Frankenstein – und sein Monster. Schaurig, gruslig und moralische Fragen unserer Gegenwart vorwegnehmend. Alljährlich wird ihrer gedacht, am Geburtstag ihrer Mutter: Mary Shelley.
Der kleine William, von seinen Eltern zärtlich "Willmouse" gerufen, entwickelt sich prächtig. Gott sei Dank. Mary Godwins erstes Kind, ein Mädchen, starb kurz nach der Geburt. Nun gilt ihre Sorge dem neuen Nachwuchs. Allerdings nicht ungeteilt. William ist gerade einmal vier, fünf Monate alt, als die junge Mutter eine echt gruselige Geschichte zu schreiben beginnt.
Die Mutter aller Monster
Die Geschichte des größenwahnsinnigen Wissenschaftlers Viktor Frankenstein, der glaubt, eine herrliche neue Spezies kreieren zu können. Und sich furchtbar irrt. Kaum belebt, tötet sein aus Leichenteilen zusammengesetzter Prototyp als erstes Opfer seinen kleinen Bruder. Und der hieß… William, genauso wie der kleine Sohn der Autorin. Gruseliger geht es wohl nicht. Als wäre das Leben des süßen "Willmouse" entsetzlich bedroht. Ist es im Prinzip auch. Bei der hohen Kindersterblichkeit damals. Trotzdem irritiert die Vorstellung, dass die Schöpferin der Verderben bringenden Kreatur gerade frisch dem Wochenbett entstiegen ist.
Man weiß, dass Mary Godwin Depressionen plagten und dass sie Träume hatte, in denen die kleine Clara von den Toten auferstanden zu sein schien. Aber musste das Baby deshalb gleich zu einem derart unansehnlichen Dämon mutieren? Gewiss setzte Mary der Konkurrenzkampf in ihrer Dichter-Clique unter Druck. Es ist eine der beliebtesten Making-of-Storys, wie im verregneten Sommer 1816 am Genfer See vier junge Leute darum wetteiferten, wer den besten Schauerroman schreibt. Aber die beiden spätromantischen Dichter Lord Byron und Percy Shelley, Marys Liebhaber und zukünftiger Ehemann, wandten sich bald wieder anderen Themen zu.
Nur Lord Byrons Leibarzt John Polidori gab wie sie nicht vorzeitig auf und verfasste die erste Vampir-Erzählung der Weltliteratur. Doch dass der damals 19-Jährigen der Siegerkranz gebührte, steht fest, seitdem sie sich als Verfasserin des zunächst anonym erschienenen Frankensteinromans outete.
Ein Zombie, der Liebe braucht
Heute begehen traditionsbewusste Horrorfans Mary Shelleys Geburtstag am 30. August mit der andächtigen Lektüre ihres berühmten Werkes, das die modernen Debatten zu Genmanipulation und Klonforschung vorwegnahm. Die 1797 geborene Tochter des Sozialreformers William Godwin und der frühen Feministin Mary Wollstonecraft zeigte die Kehrseite utopisch-idealistischen Fortschrittglaubens. Wie sich vermeintlich gute Ideen zu Katastrophen auswachsen können, weil es, sobald sie sich in der Welt realisieren, zu unbeherrschbaren Kettenreaktionen kommt. Ein Zombie verlangt wider Erwarten nach Liebe! Und wehe, wenn sie ihm verweigert wird! Ja, die Geister, die man rief. Soviel auch zum dialektischen Verhältnis von Natur und Zivilisation, von Schicksalsmacht und Machbarkeitswahn. Der Tod holte sich den kleinen William übrigens dann doch noch. Von Mary Shelleys Nachkommenschaft war einem einzigen Kind ein längeres Leben beschieden. Neben Frankensteins Monster natürlich, das unsterblich wurde.