Der Uhrturm des tonnenschweren Big Ben ist eines der bekanntesten Wahrzeichen Londons. Sein Glockenschlag die "Voice of Britain". Autorin: Prisca Straub
Es ist der perfekte Zeitpunkt für ein Kapitalverbrechen: Mitternacht! Die Gaslaternen flackern im Nebel, der von der Themse her aufsteigt, und um den Westminster Palace flattern die Fledermäuse. Dann: Big Ben schlägt zwölf Mal - tief und durchdringend: BONG, BONG, BONG!
Der Herzschlag Londons
In Kriminalfilmen war die weltberühmte gusseiserne Glocke jahrzehntelang das akustische Hintergrundgeräusch für Londons lichtscheues Gesindel. In der dritten Verfilmung von "Die 39 Stufen" sogar in einer Hauptrolle: Im Clock Tower haben ausländische Attentäter eine Bombe montiert. Exakt um 11 Uhr 45 soll sie in die Luft gehen - was nur durch die Blockierung des mechanischen Uhrwerks verhindert werden kann. Ein Wettlauf mit der Zeit, mit Big Ben himself: Nur wenige Minuten vor der Explosion erreicht Ingenieur Richard Hannay die oberste Etage des Uhrturms, zerschlägt das Ziffernglas und steigt auf der Sechs ins schwindelerregende Freie. Doch mit Muskelkraft allein vermag der Gentleman in Anzug und weißem Hemd nichts auszurichten - schließlich hängt er sich mit ganzem Körpergewicht an die äußerste Spitze des über vier Meter langen Minutenzeigers. Big Ben ächzt und stöhnt - KRRCH, KRRCH, KRRCH! - dann hält die Uhr keuchend den Atem an. Tief unten applaudieren die Schaulustigen auf roten Doppeldeckerbussen.
In der Realität hat Big Ben nur äußert selten mal eine Pause eingelegt. Seit das Uhrwerk am 31. Mai 1859 in Gang gesetzt wurde, glänzt es durch nahezu sekundengenaue Zuverlässigkeit - und schlägt akkurat jeweils zur vollen Stunde. Auf die Präzision der "Voice of Britain" ist man stolz im Königreich. So läutet die BBC ihre Nachrichten mit dem weltbekannten Glockenschlag ein - und der gravitätische Sound kommt nicht etwa vom Band, sondern wird live übertragen: BONG! "This is BBC Radio 4" - die Mikrofone für den täglichen Auftritt sind in die Streben des Turmdachs montiert.
Der verstimmte Ben
Übrigens: Den perfekten Ton hat Big Ben noch nie getroffen. Ein reines E bringt die Glocke nicht zustande. Schuld ist eine Fehlberechnung. Die Bewegung des Schlaghammers fällt wohl etwas zu heftig aus, so dass der tonnenschwere Guss schon bald nach der Einweihung erste Risse bekommen hat. Big Ben ist verstimmt.
Macht nichts, finden die Londoner - nur Pfusch können sie nicht ertragen! Ein Maler, der der Turmstube einen frischen Anstrich verpassen sollte, seine Leiter gegen den hochempfindlichen Pendelzug lehnte und Big Ben dadurch ausbremste, wurde mit Schimpf und Schande überhäuft. Kaum anders erging es einem Mechaniker, der beim Auswechseln einer Glühbirne eine Eisenklammer in das Räderwerk der Uhrmechanik fallen ließ. Big Ben kam zum Stehen - und die Londoner waren außer sich.