Auch US-Präsidenten haben ein Recht auf ihre Meinung, wenn es um Sangeskunst geht. Was aber, wenn die zu beurteilende Sängerin die eigene Tochter ist? Autor: Xaver Frühbeis
Der Präsident saß an seinem Schreibtisch und war wütend. 6. Dezember 1950, früher Morgen, gestern noch waren sie im Konzert gewesen, er und seine Frau mitsamt dem britischen Premierminister, es war ein ausnehmend schönes Konzert gewesen, einer der größten Konzertsäle Washingtons, wundervolle Lieder von Mozart und Schubert, und was aber das Schönste war: Auf der Bühne sang seine Tochter. Der Präsident liebte klassische Musik. Als kleiner Junge hatte er immer davon geträumt, Konzertpianist zu werden. Oft war er aus freien Stücken um fünf Uhr früh aufgestanden, um vor der Schule noch Zeit zum Üben zu haben. Aber er hatte einsehen müssen, dass er nicht gut genug war. Und heutzutage konnte er die Leute zum Schmunzeln bringen, wenn er sagte, er habe damals beruflich zwei Möglichkeiten gesehen, entweder: Pianist in irgendeinem zweitklassigen Bordell - oder aber: Präsident der Vereinigten Staaten. Und jetzt war des Präsidenten Tochter auf dem besten Weg, seinen Traum zu verwirklichen. Eine berühmte Konzertsängerin zu werden. Manchmal, wenn er Zeit hatte, spielte er mit ihr zusammen im Weißen Haus vierhändig Klavier. Der Präsident war sehr stolz auf sie.
"Dann werden Sie eine neue Nase brauchen…"
Und jetzt das. Dieser Schmierfink Hume. "Miss Trumans Stimme", hatte er geschrieben, "klingt recht angenehm, allerdings kann sie damit nicht besonders gut umgehen. Meistens singt sie zu tief und gestern Abend hat sie das ganz besonders oft getan." - Das hätte der Präsident aber gemerkt. Wie kann so ein Nichtsahner wie Paul Hume Musikkritiker der "Washington Post" werden? Was ficht diesen Mann an, seine Tochter öffentlich in den Schmutz zu ziehen? Es sei ihm unangenehm, so über sie berichten zu müssen, aber Miss Truman würde nun schon seit drei Jahren so singen und deshalb müsse er das auch schreiben, in seinem Schmierblatt.
Der Präsident griff zum Notizblock mit dem Aufdruck des "Weißen Hauses" und fing an zu schreiben.
"Mr. Hume. Eben habe ich Ihre erbärmliche Kritik zu Margarets Konzert gelesen. Mir scheint, Sie sind ein frustrierter alter Mann, der selber gern erfolgreich wäre. Wenn Sie solchen Unfug schreiben, dann zeigt das einzig und allein, wie daneben Sie liegen und dass Sie viel zu sehr auf ihre Magengeschwüre hören. Irgendwann werden Sie persönlich vor mir stehen. Dann werden Sie eine neue Nase brauchen und eine Menge Beefsteak, um Ihre blaugeschlagenen Augen runterzukühlen. Harry S. Truman."
Ein liebender Vater…
Paul Hume staunte nicht schlecht, als er den Brief bekam. Erst wollte er gar nicht glauben, dass er echt sei. Der Verleger sagte, der Präsident schreibe öfter solche Briefe, und er würde sowas aber nicht ins Blatt nehmen.
Das erledigte dann die Konkurrenz. Die "Washington News" druckte den Brief, und Tausende Leser schrieben an das Weiße Haus, ob ihr Präsident mitten im Koreakrieg nichts anderes zu tun hätte als sich über eine Musikkritik zu echauffieren. Truman hielt dagegen, er habe den Brief gar nicht als Präsident geschrieben, sondern als "liebender Vater".