Einsamer Alpinist, wagemutiger Kletterer ersteigt die höchsten der höchsten Gipfel eben allein – so wäre es typisch. Die Erstbesteigung des Großvenedigers dagegen ist eher eine Sammelveranstaltung. Autorin: Markus Mähner
Tweedgekleidete Aristokratenhorden fielen im 19.Jahrhundert über die Schweiz und Frankreich her und eroberten zahllose unbestiegene Berggipfel im Sturm. Der Whymperpfeiler und der Walkerpfeiler der Grand Jorasses, der Younggrat am Walliser Weisshorn, der Tyndallgrat am Matterhorn - all sie künden noch heute davon. “Spielplatz Europas“ - so bezeichneten die englischen Eroberer denn auch sinnig die Alpen. Doch vornehmlich in die Westalpen trauten sich die Engländer - wenn auch manchmal nur mit Waffen: man kann ja nicht wissen welche Wilden Völker man dort antrifft!
Gefahr von oben?!?!
Die Ostalpen hingegen blieben zumeist den einheimischen also österreichischen Bergbegeisterten. Und von Wettrennen um den Gipfel - gar mit tödlichem Ausgang wie bei der Matterhorn-Erstbesteigung - weiß man hier auch nichts. Nein, hier war es oft gemeinsames Tun! Alles zur Glorie der Heimat!
Höhepunkt davon: Die Erstbesteigung des Großvenedigers am 3.9.1841. Nachdem Erzherzog Johann - nicht nur bekannt durch seinen Jodler, sondern vor allem durch seine zahlreichen Erstbegehungen - nachdem eben jener im Jahr 1828 am Großvenediger gescheitert war, wird die 13 Jahre später erfolgte Erstbesteigung eine Unternehmung des Volkes - ja des GANZEN Volkes möchte man fast sagen. Denn der Pinzgauer Burggraf Ignaz von Kürsinger erklärt die Unternehmung als “Pinzgauerische Nationalangelegenheit“ und lädt sogar öffentlich in der Salzburger Zeitung alle “Naturfreunde und Verehrer der wunderschönen Alpenwelt“ freundlich ein, daran teilzuhaben. Und so versammelt sich auf dem Marktplatz zu Neukirchen, der an diesem Tag schon eher einem Volksfestplatz gleicht, so ziemlich alles, was zwei Beine zum Gehen hat: vom Studenten über einen Gerichtsdiener, Lehrer, Apotheker bis hin zum 68jährigen Greis.
Gemeinsame Bergsportveranstaltung
Da Kursinger dies wohl schon erahnt, rät er vorsorglich in seiner Ankündigung: “Da der Weg über viele Stunden über Eisflächen und Klüfte geht, so wird jedem Teilnehmer das Mitnehmen von scharfgespitzten Fußeisen und guten eisenbeschlagenen Bergstecken empfohlen. Für Führer, Träger und Stricke (gegen Abstürzen in die Eisklüfte) wird gesorgt.“
Sicherlich: Von den 40 Gipfelaspiranten erreichen lediglich 26 das heißbegehrte Ziel: Den höchstgelegenen Punkt des Pinzgaus. Die anderen machen auf dem Weg schlapp. Und selbst jene, die den Gipfel erreichen, können die große, seit Jahrzehnten heiß diskutierte Frage nicht lösen: Ob nämlich die Stadt Venedig vom Gipfel des Großvenedigers zu erblicken sei. Wolken versperren ihnen die Sicht!
So bleibt die Frage weiterhin ein Streitpunkt. Ebenso ein Streitpunkt bleibt bis heute auch noch die Frage nach dem Namensursprung des Berges. Stammt er wirklich von der möglichen - ja sogar von einem Herrn Professor von Pichl wissenschaftlich errechneten - Sichtbarkeit der gleichnamigen Stadt? Oder vielmehr von den sagenumwobenen Venedigermännchen? Oder vom slawischen Volksstamm der Wenden, die einst der römische Geschichtsschreiber Tacitus in dem Gebiet ausgemacht hat? Oder stammt der Name “Venediger“ einfach von “montes veneti“ - also den windigen Bergen? Oder hieß er etwa eigentlich nicht “Venediger“ sondern “Feinödiger“ - was letzlich von “Firn“, also “Gletscher“ und “öde“ abstammt?