Franz Senn, geboren als Bauernsohn am 19. März 1831, trieb es hoch hinaus, jedenfalls gemessen in Höhenmetern der Tiroler Bergwelt. Als Gletscherpfarrer wurde er zum Gründer des Deutschen Alpenvereins.
Tirol ist kein Staat. Das ist schade - vor allem im Hinblick darauf, dass es ein so markantes Staatsvolk gäbe, eines, das vielleicht mitunter ein wenig derb wirkt, das aber auf seine Geschichte stolz und sich seiner Traditionen bewusst ist. Egal: Der völkerrechtlichen Definition zufolge bedarf ein Staat außer des Staatsvolks auch noch eines Staatsgebietes sowie einer Staatsgewalt - und das Tiroler Staatsgebiet samt einer darüber waltenden Tiroler Staatsgewalt fehlt. Schade, wie gesagt.
Allein, wenn man an die vielen berühmten Tiroler denkt! Andreas Hofer - den kennt man aus den Geschichtsbüchern; Reinhold Messner - aus dem Fernsehen; die Kastelruther Spatzen - vom Weghören. Dann ... ah, wen gibt´s denn noch? Ja, freilich, den Franz Senn!
Dummstolzes Volk
Franz Senn? Der Gletscherpfarrer? Nicht bekannt? Nochmal schade. Wo er so ein rühriger Mann war. Allein seine Erstbesteigungen: Vorderer Brochkogel, Ramolkogel, Fineilspitze, Hintere Schwärze über den Ostgrat, Fluchtkogel, Vernagtspitze, Weißseespitze, Spiegelkogel ...
Eigentlich war er nicht Alpinist, sondern Seelsorger. Er wurde in eine Bauernfamilie hinein geboren, am 19. März 1831, da boten sich nicht so viele berufliche Möglichkeiten. Als ausgesprochen intelligentes Bürschchen durfte er nach Innsbruck ins Jesuiten-Gymnasium gehen - womit sein Werdegang vorgezeichnet war. Dass man ihn allerdings als jungen Kurator ausgerechnet nach Vent schickte, einem Kaff mit fünf Höfen im hintersten Ötztal, das war hart. Und zwölf Jahre unter einem, wie er selber schrieb, so "rohen und dummstolzen Volke auszuhalten, wie es die Venter sind", kostete ihn viel Kraft. Als er aber den Fremdenverkehr als geeignetes Mittel ausmachte, die wirtschaftliche Lage in den abgelegenen Gebirgstälern zu verbessern, hatte er sein Betätigungsfeld gefunden.
Pfarrhaus mit Fremdenbetten
Nicht nur, dass er sein Pfarrhaus zu einem Gästehaus mit rund zwei Dutzend Fremdenbetten umbaute, nein, er ließ auch Wege, Straßen und Schutzhütten anlegen, nahm die Ausbildung örtlicher Bergführer in Angriff und widmete sich der Erforschung der Ötztaler Alpen, die noch nicht einmal vollständig kartographiert waren. Am Ende war er bis über beide Ohren verschuldet, denn die seiner Ansicht nach sowieso "tückischen, achselträgerischen Venter" dachten nicht daran, ihn zu unterstützen. Und der Österreichische Alpenverein, der vorwiegend wissenschaftliche Interessen hatte, spendete ihm zwar viel Lob, aber mit Geld half er nicht. Das bewog Senn, die Gründung eines Alpenvereins anzustoßen, der etwas praktischer orientiert war und sich für die gesamten Alpen zuständig fühlte: Der Deutsche Alpenverein entstand.
Vor allem langfristig zeitigten die Maßnahmen des Gletscherpfarrers eine durchschlagende Wirkung: Heute könnten in Tirol rund 340.000 Gäste gleichzeitig übernachten. Die Zahl der Übernachtungen pro Jahr übersteigt die Zahl der Einwohner um das Sechzigfache; das ist mehr als in jedem anderen Land der Welt! Tirol ist das Tourismusland schlechthin!
Ein Staat ist es dennoch nicht. Und ob sich mit so viel Fremdenverkehr auf lange Sicht Staat machen lässt, ist eine andere Frage.