Miller kennt bereits Versuche in London und Paris, technische Museen aufzubauen.
Aber er ist ganz unzufrieden damit, wie dort das Publikum bedient wird - nämlich so gut wie gar nicht. Ein Thermometer hängt neben dem anderen, ansonsten - das Museum eine Begegnungsstätte für Spezialisten. Oskar von Miller will genau das Gegenteil, ein Museum für Volksbildung und Volksbelustigung. Dafür hat er nun seit drei Jahren geworben. Auf seine hochenergetische Starkstromart hat er große Spendensummen gesammelt und die Mächtigen des Reichs hinter seine Idee gebracht.
Wie auf dem Oktoberfest
Nach der Grundsteinlegung auf der Kohleninsel eröffnet das Museum zunächst in einem Notquartier, dem heutigen Völkerkundemuseum.
Gleich die erste Ausstellung sprengt alle Erwartungen, die Besucher strömen aus ganz Deutschland ins Museum. Die Fachleute sind freilich zum Teil irritiert. Zum Beispiel über das Röntgenkabinett. Über die Gefährlichkeit der Strahlen weiß man damals zwar noch nichts. Aber ist das wirklich alles seriös, was da geboten wird? Vergnügt stehen die Massen Schlange, um in der Kabine ihren Geldbeutel durchleuchten zu lassen, und Conrad Wilhelm Röntgen persönlich murrt: Hier geht’s ja zu wie auf dem Oktoberfest. - Aber ja!, stimmt Oskar von Miller zu. Genauso hat er es sich vorgestellt.